Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HONProf.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl und Dr.Kuderna sowie die Beisitzer Dipl.Ing.Otto Beer und Johann Friesenbichler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sonja A***, Vertragsbedienstete, Klagenfurt, Funderstraße 16/III/12, vertreten durch Mag.Dagmar A***, Sekretär der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst in Wien 1., Teinfaltstraße 7, diese vertreten durch Dr.Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei R*** Ö*** (Bundesministerium für Justiz), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 196.099 sA (im Revisionsverfahren S 182.284,-- brutto) und Feststellung (Streitwert S 4.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 17.Oktober 1984, GZ3 Cg 17/84-36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Klagenfurt vom 9.Dezember 1982, GZ1 Cr 81/82-10, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 8.438,70 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 2.040,-- Barauslagen und S 581,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist seit 4.8.1980 Vertragsbedienstete der beklagten Partei; sie ist in das Entlohnungsschema I, Enlohnungsgruppe d (mittlerer Dienst), eingestuft. Das den Bestimmungen des Vertragsbedienstetengesetzes 1948 unterliegende, zunächst befristet abgeschlossene Arbeitsverhältnis wurde mit Wirkung vom 1.7.1981 auf unbestimmte Zeit verlängert. Die Klägerin arbeitet beim Landesgericht Klagenfurt. Sie wurde dort zunächst bis 21.12.1981 im besonderen Schreibdienst zum Schriftführen bei Verhandlungen und zum Übertragen von Tonbanddiktaten eingesetzt und dann seit 22.12.1981 halbtags - also vier Stunden täglich - als Leiterin der UR-Geschäftsabteilung 15 verwendet.
Mit Schreiben des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Graz vom 26.5.1982 wurde die Klägerin gemäß § 34 Abs2 litb VBG entlassen. Sie habe im ersten Quartal 1982 zur Berechnung der ihr nach der Verordnung vom 5.8.1981, BGBl.385 zustehenden Schreib- und Ansageprämien in den Schreibprämienformularen 1 und 2 zu insgesamt 16 - im einzelnen angeführten - Aktenzahlen Schreibleistungen ausgewiesen, die sie tatsächlich nicht erbracht habe. Mit diesen unrichtigen Eintragungen habe sie sich einen erheblichen finanziellen Vorteil verschafft und sich dadurch nicht nur einer besonders schweren Verletzung ihrer Dienstpflichten schuldig gemacht, sondern sich auch des Vertrauens ihres Dienstgebers unwürdig erwiesen.
Mit der Behauptung, daß diese Entlassung nicht nur verspätet, sondern vor allem auch ohne rechtfertigenden Grund ausgesprochen worden sei - weshalb auch kein Kündigungsgrund nach § 32 Abs2 VBG vorliege (§ 30 Abs3 VBG) -,beantragte die Klägerin die Feststellung, daß ihr Arbeitsverhältnis zur beklagten Partei über den 26.5.1982 hinaus weiterhin aufrecht fortbestehe, sowie die Nachzahlung ihrer Bezüge für die Zeit vom 26.5. bis 30.11.1982 im Gesamtbetrag von S 59.404,50 sA.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die im Entlassungsschreiben angeführten Manipulationen der Klägerin beim Ausfüllen der Schreibprämienformulare hätten die vorzeitige Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt. Die Entlassung sei unverzüglich nach der Kenntnisnahme des Entlassungsgrundes durch den hiefür zuständigen Vizepräsidenten des Oberlandesgerichtes Graz, Dr.Franz F***, ausgesprochen worden.
Außer Streit steht, daß die Klägerin für die Zeit vom 1.1. bis 26.5.1982 keinerlei Schreibprämien erhalten hat.
Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei zur Zahlung von S 13.815 brutto sA und wies das auf Zahlung weiterer S 45.589,50 sA sowie auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses gerichtete Mehrbegehren ab. Da die unrichtigen Eintragungen in die Schreibprämienformulare nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens nicht auf böse Absicht, sondern auf "Schlamperei" zurückzuführen seien und die Klägerin daraus keine finanziellen Vorteile gezogen habe, sei der Entlassungsgrund nach § 34 Abs2 litb VBG nicht gegeben. Das Verhalten der Klägerin habe jedoch den Kündigungsgrund des § 32 Abs2 lita VBG verwirklicht, so daß die entgegen § 34 VBG ausgesprochene Entlassung gemäß § 30 Abs3 (Satz 2) dieses Gesetzes als Kündigung zu gelten habe. Der Klägerin gebühre somit als Kündigungsentschädigung nur das Entgelt bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin (30.6.1982) im Betrag von S 13.815. Der abweisende Teil dieses Urteils wurde von der Klägerin fristgerecht mit Berufung angefochten. In der mündlichen Berufungsverhandlung dehnte die Klägerin das noch offene Zahlungsbegehren um die fälligen Bezüge für die Zeit vom 1.12.1982 bis 31.12.1983 auf insgesamt S 182.284 brutto sA aus. Die beklagte Partei stellte dieses Begehren der Höhe nach außer Streit und brachte im übrigen ergänzend vor, daß die Klägerin in den Monaten Jänner bis März 1982 die - mit Rücksicht auf ihre Tätigkeit als Kanzleileiterin ohnehin bereits erheblich
reduzierten - Normal-Schreibleistungen auch nicht annähernd erreicht habe; im Zusammenhang mit dieser erheblichen Minderleistung sei das unrichtige Führen der Schreibprämienformulare jedenfalls ein Kündigungsgrund gewesen. Im übrigen habe die Klägerin schon seit September 1981 Schreibleistungen verzeichnet, die sie tatsächlich nicht erbracht habe.
Das Berufungsgericht gab dem Feststellungs- und dem Zahlungsbegehren der Klägerin im vollen (restlichen) Umfang statt. Es führte die Verhandlung gemäß § 25 Abs1 Z 3 ArbGG von neuem durch und nahm folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Die am 24.2.1963 geborene Klägerin hat ihre Schulausbildung (4 Klassen Volksschule, 4 Klassen Hauptschule, dreijährige Fachschule für wirtschaftliche Frauenberufe) im Juli 1980 abgeschlossen. Vor ihrer Anstellung beim LG Klagenfurt war sie nicht berufstätig. Bei ihrem Dienstantritt am 4.8.1980 wurde sie von der damaligen Leiterin des besonderen Schreibdienstes belehrt, daß sie eine wöchentliche Schreibleistung von mindestens 120 Seiten zu erbringen habe und die Schreibprämienformulare genau führen müsse. Nach einem Bericht des Präsidenten des Landesgerichtes Klagenfurt vom 2.6.1981 waren ihre Leistungen im besonderen Schreibdienst sehr zufriedenstellend.
