Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Mai 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Krenn als Schriftführer in der Strafsache gegen Dragisa R*** und Viktorija R*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1, Abs. 2, erster Fall, StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen der Angeklagten Dragisa R*** und Viktorija R*** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft (hinsichtlich Viktorija R***) gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22.November 1985, GZ 3 e Vr 6665/83-206, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Über die Berufungen der beiden Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft (hinsichtlich Viktorija R***) wird bei einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung entschieden werden. Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des (bisherigen) Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden (im zweiten Rechtsgang abermals) der 34-jährige Dragisa R*** und seine nunmehr 36-jährige Ehefrau Viktorija R*** (zu 1) des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1, Abs. 2, erster Fall, StGB und (zu 2) des Verbrechens des Quälens oder Vernachlässigens eines Unmündigen, Jugendlichen oder Wehrlosen nach § 92 Abs. 1 und Abs. 3, zweiter Fall, StGB schuldig erkannt. Darnach haben sie ab Herbst 1982 bis 28.Mai 1983 in Wien als Mittäter (§ 12 StGB) die am 8.August 1974 geborene Ivana R*** durch Versetzen von Schlägen, Ausreißen von Haaren, Fesseln der Hände, Peitschen mit einem Teppichklopfer und Hosengürtel, Zufügen von Brandwunden usw., was ein Subduralhämatom links mit Hemiparese rechts, Aphasie, Hirnödem, zahlreiche Frakturen im Bereich der Extremitäten, zahlreiche Hämatome sowie Excoreationen und Verbrennungen dritten Grades, verbunden mit Bewußtlosigkeit, zur Folge hatte, eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) absichtlich zugefügt, wobei die Tat eine schwere Dauerfolge (§ 85 StGB), nämlich eine Gehirnschädigung, zur Folge hatte und zugleich durch die vorbezeichnete Tat einem anderen, der seiner Fürsorge oder Obhut unterstand und das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, körperliche und seelische Qualen zugefügt.
Rechtliche Beurteilung
Die von den beiden Angeklagten dagegen aus den Z 5 und 10, von Dragisa R*** überdies aus der Z 4 und von Viktorija R*** auch aus der Z 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden sind teils offenbar unbegründet, teils entbehren sie einer prozeßordnungsgemäßen Darstellung.
Zur Beschwerde des Dragisa R***:
Zur Verfahrensrüge (Z 4) dieses Angeklagten ist vorweg zu bemerken, daß der subjektiven (und objektiven) Tatbestandsverwirklichung vorgelagerte Beweggründe weder für die Lösung der Schuldfrage noch für den anzuwendenden Strafsatz bedeutsam sind. Soweit daher durch die vom Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung beantragten Zeugen und Schriftstücke das hinter den Mißhandlungen des Kindes durch die Zweitangeklagte liegende Motiv - gegen die Familie des Beschwerdeführers gerichtete Blutrache - unter Beweis gestellt werden sollte, verfielen diese als irrelevant mit Recht der Ablehnung. Abgesehen davon betrifft bei der als erwiesen angenommenen Mittäterschaft die Frage, inwieweit bzw. zu welchem Behufe die Zweitangeklagte zu ihrem eigenen Verhalten (auch) von einem Dritten angestiftet worden war, keinen für die Beurteilung des Verschuldens des Beschwerdeführers maßgebenden Umstand. Daß aber die begehrten Zeuginnen, die den Angeklagten nach seinem Vorbringen im Tatzeitraum in seiner Wohnung besuchten, seine Täterschaft auszuschließen vermöchten, wurde in den betreffenden Anträgen (vgl. Band III S 22 ff und S 66 ff) nicht einmal behauptet bzw. wurde darin in keiner Weise dargetan, weshalb (gelegentliche) Besucherinnen in der Lage sein sollten, die "Unschuld" des Beschwerdeführers d.h. also darzutun, daß er seine Tochter Ivana niemals auf die ihm vorgeworfene Weise verletzt und gequält haben könnte.
