TE OGH 1986/4/10 12Os55/86

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Veröffentlicht am 10.04.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10.April 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Breycha als Schriftführer in der Strafsache gegen Karl W*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Ybbs vom 14.November 1985, GZ U 10/85-12, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwaltes Dr. Bassler als Vertreter des Generalprokurators, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Ybbs vom 12.November 1985, GZ U 10/85-12, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 458 Abs. 1, 460 Abs. 1 StPO.

Diese Strafverfügung wird aufgehoben, und dem genannten Gericht aufgetragen, das ordentliche Verfahren fortzusetzen.

Text

Gründe:

Aus dem Akt U 10/85 des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Ybbs ergibt sich folgender Sachverhalt:

Am 28.Dezember 1984 erstattete der Gendarmerieposten Kematen beim Bezirksgericht Waidhofen an der Ybbs gegen Karl W*** die Anzeige wegen Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung (Verkehrsunfall). Am 16.Jänner 1985 beantragte der Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Waidhofen an der Ybbs die Bestrafung des Karl W*** wegen Vergehens nach § 88 Abs. 1 StGB.

Daraufhin führte das Bezirksgericht Waidhofen an der Ybbs am 20. Juni 1985 an Ort und Stelle in Böhlerwerk, Nellingstraße, auf der Höhe des Hauses Nr. 20, in Anwesenheit des Beschuldigten und dessen Verteidigers unter Beiziehung eines kraftfahrtechnischen Sachverständigen eine Hauptverhandlung durch, die jedoch nach Einvernahme des Beschuldigten und nach verschiedenen Beweisaufnahmen zwecks Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens über den Verletzungsgrad der Zeugin Maria S*** auf unbestimmte Zeit vertagt wurde (AS 47). Nach Einlangen des unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens fragte der Richter des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Ybbs am 22.Oktober 1985 beim Bezirksanwalt an, ob "im Hinblick auf § 276 a StPO der Erlassung einer Strafverfügung (20 Tagessätze, § 88 Abs. 1 StGB) zugestimmt wird" (AS 1 b verso). Auf Grund der "zustimmenden Äußerung" des Bezirksanwaltes vom 5. November 1985 erließ das Bezirksgericht Waidhofen an der Ybbs am 12. November 1985 gegen Karl W*** wegen Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB eine Strafverfügung, verhängte über ihn eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen, setzte den Tagessatz mit 70 S und die Ersatzfreiheitsstrafe mit 15 Tagen fest und bestimmte die Pauschalkosten mit 500 S (AS 69). Der Äußerung vom 5. November 1985 entsprechend, erhob der Bezirksanwalt gegen die Strafverfügung keinen Einspruch (AS 70).

Karl W***, dem die Strafverfügung am 28.November 1985 zugestellt wurde, zahlte die Geldstrafe sowie den Pauschalkostenbeitrag am 6.Dezember 1985 beim Bezirksgericht Waidhofen an der Ybbs ein. Der Verteidiger des Beschuldigten Dr. Walter L***, dem die Strafverfügung gleichfalls am 28. November 1985 ("zur Kenntnis"; vgl. AS 70) zugestellt worden war, erhob dagegen mit Schriftsatz vom 10.Dezember 1985 Einspruch, in dem er auf die Unzulässigkeit der Erlassung einer Strafverfügung nach Abführung einer Hauptverhandlung hinwies und die Nichtanwendung des § 43 Abs. 1 StGB rügte. Dessen ungeachtet stellte das Bezirksgericht Waidhofen an der Ybbs in der Endverfügung vom 14.Jänner 1986 die Rechtskraft der Strafverfügung mit 6.Dezember 1985 fest und verfügte die erforderlichen Verständigungen (AS 70).

Rechtliche Beurteilung

Die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Ybbs vom 12.November 1985, GZ U 10/85-12, mit der Karl W*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen a 70 S verurteilt wurde, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang. Gemäß § 460 Abs. 1 StPO kann der Richter unter bestimmten Voraussetzungen die Strafe ohne vorausgehendes Verfahren - zulässig sind lediglich einfache Erhebungsakte (vgl. ZVR 1976/213) - durch Strafverfügung festsetzen, falls er nur eine Geldstrafe von nicht mehr als 60 Tagessätzen zu verhängen findet (vgl. auch die Erl. Bem. zur Regierungsvorlage eines Strafprozeßanpassungsgesetzes, 934, Beil. XIII. GP, 39). Nach einmal erfolgter Einleitung des ordentlichen Verfahrens (wie im vorliegenden Fall geschehen) ist jedoch die bereits begonnene - wenn auch vertagte (und allenfalls neu durchzuführende) - Hauptverhandlung nach den allgemein geltenden Vorschriften durchzuführen und mit Urteil zu beenden (§ 458 Abs. 1 StPO; vgl. neuerlich ZVR 1976/213). Die Erlassung der Strafverfügung vom 12.November 1985 (ON 12) nach Vertagung der Hauptverhandlung vom 20.Juni 1985 (ON 6) war sohin gemäß §§ 458 Abs. 1, 460 Abs. 1 StPO unzulässig, wobei sich diese Gesetzesverletzung zum Nachteil des Beschuldigten auswirkte. Bei dieser eine Aufhebung sowohl der bezeichneten Strafverfügung als auch aller darauf beruhenden Beschlüsse erfordernden Sach- und Rechtslage kann die - nach Lage des Falles zu verneinende (vgl. EvBl. 1948/918) - Frage, ob die Bezahlung der in der Strafverfügung festgesetzten Geldstrafe durch den Beschuldigten am 6.Dezember 1985 einen Verzicht auf einen Einspruch darstellt und dem von seinem Verteidiger am 10.Dezember 1985 zur Post gegebenen Einspruch gegen die Strafverfügung (ON 14) demnach - wie vom Erstgericht ersichtlich angenommen - keine prozessuale Bedeutung mehr zukomme, auf sich beruhen.

Im fortgesetzten ordentlichen Verfahren wird jedoch zu beachten sein, daß nach einem Einspruch gegen eine Strafverfügung zwar der urteilsmäßige Ausspruch einer strengeren Strafe zulässig ist, daß aber im Fall der Aufhebung einer Strafverfügung gemäß § 292 StPO für das neuerliche Verfahren das Verbot der reformatio in peius gilt (§§ 290 Abs. 2, 293 Abs. 3 StPO) und daher keine strengere Strafe verhängt werden darf, als sie die von der Aufhebung betroffene Strafverfügung enthielt (vgl. abermals ZVR 1976/213). Auf Grund der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher spruchgemäß zu erkennen.

Anmerkung

E08332

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0120OS00055.86.0410.000

Dokumentnummer

JJT_19860410_OGH0002_0120OS00055_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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