TE OGH 1986/3/4 14Ob22/86

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Veröffentlicht am 04.03.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HONProf. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith, sowie die Beisitzer Prof. Dr. Robert Halpern und Dr. Walter Geppert als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann S***, Hafnergeselle, Wien 14., Fenzlgasse 45/27 (auch 42/27), vertreten durch Dr. Helene Klaar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei K*** & Sohn Gesellschaft mbH & Co KG in Wien 14., Linzerstraße 154, vertreten durch Dr. Peter S***, Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien, Sektion Gewerbe, in Wien, wegen restl. S 6.314,49 netto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 23. September 1985, GZ 44 Cg 142/85-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 22. März 1985, GZ 2 Cr 524/83-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.156,16 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin sind S 136,-- an Barauslagen und S 274,56 an Umsatzsteuer enthalten) sowie die mit S 2.052,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 240,-- an Barauslagen und S 164,80 an Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger behauptet, von der beklagten Partei, seiner Arbeitgeberin, am 16. November 1983 ungerechtfertigt entlassen worden zu sein. Er begehrt aus diesem Rechtsgrund zuletzt den der Höhe nach außer Streit stehenden Betrag von S 6.314,49 netto sA an Kündigungsentschädigung und anteiliger WeihnachtsremuneratiON

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie habe den Kläger entlassen, weil er am genannten Tag zu Unrecht unter Hinweis auf die Witterungsverhältnisse eine Fahrt mit einem Firmen-Pkw abgelehnt habe. Dieser Wagen sei mit Reifen der Marke Michelin XZX ausgestattet gewesen. Dies habe für die damals herrschenden Witterungsverhältnisse ausgereicht.

Der Kläger brachte dazu vor, er habe mit Rücksicht auf die schneebedeckten Fahrbahnen und die Ausstattung des Firmenwagens mit Sommerreifen die ihm aufgetragene Fahrt von Wien nach Bad Vöslau nicht angetreten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (bis auf eine nicht mehr bekämpfte Teilabweisung des Zinsenbegehrens) statt. Es traf folgende noch wesentliche Feststellungen:

Am 15. November 1983 betrug die Morgentemperatur in Wien minus 9,3 Grad Celsius. Sie stieg bis 21 Uhr auf plus 0,3 Grad. Am 16. November 1983 betrug die Morgentemperatur im 14. Wiener Gemeindebezirk, wo der Kläger um 7 Uhr früh seine Arbeit bei der beklagten Partei antrat, zwischen minus 2 Grad und null Grad. In der Nacht hatte es geschneit; die Schneehöhe betrug 1 bis 5 cm. Bis Mittag stieg die Temperatur auf plus 6 Grad bei allgemein nasser Fahrbahn und sank bis 19,30 Uhr auf plus 3 Grad. Auf der Strecke nach Bad Vöslau, wohin der Kläger im Auftrag der beklagten Partei am 16. November 1983 fahren sollte, war zwischen null und 2 Uhr früh im Raum von Wien bis Wiener Neudorf Schnee gefallen. Die Fahrbahn der Autobahn war trocken. Im Bereich der Straßenmeisterei Baden gab es an diesem Tag keine witterungsbedingten Verkehrsbehinderungen. Diese Straßenverhältnisse bedeuteten für den Raum außerhalb Wiens keine Erhöhung der "normalen, für winterliche Verhältnisse geltenden" Gefahren. Solche Gefahren beschränkten sich auf das Wiener Stadtgebiet und waren durch eine entsprechende Fahrweise zu kompensieren. Die Sicherheitsverhältnisse waren durch Ausstattung des Fahrzeuges statt mit XZX-Reifen mit M+S-Reifen wegen deren besseren Bodenhaftung für den Fall geringfügig zu verbessern, daß Matsch und Schnee auf der Fahrbahn lagen. Bei Vereisung waren die Sicherheitsverhältnisse nicht günstiger. Die Mechelin-Reifen Verkaufsgesellschaft mbH betont die guten Wintereigenschaften ihres XZX-Reifens, betrachtet sie aber nicht als einen vollwertigen Ersatz für M+S-Reifen. Das Profil der Reifen des Firmenwagens, mit dem der Kläger fahren sollte, betrug 3 bis 4 mm.

