Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Juni 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger, Dr.Horak, Dr.Lachner und Dr.Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Gumpinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr.Friedrich Wilhelm K*** wegen Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 10 Vr 949/82 des Kreisgerichtes Korneuburg, über die Anträge des Angeklagten vom 20.Juni 1986 auf Vorführung zum Gerichtstag über seine Nichtigkeitsbeschwerde und auf Bewilligung der Einsichtnahme in den Rechtsmittelakt des Obersten Gerichtshofes zum AZ 9 Os 76/85 sowie auf Zustellung der Stellungnahme der Generalprokuratur zu seiner Nichtigkeitsbeschwerde an ihn in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Den Anträgen wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
In der oben bezeichneten Strafsache ist der Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof zur Verhandlung und Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten sowie seiner Mutter und seiner Ehefrau, die Berufung der Staatsanwaltschaft und die Berufung des Privatbeteiligten Dr.Robert P*** gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Korneuburg vom 18.Dezember 1984, GZ 10 Vr 949/82-570, für den 2.Juli 1986 anberaumt worden. Der in Untersuchungshaft (§ 438 StPO) befindliche Angeklagte wurde vom Gerichtstag über die Nichtigkeitsbeschwerden mit dem Beisatz in Kenntnis gesetzt, daß er nur durch einen Verteidiger erscheinen könne (§§ 286 Abs. 2, 344 StPO); seine Vorführung zum Gerichtstag über die Berufungen wurde mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 296 Abs. 3 StPO nicht verfügt (§§ 296 Abs. 3, 344 StPO), zumal insbesondere der Angeklagte von dem ihm gemäß § 296 Abs. 3 StPO (in der Fassung des StrafverfahrensänderungsG 1983, BGBl. 1983/168) eingeräumten Recht, in einer von ihm ergriffenen Berufung oder in der von ihm erstatteten Gegenausführung zur Berufung der Staatsanwaltschaft seine Vorführung zu begehren, nicht Gebrauch gemacht hat.
Rechtliche Beurteilung
Nunmehr begehrt der Angeklagte, ihn zum Gerichtstag über seine Nichtigkeitsbeschwerde vorzuführen; diesem Begehren kann kein Erfolg beschieden sein. Denn § 286 Abs. 2 StPO ordnet ausdrücklich an, daß der verhaftete Angeklagte beim Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über eine Nichtigkeitsbeschwerde nur durch einen Verteidiger erscheinen kann, woraus folgt, daß er einem derartigen Gerichtstag nicht beiwohnen darf, sondern sich nur durch einen Verteidiger vertreten lassen kann (vgl. RZ 1968, 91 = JBl. 1968, 321; RZ 1969, 205 = EvBl. 1970/107; EvBl. 1986/17 = JBl. 1985, 505; 9 Os 188/80; 10 Os 15/78 u.a.m.).
Ein Recht des verhafteten Angeklagten, dem Gerichtstag über eine Nichtigkeitsbeschwerde beizuwohnen, kann - entgegen der Meinung des Antragstellers - auch nicht aus Art. 6 Abs. 1 MRK abgeleitet werden. Denn im Verfahren über ein derartiges Rechtsmittel steht nicht die Schuld und Verantwortlichkeit des Angeklagten zur Entscheidung, sondern nur die Gesetzmäßigkeit des erstinstanzlichen Erkenntnisses auf der Grundlage der in der schriftlichen Rechtsmittelausführung geltend gemachten Beschwerdepunkte, wofür aber - anders als etwa bei der Entscheidung über die Straffrage - der persönliche Eindruck des Angeklagten in keiner Weise von Bedeutung sein kann. Dem Gebot eines fairen Verfahrens ist mithin bei der Verhandlung und Entscheidung über eine Nichtigkeitsbeschwerde jedenfalls dadurch entsprochen, daß der Angeklagte (durch seinen Verteidiger) seine (in der schriftlichen Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde bereits erhobenen) Einwände im Gerichtstag mündlich