Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29.April 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Enzenhofer als Schriftführer in der Strafsache gegen Albert F*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21. Jänner 1986, GZ 3 b Vr 11792/85-49, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, des Angeklagten Albert F*** und des Verteidigers Dr. Weber zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 15 (fünfzehn) Monate herabgesetzt; im übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Albert F*** (1.) des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB und (2.) des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Darnach hat er am 11.Oktober 1985 in Wien
(zu 1.) Christian S*** durch die Ankündigung, er werde ihm einen Kinnhaken versetzen, daß er die Stiegen hinunterfliege, sowie ihn, Helmut S*** und Karl K*** durch das Vorhalten eines geöffneten Klappmessers mit der Äußerung, er werde sie abstechen, jeweils gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen; sowie
(zu 2.) dem Helmut S*** dadurch eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt, daß er einen von ihm betriebenen PKW auf den Gehsteig lenkte und den Genannten, der im Begriff war, das Kennzeichen zu notieren, niederstieß.
Rechtliche Beurteilung
Der auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen dieses Urteil ko`mt keine Berechtigung zu.
Zum Faktum 1. remonstriert der Beschwerdeführer mit der Rechtsrüge (Z 9 lit a) - ohne bei seinen Einwänden im einzelnen zu differenzieren - hinsichtlich des objektiven Tatbestands gegen die Ansicht, daß sein inkriminiertes Verhalten geeignet war, den Bedrohten (in bezug auf die Verwirklichung der ihnen angedrohten Übel) begründete Besorgnisse einzuflößen, und auf der subjektiven Tatseite gegen die Annahme, daß es von der Absicht getragen war, sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. In beide Richtungen hin geht jedoch die Beschwerde fehl.
Bezüglich der objektiven Eignung seiner (im Rahmen des Geschehens als Einheit beurteilten) Drohungen, bei den Bedrohten unter den festgestellten Umständen die Befürchtung zumindest von Körperverletzungen zu erwecken, hat das Erstgericht deren körperlicher Überlegenheit im Hinblick auf die Bewaffnung des Angeklagten und eines seiner Begleiter durchaus zu Recht keine entscheidende Bedeutung beigemessen (US 22 f., 23 f.); diese Eignung wird bei der Beurteilung der Situation nach einem Durchschnittsmaßstab (vgl. ÖJZ-LSK 1977/124 ua) nach Lage des Falles auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß K*** als Geschäftsführer sowie S*** und S*** als "Türsteher" eines bekannt übel beleumundeten Lokals (US 21) gewiß etwas rauhere als die allgemein üblichen Umgangsformen gewohnt waren.
Darauf aber, ob bei den Bedrohten die in Rede stehende Besorgnis tatsächlich erweckt sowie hiedurch Furcht und Unruhe hervorgerufen wurden, kommt es für den Tatbestand nach § 107 Abs 1 StGB nicht an (vgl. SSt. 52/54, ÖJZ-LSK 1976/192 ua); insoweit bringt der Beschwerdeführer die Rechtsrüge überdies nicht zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung, indem er nicht von den Urteilsfeststellungen ausgeht, sondern auf Verfahrensergebnisse und auf urteilsfremde Annahmen abstellt. Die darauf bezogene Mängelrüge jedoch betrifft nach dem Gesagten keine im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (Z 5) entscheidende Tatsache. In subjektiver Beziehung hinwieder kann aus der tatsächlichen Reaktion der Bedrohten auf das inkriminierte Verhalten des Beschwerdeführers ein logisch und empirisch stichhältiger Rückschluß auf sein damit verbunden gewesenes Vorhaben überhaupt nicht gezogen werden, sodaß sich die Geltendmachung von Begründungsmängeln (Z 5) in bezug auf Konstatierungen dieses Inhalts schon darum als nicht zielführend erweist. Den Umstand aber, daß der Angeklagte nach den ihm zur Last fallenden Drohungen mit seinen Begleitern vorerst den Rückzug antrat, hat das Schöffengericht bei der Feststellung seines Vorsatzes dahin, daß es ihm darauf ankam, die Bedrohten in einen gravierenden, ihre Gedanken weitgehend in Anspruch nehmenden und nachhaltigen Angstzustand zu versetzen, ohnehin eingehend gewürdigt (US 7 f., 21 bis 24); mit seinem darauf gestützten, eine Tatfrage betreffenden Einwand (vgl. ÖJZ-LSK 1982/3) ficht er der Sache nach im Rahmen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) nur unzulässigerweise die schöffengerichtliche Beweiswürdigung an und nicht etwa die (zutreffende) rechtliche Beurteilung des Zieles seiner Absicht als eine bei den Adressaten der Drohung hervorzurufende Furcht und Unruhe im Sinn des § 107 StGB.