Der Kläger erklärte, mit dem Wagen nicht zu fahren, wenn dieser nicht mit Winterreifen ausgestattet werde. Im Zuge der Auseinandersetzung verlangte er von dem Betriebsleiter Z*** und dem Geschäftsführer der beklagten Partei Ing. B*** erfolglos den schriftlichen Auftrag zur Durchführung der Fahrt oder eine Erklärung der Übernahme der Haftung. Der Betriebsleiter und der Geschäftsführer sprachen dann vor dem Betriebsratsobmann die Entlassung des Klägers aus. Anstelle des Klägers fuhr ein anderer Arbeitnehmer der beklagten Partei mit dem betreffenden Pkw. Vier Monteure, deren Wagen gleichartige Reifen hatten, waren an diesem Tag ebenfalls unterwegs; dem Betriebsrat gegenüber erklärten sie, daß sie die Haltung des Klägers verstehen können.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, der Kläger sei gemäß dem § 58 Abs 4 StVO verpflichtet gewesen, dem Beklagten zu melden, wenn sich das Fahrzeug nicht in einem einwandfreien, verkehrstüchtigen Zustand befinde. Da in der Nacht Schnee gefallen sei, habe sich der Kläger auf Vermutungen darüber nicht einlassen können, wie sich das Wetter am 16. November 1983 entwickeln werde. Der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, die Fahrt mit dem nur mit Sommerreifen ausgestatteten Wagen anzutreten. Ob andere Arbeitnehmer der beklagten Partei mit Sommerreifen gefahren seien, bleibe für die Frage der Berechtigsng der Entlassung ohne Bedeutung. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und traf die gleichen Feststellungen wie das Erstgericht. Ergänzend stellte es fest, daß der Geschäftsführer der beklagten Partei dem Kläger für den Fall der endgültigen Weigerung, die Fahrt anzutreten, die Entlassung angedroht habe. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, es gebe weder eine kraftfahrrechtliche Bestimmung, daß ein Kraftfahrzeug mit Winterreifen auszustatten sei, noch eine den Arbeitgeber treffende arbeitsrechtliche Verpflichtung, über die kraftfahrrechtlichen Bestimmungen hinaus für eine verbesserte Ausstattung von Dienstfahrzeugen zu sorgen. Das Kraftfahrzeug der beklagten Partei, das der Kläger hätte benützen sollen, sei kaskoversichert gewesen; gegen eine allfällige erhöhte Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit biete die gesetzliche Unfallversicherung ausreichende Sicherheit. Der Kläger hätte durch eine erhöhte vorsichtige Fahrweise einer Gefährdung begegnen und überdies wissen können, welche Fahrbahnverhältnisse ihn erwarten. Er hätte daher auf jeden Fall die Fahrt antreten müssen und allenfalls langsamer fahren oder die Fahrt abbrechen müssen. Die Weigerung des Klägers, die Fahrt anzutreten, sei eine beharrliche Pflichtenverletzung, welche seine Entlassung rechtfertige.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit einem auf die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils abzielenden Abänderungsantrag. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der Anfechtungsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Hingegen ist die Rechtsrüge berechtigt. Die beklagte Partei wirft dem Kläger eine beharrliche Pflichtenvernachlässigung (§ 82 lit f GewO 1859; die Geltung dieser Bestimmung wurde durch den § 376 Z 47 GewO 1973 aufrechterhalten) vor. Darunter ist die Nichterfüllung oder nicht gehörige Erfüllung der den Arbeitnehmer insbesondere aus dem Arbeitsvertrag treffenden, mit der Ausübung des Dienstes verbundenen und ihm zumutbaren Pflichten zu verstehen. Dazu gehört auch die Nichtbefolgung einer durch den Gegenstand der Arbeitsleistung und die Besonderheit des Betriebes gerechtfertigten Anordnung des Arbeitgebers. Sie muß, um eine darauf gestützte Entlassung zu rechtfertigen, pflichtwidrig und schuldhaft erfolgen. Als Schuldform reicht Fahrlässigkeit aus, doch muß dem Arbeitnehmer bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens erkennbar sein. Lehnt ein Arbeitnehmer eine ihm aufgetragene Arbeit in der irrigen Meinung ab, er sei zu ihrer Durchführung nicht verpflichtet, obliegt ihm der Nachweis, daß er sich über seine Verpflichtung trotz Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt in einem Irrtum befunden hat. Eine undurchführbare Anordnung ist nicht durch den Gegenstand der Dienstleistung gerechtfertigt und berechtigt den Arbeitgeber nicht zur Entlassung des betreffenden Arbeitnehmers. Das gleiche gilt für eine Anordnung, deren Befolgung durch den Arbeitnehmer zu einer Schädigung seiner Gesundheit oder Gefährdung seiner körperlichen Sicherheit führen würde. Die Ablehnung einer solchen Anordnung ist nicht pflichtwidrig (Kuderna, Das Entlassungsrecht, 45, 71 ff mwH; vgl. auch Arb. 9941, 9672, 9578).

