Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die Beisitzer Dr. Martin Mayr und Dr. Walter Geppert als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl Heinz Ö***, Fliesenleger, Wien 16., Liebhartsgasse 11/1/14, vertreten durch Dr. Günther Neuhuber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Erich G***, Hafnermeister, Wien 20., Rauscherstraße 10, vertreten durch Dr. Manfred Ainedter, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 54.460,64 samt Anhang, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 30. September 1985, GZ 44 Cg 143/85-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 18. Februar 1985, GZ 2 Cr 113/84-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 308,85 Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrt mit der Behauptung, am 14. März 1984 ungerechtfertigt entlassen worden zu sein, vom Beklagten, seinem ehemaligen Arbeitgeber, die Zahlung eines der Höhe nach außer Streit stehenden Bruttobetrages von S 54.460,64 sA an Kündigungsentschädigung, Abfertigung und anteiliger Weihnachtsremuneration. Er habe wohl die Frückstückspause um eine halbe Stunde überzogen, doch habe dies der Beklagte seit Jahren toleriert, wenn die verlangte Arbeit geleistet worden sei. Der Kläger habe die ihm aufgetragenen Arbeiten immer termingerecht ausgeführt.
Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Der Kläger sei am 14. März 1984 statt um 7 Uhr 30 erst um 8 Uhr auf der Baustellte erschienen; er habe sich sofort wieder entfernt und sei bis 9 Uhr 45 nicht auf der Baustelle gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe ihn der Beklagte in einem Gasthaus angetroffen. Der Kläger sei bereits mehrmals wegen unentschuldigten Fernbleibens unter Androhung der Entlassung verwarnt worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:
Der Beklagte achtete grundsätzlich auf eine genaue Einhaltung der Arbeitspausen, tolerierte aber Überziehungen bis zu einigen Minuten. Im Jahr 1983 verließ der Kläger einmal bereits um 11 Uhr seine Baustelle und begab sich mit Arbeitskollegen in ein Gasthaus, das er erst um 14 Uhr 30 verließ, ohne die Baustelle wieder aufzusuchen. Er wurde am nächsten Tag vom Beklagten deshalb verwarnt und ihm die Entlassung angedroht.
Am 14. März 1984 erschien der Kläger zwischen 7 Uhr 45 und 8 Uhr auf der Baustelle. Nach etwa einer halben Stunde begab er sich in ein Gasthaus, wo er um 9 Uhr 45 vom Beklagten angetroffen und daraufhin entlassen wurde. Die Frühstückspause dauert von 9 Uhr bis 9 Uhr 15.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, unter Berücksichtigung der festgestellten Verwarnung rechtfertige das erhebliche Überziehen der Frühstückspause die Entlassung des Klägers. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Klagebegehren stattgab. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs. 1 Z 3 ArbGG neu durch und traf die gleichen Feststellungen wie das Erstgericht, jedoch mit folgenden Abweichungen:
Der Beklagte achtete nicht auf eine strenge Einhaltung der Mittags- und Frühstückspausen. Das Überziehen der Pausen wird bis zu etwa einer halben Stunde regelmäßig toleriert. Am 14. März 1984 kam der Kläger um 7 Uhr 30 auf die Baustelle. Gegen 9 Uhr begab er sich in ein Gasthaus, wo er bis 9 Uhr 45 blieb. Zu diesem Zeitpunkt traf der Beklagte den Kläger im Gasthaus an und sprach die Entlassung aus. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, der Beklagte hätte den Kläger, weil er das Überziehen der Arbeitspausen im allgemeinen toleriert habe, erst nach Ausspruch einer (neuerlichen) Verwarnung entlassen dürfen. Im übrigen sei das Überziehen der Frühstückspause um eine halbe Stunde keine erhebliche Zeit im Sinne des § 27 Z 4 AngG. Daß der Beklagte den Kläger während dieser Zeit zu einer Arbeit dringend gebraucht hätte, sei weder behauptet noch bewiesen worden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit einem auf die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils zielenden Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Einen Verfahrensmangel erblickt der Beklagte in der sowohl vor dem Erstgericht als auch vor dem Berufungsgericht unterlassenen richterlichen Anleitung, ein Vorbringen darüber zu erstatten, ob der Kläger am 14. März 1984 dringend an einer anderen Baustelle gebraucht worden wäre, so daß das Überziehen der Frühstückspause um eine halbe Stunde als ein erhebliches Arbeitszeitversäumnis zu qualifizieren sei.
