Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Monika C***, Angestellte, Wien 19., Klabundgasse 6/5, vertreten durch Dr. Gertrud Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Horst C***, Angestellter, Klosterneuburg, In der Gugl 9, vertreten durch Dr. Adolf Kriegler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge von Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 30. Dezember 1985, GZ. 16 R 223/85-49, womit infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 4. Juni 1985, GZ. 4 Cg 47/82-45, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile haben am 3.9.1966 vor dem Standesamt Klosterneuburg die Ehe geschlossen. Ihr entstammen der am 30.1.1967 geborene Oliver und der am 20.10.1969 geborene Sascha. Die Klägerin und Widerbeklagte (im folgenden Klägerin) begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten und Widerklägers (im folgenden Beklagten). Sie warf ihm Lieblosigkeit, mangelnde Unterstützung, Erzwingung körperlicher Kontakte, Mißhandlungen und Bedrohung am Leben vor. Infolge der zahlreichen und heftigen Auseinandersetzungen sei die Ehe unheilbar zerrüttet. Der Beklagte widersprach zunächst dem Scheidungsbegehren, stellte in der Folge einen Mitschuldantrag im Sinne überwiegenden Verschuldens der Klägerin und erhob schließlich Widerklage auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Klägerin. Diese habe mit Erich P*** laufend die Ehe gebrochen. Im übrigen habe sie ihn böswillig verlassen, sei zu ihm lieblos gewesen und habe immer wieder Streitigkeiten vom Zaun gebrochen, in deren Verlauf es auch zu Körperverletzungen gekommen sei.
Die Klägerin wendete dagegen ein, sie habe die häusliche Gemeinschaft aufgeben müssen, weil sie der Beklagte mißhandelt und bedroht sowie ihr angekündigt habe, er werde das Haus in Brand stecken. Zu den ehewidrigen Beziehungen zu Erich P*** sei es erst gekommen, als sie der Beklagte bedroht und vernachlässigt habe. Dieser habe im übrigen davon gewußt und die Beziehung hingenommen. Schon vor Aufnahme dieser Beziehung hätten sich die Streitteile scheiden lassen wollen.
Das Erstgericht schied die Ehe und sprach aus, daß die Klägerin das überwiegende Verschulden treffe. Es stellte fest, das Verhältnis zwischen den Streitteilen sei seit mehr als sechs Jahren gespannt, weil sich der Beklagte um die Klägerin, die Kinder und den gemeinsamen Haushalt nur wenig gekümmert habe. Die Klägerin habe den Haushalt neben ihrem Beruf allein versorgt; eine Bedienerin habe sie dabei fallweise ein bis zwei Stunden unterstützt. Sie habe dem Beklagten nie etwas recht machen können; er sei mit ihr auch kaum ausgegangen. Es sei aber vorgekommen, daß der Beklagte abends mit dem Bemerken, er wolle Zigaretten kaufen, weggegangen und erst am Morgen gegen 6 Uhr zurückgekehrt sei. In Gesellschaft habe er der Klägerin zumeist die Beteiligung an der Unterhaltung mit der Bemerkung, sie solle den Mund halten, verboten. Des öfteren sei es auch zu Alkoholexzessen des Beklagten gekommen; dann sei sie von anderen Leuten ersucht worden, ihren betrunkenen Ehegatten abzuholen. Zu Weihnachten sei er wiederholt derart alkoholisiert gewesen, daß er nicht einmal sitzen habe können. Um die Belange der Kinder in der Schule habe sich die Klägerin allein kümmern müssen. Allerdings habe der Beklagte den Urlaub regelmäßig mit den Kindern verbracht, sie auch des öfteren zur Schule gebracht und für den Unterhalt der Familie nach Kräften gesorgt, doch habe er die Klägerin bei Entscheidungen für den Haushalt allein gelassen und sie auch nur selten beraten. 