TE OGH 1986/3/11 11Os15/86

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Veröffentlicht am 11.03.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.März 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Breycha als Schriftführer in der Strafsache gegen Daniel S*** wegen des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach den §§ 125, 126 Abs. 1 Z 7 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 5.Dezember 1985, GZ 1 b Vr 724/85-22, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwaltes Dr. Scheibenpflug als Vertreter der Generalprokuratur, des Angeklagten Daniel S***, seiner gesetzlichen Vertreterin Erika S*** und des Verteidigers Dr. Walter Steiner zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen (Schuldspruch wegen des Beschädigens eines Paares Gummistiefel und eines Dieseltanks) unberührt bleibt, in seinem den Angeklagten freisprechenden Teil sowie in der rechtlichen Beurteilung der den Gegenstand des Schuldspruches bildenden Tat und demnach auch im Straf- und Kostenausspruch sowie im Adhäsionserkenntnis aufgehoben, und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 8.März 1970 geborene Schüler Daniel S*** des Vergehens der Sachbeschädigung nach dem § 125 StGB schuldig erkannt, weil er am 28.August 1984 in Kottingbrunn im bewußten und gewollten Zusammenwirken (§ 12 StGB) mit den gesondert verfolgten Jugendlichen Harald W***, Richard M***, Robert P*** und Heidemarie D*** fremde Sachen, nämlich ein Paar Gummistiefel und einen Dieseltank der Firma "U***", durch Beschmutzen mit Bohrschlamm sowie durch Anfüllen mit Erde und Steinen beschädigte, wobei ein nicht mehr feststellbarer Sachschaden, der jedenfalls 5.000 S nicht überstieg, entstand. Gemäß dem § 12 Abs. 2 JGG wurde ihm hiefür eine Ermahnung erteilt. Hingegen wurde er von der weiteren Anklage, er habe - unter Einschluß der vom nunmehrigen Schuldspruch umfaßten Tat - das Vergehen der schweren Sachbeschädigung nach den §§ 125, 126 Abs. 1 Z 7 StGB (auch) dadurch begangen, daß er darüber hinaus in Kottingbrunn im bewußten und gewollten Zusammenwirken (§ 12 StGB) mit den nachgenannten, gesondert verfolgten Jugendlichen (weitere) fremde Sachen zerstörte, beschädigte bzw unbrauchbar machte, und zwar I./ im Sommer 1984 mit Rudolf H***, Richard M***, Gilbert M*** und Robert P*** sieben Betonradständer und zwei Betonblumenkisten der Marktgemeinde Kottingbrunn durch Zerschlagen (Schaden 5.350 S),

