TE OGH 1986/2/19 3Ob608/85

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Veröffentlicht am 19.02.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Leopoldine K***, Pensionistin, 1220 Wien, Kartouschgasse 4/13/6, vertreten durch Dr. Ivo Reidninger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Arpad G***, Schneidermeister, 2120 Wolkersdorf, Waldgasse 18, vertreten durch Dr. Manfred Melzer und Dr. Erich Kafka, Rechtsanwälte in Wien, wegen 220.000 S s.A. und Feststellung (Gesamtstreitwert 320.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 29.August 1985, GZ 18 R 135/85-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg vom 29.März 1985, GZ 3 Cg 291/84-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 12.686,25 S (darin 978,75 S Umsatzsteuer und 1.920,-- S sonstige Auslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit der am 25.Oktober 1984 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Verurteilung des Beklagten, ihr 220.000,-- S samt 4 % Zinsen seit Klagstag zu zahlen und ihm gegenüber festzustellen, daß er ihr für alle kausalen Schäden aus dem Unfall vom 13.März 1981 hafte.

Dazu führte die Klägerin im wesentlichen aus, sie sei am 13. März 1981 während eines Besuches im Haus des Beklagten, als sie durch das im 1.Stock gelegene Badezimmer in das dahinter befindliche WC gehen wollte, wegen einer Wasserlache ausgerutscht und gestürzt. Dabei habe sie einen Oberschenkel- und Kniebruch, eine bleibende gehbehindernde Versteifung des Knies und entsprechende Schmerzen erlitten. Dies rechtfertige das begehrte Schmerzengeld und das mit 100.000,-- S bewertete Feststellungsbegehren.

Die sturzauslösende Wasserlache sei dadurch entstanden, daß die beiden minderjährigen Kinder des Beklagten Wasser aus dem Waschbecken gespritzt, die auf dem Boden des Badezimmers entstandene Wasserlache aber nicht aufgewischt hätten. Der Beklagte hafte wegen schuldhafter Vernachlässigung der Aufsichtspflicht über die Kinder. Er habe (im allgemeinen) gewußt, daß seine Kinder Wasserlachen im Badezimmer verursachten, auf denen man ausrutschen könne und daß sie diese Lachen trotz Ermahnungen durch die Mutter selten selbst aufwischten, sondern dies der Mutter überließen. Da diese am Unfallstag nicht zu Hause gewesen sei, die Klägerin und ihr Mann jedoch ihren Besuch für den Morgen angekündigt und das Recht gehabt hätten, sich im Haus des Beklagten frei zu bewegen, hätte der Beklagte für die Verkehrssicherheit seines ganzen Hauses sorgen müssen. Er hätte das Haus nicht verlassen und dieses seinen Gästen überlassen dürfen ohne zu kontrollieren, ob die Kinder im Badezimmer nicht - wie schon öfter - eine Wasserlache hinterlassen hätten, zumal er die Klägerin und deren Mann mehrere Stunden allein gelassen habe.

Rechtlich stützte die Klägerin, deren gegen die minderjährigen Kinder des Beklagten gerichtete Klage rechtskräftig abgewiesen wurde, ihre Begehren auf jedweden Titel, insbesondere auf § 1309

ABGB.

