TE OGH 1986/3/5 1Ob1/86 (1Ob2/86)

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Veröffentlicht am 05.03.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*** BREGENZ, vertreten durch Dr. Fritz Schuler,

Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagten Parteien 1.) prot. Firma R*** Baugesellschaft mbH, Wien 8., Albertgasse 33, 2.) prot. Firma Bauunternehmung I*** & M*** Gesellschaft mbH, Innsbruck, Dreiheiligenstraße 27, beide vertreten durch Dr. Heinz Bauer und Dr. Harald E. Hummel, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen restlicher S 319.943,-- samt Anhang infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 3. Oktober 1985, GZ 2 R 176, 177/85-40, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 25. März 1985, GZ 3 Cg 1606/83-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 13.762,87 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.076,62 Umsatzsteuer und S 1.920,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Republik Österreich vergab den Auftrag für die Bauarbeiten zur Herstellung des Citytunnels des Zubringers Bregenz der A 14 (Rheintalautobahn) Kilometer 0,0 bis 1,339 mit Schlußbrief mit 4. März 1981 und Gegenschlußbrief vom 9. März 1981 an die Firma R*** & Co., deren persönlich haftende Gesellschafterin die erstbeklagte Partei ist, und an die zweitbeklagte Partei; beide bildeten eine Arbeitsgemeinschaft. Nach Punkt 15 der Angebotsunterlage 1 (Erläuterungsbericht), der die Überschrift "Anrainerschäden, Beweissicherung" trägt, haftet der Auftragnehmer voll für Schäden an den Anrainergrundstücken und -bauwerken, die durch die Bauführung entstehen. Zur Beweissicherung war vor Baubeginn eine Besichtigung der Nachbarobjekte durchzuführen, an der folgende Personen teilzunehmen hatten: Vertreter des Auftragnehmers, Sachverständige, Bauleitung des Landesstraßenbauamtes Feldkirch, Eigentümer und Wohnungsinhaber (Mieter). Von der "Firma" waren die entsprechenden Beweismittel (Höhenpunkte, Spione) anzubringen, zu erhalten und nach Bedarf laufend zu kontrollieren. Nach Bauende war auf jeden Fall die Schlußaufnahme durchzuführen. Der Auftragnehmer hatte eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, den Nachweis vor Baubeginn zu erbringen und die Höhe bekanntzugeben. Die Errichtung des Tunnels erfolge im Bergwerksbau nach der "Neuen österreichischen Tunnelbauweise".

Nach den technischen Bedingungen der Ausschreibung waren die Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft verpflichtet, die Vortriebsarbeiten (Ausbruch, Sicherung und Stützung des Gebirges) den jeweiligen Gebirgsverhältnissen anzupassen. Die mit dem Bau Beauftragten waren nach den Ausschreibungen verpflichtet, für Sicherungs- und Stützmaßnahmen bei der Errichtung des Tunnels zu sorgen. Diese Arbeiten waren unter anderem im Jahr 1981 unter der Josef Huter-Straße, einer Landesstraße, durchzuführen. Im Erdreich der Josef Huter-Straße befindet sich ein von der klagenden Landeshauptstadt Bregenz im Jahre 1951 errichteter Mischwasserkanal, der Bestandteil der Ortskanalisation ist. Dieser Kanal ist aus Steinzeugrohren errichtet; Muffenstöße finden sich jeweils in einem Abstand von 1 m. Die Fließsohle des Kanales wich schon vor Beginn der Bauarbeiten am darunterführenden Tunnel merklich von der Nivelette ab. Das Gefälle des Kanals ist gering, es beträgt zwischen 2,19 und 2,7 %o. Entsprechend Punkt 15 der Angebotsunterlage 1 fand am 5. Dezember 1980 eine Beweissicherung statt, bei der unter anderem ein Vertreter der klagenden Partei anwesend war. Kanäle waren Gegenstand der Beweissicherung. Die klagende Partei erklärte, eine anzulegende Bestandsaufnahme über die Kanäle dem Landesstraßenbauamt Feldkirch bis Ende Jänner 1981 zu übermitteln. Die Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft waren daher in Kenntnis vom Verlauf des Mischwasserkanals, der auch in ihren Bauplänen eingezeichnet war. Ihnen war bewußt, daß der Tunnelvortrieb wegen des Gesteinsmaterials und der geringen Tiefe besonders sorgfältig durchzuführen war, um Gewähr dafür zu bieten, daß der Mischwasserkanal nicht beschädigt werde. Sie hatten für Verfestigungsmaßnahmen durch Injektion im Bereich des Kanals gesorgt. Sie wußten zwar, daß durch diese Maßnahme eine Senkung des Erdreiches nicht völlig auszuschließen war, waren aber der Meinung, daß der Kanal durch geringfügige gleichmäßige Setzungen von 1 bis 2 cm nicht beschädigt worden wäre.

