Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef M***, Invaliditätspensionist, Ratten, Kirchenviertel 150, vertreten durch Dr. Lore Unterkircher-Kaar, Rechtsanwalt in Weiz, wider die beklagte Partei Stefanie M***, Schneiderin, Ratten,
Grubbauerviertel 85, vertreten durch Dr. Otmar Franiek, Rechtsanwalt in Graz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 28. Mai 1985, GZ. 6 R 75/85-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 25. Jänner 1985, GZ. 17 Cg 204/83-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 3.397,35 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 308,85 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile haben am 8. Juli 1951 miteinander die Ehe geschlossen. Dieser Ehe entstammen drei inzwischen großjährige Kinder. Der letzte gemeinsame Wohnsitz der Ehegatten war Ratten, Grubbauerviertel 85. Einvernehmlich bauten die Streitteile jedoch in Ratten, Kirchenviertel 150 ein Haus, in das der Kläger 1976 zog. Trotz mehrmaliger Aufforderungen (letztmals mit Schreiben vom 9. Februar 1982) folgte ihm die Beklagte nicht.
Die Vorinstanzen haben die Ehe aus dem Verschulden der Beklagten geschieden und deren Antrag auf Feststellung eines Mitverschuldens des Klägers an der Zerrüttung der Ehe abgewiesen. Hiebei stellten sie im wesentlichen folgendes fest:
Bereits seit den 60-er-Jahren hat die Beklagte Kontakte zu Johann B***, die sich im Laufe der Zeit zu ehewidrigen Beziehungen entwickelten. Der Kläger hat deshalb Johann B*** 1970 aufgefordert, sein Haus nicht mehr zu betreten. Auch in der Folge waren die Beziehungen der Beklagten zu B*** Gegenstand von Gesprächen zwischen den Eheleuten, wobei der Kläger die Beklagte aufforderte, diese Beziehungen abzubrechen. Das Ziel, diesen Beziehungen ein Ende zu setzen, war auch einer der Gründe für die Verlegung des Wohnsitzes durch den Kläger. Im Zusammenhang mit den Vorhaltungen des Klägers betreffend B*** hat der Kläger die Beklagte auch seinerzeit aufgefordert, mit der "Herumhurerei", dem "Herumstreifen" und "Herumstrolchen" aufzuhören. Beschimpfungen der Beklagten durch den Kläger, eine unbegründete Eifersucht sowie eine Unterhaltsvernachlässigung wurden ebensowenig festgestellt, wie die Notwendigkeit einer Sorge der Beklagten für ihre Mutter und ihren Stiefvater.
Die Vorinstanzen erblickten sowohl in den Beziehungen der Beklagten zu Johann B*** als auch in deren Weigerung, dem Kläger in das neue Haus zu folgen, schwere Eheverfehlungen, während auf Grund der getroffenen Feststellungen (diesbezüglich kann auch auf die detaillierten Ausführungen des Erstgerichtes auf den Seiten 4 bis 16 des Aktes verwiesen werden) ein Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe nicht gegeben sei. Von einer Verzeihung der Eheverfehlungen der Beklagten durch den Kläger könne keine Rede sein. Da die Beklagte ihr ehewidriges Verhalten nach wie vor fortsetze, sei das Scheidungsbegehren nicht verfristet.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen § 503 Abs. 1 Z 2 und 4 ZPO erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.
Mit dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens unternimmt die Beklagte den unzulässigen Versuch einer Bekämpfung der vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen. Von einer derart mangelhaften Begründung der Entscheidung des Berufungsgerichtes, daß hiedurch dessen Urteil unüberprüfbar würde, kann keine Rede sein. Das Berufungsgericht hat im Gegenteil eindeutig zu erkennen gegeben, aus welchen Erwägungen es der erstrichterlichen Beweiswürdigung beitritt.
Die Amtswegigkeit des Ehescheidungsverfahrens geht nicht so weit, daß Prüfungen in einer Richtung angestellt werden müssen, die dem beiderseitigen Parteienvorbringen nicht einmal andeutungsweise entnommen werden können. Demnach war hier eine Beweisaufnahme zur Prüfung der Frage, ob sich die Beklagte vor dem Kläger wegen Tätlichkeiten fürchtet, nicht notwendig, weil derartiges erstmals in der Berufung behauptet worden ist. Daß aber nunmehr das Neuerungsverbot auch im Ehescheidungsverfahren gilt, erkennt die Beklagte selbst. Aus diesem Grunde kann auf Neuerungen in der Berufung auch nicht aus Billigkeitserwägungen eingegangen werden. Besteht das Neuerungsverbot, so ist dem Berufungsgericht das Eingehen auf neue Behauptungen grundsätzlich verwehrt. Nach Prüfung der Aktenlage ergibt sich, daß das berufungsgerichtliche Verfahren an keinem Mangel leidet (§ 510 Abs. 3 ZPO).