II./ im August 1984 mit Harald W***, Rudolf H***, Richard M***, Gilbert M*** und Robert P*** eine Matchuhr und mehrere Cornerstangen des Arbeitersportclubs "Kottingbrunn" durch Abreißen bzw Abbrechen (Schaden ca 1.000 S) und III./ am 28.August 1984 mit Harald W***, Richard M***, Robert P*** und Heidemarie D*** elf Stück Bohrgestänge, 35 l Diesel (gemeint: Dieselöl), 5 l Motoröl, einen Brunnenring, einen Ölstandsmesser, einen Tankdeckel, ein Starthilfeseil, ein Paar Gummistiefel, zwei Plastikeimer, eine Arbeitshose, ein Holzgestell und einen Dieselfilter der Firma "U***" durch Zerschlagen, Zerreißen und Ausleeren (Schaden ca 15.000 bis 20.000 S), gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den freisprechenden Teil dieses Erkenntnisses wendet sich die Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien mit einer ausdrücklich auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4, 5 und 9 lit a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der schon aus dem erstangeführten Nichtigkeitsgrund Berechtigung zukommt. Als Verfahrensmangel rügt die Beschwerdeführerin die negative Erledigung ihres in der Hauptverhandlung (S 252) - unter Hinweis auf das nunmehrige schlechte Erinnerungsvermögen der nachgenannten Personen und die Abweichungen ihrer Aussagen als Zeugen von ihren Angaben als Verdächtige vor der Polizei - gestellten Beweisantrages auf Beischaffung der das Strafverfahren gegen Harald W***, Rudolf H***, Richard und Gilbert M***, Robert P*** und Heidemarie D*** betreffenden Akten des Kreisgerichtes Wiener Neustadt zur Aufklärung des Tatherganges. Das Erstgericht begründete seine abweisende Entscheidung, gegen die sich der Staatsanwalt sofort die Nichtigkeitsbeschwerde vorbehielt (S 253), - zum Teil im Urteil nachgetragen - damit, daß sich der Senat durch die Vernehmung der Genannten als Zeugen bereits ein ausreichendes Bild über den Tathergang verschaffen konnte; es seien daher die Aussagen als Angeklagte im früheren, sie selbst betreffenden Verfahren nicht entscheidungswesentlich; würden aber der Angeklagte Daniel S*** durch jene Aussagen tatsächlich eindeutig belastet, so wäre die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen zur Gänze erschüttert, weshalb der Senat im Zweifel erst recht der Verantwortung des (insoweit nicht geständigen) Angeklagten folgen müßte (S 252 f, 264 f). Dabei übersah aber das Erstgericht, daß ein allfälliges Bestreben bereits rechtskräftig abgeurteilter Komplizen, einen gesondert verfolgten weiteren Tatbeteiligten nach Möglichkeit zu "schonen", der forensischen Erfahrung nicht fremd ist; gerade unter diesem Gesichtspunkt konnte nicht vorausgesagt werden, ob und inwieweit eine Berücksichtigung der in einem beizuschaffenden und zu verlesenden anderen Gerichtsakt etwa enthaltenen, den nunmehrigen Angeklagten eindeutig belastenden früheren Angaben der nun als Zeugen vernommenen Personen (die auch zur Behebung solcher Abweichungen oder Widersprüche veranlaßt werden mußten - § 67 iVm § 248 StPO) den Schöffensenat zu einer anderen Lösung der Schuldfrage hätte führen können. Der im Zug einer weiteren Beweisaufnahme bei den Mitgliedern des Jugendschöffensenates ablaufende (innere) Meinungsbildungsprozeß ließ sich - wie die Generalprokuratur zutreffend herausstellt - keinesfalls ohne Kenntnis des genauen Inhaltes der sich aus den antragsgemäß beizuschaffenden Akten ergebenden früheren Aussagen der nunmehrigen Zeugen mit Sicherheit abschätzen.

Der Angeklagte irrt, wenn er in seinen Gegenausführungen zum Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft den Standpunkt vertritt, daß Aktenstücke ohnehin nur insoweit als Beweismittel dienen können, als sie in der Hauptverhandlung vorgelesen wurden, was bei Protokollen über die Vernehmung von Mitbeschuldigten und Zeugen nur zulässig sei, wenn ein - hier fehlendes - Einverständnis von Ankläger und Angeklagten vorliegt, weshalb eine Verlesung der beantragten Aktenstücke unzulässig wäre. Denn Protokolle über gerichtliche Vernehmungen dürfen (ohne Einverständnis des Angeklagten) auch dann vorgelesen werden, wenn die in der Hauptverhandlung Vernommenen in wesentlichen Punkten von ihren früher abgelegten Aussagen abweichen (§ 252 Abs. 1 Z 2 StPO), was von der Staatsanwaltschaft anläßlich ihrer Antragstellung - damit im übrigen auch eine allfällige Wertung der beantragten Beweisaufnahme als bloßen Erkundungsbeweis ausschließend - ausdrücklich behauptet wurde. Schriftstücke anderer Art - wozu auch Anzeigen mit den vor Polizei oder Gendarmerie aufgenommenen Protokollen gehören - sind gemäß dem § 252 vorletzter Absatz StPO zu verlesen, ohne daß es hiefür der Zustimmung des Angeklagten oder seines Verteidigers bedarf (vgl Mayerhofer-Rieder, aaO, E Nr 86 bis 91 zu § 252 StPO). Die Behauptung des Angeklagten schließlich, der Vertreter der Staatsanwaltschaft habe in der Hauptverhandlung den Zeugen ohnehin die Angaben vor dem Gendarmeriepostenkommando Leobersdorf vorgehalten, ist durch den Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolles nicht gedeckt. Der freisprechende Teil des erstgerichtlichen Urteils ist daher mit der behaupteten Nichtigkeit nach der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO behaftet. Demnach war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen, wobei auf das übrige Beschwerdevorbringen nicht mehr eingegangen zu werden brauchte.

Anmerkung

E07682

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0110OS00015.86.0311.000

Dokumentnummer

JJT_19860311_OGH0002_0110OS00015_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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