In der Folge wurde die Klägerin vertretungsweise auch als Leiterin der Geschäftsabteilung 15 verwendet, in deren Zuständigkeit alle Vorerhebungen und Voruntersuchungen aus Klagenfurt-Stadt und Klagenfurt-Land fallen. Sie hatte dort das Register samt Behelfen sowie die Akten zu führen, die Post zu erledigen, sämtliche Ladungen herzustellen, die Besuche im Gefangenhaus zu überwachen, den Parteienverkehr zu bewältigen, telefonische Anfragen zu erledigen sowie bei Vernehmungen schriftzuführen und nach Ansage zu schreiben. Die Klägerin hatte keine Vorkenntnisse als Kanzleikraft und war auch nicht für diese Tätigkeit ausgebildet worden. Da die Geschäftsabteilungen 13 und 14 gleichfalls mit jüngeren, nicht eingearbeiteten Kanzleileiterinnen besetzt waren, konnten auch diese die Klägerin nicht einschulen. Soweit dies möglich war, wurde die Klägerin vom Leiter der Gerichtsabteilung 15, Dr.H***, eingeschult; im übrigen hat sie sich die Grundlagen für ihre Tätigkeit als Kanzleileiterin selbst erarbeitet. Da sie sehr aufnahmfähig und ambitioniert war, konnte sie innerhalb kürzester Zeit die anfallenden Kanzleiarbeiten zur vollsten Zufriedenheit erledigen. Sie war bei der Aktenbearbeitung und Registerführung gewissenhaft und führte die anfallenden Arbeiten sogleich durch, weshalb es zu keinen Rückständen kam. Im Verlauf der Zeit erwarb sich die Klägerin auch die Fähigkeit, telefonische Anfragen bei verschiedenen Behörden selbständig durchzuführen und einfache schriftliche Anfragen oder Mitteilungen zu verfassen. Im Parteienverkehr war sie höflich und zuvorkommend. Ihre Tätigkeit als Schriftführerin in Untersuchungsrichtersachen entsprach voll und ganz den Erfordernissen. Sie schrieb rasch, formschön und sauber; Tippfehler kamen selten vor, Rechtschreibfehler konnten nicht festgestellt werden.
Mit Rücksicht auf die Tätigkeit der Klägerin als Kanzleileiterin wurden bei ihr von der Normalleistung einer Schreibkraft (120 Maschinschreibseiten je Woche) Abstriche vorgenommen. Auf Weisung des Vorstehers der Geschäftsstelle beim Landesgericht Klagenfurt wurde die Arbeitsleistung einer Kanzleileiterin im Verhältnis 1 : 1 auf die reine Kanzleitätigkeit und auf Schreibarbeiten aufgeteilt, so daß sich eine reduzierte Normalleistung von wöchentlich 60 Seiten ergab. Wenn die Klägerin andere Kanzleileiterinnen vertrat, war der Abstrich noch größer. In den Monaten Jänner bis März 1982 hat die Klägerin auch die reduzierten wöchentlichen Normalschreibleistungen nicht erreicht. Dieser Umstand war der Leiterin des besonderen Schreibdienstes bekannt, die Klägerin wurde jedoch nicht beanstandet. Auch die Leiterinnen der Geschäftsabteilungen 13 und 14 erreichten die reduzierten Schreibleistungen nicht. Weder sie noch die Klägerin ersuchten um die Zuteilung weiterer Schreibarbeiten. Während ihrer Tätigkeit in der Geschäftsabteilung 15 wurde die Klägerin von der Leiterin des besonderen Schreibdienstes wegen unrichtiger Eintragungen in den Schreibprämienformularen nicht beanstandet. In einem schriftlichen Verwendungsbericht vom 31.3.1982 führte der Präsident des Landesgerichtes Klagenfurt aus, daß die Arbeiten der Klägerin im besonderen Schreibdienst öfter zu wenig genau waren und sie daher mündlich ermahnt werden mußte, um eine zufriedenstellende Leistung zu erzielen. Die Tätigkeit der Klägerin in der Geschäftsabteilung sei fruchtbringender und entspreche offenbar ihren Anlagen.