Geht man von den getroffenen Feststellungen aus, so erweist sich auch die Rechtsrüge als nicht gerechtfertigt. Unzulässigerweise versucht die Beklagte eine für sie günstigere Beurteilung dadurch zu erreichen, daß sie ihren Ausführungen andere als die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen zugrunde legt. Entgegen den Ausführungen der Revision wurden aber eindeutig ehewidrige Beziehungen der Beklagten zu Johann B*** festgestellt. Ebenso wurde festgestellt, daß die Beklagte der Aufforderung des Klägers, ihm in die neue Wohnung zu folgen, nicht nachgekommen ist und daß sie dieses Verhalten auch bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz fortgesetzt hat. Die Beklagte hat im Verfahren erster Instanz nie bestritten, daß es sich bei der neuen Wohnung um jene handelt, in die schon nach dem früheren Willen der Parteien der eheliche Wohnsitz verlegt werden sollte. Eine Unzumutbarkeit des Wohnungswechsels hat sie nur mit der Behauptung eingewendet, sie müsse ihre Mutter pflegen und der Kläger habe sie gröblich beschimpft. Beides wurde nicht festgestellt. Vor allem kann es nicht als gröbliche Beschimpfung in einem Ausmaß, das ein weiteres Zusammenwohnen der Beklagten mit dem Kläger als unzumutbar erscheinen lassen würde, gewertet werden, wenn der Kläger im Zuge eines Gespräches über die ehewidrigen Beziehungen der Beklagten zu Johann B*** einmal die eingangs wiedergegebenen Worte verwendet hat. Was die Frage der Verzeihung der Eheverfehlungen der Beklagten durch den Kläger anlangt, so reichen die getroffenen Feststellungen für die Annahme einer Verzeihung nicht aus. Allein daraus, daß der Kläger über lange Zeit das Verhalten der Beklagten ertrug, kann nicht geschlossen werden, daß er die Verfehlungen der Beklagten verziehen habe (RZ 1954, 14 u.a.). Insbesondere liegt eine Verzeihung, die an Bedingungen geknüpft wurde, erst dann vor, wenn die Bedingungen eingetreten sind (EvBl. 1951/398 u.a.). Von einer rückhaltslosen und unbedingten Verzeihung des Klägers kann hier keine Rede sein. Bestenfalls wäre eine Verzeihung unter der Bedingung anzunehmen, daß die Beklagte ihre Beziehungen zu B*** beendet und zum Kläger zieht. Diese Bedingung hat die Beklagte nicht erfüllt.
Eine Verfristung des Scheidungsbegehrens des Klägers ist schon deshalb nicht gegeben, weil gemäß § 57 Abs. 1 EheG die Frist solange nicht läuft, als die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten aufgehoben ist. Eine Aufforderung seitens der Beklagten zur Aufnahme der ehelichen Gemeinschaft, die den Lauf der Frist in Gang setzen würde, ist nicht erfolgt. Im übrigen handelt es sich aber bei den Eheverfehlungen der Beklagten um ein fortgesetztes ehewidriges Verhalten, das als Einheit aufzufassen ist, weshalb der Fristablauf auf die letzte Handlung abzustellen ist (EFSlg. 41.266, 22.844 u. a.). Da die Beklagte ihr ehewidriges Verhalten bisher nicht aufgegeben hat, konnte die Frist des § 57 EheG schon aus diesem Grunde nicht zu laufen beginnen.
Ein Mitverschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe scheidet nach den getroffenen Feststellungen aus. Daß das einmalige Verwenden bestimmter gröberer Worte vor vielen Jahren eine Eheverfehlung des Klägers nicht begründet, wurde bereits oben dargelegt. Vor allem ist hier auch zu berücksichtigen, daß der Kläger mit diesen Worten gar nicht die Beklagte beschimpfen, sondern ihr nur das Unangemessene ihres Verhaltens vor Auge führen wollte. Den Gebrauch dieser Worte hat schließlich die Beklagte durch ihr ehewidriges Verhalten provoziert. Der Gebrauch dieser Worte kann nicht als Überschreiten einer angemessenen Reaktion gewertet werden. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E07653European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0070OB00524.86.0220.000Dokumentnummer
JJT_19860220_OGH0002_0070OB00524_8600000_000