Eine Verletzung der richterlichen Prozeßanleitungspflicht durch das Berufungsgericht - und nur darauf kommt es hier an, weil nach Auffassung des Beklagten beide Instanzen den gleichen Fehler begangen haben - liegt nicht vor. Da der Beklagte im Berufungsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten war, war das Berufungsgericht nicht verpflichtet, ihn zu einem ergänzenden Vorbringen über mögliche weitere Einwendungen anzuleiten (SZ 29/76, Arb 10.061 mwH, ua). Dazu kommt, daß der Beklagte in seiner Vernehmung als Partei keine Angaben machte, die auf eine derartige Dringlichkeit hingewiesen hätten, so daß auch aus diesem Grund keine Veranlassung für eine solche Prozeßanleitung bestand. In der Rechtsrüge wird die Auffassung vertreten, die Feststellung, der Beklagte achte grundsätzlich auf eine genaue Einhaltung der Arbeitspausen, rechtfertige nicht den Schluß, der Kläger habe damit rechnen können, daß der Beklagte das Überziehen der Frühstückspause um eine halbe Stunde dulden werde. Der Revisionswerber hat diese Feststellungen nur unvollständig wiedergegeben. Während das Erstgericht feststellte, der Beklagte achte grundsätzlich auf eine genaue Einhaltung der Arbeitspausen, toleriere aber das Überziehen bis zu einigen Minuten, stellte das Berufungsgericht fest, der Beklagte achte nicht auf eine strenge Einhaltung der Arbeitspausen und dulde regelmäßig das Überziehen von Pausen bis zu etwa einer halben Stunde. Diese für den Obersten Gerichtshof bindende Feststellung des Berufungsgerichtes rechtfertigte aber den Schluß, der Kläger habe damit rechnen können, der Beklagte werde auch am 14. März 1984 eine solche Überziehung tolerieren. Entgegen den Revisionsausführungen bestand auch kein Anlaß, Feststellungen darüber zu treffen, daß der Kläger zwischen dem Arbeitsbeginn um 7 Uhr 30 und 9 Uhr 45 keinerlei Arbeitsleistungen erbracht habe. Soweit er sich im Gasthaus aufgehalten hat, also zwischen 9 Uhr und 9 Uhr 45, konnte er keine Arbeitsleistungen erbringen, so daß sich eine derartige Feststellung erübrigte. Daß der Kläger aber zwischen dem Arbeitsbeginn und dem Verlassen der Baustellte dort gewesen sei, aber nicht gearbeitet habe, wurde weder behauptet noch als Entlassungsgrund geltend gemacht. Der Beklagte brachte bloß vor, der Kläger sei erst um 8 Uhr auf der Baustelle erschienen und habe sich sofort wieder von dort entfernt. Dieses Vorbringen hat sich nach den Feststellungen als unrichtig erwiesen; der Kläger ist bereits um 7 Uhr 30 zur Arbeit erschienen und hat die Baustelle erst um 9 Uhr verlassen. Als Entlassungsgrund wurde lediglich das Verlassen der Baustelle während der Arbeitszeit und das sodann erfolgende Überziehen der Frühstückspause geltend gemacht.
Geht man aber von den Feststellungen aus, liegt ein Entlassungsgrund im Sinne des ersten Tatbestandes des § 82 lit. f GewO nicht vor. Dieser Entlassungstatbestand setzt eine Arbeitszeitversäumnis während einer den Umständen nach erheblicher Zeitraum voraus. Hat der Arbeitgeber zu erkennen gegeben, daß er auf eine genaue Einhaltung der Arbeitszeit keinen besonderen Wert legt, weil ihm der Arbeitserfolg des Arbeitnehmers wichtiger ist, und duldet er daher Abweichungen von der Arbeitszeit, dann rechtfertigt eine solche Abweichung innerhalb des bisher geduldeten Ausmaßes nicht die Entlassung des betreffenden Arbeitnehmers. Wenn der Arbeitgeber von der bisher eingehaltenen Übung abgehen will, muß er die Arbeitnehmer vorher davon unterrichten (DRdA 1980, 148; Arb 8785, 9015, 9690).
Im vorliegenden Fall hat der Beklagte nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden (im übrigen auch durch die Parteiangaben des Beklagten gestützten) Feststellungen das Überziehen der Arbeitspausen bis zu etwa einer halben Stunde geduldet und auf die strenge Einhaltung der Arbeitspausen nicht geachtet. Er hat damit in ein solches an sich pflichtwidriges Verhalten seiner Arbeitnehmer eingewilligt, so daß die Entlassung des Klägers, der mit Recht darauf vertrauen durfte, daß der Beklagte auch in diesem Falle das Überziehen dulden werde, ungerechtfertigt ist. Die frühere Verwarnung vermag daran nichts zu ändern, weil sie eine 1/2 Stunde bei weitem übersteigende Überziehung betraf und daher die Annahme, der Beklagte werde auch in Hinkunft Überschreitungen der Pausen bis zu 1/2 Stunde dulden, erlaubte. AuF die Frage der Erheblichkeit der Arbeitszeitversäumnis ist sohin nicht mehr einzugehen. Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.
Anmerkung
E08159European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0140OB00092.86.0603.000Dokumentnummer
JJT_19860603_OGH0002_0140OB00092_8600000_000