Bei einer am 29.3.1982 vom Bezirksrevisor Moritz B*** routinemäßig durchgeführten Überprüfung der Schreibprämienformulare wurde festgestellt, daß die Klägerin in einem Vr-Akt für eine Beschuldigtenvernehmung, die nur eine Seite und sechzehn Zeilen umfaßte, vier Seiten zu je 32 Zeilen verzeichnet hatte. Hievon wurde dem Präsidiums des Oberlandesgerichtes Graz am 9.4.1982 Mitteilung gemacht. Mit Schreiben vom 21.4.1982 gab der Präsident des Oberlandesgerichtes Graz dem Präsidenten des Landesgerichtes Klagenfurt und sodann dieser dem dortigen Dienststellenausschuß bekannt, daß die Absicht bestehe, das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß § 33 Abs1 VBG zum 30.6.1982 ohne Angabe von Gründen aufzukündigen. Der Dienststellenausschuß beim Landesgericht Klagenfurt sprach sich am 7.5.1982 gegen eine solche Kündigung aus, was der Präsident des Landesgerichtes Klagenfurt noch am selben Tag dem Präsidium des Oberlandesgerichtes Graz mitteilte. Auf Grund einer mündlichen Weisung des Präsidiums des Oberlandesgerichtes Graz vom 14.5.1982 führte der Bezirksrevisor Moritz B*** eine stichprobenartige Überprüfung der von der Klägerin im ersten Quartal 1982 in den Schreibprämienformularen 1 und 2 eingetragenen Schreibarbeiten durch. Er berichtete dem Präsidium des Oberlandesgerichtes Graz am 18.5.1982, daß die Überprüfung teilweise beträchtliche Differenzen zwischen den von der Klägerin eingetragenen und den von ihr tatsächlich erbrachten Schreibleistungen ergeben habe. Er schloß diesem Schreiben eine detaillierte Aufstellung über insgesamt 16 Vr-Akten an, für welche die Klägerin Schreibleistungen eingetragen habe, die sie an den betreffenden Tagen entweder gar nicht oder nur in geringerem Ausmaß erbracht habe. Der Klägerin wurde das Ergebnis dieser Überprüfung nicht zur Kenntnis gebracht.
Der Bericht des Bezirksrevisors langte am 19.5.1982 im Präsidium des Oberlandesgerichtes Graz ein, wo er dem Personalreferenten für die nichtrichterlichen Bediensteten, Dr.Jürgen S***, nach dessen Rückkehr von einer Dienstreise und einem eintägigen Urlaub am 24.5.1982 vorgelegt wurde. Nach einer Prüfung der dem Bericht angeschlossenen Beilagen erstattete Dr.S*** am Nachmittag des 25.5.1982 dem nach der Geschäftsverteilung für eine Entlassung von Vertragsbediensteten zuständigen Vizepräsidenten des Oberlandesgerichtes Graz, Dr.Franz F***, Bericht und erhielt von ihm die Zustimmung zur Entlassung der Klägerin. Am Morgen des folgenden Tages (26.5.1982) erteilte Dr.Jürgen S*** dem Amtsrat Moritz B***, welcher an diesem Tag den Vorsteher der Geschäftsstelle des Landesgerichtes Klagenfurt vertrat, telefonisch den Auftrag, der Klägerin ihre fristlose Entlassung mitzuteilen und sie vom Dienst zu entheben. Auf Grund dieser telefonischen Weisung wurde die Klägerin am selben Tag um 11 Uhr 50 vom Dienst enthoben. Das Entlassungsschreiben wurde am 26.5.1982 vom Präsidium des Oberlandesgerichtes Graz aus- und abgefertigt; es langte am folgenden Tag beim Landesgericht Klagenfurt ein.
Die Klägerin war verpflichtet, die von ihr erbrachten Schreibleistungen sofort in die Schreibprämienformulare 1 und 2 einzutragen. Wenn sie jedoch bei Vernehmungen im Gefangenenhaus das Formular vergessen hatte, wenn sie es verlegt hatte oder wenn sie Kanzleiarbeiten erledigte, trug sie die von ihr geleisteten Schreibarbeiten nicht gleich am selben Tag ein, sondern holte die Eintragungen an einem der folgenden Tage nach, und zwar unter dem Datum der Eintragung und nicht unter dem der tatsächlichen Leistung. Sie nahm diese nachträglichen Eintragungen entweder unter Zuhilfenahme der betreffenden Akten, soweit diese verfügbar waren, sonst aber auf Grund von Zettelaufschreibungen, die sie sich beim Diktat gemacht hatte, oder aus der Erinnerung vor. In der Regel nahm die Klägerin, welche den Eintragungen in den Schreibprämienformularen keine große Bedeutung beimaß, die Eintragungen ihrer Schreibleistungen nicht täglich vor. Dadurch kam es vor, daß diese Eintragungen nicht in jedem Fall richtig waren, daß aber andererseits auch Schreibleistungen, welche die Klägerin vergessen hatte, überhaupt nicht eingetragen wurden. In den Monaten Jänner bis März 1982 hat die Klägerin zu den vom Bezirksrevisor erwähnten 16 Vr-Zahlen Schreibarbeiten im Gesamtausmaß von 2150 Zeilen in die Prämienformulare eingetragen; tatsächlich hat sie in diesen Akten eine Schreibleistung von insgesamt 2251 Zeilen erbracht.
