Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Melber, Dr.Huber und Dr.Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Hubert S***, Angestellter, D-8520 Erlangen, Reuthlehenstraße 4. 2. Armin S***, geboren 11.10.1964, ebendort, 3. Karl S***,
geboren 11.10.1964, ebendort, alle vertreten durch Dr.Gerold Hirn, Dr.Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in Feldkirch, wider die beklagte Partei Magdalena S***, Hausfrau, 6830 Rankweil,
Gutshofstraße 7, vertreten durch Dr.Hans Mandl, Dr.Rudolf Neyer, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen S 337.911,09 s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 17. August 1984, GZ.2 R 164/84-24, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 30. April 1984, GZ.6 Cg 3920/82-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte hat den Klägern die mit S 11.329,98 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.030,-- USt. und S 1.343,48 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte ist die Witwe nach dem am 28.12.1979 verstorbenen Johann Alfred S*** - im folgenden als Erblasser bezeichnet -, die Kläger sind Enkel der beiden und eheliche Kinder des am 23.2.1968 verstorbenen ehelichen Sohnes des Erblassers und der Beklagten Josef Hubert S***. Dieser hatte keine letztwillige Anordnung getroffen, indessen hinterließ der Erblasser ein Testament vom 1.12.1979, in welchem er die Beklagte zur Universalerbin bestimmte. Ihr wurde der Nachlaß im Werte vom S 4,054.933,11 allein eingeantwortet, wobei eine Liegenschaft des Erblassers im Verlaßverfahren unberücksichtigt blieb. Die weiteren aus der Ehe der Beklagten mit dem Erblasser stammenden drei Kinder und somit Geschwister des - vorverstorbenen - Vaters der Kläger hatten auf die Geltendmachung ihrer Pflichtteilsansprüche verzichtet. Die Kläger haben einen solchen Verzicht nicht abgegeben. Ein Enterbungsgrund oder ein Erbverzicht im Verhältnis zum Erblasser ist weder hinsichtlich der Kläger noch betreffend ihren Vater erwiesen. Der Pflichtteilsanspruch der an die Stelle ihres vorverstorbenen Vaters getretenen Kläger beträgt insgesamt 1/12 des im Verlassenschaftsverfahren zugrundegelegten reinen Nachlasses, somit S 337.911,09. Beim Tode des Vaters der Kläger, welcher ein Fleischerei- und Handlungsunternehmen geführt hatte, bestanden verschiedene Lieferantenschulden, insbesondere auch eine solche von S 217.142,--. Diese Schuld wurde vom Erblasser noch im Laufe des Jahres 1968 beglichen, ohne daß dieser diesbezüglich in dem den Vater der Kläger betreffenden Verlassenschaftsverfahren - die Nachlaßüberschuldung betrug insgesamt ca. 324.000,-- S - eine Forderungsanmeldung vorgenommen oder sich in der Folge eine Rückerstattung ausbedungen hätte. Unter Hinzurechnung der für einen Kapitalsbetrag von S 217.142,-- bis zum Todeszeitpunkt des Erblassers (28.12.1979) üblicherweise zu leistenden Zinsen errechnet sich ein Schuldbetrag von S 456.752,--.
Unter Hinweis auf ihr Pflichtteilsrecht nach dem Erblasser und unter Einbeziehung seiner im Verlassenschaftsverfahren nicht berücksichtigten weiteren Liegenschaften begehren die Kläger mit der vorliegenden Klage von der Beklagten die Zahlung eines Betrages von S 350.615,75 s.A., in eventu beantragen sie, gegenüber der Beklagten festzustellen, daß ihnen als Noterben nach dem Erblasser ein Pflichtteil von einem Zwölftel des Nachlaßwertes in Geld zustehe. Die Zahlung von Schulden ihres vorverstorbenen Vaters durch den Erblasser könne ihnen nicht angerechnet werden, aus dieser Zahlung hätten sie im Hinblick auf die von ihnen zum überschuldeten Nachlaß ihres Vaters abgegebenen bedingten Erbserklärungen auch keinen Vorteil erlangt.
Die Beklagte beantragte Klagsabweisung, weil bei den Pflichtteilsansprüchen der Kläger die vom Erblasser vorgenommene Tilgung der Schuld ihres Vaters einzurechnen und diese Ansprüche solcherart zur Gänze abgedeckt seien.
