TE OGH 1986/3/18 2Ob11/86

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Veröffentlicht am 18.03.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Richard P***, Maler, 6114 Weer, Mahomfeld 15, vertreten durch Dr. Rudolf Wieser, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. Veronika K***, Fabriksarbeiterin, 6114 Weer, Dorfplatz 3, 2. A*** E*** V***-A***,

Landesdirektion für Tirol, 6020 Innsbruck, Sillgasse 12/Ecke Museumstraße, beide vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 120.000 und Feststellung, infolge Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4. Dezember 1985, GZ 5 R 302/85-31, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 18. Juni 1985, GZ 8 Cg 584/83-24, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat den beklagten Parteien die mit S 8.752,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 679,30 Umsatzsteuer und S 1.280,- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die beklagten Parteien haben dem Kläger zur ungeteilten Hand die mit S 5.628,18 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 424,38 Umsatzsteuer und S 960,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 23.4.1983 stieß der mit seinem Motorrad in Richtung der vor dem Hause Lenzeler Bichl Nr.14 in Weer gelegenen Straßenkreuzung fahrende Kläger mit dem von der Erstbeklagten gelenkten und gehaltenen, bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Kennzeichen T 818.283, der auf der Kreuzung nach links eingebogen war, zusammen und wurde schwer verletzt. In der Klage wird ein in der Folge auf S 260.000 ausgedehntes Leistungsbegehren (S 240.000 Schmerzengeld, S 20.000 Sachschaden) sowie ein Feststellungsbegehren dahin erhoben, daß die beklagten Parteien dem Kläger für alle zukünftigen Schäden aus dem gegenständlichen Verkehrsunfall haften, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei auf die Versicherungssumme einzuschränken sei. Das Alleinverschulden am Unfall treffe die Erstbeklagte, weil sie beim Linkseinbiegen die Kurve derart geschnitten habe, daß dem Kläger ein unfallsverhinderndes Ausweichmanöver nicht mehr möglich gewesen sei.

Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung. Dem Kläger falle eine Vorrangverletzung zur Last, der Erstbeklagten könne kein schuldhaftes Fahrverhalten vorgeworfen werden.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt und sprach dem Beklagten einen Betrag von S 240.000 s.A. zu, das Leistungsmehrbegehren wies es ab.

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht gab der Berufung teilweise Folge. Es änderte das erstgerichtliche Urteil auf der Grundlage einer Verschuldensteilung von 1:1 dahin ab, daß die Haftung der beklagten Parteien für die künftigen Unfallsschäden des Klägers im Umfang von 50 %, bei der zweitbeklagten Partei eingeschränkt auf die Versicherungssumme, festgestellt und dem Kläger ein Betrag von S 120.000 s.A. zugesprochen, das jeweilige Mehrbegehren hingegen abgewiesen wurde.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erheben alle Streitteile auf den Revisionsgrund des § 503 Abs.1 Z 4 ZPO gestützte Revisionen. Der Kläger beantragt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles, in eventu den Zuspruch von S 180.000 s.A. und die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für 3/4 seiner künftigen Schäden, bei der zweitbeklagten Partei eingeschränkt auf die Versicherungssumme. Die beklagten Parteien beantragen Abänderung dahin, daß dem Kläger lediglich ein Betrag von S 60.000 s.A. zugesprochen und dem Feststellungsbegehren lediglich im Ausmaß von 25 % der künftigen Unfallsschäden des Klägers stattgegeben werde. In den Revisionsbeantwortungen wird jeweils beantragt, der gegnerischen Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Keine der Revisionen ist gerechtfertigt.

