TE OGH 1986/5/13 11Os46/86

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Veröffentlicht am 13.05.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13.Mai 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider (Berichterstatter) und Hon.Prof. Dr. Brustbauer als weitere Richer, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Breycha als Schriftführers im Verfahren zur Unterbringung des Friedrich R*** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach dem § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengerichtes vom 9.Dezember 1985, GZ 13 Vr 850/85-36, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwaltes Dr. Hauptmann als Vertreters des Generalprokurators und des Verteidigers Dr. Zessin, jedoch in Abwesenheit des Betroffenen zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Unterbringung des am 23. März 1954 geborenen Friedrich R*** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß dem § 21 Abs 1 StGB angeordnet. Anlaß hiefür war laut Urteilsspruch, daß Friedrich R*** unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistig-seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, Taten beging, die ihm außer diesem Zustand als Verbrechen der versuchten Nötigung zum Beischlaf nach den §§ 15, 202 Abs 1 StGB (1.A a und b, B a und b des Urteilstenors), als (mit dem erwähnten Verbrechen idealkonkurrierendes) Vergehen der versuchten Blutschande nach den §§ 15, 211 Abs 3 StGB (2. = 1.B a und b) sowie als Vergehen der gefährlichen Drohung nach dem § 107 Abs 1 und 2 StGB (3.) zuzurechnen wären (sohin insgesamt mit ein Jahr übersteigender Freiheitsstrafe bedroht sind), indem er 1. A) Maria S*** a) am 2.Juli 1983 sowie b) am 6. oder 7.März 1984 und B) seine Schwester Sophie R*** a) im Frühjahr 1984 sowie b) am 13.Jänner 1985 zum außerehelichen Beischlaf zu nötigen versuchte, 2. durch die unter 1. B) a) und b) angeführten Handlungen mit seiner Schwester den Beischlaf zu vollziehen versuchte und 3. am 23.Feber 1985 Friedrich R*** sen., Franziska R***, Sophie R***, Franziska H***, Karl H*** und die minderjährige Martina R*** durch die wiederholte Ankündigung, sie umzubringen, mit dem Tod gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. In diesem Zusammenhang wurde vom Schöffensenat die Prognose gestellt, es sei zu befürchten, der Betroffene werde (bei Abstandnahme von der Einweisung) unter dem Einfluß seiner geistig-seelischen Abartigkeit eine "gleichwertige" Handlung mit schweren Folgen begehen. Gegen dieses Urteil ergriff der Betroffene Friedrich R*** eine auf den § 281 Abs 1 Z 3, 5, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde sowie eine Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung nicht zu:

