Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Samseger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J***** K*****, 2. A***** K*****, 3. F***** V*****, alle vertreten durch DDr. Manfred Erschen, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei E***** R*****, vertreten durch Dr. Hermann Pichler, Rechtsanwalt in Judenburg, wegen je 105.337 S sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 4. Juni 1984, GZ 5 R 83/84-18, womit das Urteil des Kreisgerichts Leoben vom 16. März 1984, GZ 7 Cg 223/83-13, unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 10.715 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 945 S Umsatzsteuer und 320 S Barauslagen) sowie die mit 11.722,62 S bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin enthalten 978,42 S USt und 960 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Kläger sind eheliche Enkelkinder der am 5. 7. 1981 verstorbenen J***** R*****. Diese war in zweiter Ehe mit dem Beklagten verheiratet. Eine Verlassenschaftsabhandlung fand mangels Vermögens nicht statt.
Die Kläger begehrten mit der vorliegenden Klage vom Beklagten die Bezahlung des Betrags von je 105.337 S und führten zur Begründung aus:
Der Beklagte habe bei der Todfallsaufnahme angegeben, seine Gattin habe kein Vermögen besessen. Er habe aber nach deren Tode ein auf deren Namen lautendes Sparbuch bei der Sparkasse F***** mit einem Einlagestand von 474.915,41 S zur Gänze realisiert und sich das Realisat angeeignet, obwohl ihm als gesetzlicher Erbe nur ein Drittel davon zugestanden wäre. Er sei daher verpflichtet, den Klägern den auf ihre Erbquote entfallenden Betrag in der Höhe von je 105.537 S samt Anhang herauszugeben.
Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens, gab den Besitz eines solchen Sparbuchs zu, wendete aber ein, bei den Ersparnissen habe es sich um sein eigenes Geld gehandelt, das er nur aus Vorsichtsgründen für die Dauer eines Krankenhausaufenthalts etliche Monate vor dem Ableben seiner Gattin mit deren Zustimmung auf ein auf ihren Name lautendes Sparbuch eingelegt habe. Es liege keine Schenkung der Geldbeträge an seine Ehegattin vor.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, den Klägern als möglichen Erben stünde keine Legitimation zur Geltendmachung dieses Anspruchs zu.
Das Berufungsgericht hob infolge Berufung der Kläger das Urteil des Erstgerichts unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es führte dabei in rechtlicher Hinsicht aus:
Gemäß § 797 ABGB dürfe niemand eine Erbschaft eigenmächtig in Besitz nehmen; das Erbrecht müsse vor Gericht verhandelt und von diesem die Einantwortung des Nachlasses, das sei die Übergabe in den Rechtsbesitz, bewirkt werden. Käme es mangels Vermögens zu keiner Verlassenschaftsabhandlung und zu keiner Einantwortung, so trete ein erbrechtlicher Erwerb nicht ein. Die zur Erbschaft Berufenen könnten beim Unterbleiben einer Abhandlung in eine Art Besitzverhältnis zu den Nachlassgegenständen gelangen, die beispielsweise zur Ersitzung des Eigentums führen könnte. Sie könnten daher gegen den Inhaber einer Nachlasssache zwar nicht die Eigentumsklage gemäß § 366 ABGB, wohl aber eine solche nach § 372 ABGB anstrengen (SZ 23/242) oder gemäß § 335 ABGB die Herausgabe des Vorteils begehren (SZ 33/60). Bei der Verfolgung solcher Ansprüche ergäben sich bei Vorhandensein von Miterben Besonderheiten, weil die Frage, ob die Gesamtheit der Erben den Nachlass zu vertreten hätte oder ob Einzelvertretung zulässig sei, nicht eindeutig geklärt erscheine. Lehre und Rechtsprechung räumten allerdings jedem Miterben die Berechtigung zur selbständigen Geltendmachung eines zum Nachlass gehörigen Anspruchs ein. Über die Frage, ob das Klagebegehren auf Leistung an den Nachlass zu lauten habe oder ob es genüge, wenn die Miterben die Zahlung des ihrer Erbquote entsprechenden Anteils forderten, herrsche keine