Ob dem in der Hauptverhandlung am 22.November 1985 gestellten Antrag des Beschwerdeführers auf Verlesung des Briefes der Zweitangeklagten - in dem sie schrieb, er (der Beschwerdeführer) habe sein Kind nicht verletzt - entsprochen wurde, oder sich das Gericht mit der Bekanntgabe dessen wesentlichen Inhaltes durch den Verteidiger begnügte, ist weder dem Hauptverhandlungsprotokoll (vgl. Band III S 68) noch dem Urteil zu entnehmen.
Da die Tatrichter aber der Viktorija R*** mit unbedenklicher Begründung (vgl. Band III S 95 unten) insgesamt den Glauben versagten und demnach nicht gehalten waren, Beweise aufzunehmen, für deren Erheblichkeit die Glaubwürdigkeit der betreffenden Person Voraussetzung war und nur unter diesem Aspekt Sinn und Zweck haben konnten (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO 2 § 281 Z 4 Nr. 67), stellte das Unterbleiben einer (ausdrücklichen) Entscheidung über die begehrte Verlesung keine Nichtigkeit nach der Z 4 des § 281 StPO, noch die Nichterörterung seines Inhaltes trotz Verlesung einen Nichtigkeit begründenden Mangel im Sinne der Z 5 der genannten Gesetzesstelle dar.
Entgegen der Mängelrüge (Z 5) des Angeklagten hat das Erstgericht seine Verantwortung, die Kinder der Viktorija R*** hätten Ivana R*** verletzt, keineswegs mit Stillschweigen übergangen (vgl. Band III S 78, 87, 91 und 93), sondern mit hinreichender Begründung als unglaubwürdig abgetan (vgl. Band III S 95 f). Daß hingegen die Zweitangeklagte und die Zeuginnen L*** und B*** von "Streitigkeiten" zwischen Ivana R*** einerseits und den beiden anderen Mädchen andererseits berichteten, mußte, weil in diesem Zusammenhang von Verletzungen der Ivana R*** nicht gesprochen wurde, ja die Zweitangeklagte dies sogar ausdrücklich ausschloß (vgl. Band III S 91), mangels Relevanz nicht weiter erörtert werden. Ausgehend davon, daß das Schöffengericht die Verantwortung des Beschwerdeführers infolge ihrer Wechselhaftigkeit und Widersprüchlichkeit als unglaubhaft erachtete (vgl. Band III S 95), mußte es nach den oben dargelegten Grundsätzen - der Beschwerde zuwider - weder das "Thema der Blutrache" näher erörtern noch auf seine Behauptung, die Zweitangeklagte hätte an ihm einen Mordversuch verübt, weiter eingehen, wobei in diesem Zusammenhang zusätzlich darauf hinzuweisen ist, daß das Urteil die vom Beschwerdeführer gegen die Zweitangeklagte erstattete Mordversuchsanzeige ausdrücklich erwähnt (vgl. Band III S 94). Da Motive - siehe oben - nicht zu den entscheidenden Tatsachen zählen, kann sowohl das, was das Erstgericht in Ansehung der Beweggründe des Beschwerdeführers illustrativ erwog (vgl. Band III S 75; er meinte, daß Ivana nicht seine leibliche Tochter sei), als auch das in der Beschwerde hiezu Ausgeführte auf sich beruhen. Daß aber der Beschwerdeführer in der Absicht handelte, seine Tochter schwer zu verletzen und daß er dem Kind körperliche und seelische Qualen vorsätzlich zufügte, konnte vorliegend allein schon aus der Art der objektivierten Verletzungen des Mädchens sowie aus der Natur der in diesem Zusammenhang konstatierten Tätlichkeiten (zB Brandwunden, die durch Ausdrücken von Zigaretten auf der bloßen Haut entstanden) denkrichtig und lebensnah erschlossen werden. Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang vermeint, es wäre ebenso möglich gewesen, daß der Angeklagte in Ausübung seines Erziehungs- und Züchtigungsrechtes handelte und er dem Kinde die festgestellten Verletzungen lediglich fahrlässig zufügte, nach Ansicht des Beschwerdeführers aus den vorliegenden Prämissen demnach auch andere Konklusionen hätten gezogen werden können, begibt sich das Rechtsmittel auf das ihm im schöffengerichtlichen Verfahren verwehrte Gebiet der Beweiswürdigung, weil nicht nur zwingende, sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse das Gericht nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung zu Tatsachenfeststellungen berechtigen (vgl. Mayerhofer-Rieder aaO § 281 Abs. 1 Z 5 Nr. 145 ff). Zur Gänze nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt ist schließlich die sich auf die Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO berufende Rechtsrüge des Angeklagten. Indem sie nämlich - auf den Kern reduziert - behauptet, es sei in Ansehung beider dem Angeklagten zur Last fallenden Verbrechen die innere Tatseite nicht gegeben, aus den festgestellten Tatsachen sei die schwerste Schuldform, nämlich die Absicht, nicht ableitbar, der Beschwerdeführer habe ohne Verletzungsabsicht und Vorsatz des Quälens ausschließlich in Erziehungs- und Züchtigungsabsicht gehandelt und er hätte demnach lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt werden dürfen, neglegiert sie die schlüssig begründeten (siehe oben) konträren tatrichterlichen Konstatierungen bzw. bekämpft sie (neuerlich) in unzulässiger Weise die schöffengerichtliche Beweiswürdigung, worauf im Nichtigkeitsverfahren nicht eingegangen werden kann.
Zur Beschwerde der Viktorija R***:
Entgegen der Mängelrüge (Z 5) dieser Angeklagten haben die Tatrichter ihre Verantwortung und die Angaben der Zeuginnen Minerva und Minodora B*** nicht nur "in Art einer Inhaltsangabe exzerpiert" sondern auch mit hinreichender Begründung dahin gewürdigt, daß sie der (erst sehr spät gewählten) Verantwortung der Beschwerdeführerin, selbst vom Angeklagten geschlagen worden zu sein und versucht zu haben, Ivana R*** vor ihm zu schützen, wenn er sie schlug, infolge ihrer Widersprüchlichkeit (vgl. Band III S 91 iVm S 95) den Glauben versagten (vgl. Band III S 96), wogegen sie den diese Verantwortung unterstützenden Bekundungen der beiden Töchter der Beschwerdeführerin mit dem Bemerken, sie seien offensichtlich bestrebt gewesen, ihre Mutter zu schützen, keinen Glauben schenkten (vgl. Band III S 94).
Wenn die Beschwerde behauptet, einige (im einzelnen angeführte), sich auf die Angaben der Zeugin B*** berufende Urteilskonstatierungen fänden in den Bekundungen der Genannten in der Hauptverhandlung keine Stütze, läßt sie unberücksichtigt, daß das Schöffengericht ersichtlich den Depositionen der Zeugin B*** im Vorverfahren folgte (vgl. Band III S 80 iVm S 90) und daß die in Frage stehenden Konstatierungen darin (vgl. insbesondere Band I S 83 ff, 239 ff) volle Deckung finden.
Fehl geht die Mängelrüge der Angeklagten auch mit der Behauptung, die vom Erstgericht zur inneren Tatseite getroffenen Feststellungen seien unzureichend begründet:
Soweit sich die Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Rechtsmittelausführungen mit der Absicht des Erstangeklagten befaßt, muß darauf nicht weiter eingegangen werden, weil sie ja zu seinen Gunsten keine Nichtigkeitsbeschwerde (angemeldet und) ausgeführt hat. In Ansehung ihrer Person ist aber das gleiche auszuführen, was oben aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten gesagt wurde, nämlich, daß allein die bei Ivana R*** objektivierten Verletzungen zusammen mit dem konstatierten Gesamtverhalten der Beschwerdeführerin - eigene Tätlichkeiten gegen das Kind verbunden mit monatelanger Duldung der vom Erstangeklagten gesetzten Verletzungshandlungen - einen denkrichtigen Schluß auf den zur Erfüllung der Tatbestände nach §§ 87 und 92 StGB jeweils erforderlichen dolus zulassen und daß die Möglichkeit, auch zu anderen Konklusionen zu gelangen, mit der Formalrüge der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO nicht durchgesetzt werden kann.