Nach der angewandten neuen österreichischen Tunnelbauweise besteht die Zielsetzung eines Tunnelvortriebes nach dem derzeit gültigen Stand der Technik in der maximalen möglichen Erhaltung des ursprünglichen Gefüges (Zustandes) des Gebirges (= Fels- oder Lockergestein, Boden), womit dieses eine maßgeblich stützende Funktion (Gewölbewirkung) erfüllt. Dies bedingt die Wahl von Vortriebsweisen, die das Eindringen von wirksamen Stützmitteln (Spritzbeton, Anker, Stahltunnelbögen) in Abhängigkeit von der Standzeit des ausgebrochenen Hohlraumes ermöglicht. Nur so weit darf der Ausbruch räumlich wie zeitlich durchgeführt werden, als es ohne schädliche Auflockerung des freigelegten Gebirges möglich ist. Auflockerung bedeutet immer einen Verlust der ursprünglichen Verbandsfestigkeit (geringere technologische Qualitätseigenschaften) und erfolgt durch Verformung des Gebirges in den freigelegten Hohlraum hinein. Dieser Verformungsablauf ist meßtechnisch verfolgbar und stellt in seiner zeitlichen Entwicklung ein maßgebliches Beurteilungskriterium über den bautechnischen Zustand des Tunnels dar. Praktisch gibt es keinen Tunnelvortrieb ohne Verformung. Die Verformungsgrößen streuen in Abhängigkeit von Hohlraumgröße, Gebirgsverhältnissen und Vortriebsmethode. Die Tunnelbaukunst besteht in der richtigen Wahl der Methode, damit die vorgegebenen Kriterien beeinflußbar und beherrschbar werden. Die Wahl der Vortriebsweise durch die beklagten Parteien war durchaus im Rahmen des Standes der Technik gewählt. Die vertikalen Verformungen waren zu erwarten gewesen. Für die Funktion des Mischwasserkanals war jedoch weniger dieses Setzungsmaß von Bedeutung als die Ungleichmäßigkeit der Setzung. Dadurch entstanden Spannungen im Kanal, die letztlich zu Rissen führten. Auch durch die Umlagerung der Druckkräfte durch die Tunnelrohre entstanden immer wieder Spannungen im umliegenden Material, was ebenfalls zu Brüchen führte. Durch die ungleichmäßige Setzung entstanden Rückstaubereiche und Brüche mit dem Austritt von Abwässern. Es wäre technisch möglich gewesen, Setzungen unter dem eingetretenen Maß zu halten. Damit wäre jedoch ein Aufwand verbunden gewesen, der in keinem Verhältnis zum Risiko eines Kanalschadens gestanden wäre. Der Aufwand wäre wirtschaftlich nicht vertretbar gewesen; es wäre dann billiger gekommen, den Tunnel in offener Bauweise zu errichten und den Kanal neu zu verlegen. Die Setzung des Kanalbettes betrug im Schnitt im Vergleich zum Urzustand ca. 2,2 cm. Die Schäden hätten durch umfangreiche, sehr diffizile Konsolidierungsinjektionen im Bettungsbereich des Kanals vor den Vortriebsarbeiten verhindert werden können; dazu wäre überdies eine modifizierte Vortriebsweise (kleinere und kürzere Kalotten, schnelle und steifere Ausbaumaßnahmen) anzuwenden gewesen. Das erreichte Minimum der Absenkung des Kanalbettes von nur 2,2 cm kann als optimaler Arbeitserfolg der beklagten Parteien bezeichnet werden. Bei Durchführung der Tunnelarbeiten war voraussehbar, daß es durch die wenn auch nur geringe Absenkung des Kanals zu Problemen mit Brüchen kommen könne. Für die Schadensbehebung der ursächlich auf den Tunnelbau zurückzuführenden Schäden am Kanal wird ein Aufwand von S 293.871,-- erforderlich sein. An Mehrkosten für Kanalreinigung und Kontrollarbeiten müßte die klagende Partei weitere S 26.000,-- aufwenden.

