TE OGH 1986/2/19 3Ob509/86 (3Ob509/86)

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Veröffentlicht am 19.02.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Josefa U***, geboren am 13.Februar 1944 in Wien, im Haushalt, Franz Koci Straße 6/15/2/11, 1100 Wien, vertreten durch Dr. Herbert Schachter, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Heinz U***, geboren am 26. März 1943, Maschinenschlosser, Franz Koci Straße 6/16/2/12, 1100 Wien, vertreten durch Dr. Adolf F*** und Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Scheidung ihrer Ehe, infolge Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 24. September 1985, GZ 11 R 183/85-18, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 28.Februar 1985, GZ 40 Cg 4/83-13, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, der beklagten und widerklagenden Partei an Kosten des Berufungsverfahrens S 6.215,50 (darin S 514,50 Umsatzsteuer und S 556,-- Barauslagen) und des Revisionsverfahrens S 3.637,35 (darin S 308,85 Umsatzsteuer und S 240,-- Barauslagen) binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Frau und der Mann österreichischer Staatsbürgerschaft haben am 13.Jänner 1968 in Wien die Ehe geschlossen. Ihre Tochter Sabine ist am 23.Februar 1969 geboren.

Die Frau erhob am 5.Mai 1983 die Klage auf Scheidung der Ehe wegen Verschuldens des Mannes, der sie lieblos behandelt, sich nicht um sie gekümmert und ehebrecherische Beziehungen mit zwei anderen Frauen unterhalten habe.

Der Mann brachte am 10.November 1983 die auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Frau gerichtete Widerklage ein. Die eingetretene unheilbare Zerrüttung der Ehe sei von der Frau durch ihren Alkoholmißbrauch, die grobe Vernachlässigung der Haushaltsführung und durch die Verweigerung des Geschlechtsverkehres seit acht Jahren verschuldet worden; die Frau sei, wenn sie getrunken habe, aggressiv und streitsüchtig.

Das Erstgericht, das die Verfahren über die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung verbunden hatte, erkannte, nachdem beide Teile die Richtigkeit der Behauptungen des anderen Teils bestritten und auch Mitschuldanträge gestellt hatten, dahin, daß die Ehe geschieden und ausgesprochen werde, daß beide Eheleute das Verschulden an der Ehescheidung zu gleichen Teilen treffe.

Das Erstgericht stellte im wesentlichen fest:

Nach einem zufriedenstellenden Verlauf der ehelichen Beziehung bis 1975 nahmen die Eheleute, als ihre Tochter mit dem Schulbesuch begann, das Kind, das sechs Jahre bei den mütterlichen Großeltern gelebt hatte, in ihren Haushalt auf. Die Frau verrichtete im Wohnzimmer mit der Nähmaschine Heimarbeiten und ließ deshalb das Kind, um dessen Schlaf nicht zu stören, im ehelichen Schlafzimmer und den Mann im Kinderzimmer schlafen. Der Mann war zunächst mit dieser Lösung, daß das Kind nicht durch das Arbeitsgeräusch im Wohnzimmer gestört werde, einverstanden, verlangte aber einige Monate später, daß die Frau die Heimarbeit aufgebe. Sie kam der Aufforderung nach, lehnte aber das Verlangen des Mannes, die Tochter im vorhandenen Kinderzimmer schlafen zu lassen und ihn im ehelichen Schlafzimmer aufzunehmen, ab, weil sie meinte, die Tochter müsse bei ihr schlafen. Der Mann bestand nicht auf einer Änderung. Das Kind schlief weiter bei der Mutter. Seit 1975 hatten die Eheleute keine geschlechtlichen Beziehungen. Weil die Tochter im Schlafzimmer und nicht im Kinderzimmer schlief, kam es zu Streit zwischen den Eheleuten. Der Mann übte eine Nebenbeschäftigung auf dem Westbahnhof aus. Er arbeitete nachts und blieb gelegentlich dort auch über Nacht. Einmal am Tag kam er heim. Es kam vor, daß er zweimal in der Woche erst um 3.00 Uhr heimkam.

