Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Juni 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kinzel als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hans-Peter R*** wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 4.März 1986, GZ 24 a Vr 2271/85-25, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, und des Verteidigers Dr. Zeh, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem - auch einen Teilfreispruch enthaltenden - angefochtenen Urteil wurde der am 2.November 1944 geborene Angeklagte Hans-Peter R*** (zu 1.) des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 (vierter Fall) StGB sowie der Vergehen (zu 2.) der Förderung gewerbsmäßiger Unzucht nach § 215 StGB, (zu 3.) der Zuhälterei nach § 216 Abs 2 StGB und (zu 4.) der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er 1. an einem unerhobenen Tag gegen Ende Oktober 1985 in Dornbirn die Friederike S*** durch die telefonisch übermittelten Erklärungen, daß sich ihre minderjährige Tochter bei ihm befinde, daß er dieses Kind zu seinen Eltern in die Steiermark bringen werde und es dann verschwunden sei, wenn sie nicht binnen zwei Stunden zu ihm zurückkomme, sohin durch gefährliche Drohung mit einer Entführung des Kindes zu der genannten Handlung zu nötigen versucht;
2. im Dezember 1982 in Lustenau die Friederike S*** dadurch der gewerbsmäßigen Unzucht zugeführt, daß er sie mit eindringlichen Hinweisen auf die angeblich sehr guten Verdienstmöglichkeiten und das angeblich angenehme Leben einer Prostituierten überredete, für ihn die Gewerbsunzucht auszuüben, ihr genaue Verhaltensanweisungen bezüglich der Anwerbung und des Umganges mit den "Freiern" gab und ihr für die angesonnene Tätigkeit Präservative zur Verfügung stellte;
3. in der Zeit zwischen Dezember 1982 und Ende des Jahres 1984 in Lustenau mit dem Vorsatz, sich aus der gewerbsmäßigen Unzucht der Friederike S*** eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, diese dadurch ausgebeutet, daß er ihr die gesamten Geldeinnahmen aus der Gewerbsunzucht abnahm und sie wiederholt durch Tätlichkeiten und Drohungen einschücherte;
4. an zwei verschiedenen Tagen im Herbst 1984 in Lustenau die Friederike S*** am Körper verletzt, nämlich a) einmal dadurch, daß er ihr mit einem Lederriemen heftige Schläge gegen den Rücken versetzte, die mehrere blutunterlaufene Striemen zur Folge hatten;
b) wenige Tage später dadurch, daß er ihr Faustschläge und Fußtritte versetzte und sie über eine Stiege stieß, wodurch sie Nasenbluten und zahlreiche Hämatome am ganzen Körper erlitt. Nur gegen den Schuldspruch wegen versuchter schwerer Nötigung (1.) richtet sich die der Sache nach auf die Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten mit dem zentralen Einwand, daß das von ihm in Aussicht gestellte Verhalten in Ansehung des (am 29.Februar 1984 geborenen) Kindes Brigitte S*** nicht als Entführung im Sinn des § 106 Abs 1 Z 1 vierter Fall StGB zu beurteilen sei, weil er dessen (außerehelicher) Vater ist. "Entführung" (als Tathandlung) ist das Verbringen des Opfers von einem Ort an einen anderen, wenn das Opfer dadurch dem überwiegenden Einfluß des Täters ausgeliefert wird und die Tat ohne rechtserhebliche Einwilligung des Berechtigten geschieht (EBRV 1971, 231; Leukauf-Steininger, Kommentar 2 , § 106 RN 2 d iVm § 100 RN 5).
Rechtliche Beurteilung
Mit seinem Einwand zielt der Beschwerdeführer ersichtlich darauf ab, daß sein angekündigtes Verhalten deshalb nicht diesem Entführungsbegriff entspreche, weil er als Vater des - zu einer rechtserheblichen Einwilligung selbst unfähigen - Kleinkindes in eigener Person berechtigt sei, eine Ortsveränderung desselben zu veranlassen.
Dabei übersieht der Beschwerdeführer allerdings, daß die Pflege und Erziehung eines unehelichen Kindes (zunächst) der Mutter allein zusteht (§ 170 ABGB) und daß ein Übergang dieser Rechte auf ihn mangels der in § 145 Abs 1 ABGB erwähnten Voraussetzungen nicht stattgefunden hat, wie vom Obersten Gerichtshof - weil dies nur die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten betrifft (vgl Mayerhofer-Rieder, StPO 2 , E 31 zu § 288) - aus den von ihm zu diesem Zweck beigeschafften Akten P 321/85 des Bezirksgerichtes Dornbirn über die Pflegschaftssache der mj. Brigitte S***
festgestellt werden konnte. Darüberhinaus unterliegt das Kind der Amtsvormundschaft der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn (§ 17 JWG), befindet sich auf einem Pflegeplatz und könnte selbst durch die außereheliche Kindesmutter Friederike S*** nur mit Zustimmung des Amtsvormundes von dort entfernt werden (US 14). Von einer Berechtigung des Angeklagten, den Aufenthalt seiner mj. unehelichen Tochter in rechtswirksamer Weise selbst zu bestimmen, kann demnach keine Rede sein.
Wenn der Beschwerdeführer gegen die Beurteilung seiner Ankündigung als "Entführungs"-Androhung weiters einwendet, daß er nur eine Verbringung des Kindes zu dessen Großeltern angekündigt habe, so geht er nicht - wie dies zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung einer Rechtsrüge erforderliche wäre - vom festgestellten Sachverhalt in seiner Gesamtheit aus. Denn entscheidend ist, daß der Angeklagte der Kindesmutter dabei zugleich in Aussicht gestellt hat, daß das Kind dann verschwunden sei und sie es nie mehr sehen werde (US 10). Gerade damit ist aber die Überlieferung des Entführungsopfers an den bestimmenden Einfluß des Täters oder eines Dritten (neben der unberechtigten Ortsveränderung) als weiteres Definitionselement des Entführungsbegriffes (vgl Kienapfel BT I 2 § 100 RN 6) eindeutig konstatiert.
