TE OGH 1986/4/3 7Ob15/86

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Veröffentlicht am 03.04.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HONProf.Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes HONProf.Dr. Friedl, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*** V*** A***, Wien 1.,

Börsegasse 14, vertreten durch Dr. Gerhard Delpin, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Helga F***, Gastwirtin, Bruck an der Mur, Arndorf 1, vertreten durch Dr. Michael Zsizsik, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wegen S 53.516,- s.A. und Feststellung infolge ao. Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 3. Dezember 1985, GZ 4 R 216/85-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 8. Oktober 1985, GZ 4 Cg 168/84-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 53.516,- samt 4 % Zinsen aus S 34.188,- vom 24.11.1983 bis 2.3.1984, aus S 44.583,- vom 3.3.1984 bis 13.6.1984, aus S 46.016,-

vom 14.6.1984 bis 17.4.1985 und aus S 52.516,- ab 18.4.1985 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die beklagte Partei ist der klagenden Partei für alle von dieser in Zukunft an die geschädigten Dritten aus dem Unfall vom 4.7.1982 als Haftpflichtversicherer des PKW St 505.251 zu erbringenden Schadenersatzleistungen bis zum Höchstbetrag von insgesamt S 100.000,- ersatzpflichtig.

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei die mit S 18.302,05 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 3.050,- Barauslagen und S 1.386,55 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen."

Text

Entscheidungsgründe:

Am 4.7.1982 kollidierte die Beklagte mit ihrem bei der klagenden Partei haftpflichtversicherten PKW beim Einbiegen nach links mit dem entgegenkommenden PKW des Abdala K***, wodurch sowohl Personen- als auch Sachschaden entstand. Da sich die Beklagte nach Ansicht der beim Unfall intervenierenden Gendarmeriebeamten in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befand, wurde mit ihr die Alkotestprobe vorgenommen, die positiv verlief. Noch vor der Vorführung der Beklagten zum Amtsarzt fragte sie der Gendarmeriebeamte, ob sie im Hinblick auf das Ergebnis der Alkotestprobe eine Blutabnahme wünsche. Die Beklagte antwortete, daß sie einer solchen zustimmen würde, wenn es erforderlich sei. Hiezu bemerkte der Gendarmeriebeamte, "daß es günstig sei, wenn es auf des Messers Schneide stünde". Er sagte, daß die Beklagte zur Blutabnahme nicht verpflichtet sei und sich nicht strafbar mache, wenn sie einer solchen nicht zustimme. Eine ausdrückliche Aufforderung der Beklagten zur Blutabnahme erfolgte nicht. Die Beklagte ließ eine Blutabnahme nicht zu. Nach dem Ergebnis der klinischen Untersuchung befand sich die Beklagte im Unfallszeitpunkt in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand, der erfahrungsgemäß einem Blutalkoholgehalt von mindestens 0,8 %o entsprach. Strafgerichtlich wurde sie nach § 88 Abs 1 StGB verurteilt, vom Vorwurf der Begehung der Tat im Zustand der Berauschung jedoch gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Die klagende Partei begehrt den Ersatz der an die Geschädigten erbrachten, der Höhe nach nicht strittigen Versicherungsleistungen und die Feststellung der Regreßpflicht der Beklagten für alle künftigen Leistungen bis zum Höchstbetrag von S 100.000,-. Unstrittig ist, daß weitere Ansprüche der Geschädigten nicht auszuschließen sind. Die klagende Partei behauptet Leistungsfreiheit im geltend gemachten Umfang, weil die Beklagte trotz des Verdachtes der Alkoholbeeinträchtigung eine Blutabnahme verweigert und dadurch ihre Aufklärungspflicht verletzt habe.

Die Beklagte bestreitet eine Alkoholbeeinträchtigung und macht geltend, daß sie zur Blutabnahme nicht aufgefordert worden sei. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil.