In zwei getrennten, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen begehrte die klagende Partei zuletzt den Zuspruch des Betrages von S 426.015,47 samt Anhang. Die Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft hätten die Arbeiten unsachgemäß, nicht unter Einhaltung sämtlich technisch möglicher Absicherungen sowie der Ausschreibung und den behördlichen Auflagen widersprechend durchgeführt und die Schäden am Kanalnetz somit schuldhaft verursacht. Die Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft hätten schon nach Punkt 15 der Angebotsunterlage 1 voll für Schäden an den Anrainergrundstücken und Bauwerken, die durch die Bauführung entstanden sind, und somit auch für Schäden am Kanalnetz zu haften. Der Mischwasserkanal sei im unmittelbaren Gefahrenbereich der von den Gesellschaftern der Arbeitsgemeinschaft durchgeführten Untertagebauarbeiten gelegen. Sie wären daher verbunden gewesen, dafür Sorge zu tragen, daß bei der Durchführung der Untertagebauarbeiten keine Beschädigungen und keine Beeinträchtigungen des Mischwasserkanales eintreten. Auf Grund des Vertragsverhältnisses zwischen der Republik Österreich als Auftraggeber und den Gesellschaftern der Arbeitsgemeinschaft über die Erbringung der Untertagebauarbeiten läge ein Vertragsverhältnis mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter vor. Die Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft hätten Schutz- und Sorgfaltspflichten nicht nur gegenüber den Vertragspartnern, sondern auch gegenüber der klagenden Partei einzuhalten gehabt und hätten dafür Sorge tragen müssen, daß bei der Durchführung der Untertagebauarbeiten Beschädigungen des Kanals nicht eintreten. In Verletzung dieser Schutz- und Sorgfaltspflichten hätten die Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft zur Verhinderung der vorhersehbaren Beschädigungen am Mischwasserkanal nichts unternommen. Sie hätten auch den Auftraggeber über die Möglichkeit des Auftretens solcher Beschädigungen nicht gewarnt. Sie hätten die Beschädigungen einfach in Kauf genommen. Die Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft hätten die vertragliche Nebenpflicht verletzt, den Mischwasserkanal vor Beschädigungen zu bewahren. Die klagende Partei sei auf Grund des Vorarlberger Kanalisationsgesetzes zur Errichtung, Erhaltung und zum Betrieb des Mischwasserkanals verpflichtet.

Die beklagten Parteien wendeten ein, die Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft träfe an der Beschädigung des Kanals kein Verschulden. Der Auftrag des Bundes habe jedes geringe, im Zuge dieser Bauweise nicht auszuschließende Risiko inkludiert. Die Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft seien im Zuge dieses Auftrages an die Art und den Umfang dieser Auftragserteilung gebunden gewesen. Sie hätten keine Einflußnahme auf die durchzuführende Bauvariante gehabt. Die Setzungen hätten trotz Einhaltung aller nur erdenklicher Sicherheitsmaßnahmen nicht vermieden oder auch nur herabgesetzt werden können. Der Schaden sei daher unvermeidlich gewesen. Auf Punkt 15 der Angebotsunterlage 1 könne das Begehren deshalb nicht gestützt werden, weil dadurch lediglich außerhalb des konkreten Bauvorhabens befindliche fremde Güter, nicht aber Anlagen, die sich wie der Mischwasserkanal unmittelbar oberhalb des Stollenvortriebes befunden haben, geschützt sein sollten.