Rechtlich meinte das Berufungsgericht, daß von einem verspäteten Ausspruch der Entlassung und damit von einer Verwirkung des Entlassungsrechtes der beklagten Partei keine Rede sein könne. Da die beklagte Partei das Urteil der ersten Instanz unbekämpft gelassen habe, sei nur noch zu prüfen, ob sich die Klägerin durch die unrichtigen Eintragungen in den Schreibprämienformularen einer gröblichen Verletzung ihrer Dienstpflicht schuldig gemacht und damit den - dem Entlassungsgrund des § 34 Abs2 litb VBG entsprechenden (§ 30 Abs3 VBG) - Kündigungsgrund des § 32 Abs2 lita VBG verwirklicht habe. Das müsse hier verneint werden, weil sie sich durch das beanstandete Verhalten keinerlei finanziellen Vorteil verschafft habe, die von ihr tatsächlich erbrachten Schreibleistungen über den in den Prämienformularen verzeichneten gelegen seien und ihr neben ihrem Alter von erst 19 Jahren auch zugute gehalten werden müsse, daß trotz des - auf ihre mangelnde Erfahrung und auf das Fehlen jeder einschlägigen Ausbildung zurückzuführenden - zeitweiligen Arbeitsdrucks ihre Tätigkeit als Kanzleileiterin voll zufriedenstellend ausführte und im übrigen weder wegen der Nichterbringung der wöchentlichen Mindestschreibleistung noch wegen unrichtiger Eintragungen in den Prämienformularen von der Leiterin des besonderen Schreibdienstes beanstandet wurde. Auf den Vorwurf, die Klägerin habe schon seit September 1981 unrichtige Eintragungen in den Prämienformularen vorgenommen, sei nicht weiter einzugehen, weil dieser Umstand im Entlassungsschreiben vom 26.5.1982 nicht geltend gemacht worden sei und daher nachträglich auch nicht zur Rechtfertigung der Kündigung herangezogen werden könne. Fehle es damit aber auch an den Voraussetzungen für eine Kündigung nach § 32 Abs2 lita VBG, dann sei die Entlassungserklärung vom 26.5.1982 gemäß § 30 Abs3 VBG rechtsunwirksam.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird von der beklagten Partei mit Revision aus dem Grunde des § 503 Abs1 Z 4 ZPO bekämpft. Die beklagte Partei beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Feststellungsbegehren der Klägerin - und nach dem Inhalt der Revisionsschrift wohl auch das noch offene Zahlungsbegehren - abgewiesen werde.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Entgegen den Behauptungen der beklagten Partei hat das Berufungsgericht nicht etwa den "angeblichen Fleiß und die Tüchtigkeit" der Klägerin gegen die von ihr begangene Dienstpflichtverletzung abgewogen und "fälschlicherweise gegeneinander aufgerechnet"; es hat vielmehr bei der Beantwortung der entscheidenden Frage, ob sich die Klägerin einer gröblichen Verletzung ihrer Dienstpflichten im Sinne des § 34 Abs2 lita VBG schuldig gemacht hat, auf das gesamte dienstliche Verhalten der Klägerin Bedacht genommen und dabei auch die von ihm selbst getroffenen Feststellungen, wonach die Klägerin ihre Kanzleiarbeiten zur vollsten Zufriedenheit erledigte, bei der Aktenbearbeitung und Registerführung gewissenhaft war, keine Rückstände entstehen ließ und auch ihre Tätigkeit als Schriftführerin in Untersuchungsrichtersachen einwandfrei ausführte, bloß mitberücksichtigt. Soweit die beklagte Partei in der Revision diesen