Nach der Rechtsansicht der Vorinstanzen liege eine Verletzung der Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers durch Verweigerung der Blutabnahme bei Verdacht der Alkoholbeeinträchtigung nur dann vor, wenn der Versicherungsnehmer zur Blutabnahme durch Organe der Straßenaufsicht formell aufgefordert worden sei. Eine solche Aufforderung sei im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000,-, nicht aber S 300.000,- übersteigt, und erklärte die Revision für nicht zulässig.

Die ao. Revision der klagenden Partei ist zulässig, weil zu der vom Berufungsgericht entschiedenen Rechtsfrage - entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes - eine ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist auch berechtigt.

Der Zweck der Aufklärungsobliegenheit nach Art. 8 Abs 2 Z 2 AKHB (nunmehr Art. 9 Abs 2 Z 2) ist es, den Versicherer in die Lage zu versetzen, eine sachgemäße Entscheidung über die Behandlung des Versicherungsfalles zu treffen. Die Aufklärungsobliegenheit umfaßt daher auch die Klarstellung aller Umstände, die für eine allfällige Ablehnung der Deckung oder für künftige Regreßansprüche durch den Versicherer von Bedeutung sein können. Insbesondere fällt darunter die objektive Prüfung der körperlichen Beschaffenheit des am Unfall beteiligten Versicherungsnehmers und seiner allfälligen Alkoholisierung oder Übermüdung (ZVR 1985/94; SZ 50/37 ua). Der Versicherungsnehmer ist daher gehalten, allenfalls auch gegen das eigene Interesse zu handeln (ZVR 1982/364; vgl. auch Stiefel-Hofmann, Kraftfahrtversicherung 13 Rdz 36 zu § 7 AKB). Aus der Formulierung ergibt sich auch, daß vom Versicherungsnehmer eine eigene Initiative verlangt wird (vgl. Stiefel-Hofmann aaO Rdz 46). Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits klargestellt, daß die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen, im Falle fraglicher Alkoholisierung nicht wie die öffentlich-rechtliche Verpflichtung des § 5 Abs 6 StVO auf die Fälle erheblicher Verletzung eines Dritten beschränkt ist (ZVR 1978/327). Der Versicherungsnehmer, der wegen des Verdachtes, sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand zu befinden, von Organen der Straßenaufsicht in Untersuchung gezogen wurde und bei dem die Alkotestprobe positiv verlief, hat auch dann einer Blutabnahme zuzustimmen, wenn eine Rechtspflicht nach § 5 Abs 6 StVO nicht besteht und er daher formell zur Blutabnahme nicht aufgefordert wurde; es genügt, daß er auf die Möglichkeit der Blutabnahme hingewiesen wurde. Lehnt er unter den dargelegten Voraussetzungen die Blutabnahme ab, verstößt er gegen die Aufklärungsobliegenheit. Insoweit ist daher der zweite Rechtssatz der Entscheidung ZVR 1975/225 (der überdies ein etwas anders gelagerter Sachverhalt zugrundelag), auf den sich die Vorinstanzen stützten, zu erweitern. Daß sich der Versicherungsnehmer hiedurch der Gefahr strafrechtlicher Folgen aussetzt, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, weil die Fahrtüchtigkeit des Lenkers einer der wesentlichen Umstände ist, worüber er den Versicherer ungeachtet seiner eigenen Interessen voll aufzuklären hat (ZVR 1978/327; SZ 46/104 ua).

Zu Unrecht haben daher die Vorinstanzen eine Verletzung der Aufklärungspflicht der Beklagten verneint. Hat aber die klagende Partei den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung bewiesen, wäre es Sache der Beklagten gewesen, die ausnahmsweise dennoch bestehende Leistungspflicht der klagenden Partei nachzuweisen. Die Beklagte hat lediglich vorgebracht, sich nicht in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden zu haben, und sich zum Beweis hiefür auf den Strafakt berufen. Im Strafverfahren blieb jedoch die Frage der Alkoholisierung letztlich deshalb ungeklärt, weil eine Blutabnahme nicht vorgenommen hatte werden können.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E07923

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0070OB00015.86.0403.000

Dokumentnummer

JJT_19860403_OGH0002_0070OB00015_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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