Das Erstgericht sprach jeweils den Betrag von S 319.943,-- s.A. zu und wies das Mehrbegehren von S 106.072,47 samt Anhang unangefochten ab. Was unter dem Begriff "Anrainergrundstücke und -bauwerke" zu verstehen sei, ergebe sich nicht ausdrücklich aus der abgeschlossenen Vereinbarung. Fraglos sei aber Sinn und Zweck dieser Vereinbarung gewesen, der in Auftrag gegebene Tunnel solle durch die Auftragnehmer auf eine Weise hergestellt werden, daß Drittschäden nicht entstünden. Der Begriff Anrainer sei daher nicht im Sinne eines Baugesetzes oder einer sonstigen Gesetzesbestimmung zu verstehen, sondern es sei daran gedacht gewesen, daß Rechte von dritten Personen durch die Bauführung nicht geschädigt werden sollten. Nachdem die Beweissicherung auch für den Kanal erfolgt sei, wäre es unvertretbar, die Haftungsvereinbarung so auszulegen, daß der Mischwasserkanal nicht miteingeschlossen gewesen wäre. Eine andere Vertragsinterpretation würde dem Sachverhalt nicht gerecht. Die Republik Österreich habe Sicherheit haben wollen, daß Drittschäden gegen sie nicht geltend gemacht würden. Es sei nach dem Willen der Vertragsteile hiebei gleichgültig, ob sich das Bauwerk auf dem Grundstück (in der Erdtiefe) der Republik Österreich befunden habe, auf dem der Citytunnel errichtet worden sei, oder außerhalb dieser Liegenschaft. Bei dieser Haftungsübernahme für Schäden, die durch die Bauführung des Tunnels entstünden, sei es gleichgültig, ob die Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft ein Verschulden treffe. Es handle sich dem Sinne nach vielmehr um eine Garantieverpflichtung, die im Rahmen einer Nebenvereinbarung des Bauvertrages getroffen worden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien nicht Folge. Es bestätigte das Urteil des Erstgerichtes mit der Maßgabe, daß die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig seien, der klagenden Partei den Betrag von S 319.943,-- s.A. zu bezahlen. Durch die Einbeziehung der Haftung für Schäden an Anrainerbauwerken in der Haftungserklärung habe klargestellt werden sollen, daß sich die Garantieerklärung der Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft auch auf außerhalb der unmittelbaren Bauzone liegende Einrichtungen erstrecke. Die Haftung für Schäden an Anlagen, die sich im Erdreich oberhalb des Tunnels befunden hätten, habe nicht ausgeschlossen werden sollen. Die klagende Partei sei vom Schutzzweck des zwischen den Gesellschaftern der Arbeitsgemeinschaft und der Republik Österreich abgeschlossenen Werkvertrages umfaßt gewesen. Den Beweis für ihre Schuldlosigkeit treffe gemäß § 1298 ABGB die Gesellschafter. Dieser Beweis sei ihnen nicht gelungen. Derjenige, der sich zu einer vertraglichen Leistung unbedingt verpflichte, handle schon deshalb schuldhaft, weil er diese Verpflichtung eingegangen sei, obwohl er die Ungewißheit der Erfüllbarkeit gekannt habe oder habe kennen müssen. Ein solches Verschulden hätten die beklagten Parteien zu vertreten, weil sie in Kenntnis unvermeidbarer Schäden am Eigentum der klagenden Partei ohne jeglichen Vorbehalt die ordnungsgemäße Erfüllung des Bauvertrages versprochen hätten. An dieser Rechtslage ändere die Feststellung nichts, daß die Verhinderung eines Schadens am Mischwasserkanal nur durch wirtschaftlich nicht vertretbare Sicherungsmaßnahmen möglich gewesen wäre.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erheben die beklagten Parteien RevisiON Diese ist zwar insofern mit einem Formmangel behaftet, als - ebenso wie schon in der Berufungsschrift - als zweitbeklagte Partei nicht die Fa. Bauunternehmung I*** & M*** GesmbH, sondern die Firma K. I*** GesmbH als zweitbeklagte Partei angeführt ist. Gegen diese Gesellschaft brachte die klagende Partei die Klage zwar ein, über deren Bestreitung der Passivlegitimation, nicht Mitglied der Arbeitsgemeinschaft gewesen zu sein, zog die klagende Partei die Klage aber gegen diese Gesellschaft zurück. Mit rechtskräftigem Beschluß des Erstgerichtes vom 10. Jänner 1984, ON 7, wurde das gegen sie gerichtete Verfahren für beendet erklärt. In der Folge erhob die klagende Partei zu 3 Cg 104/81 des Erstgerichtes aus dem gleichen Sachverhalt gegen die nunmehrige zweitbeklagte Partei eine Klage auf Zahlung von S 1,368.464,27 s.A. Dieses Verfahren wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 19. Jänner 1984 mit dem gegen die erstbeklagte Partei gerichteten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Die Urteile der Vorinstanzen richteten sich jeweils gegen die nunmehrige zweitbeklagte Gesellschaft. Bei der gemäß § 75 Z 1 ZPO erforderlichen Bezeichnung der zweitbeklagten Partei handelt es sich demnach für alle Beteiligten und das Gericht klar erkennbar um einen offensichtlichen Schreibfehler der zweitbeklagten Partei. Da das der zweitbeklagten Partei unterlaufene Formgebrechen, demnach auch nicht die ordnungsgemäße geschäftliche Behandlung der Revision hindert, erübrigt sich die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Parteien ist nicht berechtigt. Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den Bestimmungen der §§ 914 f. ABGB steht am Anfang jedes Interpretationsvorganges, dessen Ziel die Feststellung der dem Erklärungsempfänger erkennbaren Absicht des Erklärenden ist, die wörtliche Auslegung (SZ 49/59; 8 Ob 563/84 u.v.a.; Rummel, ABGB, Rdz 4 zu § 914; Koziol-Welser 7 I 85). Punkt 15 der Angebotsunterlage 1 trägt die Überschrift "Anrainerschäden, Beweissicherung". Verwendet werden die Begriffe "Schäden an Anrainergrundstücken und -bauwerken". Schon nach dem Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung und der daraus erkennbaren Absicht der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft ergibt sich, daß diese für den Ersatz jener Schäden einzustehen hatten, die ihren Auftraggeber (den Bund) aus nachbarrechtlichen Gründen treffen sollte. Eine solche Inanspruchnahme des Bundes war gerade bei der Durchführung von Tiefbauarbeiten wie der Errichtung eines Tunnels durchaus möglich, entspricht es doch ständiger Rechtsprechung, daß ein vom Verschulden unabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch immer dann zu bejahen ist, wenn sich der Geschädigte auf eine Analogie zu § 364 a ABGB zu stützen vermag;