Die vom Beschwerdeführer an sich zutreffend gerügte Verletzung der Vorschrift des § 271 Abs 1 StPO zufolge Fehlens der Unterschrift des Schriftführers auf dem (vom Vorsitzenden des Schöffensenates unterfertigten) Hauptverhandlungsprotokoll ON 35 (welches an Stelle der Namenszüge des im Kopf als Schriftführer angeführten Rechtspraktikanten den Vermerk "Nicht mehr im Hause" aufweist) kann hier als relativer Nichtigkeitsgrund nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, weil unzweifelhaft erkennbar ist, daß die Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Betroffenen nachteiligen Einfluß zu üben vermochte (§ 281 Abs 3 erster Satz StPO). Denn der Akteninhalt und das Beschwerdevorbringen bieten keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß das Hauptverhandlungsprotokoll in der - allein maßgeblichen (vgl. Kodek-Germ, StPO 3 , Juridica-Kommentar, § 271, Erl. 1) - endgültigen Fassung, die ihm der Vorsitzende des Schöffensenates gab, anders ausgefallen wäre, wenn der Schriftführer die von ihm verfaßte Niederschrift entweder bereits vor der Vorlage an den Vorsitzenden zur Prüfung und Unterfertigung oder später selbst unterschrieben hätte. Der - zufolge Geltendmachung von Feststellungsmängeln auch Elemente einer Rechtsrüge nach dem § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO enthaltenden - Mängelrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) zuwider liegen keine Beischlafsunfähigkeit des Beschwerdeführers indizierenden Verfahrensergebnisse vor, welche vom Erstgericht zu erörtern (und zum Gegenstand von Feststellungen zu machen) gewesen wären. Aus der Niederschrift vor der Gendarmerie ergibt sich zwar, daß der Beschwerdeführer behauptet, den letzten Geschlechtsverkehr vor mehreren Jahren ausgeübt zu haben, nicht aber, daß er sich als beischlafsunfähig bezeichnet hätte; der Betroffene erklärte vielmehr, daß er sich seit dem erwähnten Geschlechtsverkehr selbst befriedige (S. 42, in der Hauptverhandlung aufrechterhalten laut S. 209; vgl. auch S. 55). Daß der Betroffene seinen Geschlechtstrieb als schwach entwickelt einschätzte und vergebliche Versuche erwähnte, sich durch Ansicht pornographischen Materials zu stimulieren (S. 42), gibt den Umständen nach noch keinen Anlaß, seine Beischlafsfähigkeit an sich in Zweifel zu ziehen. Der einleitende Einwand der Rechtsrüge nach dem § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO, die Urteilstat 1. A) a) sei angesichts der eine Vereinigung der Geschlechtsteile hindernden Bekleidung der Maria S*** als absolut untauglicher Versuch (§ 15 Abs 3 StGB) der Nötigung zum Beischlaf anzusehen, erweist sich gleichfalls als nicht zutreffend: Einerseits schließt eine solche Bekleidung der Frau den Erfolg der mit Gewalt unternommenen Beugung ihres entgegenstehenden Willens - also die Duldung des Geschlechtsverkehrs und der vorangehenden Entkleidung - keineswegs aus; insoweit liegt daher kein Versuch am absolut untauglichen Objekt vor. Anderseits sind Gewaltakte der verübten Art (welche laut S. 237 f. darin bestanden, daß der Beschwerdeführer die Maria S*** zu Boden warf und sich auf sie legte) generell zur Willensbeugung im Sinn des § 202 Abs 1 StGB durchaus geeignet, mag auch der Betroffene letztlich wegen der schwierig zu öffnenden Bekleidung (Miederhose) des Opfers den auf Beischlaf gerichteten Vorsatz nicht verwirklicht haben (S. 238). Die Rechtsrüge nach dem § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO versagt aber auch zur Urteilstat 1. A) b): Den Beschwerdeausführungen zuwider tritt die Nötigung zur Unzucht nicht erst mit dem "Versuch der Durchführung eines Geschlechtsverkehrs" (worunter der Beschwerdeführer eine unmittelbar auf Vereinigung der Geschlechtsteile abzielende Handlung versteht) in das Versuchsstadium; stellt doch schon die auf Willensbeugung abzielende Gewaltanwendung (oder gefährliche Drohung) eine tatbildmäßige Ausführungshandlung dar; dies abgesehen davon, daß in das Versuchsstadium gemäß dem § 15 Abs 2 StGB (auch) schon der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlungen fallen, durch welche der deliktische Entschluß betätigt wird (vgl. Mayerhofer-Rieder, StGB 2 , § 15, EGr. 7). Eine Ausführungshandlung war denn auch die in den Urteilsgründen (S. 238 unten) im Zusammenhalt mit dem Urteilsspruch zu 1. A) b) festgestellte Vorgangsweise des Betroffenen, der Maria S*** zu Fall brachte, sie festhielt und sich - zur Durchführung eines Geschlechtsverkehrs - (Urteilsspruch S. 235) auf sie legte. Wenn der Beschwerdeführer die Feststellung seiner auf Nötigung zum Beischlaf gerichteten "Absicht" (gemeint wohl: seines in diese Richtung zielenden Vorsatzes) vermißt, übergeht er die wiedergegebenen Feststellungen über seine Zielsetzung, die sich überdies auch aus der die Darstellung der Urteilstaten 1. A) a) und b) einleitenden Konstatierung ergibt, wonach er mit Maria S*** ein Kind zeugen wollte (S. 237 vorl. Abs); insoweit wird die Rechtsrüge daher nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers zum Nichtigkeitsgrund nach dem § 281 Abs 1 Z 10 StPO, durch die Urteilstat 3. seien die bedrohten Angehörigen nicht längere Zeit hindurch in qualvollen Zustand versetzt worden [§ 107 Abs 2 StGB (letzter Fall)], geht ins Leere, weil das Erstgericht nicht diesen Fall, sondern die Verwirklichung des ersten der in der zitierten Gesetzesstelle angeführten qualifizierenden Umstände (Drohung mit dem Tod) als gegeben annahm.

Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdeführer auch, soweit er sich in seiner Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) abschließend gegen die Annahme einer Idealkonkurrenz der Tatbestände nach dem § 202 Abs 1 StGB und nach dem § 211 Abs 3 StGB bei den Urteilstaten 1. A) a) und b) (identisch mit 2.) wendet: Seine Rechtsansicht, die letzterwähnte Gesetzesstelle sei die gegenüber § 202 Abs 1 StGB speziellere Norm, beruht auf einer Verkennung des Wesens der Spezialität, die voraussetzt, daß zwei Deliktstypen zueinander im Verhältnis von Gattung und Art stehen, daß also ein Deliktstypus sämtliche Merkmale des anderen, darüber hinaus aber noch zusätzliche (Merkmale) enthält. Davon, daß der Tatbestand der Blutschande nach dem § 211 Abs 3 StGB solcherart den der Nötigung zum Beischlaf nach dem § 202 Abs 1 StGB in sich schließe, kann schon deshalb keine Rede sein, weil Nötigung mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung nicht zu den Tatbestandsmerkmalen der Blutschande zählt.

Der Ansicht des Beschwerdeführers zuwider liegen mithin mehrere Anlaßtaten vor, deren Strafdrohungen das im § 21 Abs 1 StGB vorausgesetzte Ausmaß (einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe) erreichen. Lediglich die für das Vergehen der Blutschande nach dem § 211 Abs 3 StGB angedrohte Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bleibt unter der erwähnten Grenze; doch gäbe die Anführung auch dieses Tatbestandes im Spruch des Einweisungserkenntnisses selbst dann nicht Anlaß zu einer Maßnahme nach dem § 290 Abs 1 StPO, wenn insoweit bloß Realkonkurrenz zu allen übrigen vom Betroffenen verwirklichten Tatbeständen (nicht - wie hier - Idealkonkurrenz zum Verbrechen der Nötigung zum Beischlaf) gegeben wäre (vgl. EvBl 1980/203).

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen Friedrich R*** war darum zu verwerfen.

Franz R*** meldete innerhalb der Dreitagefrist des (auf § 284 StPO verweisenden) § 294 Abs 1 StPO die Berufung an, ohne hiebei Beschwerdepunkte zu bezeichnen oder dieses Rechtsmittel schriftlich auszuführen.

Ungeachtet der Bestimmung des § 294 Abs 4 StPO, wonach auf eine Berufung nicht Rücksicht zu nehmen ist, wenn der Berufungswerber weder bei der Anmeldung noch bei der Ausführung die Punkte des Erkenntnisses deutlich und bestimmt bezeichnet, durch die er sich beschwert erachtet, war die Berufung des Betroffenen meritorisch zu erledigen, weil im Verfahren zur Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach dem § 21 Abs 1 StGB das Urteil ohnehin nur in der Gefährlichkeitsprognose mit Berufung bekämpft werden kann, sodaß nicht zweifelhaft ist, wodurch sich der Berufungswerber hier beschwert erachtet (10 Os 74/77 = LSK 1977/305 = RZ 1977/141 = EvBl 1978/32; 9 Os 97/77; 9 Os 202/77 u.a.).

Der Berufung kommt indes Berechtigung nicht zu:

Das Landesgericht legte nämlich auf Grund der Gutachten der Sachverständigen Dr. Richard Z*** und Dr. Ernst M*** sowie des persönlichen Eindruckes vom Betroffenen dar, aus welchen Gründen es zur Annahme gelangte, es sei zu befürchten, daß Friedrich R*** neuerlich strafbare Handlungen mit schweren Folgen begehen werde (S. 249 f.). Gegen diesen Ausspruch des Schöffengerichtes brachte der Betroffene nichts vor. Mangels eines bei der Erstellung der Gefährlichkeitsprognose unterlaufenen Fehlers war der Berufung ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E08321

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0110OS00046.86.0513.000

Dokumentnummer

JJT_19860513_OGH0002_0110OS00046_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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