Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef P***, Pensionist, 4552 Wartberg a.d. Krems, Schacherdorf, Neubau, vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1.) Michael G***, Landwirt, 4493 Wolfern, Spitzenburgerstraße 11, und 2.) V*** DER
Ö*** B*** Versicherungs AG, 1021 Wien,
Praterstraße 1-7, beide vertreten durch Dr. Ronald Klimscha, Rechtsanwalt in Steyr, wegen S 682.872,13 s.A. infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 8. November 1985, GZ 2 R 150/85-44, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Endurteil des Kreisgerichtes Steyr vom 2. Mai 1985, GZ 1 Cg 181/82-37, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 18.907,14 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 1.200,-- und die Umsatzsteuer von S 1.609,74) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger wurde am 24. Mai 1981 im Gemeindegebiet Kematen/Kr. bei einem Verkehrsunfall durch den PKW des Erstbeklagten, der sein Fahrzeug bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert hatte, schwer verletzt. Wegen der dabei erlittenen Schädel- und Hirnverletzung ist der Kläger seither arbeitsunfähig. Die Haftung der Beklagten für die Folgen des Unfalles ist nicht mehr strittig.
Der Kläger begehrte von den Beklagten den Ersatz von
Schmerzengeld S 500.000,--
Verdienstentgang bis einschließlich
April 1984 S 462.105,37
Kleiderschaden S 2.000,--
diverse Aufwendungen
a) Pflegekosten S 26.550,--
b) Fahrtkosten S 5.520,--
Fahrzeugschaden S 13.076,76
S 1,009.252,13
abzüglich geleisteter Zahlungen S 325.000,--
zusammen S 684.252,13.
Das Erstgericht sprach dem Kläger S 682.872,13 s.A. zu und wies das Mehrbegehren von S 1.380,-- s.A. ab. Zu den noch allein umstrittenen Fragen des Schmerzengeldes von S 500.000,-- und des Verdienstentganges von S 462.105,37 stellte das Erstgericht im wesentlichen fest:
a) der Kläger erlitt durch den Unfall eine schwere Hirnquetschung mit Streckkrämpfen und einen Mittelhandknochenbruch links im 5. Strahl. Er wurde im UKH Linz in der Zeit vom 24. Mai bis 20. Juli 1981 (58 Tage) und im Reha-Zentrum Wien-Meidling vom 18. Dezember 1981 bis 30. Juni 1982 (195 Tage) stationär behandelt. Es bestand absolute Lebensgefahr, weshalb sofort die Intubation und künstliche Beatmung durchgeführt werden mußte. Der Kläger war längere Zeit völlig bewußtlos. Es wurde ein Subclavia-Katheter gesetzt, und es mußten verschiedene diagnostische Untersuchungen durchgeführt werden. Der Kläger entwickelte in den nächsten Tagen auf Schmerzreize Reaktionen im Sinne von Beugebewegungen der Extremitäten. Zeitweise traten auch weiterhin Streckkrämpfe auf. In der Nacht zum 29. Mai 1981 hatte der Kläger mehrmals an seinem Blasenkatheter gezogen, worauf sein Harn etwas blutig wurde. Er reagierte in der Folge prompt auf Schmerzreize. Am 5. Juni 1981 war der Kläger so weit, daß er über Aufforderung die Augen öffnete und wieder schloß; ab 9. Juni 1981 begann er langsam wach zu werden, ab 1. Juli 1981 war eine Kontaktaufnahme möglich. Er wurde nach einfacher Mobilisierung am 29. Juni 1981 von der Intensivstation, wo er 37 Tage war, auf die Normalstation verlegt, nachdem schon vorher mit logopädischer Behandlung begonnen worden war. Allmählich bildete sich ein psychoorganisches Syndrom aus; der Kläger äußerte am 15. Juli 1981 gegenüber der Nachtschwester Selbstmordabsichten und mußte deshalb während der Nachtzeit in einem Gitterbett untergebracht werden. Es war dann eine allgemeine Behandlung notwendig, insbesondere auch ein psychologisches Training und eine Übungsbehandlung des rechten Armes. Der Kläger war zwischen den beiden Krankenhausaufenthalten und danach wiederum daheim. Die Frau des Klägers entband eine Woche nach dem Unfall, sie besuchte ihn das erste Mal rund eine Woche nach der Entbindung und in der Folge ungefähr jeden dritten Tag. Der Kläger konnte nach seiner ersten Spitalsentlassung nicht über die Stiege zu der im ersten Stock gelegenen Wohnung gehen und hielt sich daher nur dort unter Aufsicht auf. Er benötigte zu alltäglichen Verrichtungen wie Waschen, Baden, An- und Ausziehen eine Hilfe. Festere Nahrung mußte ihm zuerst vorgeschnitten werden. Während seines Aufenthaltes im Reha-Zentrum kam es bei rascherem Sprechen bis zur Unverständlichkeit seiner Äußerungen. Es machte sich eine Neigung zum zwanghaften Lachen bemerkbar. In der letzten Zeit seines Aufenthaltes traten immer wieder depressive Stimmungen auf, er äußerte auch wieder Selbstmordabsichten.