diese Bestimmung enthält einen der Enteignung verwandten Tatbestand;

der Geschädigte hat deshalb einen Ersatzanspruch, weil er im Interesse seines Nachbarn Eingriffe in sein Eigentum hinnehmen muß, die über die normale Duldungspflicht des § 364 a ABGB hinausgehen;

dem Geschädigten wird ein Abwehrrecht genommen, das ihm nach dem Inhalt seines Eigentums sonst zugestanden wäre (SZ 56/158;

SZ 55/105; SZ 55/28; SZ 54/137; SZ 51/47 ua); eine solche Analogie wurde insbesondere bei Beeinträchtigungen durch baubehördlich genehmigte Arbeiten für zulässig erkannt (SZ 56/158; SZ 55/28). Da die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für von ihnen rechtswidrig und schuldhaft verursachte Schäden ohnedies eine eigene Deliktshaftung traf, sollte nach dem klaren Wortlaut der nachbarrechtliche Begriffe verwendenden Vertragsbestimmung eine vertragliche Haftung zugunsten Dritter für jene Fälle eintreten, in denen Nachbarn berechtigterweise Ersatzansprüche aus der Bauführung gegen den Bund richten konnten.

Wird aber auf Grund der Auslegungsregeln des § 914 ABGB ein eindeutiges Ergebnis gefunden, ist für die Undeutlichkeitsregel des § 915 zweiter Halbsatz ABGB kein Raum (JBl 1978, 387; JBl 1976, 657; Rummel, ABGB, Rdz 1 zu § 915; Gschnitzer in Klang 2 IV/1, 415). Im vorliegenden Fall bestehen an derselben Liegenschaft mehrere Rechte juristischer Personen öffentlichen Rechts. Bei der Josef Huter-Straße handelt es sich, wie der Oberste Gerichtshof erhob, um eine Landesstraße, die aus den Grundstücken 819/3, 824, 826, 873 und 483 besteht und für die die EZ 642 KG Bregenz eröffnet wurde; als Eigentümer ist das Land Vorarlberg (Landesstraßenverwaltung) im Grundbuch eingetragen. Beim Grundstück 826 wurde im Wege der Enteignung die Dienstbarkeit der Errichtung, der Erhaltung und des Betriebes einer Straßentunnelanlage (Tunneldienstbarkeit; vgl. dazu Brunner, Enteignung für Bundesstraßen 237) für die Republik Österreich (Bundesstraßenverwaltung) einverleibt. Ein bücherliches Recht für die unter der Oberfläche der Liegenschaft EZ 642 KG Bregenz errichteten Kanalisationsanlage der klagenden Gemeinde wurde nicht begründet. Die Kanalisationsanlage wird aufgrund der Verpflichtung der klagenden Gemeinde, für die Errichtung und den Betrieb einer den hygienischen, technischen und wirtschaftlichen Anforderungen entsprechenden öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage Sorge zu tragen (§ 1 Abs 1 Vorarlberger KanalG, LGBl. 1976/33), betrieben. Die Verpflichtung des Landes Vorarlberg, den Betrieb dieser Anlage zu dulden, stützt sich auf die Bestimmung des § 18 Abs 1 des Vorarlberger Baugesetzes, LGBl. 1972/39 (BauG), wonach der Eigentümer eines Grundstückes ohne Entgelt zu dulden hat, daß auf seinem Grundstück Versorgungs- und Kanalisationsanlagen "angebracht" (errichtet und betrieben) werden. Zur Errichtung einer solchen Anlage waren eine Baubewilligung (§ 23 Abs 1 lit c BauG) und eine wasserrechtsbehördliche Bewilligung (§ 32 Abs 2 lit a WRG) erforderlich. Die Bestimmung des § 46 Abs 1 BauG betrachtet ua. den Hersteller einer solchen Anlage als Eigentümer und verpflichtet ihn, die Anlage nach Maßgabe der Baubewilligung in einem Zustand zu erhalten, der den Erfordernissen der Sicherheit