Zur Gänze nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt ist endlich die sich auf die Z 9 lit. a und 10 des § 281 Abs. 1 StPO stützende Rechtsrüge der Viktorija R***.
Soweit sie sich - wie schon im Rahmen der Mängelrüge - mit dem Schuldspruch des Erstangeklagten auseinandersetzt, kann alles dazu Gesagte aus dem bereits oben aufgezeigten Grund auf sich beruhen. Wenn sie jedoch mit Bezug auf ihre eigene Person vorbringt, keine der von ihr gesetzten Tätlichkeiten habe zu einer Verletzung des Kindes geführt, läßt sie unberücksichtigt, daß das Erstgericht ihr sämtliche im Urteil konstatierten Handanlegungen (vgl. Band III S 75 f) als Mittäterin (wenngleich in geringerem Ausmaß) zur Last legte, es den Vorwurf gegen die Beschwerdeführerin also keineswegs darauf beschränkte, nichts unternommen zu haben, um dem Treiben des Erstangeklagten ein Ende zu setzen. Weshalb es von Belang sein soll, daß die schweren Verletzungen des Kindes für einen Laien nicht erkennbar waren, wird in der Beschwerde nicht weiter substantiiert und entzieht sich damit einer sachbezogenen Erörterung. Die Rechtsmittelausführungen zur Urteilsannahme hinwieder, die Schuld der Zweitangeklagten bestehe unter anderem darin, daß sie dem Kind nicht die notwendige Nahrung reichte (Band III S 98), erledigt sich damit, daß dieses Verhalten nicht Gegenstand des Schuldspruchs ist, seine Erwähnung in den Gründen also offenbar nur illustrativen Charakter besitzt. Mit der weiteren Behauptung jedoch, das Erstgericht habe keine Feststellungen über das Zustandekommen der schweren Verletzung des Kindes getroffen, übergeht die Beschwerde in prozeßordnungswidriger Weise die bereits oben erwähnte Urteilsannahme, wonach die beiden Angeklagten als Mittäter (vgl. Band III S 72 und S 76) das Kind mit einem Teppichklopfer und mit einem Hosengürtel schlugen, sie Zigaretten auf der bloßen Haut des Körpers ausdrückten, es mehrfach gegen den Kopf schlugen und sie ihm büschelweise die Haare ausrissen.
Durch die Negierung der erwähnten Mittäterschaft - also des bewußten und gewollten Zusammenwirkens beider Angeklagten - verläßt auch die unter der Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO ausgeführte Rechtsrüge der Beschwerdeführerin, die darauf aufbaut, daß ihr Verschulden nach Meinung des Erstgerichtes (allein) darin gelegen sei, daß sie das Treiben des Erstangeklagten nicht unterband, den Boden der tatrichterlichen Konstatierungen; das gleiche gilt auch für das, was sie über ihre mangelnde Garantenstellung ins Treffen führt, weshalb ihr diesbezügliches Vorbringen (zudem) ins Leere geht. Wird ihr doch - um es nochmals zu wiederholen - keineswegs bloß passives Dulden des Verhaltens ihres Ehemannes, sondern im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit ihm gesetztes aktives Tun zur Last gelegt.
Nach dem Gesagten waren mithin die Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten teils als offenbar unbegründet nach § 285 d Abs. 1 Z 2 StPO, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt nach der Z 1 dieser Gesetzesstelle in Verbindung mit § 285 a Z 2 StPO schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen. Über die Berufungen der Staatsanwaltschaft (hinsichtlich Viktorija R***) und der beiden Angeklagten wird bei einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung abgesprochen werden. Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.
Anmerkung
E08658European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0090OS00075.86.0528.000Dokumentnummer
JJT_19860528_OGH0002_0090OS00075_8600000_000