abschließende Einheitlichkeit. Nach Weiß in Klang Kommentar2 III 162 solle das Begehren richtigerweise auf Leistung an den Nachlass lauten. Die Sachlage ergäbe aber, dass der Anspruch auch auf Leistung an alle erbserklärten und vom Abhandlungsgericht mit der Verwaltung betrauten Miterben oder aber, wenn der Anspruch auf Leistung, besonders auf Herausgabe einer dazu geeigneten Sache, gehe, auf gerichtlichen Erlag für den Nachlass oder alle in der erwähnten Weise verwaltungsberechtigten Miterben gerichtet werden könne. Soweit ersichtlich berücksichtige die Judikatur stets die Geltendmachung von Ansprüchen bereits erbserkärter Erben oder solcher, denen der Nachlass bereits eingeantwortet worden sei, sie berücksichtige aber nicht jene Fälle, in denen es mangels Durchführung eines Verlassenschaftsverfahrens nicht einmal zur Abgabe der Erbserklärungen gekommen sei und die Erben nur den Anspruch in Höhe ihrer vermeintlichen Erbquote forderten. Sicher sei, dass sie im Falle der Einklagung des gesamten in den Nachlass fallenden Anspruchs nur die Leistung zugunsten des Nachlasses begehren könnten. Ob dies, wie im Anlassfall, bei Forderung des auf ihre Erbquote entfallenden Anteils erforderlich sei, erscheine fraglich, doch könne man auch diesfalls der Meinung sein, dass sie nur die Leistung zugunsten des Nachlasses fordern könnten, zumal wenn nicht feststehe, wer überhaupt als Erbe noch in Betracht komme. Sollte sich im Verfahren ergeben, wozu allenfalls entsprechendes Vorbringen des Beklagten erforderlich wäre, dass die Kläger nicht als einzige Miterben in Frage kämen, so müsste trotz Forderung des der Quote entsprechenden Betrags nur auf Leistung an den Nachlass verurteilt werden, wobei diesfalls kein Verstoß gegen § 405 ZPO vorläge, weil die Verurteilung auf Leistung an den Nachlass gegenüber dem Begehren auf Bezahlung nur ein Minus und kein aliud darstelle. Die Einräumung der Berechtigung des einzelnen (erbserklärten) Miterben widerspräche an sich keiner gesetzlichen Bestimmung und komme einem praktischen Bedürfnis entgegen. Es sei denkbar, dass bei Vorhandensein mehrerer Erben einzelne von ihnen aus bestimmten Gründen an der Geltendmachung eines solchen dem Nachlass zustehenden Anspruchs nicht interessiert seien oder sich der Anspruch gegen einen Miterben selbst richte. Den Klagsbehauptungen zufolge sei der Beklagte im Besitz eines der Erblasserin gehörenden Sparbuchs mit einem Einlagenstand von 474.915,41 S, das er realisiert und zur Gänze für sich verwendet habe. Bei Richtigkeit dieser Behauptung bestünde der Nachlass, der zunächst armutshalber abgetan worden sei, aus einem nicht unerheblichen Vermögen, über das eine nachträgliche Verlassenschaftsabhandlung einzuleiten wäre. Da den Beklagteneinwendungen zufolge dieses Sparbuchs in Wahrheit kein Vermögen der Erblasserin darstelle und somit nicht in den Nachlass falle, der Beklagte als gesetzlicher Mieterbe kein Interesse an der Verfolgung dieses Anspruchs haben könne, komme die aufgezeigte Lösung (Berechtigung jedes einzelnen Miterben zur Verfolgung dieses Anspruchs) den bis jetzt leer ausgegangenen Miterben umsomehr zustatten. Sie seien daher entgegen der Meinung des Erstgerichts ohne weitere Bestellung eines Verlassenschaftskurators berechtigt, vom Beklagten als Miterben und vermeintlichen Besitzer von Nachlassvermögen die quotenmäßige Herausgabe zu begehren. Da Feststellungen darüber, ob dem Nachlass ein Anspruch auf Herausgabe des Sparbuchs mit dem behaupteten Einlagenstand am Todestag des Erblassers zustehe, fehlten, leide das Verfahren an wesentlichen Mängeln. Der Rechtskraftvorbehalt sei zu setzen gewesen, weil die Frage der Legitimation zur Verfolgung von in den Nachlass gehörigen Ansprüchen durch nicht erbserklärte Erben nach Unterbleiben eines Verlassenschaftsverfahrens gemäß § 72 AußStrG in der Rechtsprechung nicht eindeutig geklärt erscheine.
