Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 11.Juni 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gumpinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Alfred F*** wegen des Verbrechens der Notzucht nach § 201 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 20. März 1986, GZ 6 Vr 18/86-19, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der 23-jährige Alfred F*** der Verbrechen (1.) der Notzucht nach § 201 Abs. 1 StGB und (2.) des Zwanges zur Unzucht nach § 203 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 24.Dezember 1985 in Tumeltsham Brigitte H*** mit Gewalt gegen ihre Person, indem er sie am Hals packte und an den Haaren mehrmals riß, sowie durch die Äußerung "dir passiert noch was", sohin durch eine gegen sie gerichtete Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, widerstandsunfähig gemacht und in diesem Zustand (zu 1) zum außerehelichen Beischlaf sowie (zu 2) dadurch, daß er den Stiel eines Eisschabers in ihren Geschlechtsteil einführte, zur Unzucht mißbraucht.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Angeklagten gegen diesen Schuldspruch erhobenen, auf die Z 4, 5, 9 lit. a und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde kommt - im Ergebnis - Berechtigung zu. Auszugehen ist davon, daß auch bei einem einheitlichen geschlechtlichen Angriff Realkonkurrenz zwischen den beiden oben angeführten Tatbeständen möglich ist; allerdings kommt eine solche nur dann in Betracht, wenn die der Notzucht (bzw. Nötigung zum Beischlaf) vorangehenden, sie begleitenden oder nachfolgenden Unzuchtshandlungen und die Notzucht (Nötigung zum Beischlaf) jeweils auf gesonderten Willensentschlüssen des Täters beruhende selbständige Tathandlungen darstellen, die auf geschlechtlichen Mißbrauch des Opfers einerseits durch Beischlaf und andererseits auf sonstige Art gerichtet sind (Leukauf-Steininger Kommentar 2 § 201 RN 25 und die dort angeführte Judikatur).
Die vom Schöffengericht vorliegend getroffene (allerdings vollkommen unbegründet gebliebene) Konstatierung (vgl. S 182):
"Anschließend (nämlich nach dem "abwechselnd" durchgeführten Geschlechts- und Oralverkehr, bei welch letzterem es schließlich zum Samenerguß kam) nahm der Angeklagte den in seinem PKW befindlichen Eisschaber und führte dessen Stiel mehrmals ... in die Scheide ... ein", findet zwar (hinsichtlich der zeitlichen Abfolge dieser Unzuchtshandlung) in den Angaben der Brigitte H*** im Zuge ihrer ambulanten Behandlung im Krankenhaus Ried im Innkreis am 24. Dezember 1985 (vgl. S 33) und in ihrer Aussage vor dem Untersuchungsrichter (S 94), aber auch in der Verantwortung des Angeklagten (in der Hauptverhandlung - vgl. S 139) eine gewisse Stütze. Das Schöffengericht ließ jedoch insoweit - wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt - die davon abweichenden Angaben der genannten Zeugin vor der Polizei (S 21) und in der Hauptverhandlung (S 157) wie auch die (damit im Einklang stehende weitere) Verantwortung des Angeklagten (vgl. S 59, 72, 136, 139) vollkommen unerörtert, wonach es "zwischendurch" (vgl. hiezu auch die Anzeige S 15) nämlich während des abwechselnd durchgeführten Geschlechts- und Mundverkehrs, zum Einführen des Eisschabers gekommen sei.
Solcherart lassen die Urteilsgründe jedenfalls nicht erkennen, ob das Erstgericht - welches den Angeklagten abweichend von der Anklage in Ansehung des ihm gleichfalls als Zwang zur Unzucht angelasteten Mundverkehrs zwar nicht schuldig erkannte, jedoch im Urteil in keiner Weise zum Ausdruck brachte, von welchen Erwägungen es sich dabei leiten ließ - von derart willensmäßig getrennten gesonderten (eigenständigen) Entschlüssen des Angeklagten ausging; die eingangs bezeichnete Feststellung gestattet es aus den dargelegten Gründen aber auch nicht dies auszuschließen. Da der von der Beschwerde der Sache nach zu Recht aufgezeigte Begründungs- und Feststellungsmangel vom Obersten Gerichtshof nicht saniert werden kann, die Durchführung einer neuen Hauptverhandlung mithin unumgänglich ist und die beiden Schuldsprüche angesichts des einheitlichen Vorganges sowie des Fehlens von tragfähigen Konstatierungen zur subjektiven Tatseite nicht trennbar erschienen - zumal dem Urteil auch nicht entnommen werden kann, daß es der Angeklagte allenfalls schon von vornherein auf einen durch Erzwingung von Beischlaf und von (als aliud nachfolgenden) Unzuchtshandlungen differenzierten Mißbrauch seines Opfers abgesehen hatte, den er dann, dem differenzierten Vorhaben entsprechend, durch die jeweils vom speziellen Vorsatz getragenen, den Tatbildern der Notzucht und des Zwanges zur Unzucht entsprechenden, getrennten Handlungen verwirklichte - war der gesamte Schuldspruch schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zu kassieren (§ 285 e StPO), ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.
Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
Anmerkung
E08651European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0090OS00085.86.0611.000Dokumentnummer
JJT_19860611_OGH0002_0090OS00085_8600000_000