Zum Faktum 2. behauptet der Beschwerdeführer, das Erstgericht habe die der Annahme seiner weiteren Absicht, S*** schwer zu verletzen, als er gegen ihn losfuhr, zugrunde liegenden Feststellungen, daß die Lenkung des PKWs, den er mit den rechten Rädern parallel zum Fahrbahnrand auf dem Gehsteig abgestellt hatte, beim Wegfahren nicht nach rechts eingeschlagen gewesen war und daß er das Fahrzeug schon wieder zur Gänze auf die Fahrbahn zurückgelenkt hatte, bevor er wieder nach rechts auf den Gehsteig zurück- und (voll beschleunigend mit quietschenden Pneus) auf den Genannten zufuhr (US 6, 9, 12, 17 bis 20), teils gar nicht, teils nur offenbar unzureichend und teils aktenwidrig begründet (Z 5); derartige Mängel vermag er jedoch nicht aufzuzeigen. Unstichhältig ist die Ansicht, aus der Polizeiskizze (S 59) sei für die Urteilsannahme, daß sich der PKW schon wieder mit allen vier Rädern auf der Fahrbahn befand, bevor er vom Angeklagten neuerlich (und nunmehr vollends) auf den Gehsteig zurückgelenkt wurde, deshalb kein Beweis ersichtlich, weil die im Urteil relevierten Spuren zur Gänze auf dem Gehsteig abgezeichnet worden waren. Denn aus dem Verlauf der sichergestellten Spuren konnte das Schöffengericht sehr wohl folgerichtig ableiten, daß eine unbestrittenermaßen jedenfalls vorausgegangene Parallelposition des Fahrzeugs zum Gehsteigrand zur Gänze auf der Fahrbahn gelegen sein muß; daraus und aus dem erwiesenen Umstand aber, daß der PKW vor dem Wegfahren mit den rechten Rädern auf dem Gehsteig gestanden war, mußte es dementsprechend in der Tat zwangsläufig den weiteren Schluß ziehen, daß dieser vor der letztlichen Rechtsbewegung auf S*** zu nach dem Wegfahren zwischenzeitig bereits nach links auf die Fahrbahn gelenkt worden war (US 17 f.).
Mit den zum Teil davon abweichenden Darstellungen der mehreren Beobachter und mit der leugnenden Verantwortung des Beschwerdeführers hinwieder, wonach er das Fahrzeug mit nach rechts eingeschlagener Lenkung zum Teil auf dem Gehsteig abgestellt und beim Wegfahren in einer Panikstimmung nicht mehr daran gedacht, den PKW also in der Folge nicht wieder (zur Gänze) auf die Fahrbahn gelenkt, sondern S*** nach dem Start von seiner Abstellposition aus in einem Zug ungewollt angefahren habe, hat sich das Erstgericht ebenso wie mit seiner letztlichen Bremsung (US 10, 18 f., 19 f.) ohnehin minutiös auseinandergesetzt (US 10 bis 21); sich mit sämtlichen Bekundungen in allen Details zu befassen, war es zur Vermeidung einer unnötigen Weitläufigkeit der Urteilsbegründung (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten. Von einer Aktenwidrigkeit oder Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe kann daher insoweit keine Rede sein; indem der Angeklagte einzelne (zum Teil aus dem Zusammenhang gerissene) Zeugenangaben besonders hervorhebt, die seine Tatversion scheinbar oder tatsächlich unterstützen, ficht er der Sache nach abermals nur unzulässigerweise die schöffengerichtliche Beweiswürdigung an.