1980 sei die Klägerin mit Erich P***, den sie schon seit 20 Jahren gekannt habe, eine ehewidrige Beziehung eingegangen; hiedurch seien die schon bestehenden latenten Spannungen zu einer echten Konfliktsituation angewachsen. Der Beklagte sei mit dem Verhältnis seiner Ehegattin nicht einverstanden gewesen und habe Erich P*** fernmündlich klargestellt, er wolle sich von der Beklagten nicht trennen und werde die ehewidrige Beziehung auch nicht akzeptieren. Dennoch habe die Klägerin die ehewidrigen Beziehungen zu Erich P*** fortgesetzt, was zu immer stärkeren Spannungen und immer häufiger auftretenden Streitigkeiten und seit 1982 auch zu tätlichen Auseinandersetzungen geführt habe. So habe der Beklagte der Klägerin zwei Ohrfeigen versetzt, als er den Wagen seiner Ehegattin vor dem Wohnhaus Erich P*** entdeckt und ihm die Klägerin auf seine Frage, was sie dort gemacht habe, entgegnet habe, das gehe ihn nichts an. Der Beklagte habe die Klägerin auch in Gegenwart dritter Personen als "Hure" beschimpft und im Beisein der Kinder in ordinärer Weise auf ihr außereheliches Verhältnis angespielt; außerdem habe er mit Drohungen reagiert, wenn Klagen bzw. im Zuge der zwischen ihnen anhängigen Verfahren Ladungen zugestellt wurden. Die Klägerin habe die eheliche Wohnung seit der Aufnahme der ehewidrigen Beziehungen zu Erich P*** manchmal für einige Tage verlassen; im April 1983 sei sie aus Angst vor dem Beklagten endgültig ausgezogen, weil ihr der Beklagte nicht nur mit dem Umbringen gedroht, sondern im Streit auch das gesamte Geschirr zerschlagen habe. Als die Klägerin deshalb weggelaufen sei, sei ihr der Beklagte nachgeeilt und habe sie aufgefordert, sie solle nur gehen und die Kinder mitnehmen. Die Klägerin sei zunächst zu ihrer Mutter und im Spätsommer 1983 nach Brunn am Gebirge gezogen, wo sie mit Erich P*** die Lebensgemeinschaft aufgenommen habe. Oliver lebe auf seinen Wunsch bei ihr, Sascha dagegen beim Vater.
Das Erstgericht war der Ansicht, die Klägerin habe durch ihren Ehebruch den absoluten Scheidungsgrund des § 47 EheG gesetzt, dem die wesentlich geringer wiegenden Eheverfehlungen des Beklagten gegenüberstünden. Der Beklagte habe dem Ehebruch weder zugestimmt noch ihn ermöglicht oder erleichtert. Der Ehebruch sei keine angemessene Reaktion auf das Verhalten des Beklagten. Die Verhaltensweisen des Beklagten nach Bekanntwerden der ehewidrigen Beziehungen seien Reaktionshandlungen im Rahmen des Zulässigen. Das Berufungsgericht sprach aus, daß das Verschulden die Ehegatten zu gleichen Teilen treffe. Es führte aus, bei der Verschuldensabwägung sei auf das Gesamtverhalten der Streitteile und vor allem darauf Bedacht zu nehmen, wer mit der Zerrüttung begonnen habe. Der Ausspruch überwiegenden Verschuldens setze voraus, daß das Verschulden des anderen Ehegatten fast völlig in den Hintergrund trete. Der Beklagte habe mit der schuldhaften Zerrüttung den Anfang gemacht. Sein mangelndes Interesse, seine Verstöße gegen die Pflicht zur anständigen Begegnung und seine wiederholten Alkoholexzesse seien schwere Eheverfehlungen, ohne daß für diese Zeit ein ehewidriges Verhalten der Klägerin festgestellt werden könne. Aber auch das Verhalten des Beklagten nach der Aufnahme ehewidriger Beziehungen der Klägerin zu Erich P*** könne nicht
entschuldigt werden; das gelte vor allem für die körperlichen Mißhandlungen. Die Klägerin habe dagegen die ehewidrigen Beziehungen zu einem Zeitpunkt aufgenommen, in dem die Ehe noch nicht unheilbar zerrüttet gewesen sei. Wäge man das beiderseitige Gesamtverhalten gegeneinander ab, könne nicht gesagt werden, daß der graduelle Unterschied der Verschuldensanteile augenscheinlich hervortrete.