Das Erstgericht wies die Klage ab. In seiner rechtlichen Beurteilung ging es davon aus, daß die gemäß den §§ 762, 779 ABGB pflichtteilsberechtigten Kläger vom Erblasser im Testament vom 1.12.1979 mit Stillschweigen übergangen worden seien, obwohl er von ihrem Dasein gewußt habe. Somit könnten sie von der Beklagten grundsätzlich den ihnen zustehenden Pflichtteil fordern. In diesen sei jedoch gemäß § 788 ABGB einzurechnen, was der Erblasser zur Bezahlung von Schulden eines (großjährigen) Kindes verwendet habe. Auch Schuldzahlungen nach dem Tode des großjährigen Kindes müßten solcherart berücksichtigt werden, und zwar auch gegenüber den nach § 779 ABGB anstelle des vorverstorbenen Kindes des Erblassers eintretenden Nachkommen unabhängig davon, ob ihnen von diesem Vorempfang etwas zugekommen sei. Da vorliegendenfalls die vom Erblasser für den Vater der Kläger bezahlte Schuld unter Berücksichtigung ihrer Verzinsung bzw. Aufwertung höher sei als der Pflichtteilsbetrag, müsse der Klagsanspruch verneint werden. Das Berufungsgericht gab dem Zahlungsbegehren der Kläger im Ausmaß von 337.911,09 S s.A. statt und wies das Mehrbegehren ab. Es verwies zunächst darauf, daß sich entgegen der erstgerichtlichen Rechtsansicht die Rechtsstellung der Kläger als Noterben auf die Bestimmungen der §§ 762 ff ABGB günde und sie einen eigenen Pflichtteilsanspruch geltend machten. Diesem könne die nach dem Tode ihres Vaters erfolgte Schuldzahlung des Erblassers nicht entgegengehalten werden. Im Sinne der systematischen Darstellung der "Anrechnung zum Pflichtteil" in den Bestimmungen der §§ 787 bis 789 ABGB seien einerseits Empfänge der Noterben aus der Verlassenschaft und andererseits Zuwendungen, die der Erblasser den im § 788 ABGB genannten Personen aus den dort angeführten Gründen bei Lebzeiten machte, sohin Zuwendungen unter Lebenden an Abstämmlinge, zu verstehen. Daraus folge, daß § 788 ABGB Vorempfänge erfasse - schon der von Lehre und Rechtsprechung einheitlich verwendete Begriff des Vorempfanges zeige dies auch unmißverständlich auf -, die der Erblasser zu seinen Lebzeiten durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden dem dort genannten Personenkreis zukomme habe lassen. Im vorliegenden Falle stehe aber fest, daß die Schuldentilgung durch den Erblasser nach dem Tode des vorverstorbenen Vaters erfolgt sei, weshalb eine Anrechnung als Vorempfang auf den Pflichtteil des vorverstorbenen Vaters der Kläger ausscheide. Die Frage, ob sich die Kläger einen Vorempfang des vorverstorbenen Vaters auf ihren Pflichtteil anrechnen lassen müßten und ob in Ermangelung einer ausdrücklichen diesbezüglichen Regelung die Bestimmung des § 790 ABGB mittels Analogie herangezogen werden könne, stelle sich sohin im vorliegenden Fall nicht und könne daher auf sich beruhen. Das Vorliegen eines - von der Beklagten gar nicht behaupteten - Vorschusses im Sinne des § 789 ABGB sei ebenfalls zu verneinen, die Zahlung des Erblassers für die Schuld des vorverstorbenen Kindes sei offenbar in Erfüllung einer sittlichen Pflicht erfolgt. Somit ermangle es an einer Rechtsgrundlage, nach der sich die Kläger die festgestellte Schuldtilgung durch den Erblasser auf ihren eigenen Pflichtteil anrechnen lassen müßten. In der Revision wird der Standpunkt vertreten, sowohl bei grammatikalischer als auch systematischer Interpretation der Bestimmungen der §§ 787 bis 789 ABGB sei nicht ableitbar, daß das Kind im Zeitpunkt der Bezahlung seiner Schuld durch den späteren Erblasser noch leben müsse, um die Voraussetzungen der Einrechnung in den Pflichtteil nach § 788 ABGB zu erfüllen. Auch der von den Klägern für die im Sinne des § 788 ABGB einrechenbaren Zuwendungen betonte, hinsichtlich eines verstorbenen Kindes nicht mehr zum Tragen kommende Versorgungsgedanke sei nicht entscheidend, weil nur einer der möglichen Zuwendungsgründe. Als solcher genüge auch der Gedanke der moralischen Verpflichtung der Schuldzahlung. Im Falle von Vorempfängen der Aszendenten nach § 788 ABGB müßten sich diese die Deszendenten in analoger Anwendung des § 790 ABGB anrechnen lassen. Darauf, daß durch die Schuldzahlung für die Deszendenten keine finanzielle Besserstellung erfolgt sei, komme es nicht an. Wenngleich vorliegendenfalls die Aktivlegitimation der Kläger auf den §§ 762 ff.ABGB beruhe, müßten sie sich somit die Vorempfänge des vorverstorbenen Aszendenten anrechnen lassen, sodaß die vorliegende Klage abzuweisen sei.
Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 762 ABGB hat der Erblasser in der letzten Anordnung seine Kinder zu bedenken. Nach § 763 ABGB sind unter "Kinder" auch die Enkel und Urenkel zu verstehen, soweit sie von der gesetzlichen Erbfolgeordnung erfaßt sind. Aus diesen Bestimmungen wie aus § 779 ABGB (vgl. Weiß in Klang 2 III 827) folgt, daß nach dem Tode eines Sohnes oder einer Tochter des Erblassers die von diesen hinterlassenen vorgenannten Kinder als Enkel des Erblassers letztwillig zu bedenken sind (vgl. NZ 1975,191; Welser in Rummel, ABGB, Rdz 3 zu §§ 762-764; Weiß aaO). Das vorverstorbene Kind selbst scheidet aus dem Kreis der zu Bedenkenden aus. Einen Pflichtteil im Sinne der §§ 764, 775 ABGB zu fordern, sind nunmehr nur noch diese Enkel berechtigt.
In der Frage der Einrechnung von Vorempfängen auf den Pflichtteil ist davon auszugehen, daß ein solcher Vorempfang auf den Pflichtteil begriffsnotwendig die Stellung des Empfängers als eines potentiellen zukünftigen Pflichtteilsberechtigten voraussetzt. Diese Eigenschaft muß also im Zeitpunkt der Leistung des Erblassers, so auch bei seinen Verwendungen zur Bezahlung von Schulden volljähriger Kinder im Sinne des § 788 ABGB, gegeben sein (Welser in Rummel, ABGB Rdz 3 zu § 788; Weiß in Klang 2 III 924). Durch ihren Tod verlieren diese aber im Sinne der oben erfolgten Darlegungen ihre Stellung als künftige Pflichtteilsberechtigte. Eine Schuldzahlung für sie in dieser Eigenschaft ist damit nicht mehr möglich. Solche Schuldzahlungen stehen demgemäß mit dem Pflichtteilsrecht des Kindes in keinem Zusammenhang. Auch im Falle des die Einrechnung bei gesetzlicher Erbfolge regelnden § 790 letzter Satz ABGB kann einem Enkel, der an die Stelle seiner verstorbenen Eltern getreten ist, deren Vorempfang nur dann eingerechnet werden, wenn seine Eltern diesen zu den "im § 788 ABGB erwähnten Zwecken" empfangen haben. Mangels Stellung der Eltern als Pflichtteilsberechtigte ist somit eine Qualifikation als Vorempfang und Einrechnung nach den §§ 788, 790 letzter Satz ABGB auch gegenüber dem Enkel ausgeschlossen. Im Sinne der vorstehenden Grundsätze kann vorliegendenfalls die durch den Erblasser erfolgte Zahlung von Schulden seines bereits verstorbenen Kindes in keinem Falle, also auch nicht bei der hier von der Revisionswerberin geforderten analogen Anwendung des § 790 ABGB als "Vorempfang" des Kindes, auf den Pflichtteil der Enkel angerechnet werden. Das Berufungsgericht hat der Klage somit zu Recht stattgegeben.
Demgemäß war der Revision ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E08132European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00646.84.0506.000Dokumentnummer
JJT_19860506_OGH0002_0020OB00646_8400000_000