Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stefan B***, Tischler, 9974 Prägraten, Hinterbichl 16, vertreten durch Dr. Robert Gasser, Rechtsanwalt in Lienz, wider die beklagten Parteien 1. Veronika B***, Hausfrau, 9971 Matrei i.O., Bruggen Nr. 3, 2. Alois B***, Arbeitnehmer, wohnhaft ebendort, und 3. A*** E*** V***-AG, 1015 Wien, Bösendorferstraße Nr. 13, alle
vertreten durch Dr. Reinhold Unterweger, Rechtsanwalt in Lienz i.O., wegen S 29.702,96 s.A., infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4. Dezember 1985, GZ 2 a R 518/85-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Matrei i.O. vom 16. Juli 1985, GZ C 67/85-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 3.254,20 (darin keine Barauslagen und S 295,83 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Begründung:
Am 11.2.1983 ereignete sich im Gemeindegebiet von Matrei i.O. auf der Virgental-Landesstraße im Bereich der Einmündung der von Zedlach kommenden Gemeindestraße ein Verkehrsunfall zwischen dem vom Kläger gelenkten und gehaltenen PKW Marke Audi 80, Kennzeichen T 339.743, und dem PKW Marke Opel Ascona, Kennzeichen T 229.129, dessen Lenkerin die Erstbeklagte, dessen Halter der Zweitbeklagte und dessen Haftpflichtversicherer die Drittbeklagte waren. Dieser Verkehrsunfall war Gegenstand des Verfahrens 14 Cg 195/83 des Landesgerichtes Innsbruck, in welchem die Beklagten, ausgehend vom Alleinverschulden der Erstbeklagten, mit Urteil vom 19.9.1984, 14 Cg 195/83-21, zur ungeteilten Hand zur Zahlung des eingeschränkten Klagsbetrages von S 29.702,96 samt Nebengebühren verpflichtet wurden. Einer Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil wurde vom Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht nicht Folge gegeben.
Der Kläger begehrte nunmehr den Zuspruch des zufolge Einschränkung im Vorprozeß nicht zugesprochenen Betrages von S 29.702,96 s.A., wobei er vorbrachte, er habe die Drittbeklagte, welche für seine Schadloshaltung hafte, nach rechtskräftiger Entscheidung des vorangegangenen Verfahrens aufgefordert, diesen Betrag zu bezahlen. Er habe jedoch keine Zahlung erhalten. Die Einschränkung des Klagebegehrens im Vorprozeß sei nur aus prozeßökonomischen Gründen und ohne Anerkenntnis eines Mitverschuldens erfolgt.
Dagegen wendeten die Beklagten ein, den Kläger treffe am gegenständlichen Verkehrsunfall ein 50 %-iges Mitverschulden. Der Geltendmachung des Klagsanspruches stehe außerdem die Rechtskraftwirkung des Urteils des Landesgerichtes Innsbruck entgegen. Auch liege ein gültiges prozessuales Anerkenntnis des Klägers vor.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Infolge Berufung des Klägers änderte das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichtes im Sinne der Klagsstattgebung ab und erklärte die Revision für zulässig.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen der Nichtigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes und das vorangegangene Verfahren als nichtig aufzuheben und die Klage zurückzuweisen, allenfalls die Entscheidung im Sinne der Klagsabweisung abzuändern.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig.
Das Berufungsgericht begründete seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision damit, daß es in letzter Zeit häufig mit der Frage, ob eine neuerliche Klageerhebung nach Teileinklagung unter Zugestehung eines Mitverschuldens zulässig sei oder ob dieser die Einrede der entschiedenen Rechtssache entgegenstehe, konfrontiert worden und wegen der Höhe der meist unter S 15.000,-
liegenden Streitwerte die Anrufung des Höchstgerichtes nicht möglich gewesen sei. Da neuere einschlägige Judikatur des Obersten Gerichtshofes dem Berufungsgericht nicht bekannt sei und es sich dabei um eine Frage des formellen Rechtes von erheblicher Bedeutung handle, sei die Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zuzulassen gewesen.
Gemäß § 508 a ZPO ist der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs 3 ZPO nicht gebunden. Im vorliegenden Fall ergibt die Prüfung der Rechtsmittelzulässigkeit, daß es an der für ihre Bejahung erforderlichen Voraussetzung des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO mangelt, weil die Entscheidung nicht von der Lösung von Rechtsfragen abhängt, denen zur Wahrung der Rechtseinheit, der Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt.