Im Februar 1979 sah die Frau den Mann an einem Morgen aus dem Haus kommen, in welchem ihre Freundin Anna U*** wohnt. Die Beiden wurden auch Hand in Hand gehend auf dem WIG-Gelände gesehen. Der Mann hatte an seinem Schlüsselbund einen zum Haustor des Stiegenhauses passenden Schlüssel, in dem die Wohnung der Anna U*** liegt.

Etwa um diese Zeit begann die Frau zu trinken. Es ist nicht feststellbar, ob sie übermäßig Alkohol zu sich nahm, bevor der Mann die Beziehung zu Anna U*** aufnahm, oder erst später. Die Frau trank schon zum Frühstück Bier. Wie viel die Frau trank, steht nicht fest. Es kam vor, daß bis 16.00 Uhr 10 Flaschen Bier geleert wurden, doch trank die Frau dabei am Nachmittag 3 bis 4 Flaschen Bier gemeinsam mit ihren Freundinnen Anna U*** oder Erika M***. Sie war nach Biergenuß streitsüchtig. Der Mann warf ihr vor, daß sie trinke, und meinte, daß ihm vor ihr grause. Im Zuge von Streitigkeiten hielt der Mann der Frau vor, sie habe einen zu großen Bauch oder ein zu großes Hinterteil und sei "schlampert". Er drohte einmal, sie vom Balkon zu werfen.

Die Frau trank in den letzten vier bis fünf Jahren fast täglich. Deshalb kam es zu Streit und zu den lieblosen Äußerungen des Mannes. Er verließ öfter die Wohnung und blieb bei Erika M*** über Nacht. Die Frau hatte dem Mann aber immer noch Mahlzeiten zubereitet, seine Kleidung versorgt und auch die Wohnungspflege nicht vernachlässigt. Im Jänner 1983 war die Frau im Krankenhaus Lainz stationär behandelt worden, weil sie eine Gelbsucht übergangen hatte und Leber und Gallenblase durch ihren Alkoholmißbrauch geschädigt waren. Der Mann besuchte die Frau im Krankenhaus. Nach ihrer Entlassung blieb es dabei, daß er nach dem Heimkommen Streit suchte und dann die Wohnung verließ. Die Frau verlangte eine Aussprache und eine Entscheidung des Mannes, worauf er mit dem "Götzzitat" antwortete. Die Frau gab ihm noch bis März 1983 Zeit, sich für sie und das Kind zu entscheiden, doch blieb der Mann immer länger weg und übernachtete zweimal in der Woche bei Erika M***. Am 6.Juni 1983 zog der Mann aus der Ehewohnung zu Erika M***. Jedenfalls seit dieser Zeit hat er mit Erika M*** ein Verhältnis.

Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht rechtlich dahin, daß beiden Eheteilen schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG vorwerfbar seien. Die Frau habe dem Mann seit 1975 grundlos den geschlechtlichen Verkehr verweigert und zu der Zerrüttung der Ehe durch ihren Jahre andauernden erhöhten Alkoholkonsum und die dadurch bewirkte Streitsüchtigkeit beigetragen. Der Mann habe durch seine Beziehungen zu den Freundinnen der Frau die eheliche Treue verletzt und schwere Eheverfehlungen begangen. Selbst die Aufrechterhaltung einer nur freundschaftlichen Beziehung zu einer anderen Frau sei eine Eheverfehlung, wenn sie gegen den erklärten Willen des Ehepartners erfolge und geeignet sei, die Entfremdung der Eheleute herbeizuführen und zu vertiefen. Es komme daher nicht darauf an, ob der Mann zu Anna U*** und schon vor Juni 1983 zu Erika M*** geschlechtliche Beziehungen hatte. Selbst während des Scheidungsverfahrens bestehe die Pflicht zur ehelichen Treue weiter. Der Mann habe daher durch die Wohnungnahme bei Erika M*** die Pflicht zur ehelichen Treue verletzt. Es könne aber nicht mehr festgestellt werden, welcher Teil zuerst eine so schwere Eheverfehlung setzte, die zuletzt zur Ehezerrüttung führte. Es fehle an den Voraussetzungen für den Ausspruch, daß das Verschulden eines Teils das des anderen überwiege, weil ein Unterschied des Verschuldensanteils durch die geschlechtliche Verweigerung und den Alkoholmißbrauch der Frau und durch Treuepflichtverletzung seitens des Mannes nicht augenscheinlich sei. Die Ehe sei daher aus Verschulden beider Teile zu scheiden.