Rechtliche Beurteilung
Beide gegen den Verschuldensausspruch des Berufungsgerichtes erhobenen Revisionen sind nicht berechtigt.
Da die Streitteile jeweils den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des anderen Ehegatten anstreben, können die Rechtsmittel gemeinsam erledigt werden. Bei der Verschuldensabwägung sind die beiderseitigen schweren Eheverfehlungen in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (EFSlg.46.231 ff). Vor allem ist darauf Bedacht zu nehmen, welcher Ehegatte die Zerrüttung der Ehe schuldhaft einleitete und wie weit spätere Eheverfehlungen des einen Ehegatten Folge der bereits durch das Verschulden des anderen Gatten heraufbeschworenen Zerrüttung der Ehe waren (EFSlg.46.234 ff). Es trifft zwar zu, daß der Ehebruch als schwerste Eheverfehlung gegen die eheliche Treuepflicht besonders schwer wiegt, dennoch kann er durch schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG ausgeglichen oder sogar übertroffen werden; maßgeblich ist dabei, ob er vor der vollständigen Zerrüttung der Ehe oder erst nachher begangen wurde (EFSlg.41.285). Das Erstgericht hat festgestellt, daß die Klägerin die ehebrecherischen Beziehungen zu Erich P*** zu einem Zeitpunkt aufnahm, zu dem die Ehe durch latente Spannungen belastet war; erst durch diese Beziehung wurden diese Spannungen zu einer echten Konfliktsituation gesteigert. Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß die Ehe demnach bei Aufnahme der ehewidrigen Beziehungen durch die Klägerin noch nicht unheilbar zerrüttet war. Es kann daher - entgegen der Auffassung der Klägerin in ihrer Revision - keine Rede davon sein, daß ihre fortgesetzte ehebrecherische Verbindung mit Erich P*** gegenüber den Eheverfehlungen des Beklagten völlig in den Hintergrund trete; das aber wäre Voraussetzung für den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Beklagten (EFSlg.46.242 u.v.a.).
Dagegen hat der Beklagte durch sein Verhalten vor der Aufnahme ehewidriger Beziehungen durch die Klägerin die Zerrüttung der Ehe dadurch eingeleitet, daß er schon jahrelang kein Interesse an ihr bekundete, ihr bei der Führung des Haushalts und der Betreuung der Kinder - obgleich auch sie berufstätig war - kaum Unterstützung angedeihen ließ, sie über seine Absicht täuschte, wenn er ausgehen wollte, Alkoholexzesse lieferte, durch die auch die Klägerin gedemütigt wurde, und ihr die Beteiligung an der Unterhaltung in rüder Weise verbot. Aber auch sein Verhalten nach der Aufnahme der Beziehungen der Klägerin zu Erich P*** kann - wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt - keineswegs als bloße Reaktionshandlung im Sinn des § 49 zweiter Satz EheG beurteilt werden. Das gilt vor allem für die wiederholten Mißhandlungen und Bedrohungen, die selbst unter den gegebenen Verhältnissen eine schwere Eheverfehlung begründen (vgl. EFSlg.46.170) und auch nicht entschuldbar waren, nachdem der Beklagte in Erfahrung gebracht hatte, daß ihn die Klägerin betrüge.
Stellt man die beiderseitigen Eheverfehlungen einander in ihrer Gesamtheit gegenüber, so hat wohl der Beklagte die Zerrüttung durch sein Verhalten eingeleitet und auch hiezu einen maßgeblichen Beitrag geleistet; die fortgesetzte ehebrecherische Beziehung der Klägerin zu Erich P*** stellt demgegenüber aber schon an sich eine derart schwere Eheverfehlung dar, daß sie gegenüber dem Zerrüttungsverhalten des Beklagten keineswegs in den Hintergrund tritt. Das Berufungsgericht hat zu Recht erkannt, daß der Verschuldensanteil keines der beiden Ehegatten erheblich schwerer wiegt (§ 60 EheG), weshalb ihren Revisionen ein Erfolg versagt bleiben muß.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs.1 und 50 ZPO.
Anmerkung
E08352European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0010OB00583.86.0625.000Dokumentnummer
JJT_19860625_OGH0002_0010OB00583_8600000_000