Bei der gerichtsärztlichen Untersuchung am 19. November 1982 zeigte sich folgendes Bild: Die Hirnquetschung war relativ gut abgeheilt; es bestanden aber eine teilweise Lähmung der Gesichtsmuskelnerven sowie Sprachstörungen, weiters neurologische Ausfallerscheinungen der rechten Körperseite, wobei der Arm mehr betroffen war als das Bein. Das Gangbild war relativ unauffällig. Die rein organischen Ausfallerscheinungen sind relativ gering. Es ergaben sich allerdings weiterhin bestehende psychische Veränderungen. Das Intelligenzniveau war wieder normalisiert, bei längerer Belastung zeigte sich jedoch eine gewisse Leistungsminderung und Ermüdbarkeit. Streßsituationen darf der Kläger nicht ausgesetzt werden.
Der 27-tägige Aufenthalt in der Intensivstation ist dauernden starken Schmerzen gleichzusetzen, die allerdings etwa durch zwei Wochen nicht exakt wahrgenommen wurden. Danach bestanden durch etwa drei Wochen bis zur Entlassung mittelstarke Schmerzen, wobei weniger die Schmerzen als solche im Vordergrund stehen, als vielmehr das psychische Darniederliegen, das mit allgemeinen Unlustgefühlen einherging. Es folgten in der Dauer von einem halben bis zu einem Jahr leichte Schmerzen.
Es ist nicht zu erwarten, daß sich der Zustand des Klägers noch wesentlich verbessert, möglich sind noch gewisse Anpassungserscheinungen. Die Hauptschwierigkeiten des Klägers in seinem familiären Bereich liegen in seiner Einschränkung der Sprechfähigkeit.
b) Die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit des Klägers konnte nicht mehr erreicht werden, er betätigt sich mit Einschränkungen als Hausmann. Der Kläger war in der Lohnverrechnung der Firma K*** Industrieanlagenbau Ges.m.b.H. & Co KG tätig und hatte die Abrechnung für 600 Dienstnehmer durchzuführen. Ohne Unfall hätte er weiterhin Überstunden wie bis zum Unfall zu leisten gehabt. Der Kläger hatte unter Berücksichtigung der vom Ersatzbetrag noch zu entrichtenden Einkommenssteuer folgenden Verdienstentgang erlitten:
Vom 25.5.1981 bis 21.12.1981 S 55.819,99
1982 S 76.300,35
1.1. bis 31.10.1983 S 202.148,85
1.11.1983 bis einschl. April 1984 S 127.836,13
zusammen S 462.105,32.
1982 wurde das Dienstverhältnis des Klägers aufgelöst, er erhielt eine Abfertigung von S 38.793,--.
Rechtlich vertrat das Erstgericht zu
a) die Auffassung, daß unter Berücksichtigung der schweren Hirnquetschung, der Lebensgefahr, der längeren Bewußtlosigkeit, des langen stationären Aufenthaltes, des Verlustes der Arbeitsfähigkeit, der Kontaktschwierigkeiten und der Schmerzperioden ein Schmerzengeld von S 500.000,-- angemessen sei;
b) es sei ihm der Verdienstentgang, jedoch ohne Berücksichtigung einer Abfertigung, zuzusprechen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge, sondern bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung. Auf der Grundlage der erstgerichtlichen Feststellungen erachtete es zu
a) nicht für erforderlich, daß der Kläger seine Schmerzen mit normalem Bewußtsein erlebte und rational verarbeitete. Voraussetzung für den Schmerzengeldanspruch sei vielmehr nur, daß der Verletzte Schmerzempfindungen hatte. Beim Kläger seien jedenfalls Schmerzreize mit Abwehrreaktionen vorhanden gewesen. Damit unterscheide sich dieser Fall von jenen Sachverhalten, bei denen der Verletzte gar keine Schmerzen empfinden konnte. Auch seelische Schmerzen seien zu berücksichtigen. Der Kläger sei durch den Unfall von einem gesunden, dynamischen Menschen zu einem Pensionisten mit wesentlichen Persönlichkeitsveränderungen sowie einer Sprechbehinderung geworden. Das vom Erstgericht zuerkannte Schmerzengeld von S 500.000,-- sei daher gerechtfertigt.
