TE Vwgh Erkenntnis 2005/7/5 2002/21/0071

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Veröffentlicht am 05.07.2005
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 5. März 2002, Zl. Fr 284/1999, betreffend Feststellung gemäß § 75 des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Bei seiner Vernehmung vor der Bundespolizeidirektion Graz am 4. Jänner 1999 gab der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina, an, dass er vor Ausbruch des Krieges im Jahr 1991 oder Anfang 1992 als Flüchtling nach Österreich gekommen sei. Nach Belehrung stellte er einen Antrag gemäß § 75 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, auf Feststellung, "dass ich in meinem Heimatland bedroht werde". Zu diesem Antrag führte er wörtlich aus:

"Weil mein Wohnort sich im Ort Tinja Donja befindet, wo ich auch eine Landwirtschaft besitze, wird diese Gegend zur Zeit noch von den Moslems beherrscht. Ich bin bosnischer Serbe und befürchte daher, dass mein Leben dort in Gefahr ist, weil die Moslems dort mich keinesfalls akzeptieren werden und dass ich zur Zeit auf keinen Fall meine landwirtschaftlichen Güter zurückerhalten werde. Den Ausdruck 'mein Leben ist in Gefahr' begründe ich dahingehend, dass unser Gebiet noch immer von Minen und versteckten Fallen verseucht ist und somit könnte ich auch zu Hause keinesfalls eine landwirtschaftliche Tätigkeit für meinen Lebensunterhalt ausüben. Ich wüsste nicht wovon ich dort leben könnte. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass ich für Gräueltaten, die ich selbst nicht begangen habe, zur Rechenschaft gezogen werden könnte."

Mit Schreiben vom 25. Jänner 1999 ersuchte der Beschwerdeführer "um einen Verbleib in Österreich nach Fremdengesetz § 75" mit folgender Begründung:

"Ich teile Ihnen mit, dass eine Rückkehr in meine Heimat Bosnien und Herzegowina nicht möglich ist. Ich habe den Kriegsdienst verweigert und werde deshalb verfolgt. Außerdem ist meine bosnische Wohngegend nach wie vor vermint."

Mit Bescheid vom 31. März 1999 stellte die Bundespolizeidirektion Graz fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer "in Bosnien" Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu sein bzw. dass dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Die Begründung dieses Bescheides erschöpft sich in der Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers und der maßgeblichen Normen sowie dem Hinweis, dass die behauptete Verfolgungsgefahr "nicht objektivierbar" sei.

In seiner dagegen gerichteten Berufung führte der Beschwerdeführer aus:

"Meine Wohngegend in Bosnien ist nach wie vor von den Moslems beherrscht. Die bosnischen Serben wurden alle 'beseitigt'. Mein Leben als bosnischer Serbe ist dort in Gefahr. Gründe, die ich in dieser Hinsicht angeführt habe, bleiben aufrecht.

Meine Angaben sind überprüfbar und können auch bezeugt werden. In der Folge nenne ich nur zwei Zeugen aus meiner Wohngegend in Bosnien, die ebenfalls aus demselben Grund nicht zurückkehren können. Sie haben deshalb um österreichische Staatsbürgerschaft angesucht und sie auch erhalten."

Daran anschließend werden in der Berufung zwei Zeugen namentlich und mit Anschrift genannt.

Die belangte Behörde gewährte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 24. Oktober 2001 Parteiengehör und stellte dar, was sie über die aktuelle Situation in Bosnien-Herzegowina über den Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge in Erfahrung habe bringen können. Diese Ausführungen enthalten Hinweise auf die Verabschiedung eines Amnestiegesetzes und von Gesetzen über die Entitätsangehörigkeit, über einen Entwurf für ein Gesetz über den gesetzlichen Rahmen zur Behandlung von Vertriebenen und Flüchtlingen, über das verfassungsgesetzlich garantierte Recht auf Bewegungsfreiheit und auf diverse Gesetze zur Sozialfürsorge. Dieser Vorhalt schließt mit dem Hinweis, dass seitens der Berufungsbehörde keine aktuellen Zwischenfälle im Wohnort des Beschwerdeführers hätten ermittelt werden können.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. In der Begründung führte sie von allgemeinen Erwägungen abgesehen im Wesentlichen aus, dass sie sich den Ausführungen der Erstbehörde vollinhaltlich anschließe und verwies auf den dem Beschwerdeführer zur Stellungnahme zugestellten Bericht des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge; der Beschwerdeführer habe von dem ihm eingeräumten Parteiengehör nicht Gebrauch gemacht. Nach weiteren allgemeinen Hinweisen aus verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung schloss die belangte Behörde mit dem Hinweis, dass keine stichhaltigen Gründe dafür vorlägen, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina Gefahren im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Verfolgungen im Sinn des § 57 Abs. 2 FrG ausgesetzt wäre und von der Aufnahme weiterer Beweise insofern Abstand genommen habe werden können, als der entscheidungsrelevante Sachverhalt ausreichend ermittelt erschienen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 Abs. 1 FrG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG im Verfahren gemäß § 75 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 7. April 2000, Zl. 99/21/0001.)

Der angefochtene Bescheid enthält keine Begründung, die den Gerichtshof in die Lage versetzen würde, die rechtliche Schlussfolgerung der Behörde auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Die belangte Behörde unterließ nämlich jegliche Feststellungen zu der vom Beschwerdeführer - mit Beweisanbot - konkret behaupteten Verfolgungsgefahr in seinem ehemaligen Wohnort. Der bloße Hinweis auf den mit Schreiben vom 24. Oktober 2001 zur Kenntnis gebrachten UNHCR-Bericht vermag derartige Feststellungen nicht zu ersetzen, zumal dieser Bericht nicht bei den Akten erliegt und - soweit erkennbar - nicht konkret auf das Vorbringen des Beschwerdeführers Bezug nimmt. Die belangte Behörde stellte aber auch nicht fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in einen anderen Teil seines Heimatstaates möglich und geplant wäre und er dort eine Existenzgrundlage hätte (vgl. zum erstgenannten Gesichtspunkt das zur inhaltsgleichen Rechtslage des Fremdengesetzes 1992 ergangene hg. Erkenntnis vom 27. November 1998, Zl. 95/21/0344, und zum zweitgenannten Gesichtspunkt das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2002, Zl. 98/21/0158).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 it. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 5. Juli 2005

Schlagworte

Allgemein Begründung Begründungsmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2002210071.X00

Im RIS seit

19.08.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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