Der vom Beklagten gegen den Beschluss des Berufungsgerichts erhobene Rekurs ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht berief sich zur Begründung seiner Ansicht, die zur Erbschaft Berufenen könnten bei Unterbleiben einer Abhandlung gegen den Inhaber einer Nachlasssache im eigenen Namen eine Klage anstrengen, auf die Entscheidungen SZ 23/242 und SZ 33/60 und setzte sich in der Folge nur mit den Fragen auseinander, ob die Gesamtheit der Erben den Nachlass zu vertreten haben oder ob Einzelvertretung zulässig sei und ob das Klagebegehren auf Leistung an die Verlassenschaft zu richten sei oder ob die Erben die Zahlung des ihren Erbquoten entsprechenden Anteils an sich fordern könnten.
Die Heranziehung der Entscheidung SZ 33/60 zur Lösung der Frage, ob im Falle des Unterbleibens einer Nachlassabhandlung gemäß § 72 AußStrG die zur Erbschaft Berufenen schon aufgrund dieses Umstands zur Geltendmachung von zum Nachlass gehörigen Ansprüchen legitimiert sind, ist schon deshalb verfehlt, weil wie das Berufungsgericht selbst erkennt nach dem dort zugrundegelegenen Sachverhalt kein Fall des § 72 AußStrG vorlag, sondern der Nachlass eingeantwortet worden war.
Richtig ist aber, dass in der Entscheidung SZ 23/242 ausgeführt wurde, bei Nichteinleitung des Verlassenschaftsverfahren wegen geringen Werts des Nachlasses kämen die zur Erbschaft Berufenen in eine Art Besitzverhältnis, das zur Ersitzung des Eigentums an den Nachlasssachen führen könne, weshalb sie zwar nicht zur Eigentumsklage gemäß § 366 ABGB, wohl aber zur Klage aus dem rechtlich vermuteten Eigentum gemäß § 372 ABGB berechtigt seien.
Eine Auseinandersetzung mit der in dieser Entscheidung behandelten Frage, ob der zur Erbschaft Berufene in den Fällen des § 72 AußStrG die Stellung eines Ersitzungsbesitzers haben und ihm daher die Klage gemäß § 372 ABGB zustehen könne, braucht hier nicht näher untersucht werden (vgl dazu Bartsch in Swoboda, Das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch2, 4. Teil, 111; Schell in Klang-Kommentar1 II/1, 758; Bajons in JBl 1970, 174 f; Ehrenzweig/Kralik, Erbrecht3 327f). Denn auch bei grundsätzlicher Bejahung dieser Frage käme die Anwendung des § 372 ABGB im vorliegenden Fall jedenfalls schon deshalb – auf andere Voraussetzungen braucht daher ebenfalls nicht eingegangen werden – nicht in Betracht, weil die Kläger nicht behauptet haben, jemals nach dem Tod ihrer Großmutter im Besitz des Sparbuchs oder des Realisats gewesen zu sein, sondern vielmehr ausgeführt haben, die Erblasserin habe im Zeitpunkt ihres Todes ein Sparbuch besessen, das der Beklagte nach deren Tod realisiert habe.
Daher fehlt es schon nach der Behauptung der Kläger an der Voraussetzung des – wenn auch nur kurze Zeit – bestehenden Besitzes für die Anwendung des § 372 ABGB. Die Klage nach dieser Bestimmung steht nämlich nur demjenigen zu, der im rechtmäßigen redlichen und echten Besitz einer Sache war und ihn verloren hat (Klang in Klang Kommentar2 II, 234; vgl Bajons aaO; Gschnitzer, Sachenrecht, 130). Waren die Kläger aber selbst nach ihrer Behauptung nie Besitzer der Sache, dann können sie schon aus diesem Grund ihre Klage nicht auf § 372 ABGB stützen.