Der Beklagte beantragte die Abweisung beider Begehren. Er bestritt sein Verschulden an den schweren Verletzungen der Klägerin. Deren Mann sollte vereinbarungsgemäß am Unfallstag im Garten des Beklagten arbeiten. Die Klägerin habe ihren Mann begleitet und sei mit diesem zwischen 7 Uhr und 7.30 Uhr zum Haus des Beklagten gekommen. Da dessen Frau nicht daheim gewesen sei, hätte der Beklagte das Frühstück für sich und die beiden Kinder zuzubereiten und die Kinder in die Schule zu bringen gehabt, sei deshalb in Eile gewesen und habe kurz nach dem Eintreffen der Klägerin und deren Mannes das Haus verlassen. Die Klägerin habe gewußt, daß die Frau des Beklagten beruflich auswärts und daß das Haus noch nicht zusammengeräumt sei und habe auch feststellen können, daß der Beklagte und die Kinder es schon eilig gehabt hätten. Richtig sei, daß die damals 8 und 11 Jahre alten Kinder des Beklagten bei der Morgentoilette im Badezimmer etwas gepritschelt hatten, wodurch auf dem Badezimmerboden eine Wasserlache entstanden war. Diese wäre bei angemessener Aufmerksamkeit, insbesondere bei aufgedrehter Badezimmerbeleuchtung, erkennbar gewesen. Die Kinder und der Beklagte hätten nicht erwartet, daß familienfremde Personen das für die Familienmitglieder bestimmte Badezimmer mit WC im ersten Stock, in dem sich sonst nur das Schlafzimmer und das Kinderzimmer befänden, betreten würden, insbesondere vor dem Aufräumen, zumal sich im Erdgeschoß eine Waschgelegenheit und ein auch für die Benützung durch Gäste bestimmtes WC befänden, was die Klägerin gewußt habe. Ihr sei auch bekannt gewesen, daß die Aufräumarbeiten immer nur von der Frau des Beklagten durchgeführt würden, so daß sie gewußt habe oder wissen habe müssen, daß das Badezimmer nach der Morgentoilette noch nicht aufgeräumt sei. Der Klägerin sei auch bekannt gewesen, daß die Kinder etwas schlampig seien. Der Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, dafür zu sorgen, daß seine Kinder den Badezimmerboden nach Benützung aufwischten. Die Klägerin hätte mit der Nässe des Badezimmerbodens rechnen müssen und diesen unaufgeräumten Raum nur mit besonderer Sorgfalt betreten dürfen. Dabei hätte sie die Wasserlache ohne weiteres sehen können, insbesondere, wenn sie die elektrische Beleuchtung eingeschaltet hätte.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab.

Es traf folgende Feststellungen:

Die Parteien sind miteinander seit mehreren Jahren befreundet. Deshalb und durch mehrere Besuche sind der Klägerin die örtlichen Verhältnisse im Haus des Beklagten gut bekannt. Am 13.März 1981 kam die Klägerin mit ihrem Mann, der dort Gartenarbeiten zu verrichten hatte, gegen 7.30 Uhr zum Haus des Beklagten. Sie erfuhren von ihm, daß seine Frau nicht anwesend war. Er selbst war gerade dabei, seine beiden minderjährigen Kinder zur Schule zu bringen. Die Klägerin und ihr Mann hatten die Möglichkeit, sich im Haus frei zu bewegen. Gegen

10.30 Uhr mußte die Klägerin auf das WC. Sie suchte jedoch nicht das WC für die Gäste im Erdgeschoß, sondern das WC im Obergeschoß auf, das sie schon öfter benützt hatte. Dieses WC ist durch das Badezimmer zu erreichen, das selbst kein Fenster hat, so daß die Lichtverhältnisse im Badezimmer ohne künstliche Beleuchtung gedämpft sind. Das WC ist aber auch ohne künstliche Beleuchtung leicht erreichbar. Die Klägerin schaltete am Unfallstag das elektrische Licht beim Betreten des Badezimmers nicht ein. Als sie sich zwischen den beiden Waschbecken befand, rutschte sie wegen einer rund 1/2 m 2 großen, nicht wahrgenommenen Wasserlache aus, stürzte und brach sich ein Bein. Diese Wasserlache ist bei künstlicher Beleuchtung erkennbar, ohne nähere Betrachtung nicht zu erkennen. Die minderjährigen Kinder des Beklagten hatten an diesem Morgen bei der Morgentoilette einander angespritzt, wodurch der Badezimmerboden naß geworden war. Derartige Spiele hatten die damals 8 und 11 Jahre alten Kinder schon vorher öfter gemacht. Dabei wurden sie von ihrer Mutter öfter ermahnt, doch wischten weder die Kinder noch der Beklagte selbst vor dem Verlassen der Wohnung am Morgen die Wasserlache auf. Am Unfallstag achtete der Beklagte nicht auf eventuelle Wasserlachen, weil er es sehr eilig hatte, die Kinder in die Schule zu bringen.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht im wesentlichen aus, der Beklagte habe nicht damit rechnen müssen, daß die Klägerin gerade das hinter dem Badezimmer befindliche WC benützen würde. Sie hätte genauso das WC im Erdgeschoß aufsuchen können. Der Beklagte sei in Eile gewesen und habe keine Zeit gehabt, die Wasserlache aufzuwischen. Weil die Klägerin schon um 7.30 Uhr zu Besuch gekommen sei, habe sie nicht damit rechnen können, daß das Haus aufgeräumt sein werde, und zwar umsoweniger, als die Hausfrau nicht daheim gewesen sei. Den Beklagten treffe daher kein Verschulden. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 300.000,-- S übersteigt.