und Gesundheit sowie dem Schutz des Landschafts- und Ortsbildes entspricht. Das Vorarlberger Baugesetz, das an sich in die Privatrechtsordnung durch Bundesgesetze nicht eingreifen will (§ 1 Abs 2 BauG), nimmt damit das Bestehen einer Rechtslage an, wie sie in der BRD positivgesetzlich durch § 95 Abs 1 zweiter Satz BGB geregelt ist. Danach gehört zu den Bestandteilen eines Grundstücks nicht ein Gebäude oder ein anderes Werk, das in Ausübung eines Rechtes an einem fremden Grundstücke von dem Berechtigten mit dem Grundstücke verbunden worden ist. Unter solchen fremden Rechten werden insbesondere dingliche Rechte wie Dienstbarkeiten (Holch in MünchKomm. 2 Rz 16 zu § 95 BGB; Dilcher in Staudinger 12 Rz 15 zu § 95 BGB; Kregel in BGB-RGRK 12 Anm. 34 zu § 95), aber auch auf öffentlichem Recht beruhende Nutzungsrechte (Holch aaO Rz 18; Dilcher aaO Rz 16, Kregel aaO Anm. 37) verstanden, insbesondere Versorgungs- und Abwasserleitungen, die in Ausübung eines Duldungsanspruchs in einem fremden Grund verlegt wurden; sie bleiben Eigentum des Berechtigten (Holch aaO Rz 16, 18; in diesem Sinne auch Dilcher aaO Rz 15, Kregel aaO Anm. 28 und 33; vgl. zu Versorgungsleitungen in Straßen insbesondere BGHZ 37, 353, 359, 361). Als Eigentümer der Anlage ist der Berechtigte dann in der Lage, absolute Ansprüche gegen jeden Dritten geltend zu machen. In Österreich fehlt es an einer dem § 95 Abs 1 zweiter Satz BGB entsprechenden Bestimmung. Dilcher (aaO Rz 24) nimmt dennoch an, daß die Rechtslage in Österreich gleich wie in der BRD sei. Dies ist allerdings zweifelhaft, da nach § 297 ABGB zu den unbeweglichen Sachen diejenigen gehören, welche auf Grund und Boden in der Absicht aufgeführt werden, daß sie stets darauf bleiben sollen; unselbständige Bestandteile, die nicht ohne Verletzung (Änderung) der Substanz abgesondert werden können, teilen sachenrechtlich notwendig das Schicksal der Hauptsache (Spielbüchler in Rummel, ABGB, Rdz 7 zu § 294). Immerhin muß aber das Recht der klagenden Partei, ihre Kanalisationsanlage auf dem Grund des Landes Vorarlberg zu errichten und zu betreiben, als Legalservitut angesehen werden. In diesem Sinn wird auch die Auffassung vertreten, daß Verpflichtungen des Liegenschaftseigentümers aus der Bauordnung und den auf diese gestützten Verpflichtungen der Baubehörde als öffentlich-rechtliche Lasten auf der Liegenschaft haften und jeden Eigentümer treffen und daher auch im Falle einer Zwangsversteigerung von einem Ersteher ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen sind (Heller-Berger-Stix, Komm.Z EO 1185 f.). Ähnlich wie Wasserbenutzungsrechte, für die das Gesetz dies ausdrücklich sagt (§ 22 Abs 1 WRG), sind auch Legalservituten wie solche nach § 18 Abs 1 BauG nicht ins Grundbuch einzutragen, es sei denn, ihre Eintragung ins öffentliche Buch wäre ausdrücklich vorgeschrieben (§ 7 Abs 2 AGAG), was für die nach § 18 Abs 1 BauG jedenfalls nicht gilt. Sie gelten als Legalverpflichtung trotzdem gegen jeden Eigentümer und sind daher dinglichen Rechten gleichzusetzen. Es ist aber ständige Rechtsprechung, daß auch andere dingliche Rechte als das Eigentum nachbarrechtlichen Schutz gegen jedermann genießen (MietSlg. 33.051; SZ 55/105; SZ 50/84; SZ 47/140; JBl 1966, 319 ua;