Sieht man aber von dieser Bestimmung ab, dann muss die Klage aus folgenden Gründen scheitern:
Solange die Verlassenschaft dem Erben nicht eingeantwortet ist, stellt der Nachlass ein dem Erben fremdes Vermögen dar (Weiß im Klang-Kommentar2 III, 135, 141; Koziol-Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts7 II, 363; SZ 48/96, EvBl 1986/11, S 47) und ist partei- und prozessfähig (Fasching II 124 f; Weiß aaO 1051; MietSlg 26.280, 27.058 ua). Auch im Falle des Unterbleibens der Velassenschaftsabhandlung gemäß § 72 AußStrG bleibt nach einhelliger Rechtsprechung (vgl NZ 1928, 109; NZ 1930, 141; SZ 19/22; EvBl 1961/311, S 402; NZ 1969, 119; NZ 1980, 97 ua) und einem Teil der Lehre (Ehrenzweig, System2 II/2, 610; Bajons in JBl 1970, 175; Koziol-Welser aaO 357; Fasching II 125; aM Schell aaO 758 f, Bartsch aaO 111 f; Ehrenzweig/Kralik aaO 327 ff) der ruhende Nachlass als parteifähiges Rechtssubjekt bestehen. Grundsätzlich kann daher in der Zeit zwischen dem Tode des Erblassers und der Einantwortung seines Nachlasses an den Erben hinsichtlich der zum Nachlass gehörigen Rechte und Verbindlichkeiten nur die Verlassenschaft als Klägerin oder Beklagte im Rechtsstreit auftreten. Im vorliegenden Fall tritt aber nicht die Verlassenschaft nach J***** R***** auf Klagsseite auf, sondern treten die nach ihrer Behauptung zur Erbschaft berufenen Enkelkinder der Erblasserin im eigenen Namen auf. Es ist auch kein Anhaltspunkt dafür zu finden, dass sie namens der Verlassenschaft auftreten wollten, zumal sie in der Berufung und in der Rekursbeantwortung ihre eigene Klagslegitimation betonen. Für eine Berichtigung der Parteienbezeichnung ist daher im vorliegenden Fall kein Platz. Ist aber die Klage so zu verstehen, dass die Kläger im eigenen Namen auftreten, dann bleibt noch zu prüfen, ob sie dazu aufgrund einer gemäß § 72 Abs 2 AußStrG erteilten Ermächtigung legitimiert sein könnten. Während in einem Teil der Rechtsprechung (SZ 12/162; ZBl 1936/355, S 671 ua) in von zur Erbschaft Berufenen im eigenen Namen geführten Verfahren die nicht eingeholte Genehmigung gemäß § 72 Abs 2 AußStrG als Mangel angesehen und der Versuch einer Sanierung gemäß § 6 ZPO aufgetragen wurde, wurde in anderen Entscheidungen ausgesprochen, dass die Ermächtigung dem Erbberechtigten nur das Auftreten im Namen des ruhenden Nachlasses ermögliche (SZ 25/97; JBl 1959, 635; ZVR 1978/46, S 49). Diese Frage vgl dazu auch Demelius in NZ 1935, 87; Feil IV 216, Welser in Rummel, ABGB, Rdz 14 zu §§ 797, 798; Bajons in JBl 1970, 179 f – braucht hier nicht weiter erörtert werden, weil eine Ermächtigung im Sinne der genannten Gesetzesbestimmung nicht nur nicht behauptet und nach dem Inhalt des Verlassenschaftsakts auch nicht erfolgt ist, sondern nunmehr auch nicht in Betracht kommt, weil damit eine Ermächtigung zur Geltendmachung von Forderungen erteilt würde, die wertmäßig weit über dem im § 72 Abs 2 genannten Betrag von 20.000 S liegen. IN einem solchen Fall könnte auch dann nicht nach § 6 ZPO vorgegangen werden, wenn man diese Vorgangsweise grundsätzlich für richtig hielte, weil die Sanierung aussichtslos wäre.
Diese Erwägungen führen, ohne dass es weiterer Festellungen bedarf, zu dem Ergebnis, dass die Kläger ihre Klage nicht auf § 372 ABGB stützen können und ihnen jedenfalls außerhalb des Bereichs dieser Bestimmung die Klagslegitimation fehlt.
Es war daher gemäß § 519 Abs 2 ZPO dem Rekurs Folge zu geben und in der Sache selbst zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Textnummer
E117076European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0060OB00655.840.0227.000Im RIS seit
10.02.2017Zuletzt aktualisiert am
10.02.2017