Zu Punkt b) der erstgerichtlichen Begründung vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, daß Abfertigungsansprüche eines Dienstnehmers dem Schädiger nicht als Vorteile anzurechnen seien. Die "Treueprämie" für längere Dienstdauer solle dem Dienstnehmer und nicht dem Schädiger zugute kommen.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen wird; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
a) Schmerzengeld:
Nach Ansicht der Beklagten sei ein Schmerzengeld von S 200.000,-- völlig ausreichend. Der Kläger habe zu seinem Vorteil wegen der schweren Bewußtseinsstörung nicht mehr Schmerzen verspürt, als sie durch Abgeltung des genanten Betrages zu verifizieren seien.
Dem kann nicht gefolgt werden. Es ist zwar richtig, daß
Voraussetzung des Schmerzengeldanspruches ist, daß der Verletzte
zufolge der Körperverletzung Schmerzen gehabt hat (SZ 44/150 ua.).
Nach den vorinstanzlichen Feststellungen traf dies hier aber trotz
der Bewußtlosigkeit des Klägers zweifellos zu, weil er auf die
erlittenen Schmerzen mit Beugebewegungen der Extremitäten und
Streckkrämpfen reagierte, also echte Schmerzreaktionen zeigte. Im
Gegensatz zu den Ausführungen der Revision sprach der Kläger nach
den getroffenen Feststellungen "prompt auf Schmerzreize" an. Es kann
daher keine Rede davon sein, daß die überaus schwere Verletzung dem
Kläger nicht wahrnehmbar war; je länger das Siechtum aber auch die
daran anschließende Heilung dauerte, umso mehr wurde ihm der
verletzungsbedingte Zustand mit all seinen Schmerzen physischer und
psychischer Art bewußt. Dies ging soweit, daß man ihn vor Selbstmord schützen mußte. Nach ständiger Rechtsprechung ist es aber nicht erforderlich, daß der Verletzte seine Unbilden bei klarem Bewußtsein erlebt und willkürlich verarbeitet (ZVR 1979/101 ua.). Wird der gesamte für die Schmerzengeldbemessung relevante Komplex der Verletzungen und Unfallsfolgen des Klägers in seiner Schwere demnach richtig beurteilt, kann in dem von den Vorinstanzen mit S 500.000,-- ausgemessenen Schmerzengeldbetrag ein Rechtsirrtum nicht erblickt werden.
b) Zum Verdienstentgang
wenden die Beklagten in der Revision ein, daß die Vorinstanzen unrichtigerweise die Leistung von Überstunden durch den Kläger berücksichtigt hätten; dazu hätte es ausdrücklicher Feststellungen bedurft. Dem ist zu erwidern, daß die Vorinstanzen im Gegensatz zur dargestellten Argumentation sehr wohl feststellten, daß der Kläger ohne die Unfallsfolgen tatsächlich weiterhin Überstunden wie bis zum Unfall geleistet hätte (S 10 des Berufungsurteiles, S 24 des Ersturteiles). Auf die entgegenstehenden Ausführungen der Beklagten ist daher nicht weiter einzugehen, weil sie nicht von den getroffenen Feststellungen ausgehen.
Die Beklagten vertreten weiters die Auffassung, daß bei der Bemessung des Verdienstentganges die Abfertigung des Klägers von S 38.793,-- unrichtigerweise nicht zu ihren Gunsten berücksichtigt wurde. Dazu hat das Berufungsgericht aber mit Recht darauf verwiesen, daß eine solche Abfertigung nicht Gegenstand der Vorteilsausgleichung ist (ZVR 1980/323 ua.). Die als eine Treueprämie für längere Dienstdauer anzusehende Abfertigung hat nach der herrschenden teleologischen Betrachtungsweise (vgl. SZ 53/58 ua.) nicht den Zweck, den Schädiger zu entlasten, sondern soll auch für die im Gefolge der Lösung des Dienstverhältnisses drohende Arbeitslosigkeit vorsehen (Adler-Höller in Klang 2 V, 357; ZVR 1980, 323; ZVR 1975/17 ua.). Eine Vorteilsausgleichung durch Anrechnung dieser Abfertigung käme aber lediglich dem Schädiger zugute, was den Zweck der Leistung in sein Gegenteil verkehrte. Der Revision der Beklagten war somit der Erfolg zu versagen. Der Ausspruch der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E08287European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00004.86.0319.000Dokumentnummer
JJT_19860319_OGH0002_0080OB00004_8600000_000