Dieses Urteil wurde nur von der Frau und nur insoweit angefochten, als das Erstgericht die Ehe wegen Verschuldens beider Ehegatten geschieden hat und beide für schuldig erklärte (§ 60 Abs2 Satz 1 EheG). Die Frau strebte mit ihrer Berufung die Abänderung nur im Ausspruch über das Verschulden an, daß die Ehe wegen Verschuldens des Mannes geschieden werde (§ 60 Abs1 EheG), daß aber zumindest zugleich ausgesprochen werde, daß die Schuld des Mannes überwiegt (§ 60 Abs2 Satz 2 EheG).

Das Berufungsgericht änderte in teilweiser Stattgebung der Berufung der Frau das erstgerichtliche Urteil, das in seinem Ausspruch über die Scheidung der Ehe und über das Mitverschulden des Mannes als unangefochten unberührt blieb, im Schuldausspruch dahin ab, daß zwar beide Teile für schuldig erklärt zugleich aber ausgesprochen wird, daß die Schuld des Mannes überwiegt. Das Berufungsgericht verneinte das Vorliegen eines Verfahrensmangels und legte seiner Entscheidung die als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zugrunde. Die grundlose Verweigerung des ehelichen Verkehrs und der jahrelange Mißbrauch von Alkohol mit dadurch bedingter Aggressivität und Streitsucht seien zu Recht als schwere Eheverfehlungen der Frau gewertet worden. Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens seien die Verfehlungen mit Einbeziehung zu berücksichtigender verjährter Verfehlungen (§ 59 Abs2 EheG) in der Gesamtheit gegenüberzustellen. Es komme nicht nur darauf an, wer mit der Zerrüttung der Ehe den Anfang gemacht habe, sondern auch darauf, wie weit die Eheverfehlungen, deren Grad und Verwerflichkeit zu beachten seien, einander bedingen und welchen Anteil sie am Scheitern der Ehe genommen hätten. Hier seien die Eheverfehlungen der Frau hinter denen des Mannes erheblich zurückgetreten. Die Frau möge wohl die Zerrüttung der Ehe durch die Weigerung, mit dem Mann geschlechtlich zu verkehren, und durch sein Aussperren aus dem ehelichen Schlafzimmer eingeleitet haben. Es hätten aber beide Teile die dadurch entstandenen Spannungen durch eine Aussprache zu bereinigen gehabt. Diese Unterlassung sei beiden Teilen vorwerfbar.Hätte der Mann darauf bestanden, wäre die Tochter in das Kinderzimmer gezogen. Der Mann hätte sich nicht (vier Jahre später) mit Anna U*** "einlassen" dürfen. Dies könne nicht als Reaktion auf die bestandenen Spannungen entschuldigt werden, selbst wenn die Frau damals schon zu trinken begonnen haben sollte. Es entschuldige zwar auch nicht die Frau, daß der Mann seine Freizeit in der Folge oft außer Haus verbrachte und teils auf dem Bahnhof, teils bei Anna U*** oder bei Erika M*** übernachtete. Ungeachtet des lieblosen Verhaltens des Mannes sei ihr zunehmender Alkoholmißbrauch, ihre Streitsucht und Aggressivität ein wesentlicher Beitrag zur Ehezerrüttung. Dem Mann sei aber als besonders schwere Eheverfehlung anzulasten, daß er am 6. Juni 1983 eigenmächtig die häusliche Gemeinschaft aufhob und aus der Ehewohnung auszog. Durch die Aufnahme eines Verhältnisses mit Erika M*** habe er die Zerrüttung der Ehe endgültig zur unheilbaren gemacht und daher die überwiegende Schuld an der Ehescheidung.

