Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** B*** AG., Reininghausstraße 3-5, 8020 Graz,
vertreten durch Dr. Heinricn Kammerlander jun., Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Hannelore B***, Inhaberin der "NIKO'S TAVERNE" in Puchstraße 4, 8020 Graz, wohnhaft Mariengasse 34, 8020 Graz, vertreten durch Dr. Ingrid Huber, Rechtsanwalt in Graz, wegen Zuhaltung eines Vertrages (S 30.000,-), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 27. Jänner 1986, GZ 27 R 27/86-6, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 18. Juni 1985, GZ 7 C 476/85-2, zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufgetragen.
Die Rekurskosten sind als weitere Kosten des Berufungsverfahrens zu behandeln.
Text
Begründung:
Das klagsstattgebende Versäumungsurteil wurde der Beklagten unter der Anschrift "NIKO'S TAVERNE, Puchstraße 4, 8020 Graz" durch postamtliche Hinterlegung am 20. Juni 1985 zugestellt. Die Sendung wurde nicht behoben und langte am 10. Juli 1985 wieder beim Erstgericht ein.
Am 17. Dezember 1985 langte eine am 16. Dezember 1985 zur Post gegebene Berufung der Beklagten gegen dieses Versäumungsurteil beim Erstgericht ein, mit der im wesentlichen geltend gemacht wurde, daß der Beklagten durch fehlerhafte Zustellung die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, entzogen worden sei. Die Beklagte habe sich in der Zeit vom 12. bis 24. Juni 1985 wegen einer Operation in stationärer Behandlung im Sanatorium der Kreuzschwestern in Graz befunden; deswegen sei der Zustellvorgang sowohl hinsichtlich der Klage und der Ladung zur ersten Tagsatzung als auch hinsichtlich des Versäumungsurteiles ungesetzlich gewesen. Von dem gegen sie ergangenen Versäumungsurteil habe die Beklagte erst durch Zustellung eines Exekutionsbewilligungsbeschlusses am 4. Dezember 1985 Kenntnis erhalten.
Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten zurück; es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000,- übersteigt.
Das Berufungsgericht führte im wesentlichen aus, die Beklagte habe bescheinigt, daß sie in der Zeit vom 12. bis 24. Juni 1985 in stationärer Behandlung eines Sanatoriums in Graz gestanden habe. Die Hinterlegung des Versäumungsurteiles sei daher ungesetzlich erfolgt. Eine an sich unzulässige Zustellung durch Hinterlegung werde jedoch an dem der Rückkehr des Empfängers an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte. Im vorliegenden Fall hätte die Beklagte, nachdem sie am 24. Juni 1985 aus dem Sanatorium entlassen worden sei, am 26. Juni 1985 das hinterlegte Versäumungsurteil beheben können. Im Sinne des § 17 Abs. 3 ZustG müsse daher unterstellt werden, daß die Zustellung des Versäumungsurteiles an die Beklagte am 26. Juni 1985 wirksam geworden sei, sodaß die erst am 17. Dezember 1985 bei Gericht eingebrachte Nichtigkeitsberufung der Beklagten als verspätet zurückgewiesen werden müssen. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig (siehe dazu Fasching, Zivilprozeßrecht Rdz. 1980 und Petrasch in ÖJZ 1983, 203) und auch berechtigt. Gemäß § 17 Abs. 3 ZustG gelten hinterlegte Sendungen nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.
Im vorliegenden Fall haben die über die Rechtzeitigkeit der Berufung der Beklagten durchgeführten Erhebungen ergeben, daß die Beklagte jedenfalls in der Zeit vom 20. Juni 1985 (postamtliche Hinterlegung des Versäumungsurteiles) bis 24. Juni 1985 nicht an der Abgabestelle (Geschäftslokal "NIKO'S TAVERNE in Graz, Puchstraße 4) anwesend war, weil sie sich in dieser Zeit in stationärer Behandlung im Sanatorium der Kreuzschwestern in Graz befand. Aber auch für die folgende Zeit bis zur Beendigung der Abholfrist haben die durchgeführten Erhebungen keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß die Beklagte an die genannte Abgabestelle zurückgekehrt wäre und so die Möglichkeit bekommen hätte, von der erfolgten Hinterlegung Kenntnis zu erhalten und die hinterlegte Sendung zu beheben. Denn aus den unwiderlegten Angaben der Beklagten (ON 9 S 31) ergibt sich, daß sie sich nach ihrem Krankenhausaufenthalt bis zu ihrem Urlaub im August 1985 in ihrer Wohnung in der Mariengasse aufhielt und daß sie während dieses Zeitraumes nur gelegentlich ihren Betrieb in der Keesgasse (nicht aber den in der Puchstraße) besuchte. Die Wirksamkeit der Ersatzzustellung im Sinne des § 17 Abs. 3 ZustG setzt jedenfalls voraus, daß sich der Empfänger innerhalb eines Zeitraumes an der Abgabestelle aufhält, der ausreicht, um die Sendung innerhalb der Abholfrist entgegennehmen zu können (Fasching, Zivilprozeßrecht Rdz. 537). Da jedes Rechtsmittel in dem Sinne die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich hat, als es entgegengenommen und sachlich erledigt werden muß, solange nicht eine Verspätung durch die Aktenlage eindeutig ausgewiesen ist, wobei die Ergebnislosigkeit von Erhebungen zum Vorteil des Rechtsmittelwerbers wirkt (SZ 46/86 ua.), ist bei den dargestellten Erhebungsergebnissen nicht auszuschließen, daß die Beklagte während der gesamten Abholfrist für das hinterlegte Versäumungsurteil nicht an der Abgabestelle anwesend war, sodaß die Möglichkeit einer fehlerhaften Hinterlegung des Versäumungsurteiles im Sinne des § 17 Abs. 3 ZustG jedenfalls nicht mit Sicherheit verneint werden kann. Dafür, daß das gegen sie ergangene Versäumungsurteil der Beklagten früher als vier Wochen vor der Einbringung ihrer Berufung tatsächlich zugekommen wäre (§ 7 ZustG), bestehen nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte.
Es war daher in Stattgebung des Rekurses der Beklagten wie im Spruch zu entscheiden.
Der Vorbehalt der Rekurskosten beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E08048European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00552.86.0417.000Dokumentnummer
JJT_19860417_OGH0002_0080OB00552_8600000_000