Im vorliegenden Fall war die Ablehnung der dem Kläger erteilten Anordnung der beklagten Partei, mit dem Firmenwagen zu einem Kunden von Wien nach Bad Vöslau zu fahren, unter den gegebenen Umständen aus der damals möglichen Sicht des Klägers weder pflichtwidrig noch schuldhaft. Das Verlangen des Klägers, den nur mit Sommerreifen ausgestatteten Firmenwagen mit M+S-Reifen zu versehen, war angesichts der festgestellten Witterungsverhältnisse keinesfalls ungerechtfertigt. Am Vortag herrschte strenger Frost (minus 9,3 Grad), in der Nacht war Schnee gefallen, wobei die Schneehöhe 1 bis 5 cm betrug, und die Morgentemperaturen am 16. November 1983 betrugen zwischen minus 2 und 0 Grad. Der Kläger mußte daher damit rechnen, auf der Fahrt zu einer Baustelle in Bad Vöslau Fahrbahnverhältnisse anzutreffen, für welche die Sommerreifen nicht oder nur wenig geeignet wären. Er konnte auch ein Anhalten der winterlichen Witterung, insbesondere neuerliche Schneefälle, und eine weitere Verschlechterung der Fahrbahnverhältnisse nicht ausschließen. Es entsprach daher - vor allem wenn man auch bedenkt, daß der Kläger kein Berufskraftfahrer ist - den Geboten pflichtgemäßer Vorsicht, die für solche Verhältnisse, insbesondere für Schnee und Schneematsch besser geeigneten M+S-Reifen anzufordern. Daß ein Fahren mit Sommerreifen bei winterlichen Verhältnissen die Unfallgefahr erheblich erhöht, ist allgemein bekannt und bedarf keiner weiteren Begründung. Der Kläger setzte sich bei Verwendung der Sommerreifen aber auch der Gefahr aus, im Falle eines von ihm (mit-)verschuldeten, auf die ungeeigneten Reifen zurückzuführenden Unfalls strafgerichtlich verurteilt und nach dem Dienstnehmerhaftpflichtgesetz zum Schadenersatz herangezogen zu werden. Auf die Verpflichtung des Lenkers eines Kraftfahrzeuges, gemäß § 58 Abs 4 StVO einen nicht ordnungsgemäßen Zustand des Kraftfahrzeuges dem Besitzer oder dem Verfügungsberechtigten zu melden, hat schon das Erstgericht zutreffend hingewiesen. Der Lenker eines Kraftfahrzeuges ist darüber hinaus dafür verantwortlich, daß die Art der Reifen und deren Zustand den jeweiligen Fahrbahnverhältnissen entspricht. Daß die im Falle der Verwendung ungeeigneter Reifen bestehenden Risken durch Versicherungen wenigstens teilweise abgedeckt werden, verpflichtet den Lenker eines Kraftfahrzeuges nicht, die Gefährdung seiner körperlichen Sicherheit und allfällige Verletzungen und andere Unfallsfolgen durch die Befolgung einer ihm vom Arbeitgeber erteilten, derartige Gefahren mitsichbringenden Anordnung auf sich zu nehmen.

Für die Beurteilung der Frage der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Klägers kommt es nicht darauf an, ob, rückschauend betrachtet, auf Grund nachträglich eingeholter Auskünfte über die Temperatur- und Schneeverhältnisse die Verwendung von Winterreifen objektiv erforderlich war. Entscheidend ist vielmehr, ob aus der Sicht des Klägers am Morgen des 16. November 1983, als er den Fahrtauftrag erhielt, eine Verwendung von M+S-Reifen im Hinblick auf die ihm unbekannten Fahrbahnverhältnisse und die mögliche Wetterentwicklung einem vorsichtigen Fahrer notwendig erscheinen konnte. Diese Voraussetzungen liegen nach den Feststellungen vor, sodaß die Ablehnung des Fahrtauftrages durch den Kläger nicht pflichtwidrig und nicht schuldhaft erfolgt ist. Damit fehlt es an den Voraussetzungen des Entlassungstatbestandes des § 82 lit f GewO 1859, ohne daß dem Tatbestandsmerkmal der Beharrlichkeit hier noch eine Bedeutung zukäme. Daraus folgt die Berechtigung der aus einer ungerechtfertigten Entlassung abgeleiteten Klagsforderung. Der Revision war daher Folge zu geben und das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

Anmerkung

E07768

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0140OB00022.86.0304.000

Dokumentnummer

JJT_19860304_OGH0002_0140OB00022_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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