Zum Unfallsablauf wurde vom Erstgericht unter ausdrücklichem Hinweis auf die aus der dem Urteil angeschlossenen Unfallsskizze hervorgehenden örtlichen Verhältnisse folgender entscheidungserheblicher Sachverhalt festgestellt: Der Kläger näherte sich der gegenständlichen Straßenkreuzung mit einer Fahrgeschwindigkeit von ca.35 bis 40 km/h. Infolge einer im Unfallsbereich durch einen Heckenzaun gegebenen Sichtbehinderung konnte er den Rechtsvorrang eines auf der Kreuzung von rechts kommenden und nach links in die von ihm befahrene Verkehrsfläche einbiegenden Kraftfahrzeuges dann wahrnehmen, wenn seine Geschwindigkeit nicht mehr als 32 km/h betrug. Den PKW der Erstbeklagten, welcher von rechts kommend in die Kreuzung eingefahren war, bemerkte er erst, als dieser bereits unmittelbar vor ihm war. Die Erstbeklagte hatte bei ihrem Einbiegemanöver nach links die Kurve derart geschnitten, daß sie mit der linken Begrenzung ihres Fahrzeuges knapp am linken Fahrbahnrand fuhr. Der Kläger, an dessen rechten Fahrbahnrand sich eine Mauer mit dem Heckenzaun befand, versuchte seinerseits noch nach links auszuweichen, stieß aber auf der 4,9 m breiten Straße dennoch an die rechte Vorderecke des PKWs und kam zu Sturz. Der Kontaktpunkt der beiden Fahrzeuge lag 7 bis 8 m westlich der, wie aus der Unfallsskizze ersichtlich, im Bereiche der "Kreuzungsabrundung" vorhandenen Straßenlaterne. Beim Unfall erlitt der Kläger einen Bein- sowie einen Oberarmbruch und sonstige Verletzungen. Die Heilung ist noch nicht abgeschlossen und es wird auch noch eine Nachoperation erforderlich sein.

In seiner rechtlichen Beurteilung verneinte das Erstgericht eine vom Kläger begangene Vorrangverletzung, weil sich der Unfall 7 bis 8 m vor der einmündenden Querstraße ereignet habe. Wäre die Erstbeklagte so eingebogen, daß sie sich "nach dem Verlassen des Bereiches der einander kreuzenden Straßen in ihrer Fahrtrichtung auf ihrer rechten Fahrbahnhälfte befunden habe, hätte der Kläger kollisionsfrei weiterfahren können, da die Erstbeklagte im Zeitpunkt der Begegnung sodann mit ihrem Fahrzeug bereits zur Gänze auf ihrer Fahrbahnhälfte hätte sein müssen". Somit sei der Unfall keine Folge einer Verletzung des Rechtsvorranges der Erstbeklagten. Die geringfügig überhöhte Geschwindigkeit des Klägers falle gegenüber dem kraß kurvenschneidenden Einbiegen als gravierender Fahrfehler der Erstbeklagten nicht ins Gewicht, sodaß dieser das Alleinverschulden am Unfall anzulasten sei. Den Eintritt des geltend gemachten Sachschadens im Vermögen des Klägers hielt das Erstgericht nicht für erwiesen.

Das Berufungsgericht hielt die Rüge der unrichtigen Beweiswürdigung und unrichtigen Tatsachenfeststellung nicht, dagegen die Rechtsrüge der beklagten Parteien teilweise für gerechtfertigt. Es stellte zunächst die Rechtsprechung dar, nach welcher dem Vorrangberechtigten (der Vorrang solange zukommt, bis er mit der ganzen Länge seines Fahrzeuges den Kreuzungsbereich verlassen hat; sich der Vorrang auf die ganze Fahrbahnhälfte bezieht, also auch nicht verlorengeht, wenn der Vorrangberechtigte auf der linken Fahrbahnhälfte befindet; sich im Bereiche einer Kreuzung der Vorrang auf den gesamten Kreuzungsbereich erstreckt und zu diesem die gesamte innerhalb des Einmündungstrichters gelegene Fläche zählt, wobei der Beginn dieses Bereiches dort anzunehmen ist, wo die durch die Einmündung der Fahrbahn bedingte Verbreiterung derselben deutlich sichtbar wird. Demgemäß dürfe der im Vorrang befindliche einbiegende Kraftfahrzeuglenker von einem benachrangten Lenker bis zur Beendigung des Einbiegevorganges nicht behindert werden. Entscheidend sei, daß dem vom Rechtskommenden somit bis zum vollständigen Verlassen der Kreuzung der Rechtsvorrang zukomme. Im weiteren legte das Berufungsgericht die gesetzlichen Erfordernisse für ein zulässiges Linkseinbiegemanöver dar. Vorliegendenfalls sei davon auszugehen, daß unter Zugrundelegung des Sachverständigengutachtens und der Unfallsskizze der 3,8 m lange PKW bei der für den Kläger günstigsten Annahme, der Kontakt habe sich 8 m westlich der Straßenlaterne ereignet, den Kreuzungsbereich im Augenblick des Zusammenstoßes gerade noch nicht zur Gänze verlassen gehabt habe. Hätte die Erstbeklagte ihr Einbiegemanöver in einer den Vorschriften des § 13 Abs.1 und 2 StVO 1960 entsprechenden Fahrlinie durchgeführt, so wäre es nicht zur Kollision gekommen. Somit sei hier aber entgegen der erstgerichtlichen Auffassung von einer Vorrangsituation auszugehen. Dem Kläger falle eine Vorrangverletzung und eine geringfügige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 32 km/h zur Last, der Erstbeklagten hingegen ein grober Verstoß gegen die Vorschriften über das Linkseinbiegen. Obzwar in der Regel Vorrangverletzungen schwerer ins Gewicht fielen als sonstige Verkehrswidrigkeiten, seien bei der Verschuldensaufteilung letztlich, doch stets auch die besonderen Umstände des Einzelfalles entscheidend. Nach der hier gegebenen Sachlage erscheine die Zumessung eines gleichteiligen Verschuldens am Unfall gerechtfertigt.