Was die vom Berufungsgericht als Rechtsfrage des Verfahrensrechte von erheblicher Bedeutung beurteilte Erhebung der Einrede der entschiedenen Streitsache bei neuerlicher Klageerhebung nach Klagseinschränkung wegen eines zugestandenen Mitverschuldens anlangt, ist dem Obersten Gerichtshof im vorliegenden Fall eine Überprüfung dieser Frage verwehrt. Das Berufungsgericht hat nämlich in den Gründen seiner Entscheidung das Vorliegen des Prozeßhindernisses der entschiedenen Streitsache ausdrücklich verneint. Prozeßhindernisse können in höherer Instanz nicht mehr wahrgenommen werden, wenn - wie hier - eine sie betreffende bindende Entscheidung des Berufungsgerichtes entgegensteht. Die in § 42 Abs 3 JN für einzelne Prozeßhindernisse normierten Rechtsfolgen gelten nach Lehre und Rechtsprechung (vgl. Fasching I, 271; SZ 28/265 ua.) für alle Prozeßhindernisse (SZ 54/190 ua.). Da somit aus diesem systematischen Grunde eine Überprüfung in III. Instanz unzulässig ist, liegt eine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO diesbezüglich umsoweniger vor.
Letzteres gilt für die Lösung der Verschuldensfrage durch das Berufungsgericht. Nach den das Revivionsgericht bindenden Feststellungen ist der gegenständliche Verkehrsunfall darauf zurückzuführen, daß die auf der Gemeindestraße sich der Kreuzung nähernde Erstbeklagte den auf der Landesstraße herankommenden PKW des Klägers "aus Unachtsamkeit übersehen" hat. Das von der zuständigen Behörde verfügte Verkehrszeichen "Vorranggeben", womit der Vorrang des Verkehrs auf der Landesstraße angeordnet worden war, war ca. 14 Tage vor dem Unfall von unbefugter Hand entfernt worden, doch gingen die beiden beteiligten - ortskundigen - Lenker von seinem Vorhandensein und somit von der Gültigkeit der Vorrangregelung aus.
Anders als das Erstgericht gelangte das Berufungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung zu dem Ergebnis, daß sich der Kläger im Unfallszeitpunkt nach wie vor im Vorrang befunden habe. Dem ortskundigen Kläger könne kein Vorwurf gemacht werden, daß er davon ausging, es stehe ihm gemäß § 19 Abs 4 StVO der Vorrang zu, habe er doch von der Anbringung des entsprechenden Vorschriftszeichens auf der Gemeindestraße Kenntnis gehabt, während ihm die Tatsache, daß dieses Verkehrszeichen ohne Zutun der Behörde, somit unbefugt, entfernt wurde und damit seine Funktion nicht erfüllen konnte, unbekannt geblieben sei. Da dem Kläger weder ein Reaktionsverzug noch eine für die damaligen Straßen- und Sichtverhältnisse zu hohe Geschwindigkeit anzulasten sei und für ihn auch keine Veranlassung bestanden habe, sich der Kreuzung mit besonderer Vorsicht zu nähern, treffe ihn kein Verschulden am Unfall.
Die Beklagten vertreten in ihrer Revision die Auffassung, der Erstbeklagten sei gegenüber dem Kläger der Rechtsvorrang zugekommen, doch sei mit Rücksicht auf die grobe Unaufmerksamkeit der Erstbeklagten, "der bekannt war, daß sie sich im Nachrang befand", eine gleich hohe Schadensteilung gerechtfertigt.