Sachverhalt als unvollständig bezeichnet, bekämpft sie in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen. Daß die Klägerin die von ihr erbrachten Schreibleistungen sofort in die entsprechenden Prämienformulare einzutragen gehabt hätte, ist unbestritten; nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils war sie beim Dienstantritt am 4.8.1980 von der damaligen Leiterin des besonderen Schreibdienstes ausdrücklich darüber belehrt worden, daß sie diese Formulare genau zu führen hatte. Die Klägerin hat jedoch diesen Eintragungen keine besondere Bedeutung beigemessen und sie in der Regel nicht gleich am selben Tag, sondern erst an einem der folgenden Tage vorgenommen; das hatte zur Folge, daß ihre Eintragungen nicht in jedem Fall richtig waren, daß aber andererseits auch Schreibleistungen, die sie vergessen hatte, überhaupt nicht eingetragen wurden. Daß sich die Klägerin durch dieses Verhalten einer Verletzung ihrer Dienstpflichten schuldig gemacht hat, kann nach Ansicht des erkennenden Senates nicht zweifelhaft sein. Dem angefochtenen Urteil ist aber darin zu folgen, daß diese Pflichtverletzung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Falles nicht als "gröblich" im Sinne des § 32 Abs2 lita VBG angesehen werden kann: Fest steht, daß die Klägerin durch das hier beanstandete Verhalten weder einen finanziellen Vorteil erlangen noch auch nur eine höhere als die tatsächlich erbrachte Schreibleistung vortäuschen wollte. Wie das Berufungsgericht als erwiesen angenommen hat, war das Unterbleiben der vorgeschriebenen täglichen Eintragung der Schreibleistungen auch nicht auf bösen Willen der Klägerin zurückzuführen, sondern - neben einer gewissen Geringschätzung dieser "Formalität" - entweder ihrer Nachlässigkeit oder aber der Notwendigkeit dringender Kanzleiarbeiten zuzuschreiben. Der beklagten Partei ist ohne weiters zuzugeben, daß die Klägerin durch dieses Verhalten ihrem Arbeitgeber eine verläßliche Kontrolle ihrer Schreibleistungen nahezu unmöglich gemacht hat. Berücksichtigt man aber, daß die von der Klägerin in den beanstandeten Vr-Akten tatsächlich erbrachten Schreibleistungen nicht etwa unter, sondern sogar rund um 100 Zeilen über jenen Leistungen gelegen waren, die sie in den Schreibprämienformularen verzeichnet hatte, und daß die Klägerin Schreibprämien weder beanspruchen konnte noch beansprucht hat, weil sie die Mindestschreibleistung nicht erreichte, dann wiegt die festgestellte Pflichtverletzung - deretwegen die Klägerin im übrigen von der Leiterin des besonderen Schreibdienstes nie beanstandet worden ist - unter Bedachtnahme auf ihr sonst einwandfreies dienstliches Verhalten dennoch nicht so schwer, daß sie als "gröblich" im Sinne des § 32 Abs2 lita VBG zu qualifizieren wäre. Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht die am 26.5.1982 ausgesprochene Entlassung der Klägerin mit Recht als unwirksam angesehen (§ 30 Abs3 VBG).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO (der Streitwert im Revisionsverfahren liegt unter 200.000 S).
Anmerkung
E07774European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0040OB00028.85.0325.000Dokumentnummer
JJT_19860325_OGH0002_0040OB00028_8500000_000