In der Revision des Klägers wird der Standpunkt vertreten, diesem könne unter den gegebenen Umständen keine Vorrangverletzung angelastet werden. Eine allfällige, "ganz geringe Überschneidung von einigen Zentimetern zwischen dem rückwärtigen Ende des PKWs und der Trichtermündung begründe keinen Vorrang des PKW mehr". Auch die geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers sei zu vernachlässigen, sodaß der Erstbeklagten wegen ihrer grob verkehrswidrigen Fahrweise das Alleinverschulden am Unfall anzulasten sei. Jedenfalls könne die Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers höchstens eine Mitverschuldensquote von einem Viertel rechtfertigen.

Nach den Revisionsausführungen der beklagten Parteien bestehe vorliegendenfalls kein Anlaß, von der ständigen Rechtsprechung abzugehen, wonach Verstöße gegen Vorrangbestimmungen schwerer ins Gewicht fielen als andere Verkehrswidrigkeiten. Die vorschriftwidrige Fahrweise der Erstbeklagten sei auf Grund der örtlichen Gegebenheiten überdies in milderem Licht zu sehen. Somit erscheine nach den konkreten Umständen des Falles eine Haftungsteilung von 3:1 zu Lasten des Klägers gerechtfertigt. Entgegen dem Standpunkt aller Revisionswerber ist die berufungsgerichtliche Verschuldensteilung zu billigen. Wie bereits vom Berufungsgericht hervorgehoben, gehören zum Kreuzungsbereich auch dessen Beginn und Ende (ZVR 1983/168, 1984/185 ua.) und damit die gesamte innerhalb eines Mündungstrichters liegende Fläche (ZVR 1974/123, 1984/185 ua.). Der Vorrang steht dem Vorrangberechtigten daher bis zum vollständigen Verlassen der bevorrangten Straße zu (ZVR 1980/210, 1984/185 ua.), d. h., daß das Fahrzeug des im Vorrang befindlichen Lenkers mit seiner gesamten Länge bereits den Kreuzungsbereich verlassen haben muß (ZVR 1984/74; 8 Ob 284/82 ua.).

Vorliegendenfalls ergibt sich aus dem von den Unterinstanzen nach dem Inhalt der Unfallsskizze zugrundegelegten Unfallspunkt und deren übrigen Einzeichnungen sowie den im Strafakt erliegenden Unfallsfotos zweifelsfrei, daß das 3,8 m lange Fahrzeug der Erstbeklagten im Unfallsaugenblick den ca.3 m vorher gelegenen, eindeutig wahrnehmbaren Beginn des Einmündungstrichters und damit den Kreuzungsbereich noch nicht zur Gänze verlassen hatte. Im Sinne der oben dargestellten Judikatur kam diesem Fahrzeug somit im Unfallsaugenblick noch der Rechtsvorrang zu, zumal sich nach ständiger Rechtsprechung der Vorrang grundsätzlich auf die gesamte Fahrbahn der bevorrangten Straße bezieht. Dem solcherart gegebenen Vorrangverstoß des Klägers steht hier jedoch ein krasser Verstoß der Erstbeklagten gegen die Regeln über das Linkseinbiegen gegenüber, weil sie - entgegen ihrer Ansicht ohne jeden Grund - nahezu am linken Fahrbahnrand fuhr und dem Kläger somit noch zu einem Zeitpunkt seine gesamte Fahrbahnhälfte versperrte, als sich lediglich noch das Heck ihres Fahrzeuges innerhalb des vorrangigen Kreuzungsbereiches befand. Unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Falles, auch die um 3 km/h überhöhte Geschwindigkeit des Klägers, kann der erkennende Senat in der berufungsgerichtlichen Verschuldensteilung keinen Rechtsirrtum erkennen.

Demgemäß war beiden Revisionen ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E07732

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00011.86.0318.000

Dokumentnummer

JJT_19860318_OGH0002_0020OB00011_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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