Dazu sei darauf verwiesen, daß der Oberste Gerichtshof bereits zu 8 Ob 218/82 (teilweise veröffentlicht in ZVR 1983/338) und 8 Ob 6/84 gleichgelagerte Fälle zu behandeln hatte. In der letztgenannten Entscheidung wurde zu der auch im vorliegenden Fall streitentscheidenden Frage, ob einem Kraftfahrzeuglenker eine Vorrangverletzung im Sinne des § 19 Abs 4 StVO angelastet werden kann, obwohl das in seiner Anfahrtrichtung vor der Kreuzung befindliche Vorschriftszeichen nach § 52 lit c Z 23 StVO (ohne behördliche Verfügung) entfernt worden war, ausgeführt, daß gemäß § 43 StVO die Behörde unter den in dieser Gesetzesstelle normierten Voraussetzungen den Straßenbenützern durch Verordnung ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben hat. Dazu gehört auch die Anordnung, daß an einer Kreuzung dem Querverkehr Vorrang zu geben ist (MGA StVO 7 § 43 Anm. 7). Gemäß § 44 Abs 1 StVO sind derartige Verordnungen (von im vorliegenden Fall nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen) durch Straßenverkehrszeichen kundzumachen. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk festzuhalten. Mit der Anbringung des entsprechenden Straßenverkehrszeichens ist die Kundmachung begrifflich abgeschlossen; damit tritt die Verordnung in Kraft (vgl. JBl 1977. 256). Wird ein solcherart ursprünglich ordnungsgemäß aufgestelltes Verkehrszeichen ohne Zutun der Behörde beseitigt, tritt damit die der Aufstellung des Verkehrszeichens zugrundeliegende Verordnung nicht außer Kraft (Dittrich-Veit-Schuchlenz StVO 3 § 43 Anm. 14). Allerdings ist es in einem solchen Fall möglich, daß ein Verkehrsteilnehmer unverschuldet keine Kenntnis von der erlassenen Verordnung hat und daß ihm daher wegen der Übertretung dieser Verordnung kein Verschulden angelastet werden kann. Ist aber dem betroffenen Verkehrsteilnehmer trotz der Beseitigung des Verkehrszeichens die auf Grund der nach wie vor wirksamen Verordnung der Behörde geltende Vorrangregelung bekannt, kann er sich nicht darauf berufen, daß er ohne sein Verschulden vom Inhalt der von ihm zu befolgenden Verordnung keine Kenntnis hatte.
Aus der Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich die sachliche Richtigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichtes. Daß der Anbringung des Vorschriftszeichens nach § 52 lit c Z 23 StVO vor der Einmündung der Gemeindestraße in die Virgental-Landesstraße eine entsprechende Verordnung der Behörde zugrundelag und daß dieses Vorschriftszeichen ursprünglich entsprechend den dafür bestehenden gesetzlichen Bestimmungen angebracht wurde, ist im vorliegenden Fall nicht strittig. Jene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, die Fälle betrafen, in denen ein Kraftfahrzeuglenker von der von ihm zu befolgenden Verordnung wegen Beseitigung des entsprechenden Vorschriftszeichens keine Kenntnis hatte (vgl. etwa ZVR 1974/87 ua.) und in welchem daher eine verschuldete Vorrangverletzung durch diesen Lenker verneint wurde, können im vorliegenden Fall nicht herangezogen werden, weil nach den Feststellungen der Vorinstanzen die Erstbeklagte trotz der Beseitigung des Vorschriftszeichens nach § 52 lit c Z 23 StVO zur Unfallszeit wußte, daß sie gegenüber dem Verkehr auf der Virgental-Landesstraße wartepflichtig war, was auch in der Revision zugegeben wird. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, daß die Erstbeklagte ohne ihr Verschulden vom Inhalt der von ihr zu befolgenden Verordnung, dem Verkehr auf der Virgental-Landesstraße den Vorrang einzuräumen, keine Kenntnis gehabt hätte.
Der Kläger befand sich daher gegenüber der Erstbeklagten im Sinne des § 19 Abs 4 StVO im Vorrang und die Erstbeklagte hat durch ihre Fahrweise ihre im § 19 Abs 7 StVO normierte Wartepflicht gegenüber dem PKW des Klägers schuldhaft verletzt. Daß dieser Vorrangverletzung der Erstbeklagten kein haftungsbegründendes Mitverschulden des Klägers gegenübersteht, hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt.
Da das Berufungsgericht somit bei der Lösung der entscheidenden Rechtsfrage, ob der Erstbeklagten trotz der Beseitigung des entsprechenden Verkehrszeichens vor der Einmündung der Gemeindestraße in die Virgental-Landesstraße eine Vorrangverletzung anzulasten ist, durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gedeckt ist, diese nicht uneinheitlich ist und auch kein Anlaß besteht, von ihr abzugehen, kommt dieser Rechtsfrage nicht die im § 502 Abs 4 Z 1 ZPO vorausgesetzte Bedeutung zu. Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht zu Unrecht die Zulässigkeit der Revision im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ausgesprochen. Die Revision der Beklagten war daher als unzulässig zurückzuweisen. Die Kosten ihres unzulässigen Rechtsmittels haben die Beklagten selbst zu tragen. Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz der Kosten der erstatteten Revisionsbeantwortung, weil er den vorliegenden Zurückweisungsgrund geltend gemacht hat (§§ 40, 41, 50 ZPO).
Anmerkung
E08374European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00005.86.0508.000Dokumentnummer
JJT_19860508_OGH0002_0020OB00005_8600000_000