Mit seiner gegen den abändernden Teil des Berufungsurteils gerichteten nach § 502 Abs5 ZPO jedenfalls zulässigen Revision wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht strebt der Mann die Abänderung des Berufungsurteils und die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles an, allenfalls auch die Aufhebung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht oder das Erstgericht zum Zwecke der Verfahrensergänzung.

Die Frau beantragt, der Revision des Gegners nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Bedeutungslos ist, ob die Bezeichnung der im Tatsachenbereich festgestellten Treuepflichtverletzung des Mannes mit der Freundin der Frau Anna U*** durch das Berufungsgericht, der Mann hätte sich 1979 nicht mit Anna U*** "einlassen" dürfen, zutrifft. Diese im Rahmen der Schuldabwägung vorgenommene Beurteilung der Eheverfehlung des Mannes ist jedenfalls nicht aktenwidrig, weil damit über die vom Erstgericht als erwiesen angenommenen und vom Berufungsgericht übernommenen Tatsachen nicht hinausgegangen wird. Es liegt auch keine Aktenwidrigkeit vor, wenn das Berufungsgericht annahm, der Mann habe sich "zum Auszug aus der ehelichen Wohnung entschlossen". Daß der Mann nach Zugang des auf Verweisung des Mannes aus der Ehewohnung (§ 382 Z.8 litb EO) gerichteten Provisorialantrages der Frau am 6.Juni 1983 den gerichtlichen Vergleich schloß, daß er die Ehewohnung binnen einem Monat räume und sie in den Alleinbesitz der Frau übergebe (ON 4), steht mit dieser Annahme nicht in Widerspruch, weil er sich damit ohne Zwang dem Wunsch der Frau fügte, ihm das Verlassen der Ehewohnung aufzutragen. Berechtigt ist aber die Rüge, das Berufungsgericht habe zu Unrecht die Verfehlungen des Mannes als erheblich schwerer beurteilt als die der Frau. Das Berufungsgericht hat die in Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Verschuldensabwägung richtig dargestellt. Ein überwiegendes Verschulden ist nur ein erheblich schwereres, es wird in den Rechtsfolgen dem Alleinverschulden gleichgehalten (§§ 63, 64 und 66 EheG); die Differenzierung ist nur gerechtfertigt, wenn das mindere Verschulden fast völlig in den Hintergrund tritt (Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 2 zu § 60 EheG; EFSlg.43.692; 41.281 uva.). Nur bei erheblich schwererem Verschulden des einen Ehegatten ist das Überwiegen der Schuld im Urteil zum Ausdruck zu bringen, wobei es darauf ankommt, wodurch die Zerrüttung der Ehe unheilbar geworden ist, wer zunächst Verfehlungen setzte, die zur Zerrüttung der Ehe führten, und wie schwer der Schuldgehalt der Eheverfehlung ist. Entscheidend ist das Gesamtverhalten der Ehegatten (EFSlg.43.684 u.v.a.). Nach der Zerrüttung gesetzte Eheverfehlungen sind wohl zu berücksichtigen, sie werden meist allerdings nicht mehr von entscheidender Bedeutung sein (Schwind, EheR 2 , 251 ff; EFSlg.25.091; EFSlg.29.625; EFSlg.34.051; EFSlg.41.277 uva).