Es erachtete den in der Nichtaufnahme von Beweisen über die Unfallsfolgen erblickten Verfahrensmangel nicht als gegeben und den in seinem Urteil herausgehobenen Teil der Feststellungen des Erstgerichtes im Zusammenhalt mit dem im Berufungsurteil wiedergegebenen Teil des Vorbringens der Klägerin als zur rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts ausreichend; es vertrat die Rechtsansicht, ein voll deliktsfähiger Erwachsener, der wisse, daß es einem erwarteten Besucher gestattet sei, sich in der gesamten Wohnung frei zu bewegen, verletze keine Verkehrssicherungspflicht, wenn er beim Verlassen des Hauses gegen 7.30 Uhr im Badezimmer eine Wasserlache stehen lasse. Badezimmer würden schon so hergestellt, daß ihnen Feuchtigkeit nicht schade. Jeder müsse damit rechnen, daß ein Badezimmer nach der Benützung durch mehrere Personen am Morgen Nässe aufweise, weil niemand damit rechnen könne, daß ein solcher Raum immer, insbesondere sofort nach seiner Benützung, trocken gehalten werde. Hätte der Beklagte selbst die Nässe im Badezimmer verursacht und belassen, so könnte ihm kein Schuldvorwurf gemacht werden. Deshalb könne ihm auch nicht vorgeworfen werden, daß er das Badezimmer nach der Benützung durch seine Kinder nicht darauf kontrolliert habe, ob diese eine allfällige Wasserlache aufgewischt hätten.

In ihrer das gesamte Berufungsurteil bekämpfenden Revision wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung (!) und unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt die Klägerin, das angefochtene Urteil durch Klagestattgebung abzuändern, allenfalls es, gegebenenfalls auch das Ersturteil aufzuheben.

Der Revisionsgegner erachtet die Revisionsgründe als nicht gegeben und beantragt, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das im Hinblick auf den Bewertungsausspruch des Berufungsgerichtes nach § 502 Abs.4 Z 2 ZPO zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.

Die Klägerin könnte den Ersatz des durch ihren Sturz im Haus des Beklagten erlittenen Schadens nur dann vom Beklagten fordern, wenn ihr dieser den Schaden durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten zugefügt hätte (§ 1295 Abs.1 ABGB), wobei hier mangels jeden Hinweises auf eine böse Absicht des Beklagten nur ein fahrlässiges Verhalten in Betracht käme. Auch die Haftung nach § 1309 ABGB würde voraussetzen, daß der Beklagte seine gesetzliche Aufsichtspflicht gegenüber den beiden Kindern schuldhaft vernachlässigt hätte (EFSlg.36.163; SZ 44/8; SZ 34/137 ua.). Ein Verhalten (Handlung oder Unterlassung) ist rechtswidrig, wenn es gegen Gebote oder Verbote der Rechtsordnung oder gegen die Sitten verstößt.Die Rechtsordnung stellt in vielen Fällen besondere Gebote und Verbote für menschliches Verhalten, sogenannte konkrete Verhaltensnormen (Schutzgesetze) auf. Weitere Gebote oder Verbote ergeben sich aus der Anerkennung absoluter Rechte durch die Rechtsordnung, die Schutz gegen jedermann genießen, und schließlich aus einem Rechtsgeschäft oder aus einem vorvertraglichen Kontakt. Eine Verstärkung des Schutzes absoluter Rechte erfolgt durch die Verkehrssicherungspflichten. Nach diesen muß jeder, der einen Verkehr eröffnet (z.B. auf Wegen oder in Gebäuden), im Rahmen des Zumutbaren die Verkehrsteilnehmer schützen oder zumindest warnen, und jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder in seiner Sphäre bestehen läßt, dafür sorgen, daß niemand beschädigt wird. Die Bedeutung der Verkehrssicherungspflichten liegt darin, daß einerseits die Unterlassung von Maßnahmen zur Schadensabwendung für rechtswidrig erklärt wird und andererseits schon Handlungen verboten werden, die bloß eine abstrakte Gefährdung fremder Güter mit sich bringen (Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts 7 I 388 ff).