Die Frage im besonderen aber, ob der PKW vorher tatsächlich mit nach rechts eingeschlagener Lenkung abgestellt gewesen war, ist nach dem bisher Gesagten gar nicht von entscheidender Bedeutung, weil er nach dem Wegfahren jedenfalls zwischenzeitig nach links auf die Fahrbahn gelenkt wurde; zudem steht die in der Mängelrüge nur unvollständig wiedergegebene Urteilsbegründung (US 12) auch insoweit mit den Denkgesetzen und mit allgemeiner Lebenserfahrung durchaus im Einklang.
Die Rechtsrüge (Z 10) schließlich, mit der eine Beurteilung des Tatverhaltens bloß als fahrlässige Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 88 Abs 4 zweiter Fall StGB oder allenfalls als schwere Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB angestrebt wird, läßt eine gesetzmäßige Ausführung vermissen, weil sie nicht auf die als erwiesen angenommene Absicht des Beschwerdeführers (§ 5 Abs 2 StGB), S*** schwer zu verletzen, abgestellt ist: materiellrechtliche Nichtigkeitsgründe können nur durch einen Vergleich des im Urteil festgestellten Sachverhalts mit dem darauf angewendeten Gesetz prozeßordnungsgemäß dargestellt werden.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 87 Abs 1 StGB zu achtzehn Monaten Freiheitsstrafe. Dabei wertete es sein Alter unter 21 Jahren als mildernd, das Zusammentreffen zweier Delikte hingegen als erschwerend.
Der Berufung des Angeklagten, mit der er eine Strafherabsetzung und die Anwendung des § 43 (Abs 1 oder Abs 2) StGB anstrebt, kommt teilweise Berechtigung zu.
Im Hinblick darauf, daß das Bundeszentralregister in Berlin entgegen einer darauf bezogenen Urteilsannahme (US 5) - die damit relevierte Vorverurteilung scheint in Wahrheit nur in einer älteren Mitteilung der Interpol-Wiesbaden (S 209) auf - bezüglich des Berufungswerbers keine Eintragung enthält (ON 34) und dieser auch in Österreich nicht als vorbestraft aufscheint, ist ihm in der Tat seine Unbescholtenheit als weiterer Milderungsgrund zugute zu halten. Von einem zudem als mildernd wirkenden "additiven Zusammentreffen unglückseliger Mißverständisse und Irrtümer" jedoch kann bei dem ihm zur Last fallenden Tatverhalten überhaupt keine Rede sein.
Unter Bedacht auf die nach dem Gesagten erforderliche Korrektur der Strafzumessungsgründe einerseits und auf die vom Schöffengericht mit Recht hervorgehobene besondere Brutalität und Gefährlichkeit der Tat anderseits ist innerhalb des von einem bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reichenden Rahmens nach der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld des Angeklagten (§ 32 StGB) eine Herabsetzung der Strafdauer auf fünfzehn Monate gerechtfertigt. Dahin war der Berufung demnach (teilweise) Folge zu geben. Eine bedingte Strafnachsicht dagegen kam schon deswegen nicht in Betracht, weil mit Rücksicht auf die exzeptionelle Bösartigkeit des Täterverhaltens für eine aus besonderen Gründen gebotene Gewähr eines künftigen Wohlverhaltens des Berufungswerbers keinerlei Anhaltspunkt vorliegt (§ 43 Abs 2 StGB). Insoweit mußte daher auch der Berufung ein Erfolg versagt bleiben.
Anmerkung
E08303European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0100OS00044.86.0429.000Dokumentnummer
JJT_19860429_OGH0002_0100OS00044_8600000_000