Im übrigen sei zur Klarstellung vermerkt, daß gegen die Erfüllung des Grundtatbestandes nach § 105 Abs 1 (§ 74 Z 5) StGB keine Bedenken bestehen; denn soweit nicht in der Androhung einer Entführung ohnedies eine Drohung mit einer Verletzung an der Freiheit (im Sinn einer Freiheitsentziehung nach § 99 StGB - vgl Leukauf-Steininger, Kommentar 2 , § 74 RN 19) enthalten ist, werden durch die Qualifkationsnorm des § 106 Abs 1 Z 1 (wie auch durch jene der §§ 107 Abs 2 und 145 Abs 1 Z 1) StGB die Begehungsweisen einer gefährlichen Drohung um die Drohung "mit einer Entführung" punktuell erweitert. In diesem Fall ist (unter der Voraussetzung einer dem § 74 Z 5 StGB entsprechenden Eignung) die Drohung "mit einer Entführung" auch dann als gefährliche Drohung anzusehen, wenn sonst mangels einer natürlichen Fähigkeit der von der Entführung bedrohten Person zu einer willkürlichen Ortsveränderung von einer Verletzung derselben an der Freiheit (=Freiheitsentziehung) nicht gesprochen werden könnte (vgl Leukauf-Steininger, Kommentar 2 , § 99 RN 2; Mayerhofer-Rieder, StGB 2 , § 99 Anm 4; aM Kienapfel BT I 2 § 99 RN 4). Demnach kann die Frage dahingestellt bleiben, ob die zur Tatzeit 20 Monate alte Brigitte S*** überhaupt selbst schon als Objekt einer (angedrohten) Freiheitsentziehung in Betracht kam, weil nach dem Vorgesagten die objektive Tatseite des in Frage stehenden Tatbildes jedenfalls dadurch erfüllt ist, daß der Friederike S*** als unmittelbarer Adressatin der Drohung mit der Entführung ihres Kleinkindes, somit eines Angehörigen (§ 74 Z 5 letzter Halbsatz iVm § 72 Abs 1 StGB) gedroht worden ist.
Als verfehlt erweist sich schließlich der Beschwerdevorwurf eines Feststellungsmangels zur inneren Tatseite. Nach den (mit den Aussagen der Zeuginnen Friederike S***, Maria S*** und Monika K*** übrigens mängelfrei begründeten) Konstatierungen des Schöffengerichtes ist der Vorsatz des Angeklagten darauf gerichtet gewesen, bei Friederike S*** die Befürchtung einer Entführung ihres Kindes hervorzurufen, sie bezüglich dessen Schicksals in einen Angstzustand zu versetzen und auf diese Weise ihren Willen zu beugen (US 10, 11). Wenn der Beschwerdeführer demgegenüber behauptet, das Urteil enthalte keine Aussage darüber, ob er überhaupt beabsichtigt habe oder ihm zumindest bewußt gewesen sei, mit einer Entführung zu drohen, geht er nicht vom Urteilssachverhalt aus und bringt damit abermals eine materiellrechtliche Mangelhaftigkeit des Urteils nicht zur gesetzmäßigen Darstellung.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach §§ 28 Abs 1, 106 Abs 1 StGB eineinhalb Jahre Freiheitsstrafe, wobei es die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen, den raschen Rückfall, die Arbeitsscheu des Angeklagten als Tatmotivation, das Zusammentreffen und die teilweise Wiederholung von Delikten, den langen Zeitraum der Ausbeutung und die besondere Verwerflichkeit der Tat als erschwerend; als mildernd hingegen ein Teilgeständnis und den Umstand wertete, daß das Verbrechen der Nötigung beim Versuch geblieben ist.
Gegen diesen Strafausspruch richtet sich die auf eine Strafherabsetzung abzielende Berufung des Angeklagten, der jedoch keine Berechtigung zukommt.
Der Berufungswerber vermag selbst keine zusätzlichen Umstände aufzuzeigen, die seine Schuld in einem milderen Licht erscheinen ließen. Zwar begründen die vom Erstgericht als erschwerend angeführte Arbeitsscheu als Tatmotivation und die besondere Verwerflichkeit der Tat nicht zwei gesondert ins Gewicht fallende Erschwerungsgründe, sondern bilden zusammen nur den (einen) Erschwerungsgrund der Handlungsweise aus besonders verwerflichen Beweggründen (§ 34 Z 5 StGB), die insbesondere darin gelegen sind, daß der Angeklagte um einer Fortsetzung seiner asozialen Lebensführung willen die aus dem Prostituiertenmilieu hinausstrebende Friederike S*** durch die Drohung mit der Entführung ihres Kleinkindes wieder als Ausbeutungsobjekt zurückgewinnen wollte (US 10); im übrigen jedoch wurden die Strafbemessungsgründe vom Schöffengericht richtig und vollständig aufgezählt und auch ihrem Gewicht nach - insbesondere mit Rücksicht auf die zusammentreffenden Strafdrohungen - keinesfalls überbewertet. Es bestand demnach kein Anlaß, der vom Berufungswerber begehrten Herabsetzung der Freiheitsstrafe näherzutreten.
Anmerkung
E08667European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0100OS00057.86.0617.000Dokumentnummer
JJT_19860617_OGH0002_0100OS00057_8600000_000