Verschulden ist die Vorwerfbarkeit rechtswidrigen Verhaltens. Schuldhaft handelt, wer ein Verhalten setzt, das er hätte vermeiden sollen und können. Dabei liegt Fahrlässigkeit ("Versehen") vor, "wenn der Schade aus schuldbarer Unwissenheit oder aus Mangel der gehörigen Aufmerksamkeit oder des gehörigen Fleisses verursacht worden ist" (§ 1294 ABGB).

Dabei könnte dem Beklagten nur dann ein schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden, wenn er weniger sorgfältig gehandelt hätte, als dies einem maßgerechten Durchschnittsmenschen, der Vater und Eigentümer eines Einfamilienhauses ist, in der konkreten Situation zumutbar wäre (§ 1297 ABGB; Reischauer in Rummel, ABGB Rdz 2 zur zitierten Gesetzesstelle).

Davon könnte aber selbst dann keine Rede sein, wenn die Vorinstanzen auch die von der Revisionswerberin vermißten Feststellungen getroffen hätten.

Daß die Klägerin und ihr Mann die Möglichkeit hatten, sich im Haus des Beklagten auch in dessen Abwesenheit frei zu bewegen, änderte nichts daran, daß es sich bei dem Raum, in dem die Klägerin ausrutschte und stürzte, um das im 1.Stock eines Einfamilienhauses gelegene Badezimmer einer Familie handelte, zu der zwei damals 8 und 11 Jahre alte Kinder gehörten.

Selbst wenn man unter diesen Umständen überhaupt sagen könnte, daß der Beklagte in diesem Badezimmer für Besucher einen Verkehr eröffnet oder zumindest zugelassen hätte, dürften die Sorgfaltspflichten des Beklagten nicht überspannt und in Wahrheit eine vom Verschulden losgelöste Haftung angestrebt werden, die im Gesetz keine Deckung fände (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht 2 II, insbesondere S 59 und die dort zitierte Judikatur).

In einem mit Bodenfliesen versehenen Badezimmer ist es durchaus üblich, daß nach bestimmungsgemäßem Gebrauch dieses Naßraumes (Waschen, Duschen, Baden ua) auf dem verfliesten Boden nasse Flächen, ja sogar Wasserlachen zurückbleiben, die nicht immer sofort aufgewischt werden, sondern oft, insbesondere wenn die Zeit drängt, der Auftrocknung überlassen werden.

Solche in Badezimmern durchaus übliche nasse Fußbodenstellen stellen im allgemeinen keine "Gefahrenquellen" dar, die Verkehrssicherungspflichten auslösen würden.

Selbst wenn der Beklagte mit dem Betreten des Badezimmers durch die Klägerin hätte rechnen müssen, wäre er daher nicht verpflichtet gewesen, dafür zu sorgen, daß die von der Morgentoilette seiner Kinder zurückgebliebene Naßstelle auf dem Fliesenboden sogleich beseitigt werde oder daß die Klägerin gewarnt werde. Jedenfalls kann ihm insbesondere bei Berücksichtigung der gesamten morgendlichen Situation nicht vorgeworfen werden, daß er nach der Morgentoilette der Kinder den Zustand des Badezimmers nicht kontrolliert und die eben erwähnten Maßnahmen unterlassen hat.

Daß die Klägerin im Badezimmer stürzte, ist daher auf einen besonders unglücklichen Zufall zurückzuführen, für den der Beklagte nicht verantwortlich ist.

Der unbegründeten Revision war somit nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E07747

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0030OB00608.85.0219.000

Dokumentnummer

JJT_19860219_OGH0002_0030OB00608_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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