Nach § 90 ABGB sind die Ehegatten einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen, sowie zur Treue, zur anständigen Begegnung und zum Beistand verpflichtet. Aus dem Begriff der umfassenden Lebensgemeinschaft ergibt sich die der einvernehmlichen Gestaltung zugängliche, durch die Pflicht zur anständigen Begegnung und zur Rücksichtnahme aufeinander bestimmte Geschlechtsgemeinschaft der Ehegatten (Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 4 zu § 90). Daß die damals 31 Jahre alte Frau ihrem 32 Jahre alten Mann seit 1975 ohne triftigen Grund den Geschlechtsverkehr verweigerte und das eheliche Beisammensein schon dadurch verhinderte, daß sie darauf bestand, daß sie mit der damals 6-jährigen Tochter im ehelichen Schlafzimmer, der Mann dagegen im Kinderzimmer schlief, ist als einleitende und zu Streit Anlaß gebende Verfehlung durchaus gewichtig, weil es eine der Ursachen der zunehmend eingetretenen Zerrüttung der Ehe bildete (vgl. EFSlg.43.682 u. 43.685), die durch den mißbräuchlichen Alkoholkonsum der Frau und ihre Neigung zur Streitsucht in alkoholisiertem Zustand (EFSlg.41.182 ua) weiter vertieft wurde. Daß der Mann etwa vier Jahre später seine Pflicht zur ehelichen Treue verletzte und, als zweifellos die Zerrüttung der Ehe schon fortgeschritten war - gab es doch jahrelang Streit um den Alkoholmißbrauch der Frau -, öfter über Nacht fortblieb und bei einer Freundin der Frau Unterkunft suchte, ist durchaus zu Recht als schwere Verfehlung des Mannes gewertet worden, tritt aber gegenüber den Verfehlungen der Frau nicht so deutlich hervor, daß der Ausspruch nach § 60 Abs2 Satz 2 EheG, der vom Gesetzgeber dem Richter nur aufgetragen ist, wenn das Verschulden eines Ehegatten eindeutig erheblich schwerer wiegt (Schwind, EheR 2 , 251), berechtigt ist. Die Aufnahme des Verhältnisses zur anderen Frau, nachdem die Ehefrau bereits die auf die unheilbare Zerrüttung der Ehe gestützte Scheidungsklage erhoben und beantragt hatte, den Mann mittels einstweiliger Verfügung das Verlassen der Ehewohnung aufzutragen, kann für das Überwiegen des Verschuldens des Mannes ebensowenig ausschlaggebend sein, wie der vom Berufungsgericht als wesentlich erachtete Umstand, daß der Mann (nachdem sich die Frau ihm acht Jahre verweigert hatte, ihn im Kinderzimmer schlafen ließ und durch ihren Alkoholmißbrauch laufend Streitigkeiten auslöste, mag sich auch der Mann in den Auseinandersetzungen zunehmend lieblos und gegen seine Pflicht zur anständigen Begegnung verhalten haben) aus der Ehewohnung auszog, statt sich dem Provisorialantrag der Frau zu widersetzen und ihn mit rechtlichen Mitteln abzuwehren. Daß sich der Mann in dieser Lage nach Erhebung der Scheidungsklage der Frau bereit fand, sich in einem Vergleich zum Verlassen der Wohnung zu verpflichten, auch um eine Verschärfung der Streitigkeiten, die nun schon vor Gericht ausgetragen wurden, zu vermeiden, begründet keinesfalls ein Überwiegen seiner Schuld. Denn auf Grund des rechtskräftigen Scheidungsausspruches ist davon auszugehen, daß eine so tiefgreifende Zerrüttung der Ehe schon eingetreten war, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden konnte (EFSlg.43.687; EFSlg.43.688 u.v.a.).

Es ist daher der Ansicht des Erstgerichtes beizupflichten, daß bei Abwägung des Schuldgehalts der Verfehlungen der Ehegatten und Betrachtung ihres Verhaltens insgesamt nicht gesagt werden kann, das Verschulden des Mannes an der Ehescheidung sei erheblich schwerer als das der Frau. Keinesfalls überwiegt es derart, daß ein Ausspruch gemäß § 60 Abs2 Satz 2 EheG gerechtfertigt wäre. Das Erstgericht hat zutreffend beide Ehegatten für schuldig befunden, aber von einem Ausspruch nach § 60 Abs2 Satz 2 EheG abgesehen.

Sein Urteil ist in Abänderung des diesen Ausspruch enthaltenden Berufungsurteiles wieder herzustellen.

Damit ist die Frau im Berufungs- und im Revisionsverfahren vollständig unterlegen. Sie hat dem Mann nach § 41 und § 50 ZPO die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Anmerkung

E07741

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0030OB00508.86.0219.000

Dokumentnummer

JJT_19860219_OGH0002_0030OB00508_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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