Spielbüchler aaO Rdz 4 zu § 364 ABGB; Klang 2 II 168;

Koziol-Welser 7 II 40; Gschnitzer-Faistenberger-Barta-Call-Eccher, Sachenrecht 2 67). Der Begriff "Nachbar" ist dabei nicht so eng zu verstehen, daß nur an verschiedenen Liegenschaften dinglich Berechtigte die gegenseitigen Rechte nachbarrechtlich zu schützen haben. So wie Wohnungseigentümer im selben Haus gegeneinander Nachbarrechte geltend machen können (SZ 54/55), so müssen auch mehrere an derselben Liegenschaft dinglich Berechtigte gegenseitig ihre Rechte nach den Grundsätzen des Nachbarrechtes wahren, also auch der eine Tunnelservitut ausübende Bund der auf derselben Liegenschaft eine Kanalisationsanlage als Legalservitut betreibenden Gemeinde gegenüber. Gerade auch die Haftung aus einer solchen Verbindlichkeit wollte auch der Bund auf die beklagten Parteien überbinden. Da die klagende Partei auch die Erhaltungspflicht ihrer Anlage trifft, sind auch die Kosten der Wiederinstandsetzung der Anlage zu ersetzen (vgl. SZ 51/164). Bestand eine Haftungsübernahme für den Bund treffende nachbarrechtliche Ansprüche der Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft auch zugunsten der klagenden Partei, lag ein Vertrag zugunsten Dritter vor, aus dem die klagende Partei, deren Aktivlegitimation von den beklagten Parteien auch anerkannt wurde (S 122 d.A.), unmittelbar forderungsberechtigt war (SZ 50/102; SZ 46/121 ua.). Ein Eigenverschulden der klagenden Partei, die damit rechnen konnte, daß nicht zu ersetzende Nachteile für sie nicht erwachsen können, kommt unter den Umständen des Falles nicht in Betracht. Abgesehen davon, daß die beklagten Parteien eine Schädigung der klagenden Partei nicht in Kauf nehmen durften und insoweit auch schuldhaft handelten, setzt die nachbarrechtliche Haftung Verschulden nicht voraus.

Der Revision ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E07981

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0010OB00001.86.0305.000

Dokumentnummer

JJT_19860305_OGH0002_0010OB00001_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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