vorbringen kann (vgl. Klecatsky-Morscher, Bundesverfassungsrecht, E 91, 92 zu Art. 6 MRK). Im Hinblick darauf, daß bei der Entscheidung über eine Nichtigkeitsbeschwerde eine Überprüfung der Schuldfrage durch den Obersten Gerichtshof nicht zulässig ist, versagt aber auch der Einwand des Antragstellers, die Vorschrift des § 286 Abs. 2 StPO bewirke eine sachlich nicht berechtigte Differenzierung zwischen verhafteten und nicht verhafteten Angeklagten. Der Ausschluß des verhafteten Angeklagten von der (bloßen) persönlichen Anwesenheit im Gerichtstag über eine Nichtigkeitsbeschwerde - in dem er, so wie auch der nicht verhaftete Angeklagte, bloß gegenwärtig sein, aber keine beschwerdebezogenen Erklärungen abgeben dürfte - findet seine sachliche Berechtigung zudem darin, daß das mit jeder Vorführung eines Verhafteten verbundene erhöhte Sicherheitsrisiko und der dadu ch bedingte größere Kostenaufwand schwerer wiegen als das Interesse des Angeklagten, im Gerichtstag anwesend zu sein. Gegen die Vorschrift des § 286 Abs. 2 StPO bestehen demnach - entgegen dem Vorbringen des Antragstellers - keine verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Art. 7 Abs. 1 B-VG. Was den Hinweis des Antragstellers auf § 296 Abs. 3 StPO betrifft, so kann daraus für seinen Standpunkt nichts gewonnen werden. Denn das Verfahren über eine (Straf-) Berufung unterscheidet sich wesentlich vom Verfahren über eine Nichtigkeitsbeschwerde, weshalb der Gesetzgeber auch im StrafverfahrensänderungsG zwar § 296 Abs. 3 StPO entsprechend geändert, § 286 Abs. 2 StPO hingegen unverändert gelassen hat. Für den Gerichtstag über die Berufungen wäre es - wie bereits an anderer Stelle erwähnt - dem Antragsteller freigestanden, rechtzeitig seine Vorführung zu beantragen, wovon er jedoch keinen Gebrauch gemacht hat.
Aus dem Wesen des Verfahrens über eine Nichtigkeitsbeschwerde folgt aber auch, daß der Angeklagte sein Begehren auf Vorführung zum Gerichtstag über dieses Rechtsmittel nicht auf Art 6 Abs. 3 lit. c MRK stützen kann, eben weil sich dieses Verfahren nur auf die Überprüfung der Gesetzmäßigkeit des bekämpften Ersturteiles auf der Grundlage der schriftlichen Rechtsmittelausführungen - in deren Rahmen der Angeklagte ohnedies alle seine diesbezüglichen Einwände vortragen konnte - beschränkt.
Dem Begehren des Angeklagten, ihm selbst eine Ausfertigung der von der Generalprokuratur erstatteten schriftlichen Stellungnahme zu den Nichtigkeitsbeschwerden zuzustellen, ist zu erwidern, daß dem vom Antragsteller diesbezüglich hervorgekehrten Grundsatz der Waffengleichheit dadurch entsprochen worden ist, daß diese Stellungnahme seinem Verteidiger zugemittelt worden ist; ein Anspruch des Angeklagten auf Zustellung dieser Stellungnahme auch zu seinen Handen kann dem Art. 6 MRK nicht entnommen werdet. Wenn der Angeklagte - allein daraus, daß die Verständigung vom Gerichtstag die ON 20 trägt - vermutet, die Generalprokuratur müsse außer der (dem Verteidiger zugestellten) Stellungnahme noch weitere Äußerungen abgegeben haben, weshalb er die Einsichtnahme in den Os-Akt begehrt, so genügt es, ihn darauf zu verweisen, daß von der Generalprokuratur lediglich eine einzige, nämlich die eingangs angeführte Stellungnahme (ON 4 des Os-Aktes) abgegeben worden ist. Daß der Os-Akt darnach mehrere Ordnungsnummern enthält, erklärt sich ausschließlich damit, daß Ausfertigungen beigeschaffter Erkenntnisse des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes sowie verschiedene Ersuchschreiben um Aktenübersendungen und Eingaben einjournalisiert worden sind. Jene Aktenstücke hingegen, welche die Willensbildung des Senates betreffen, sind weder dem Angeklagten noch auch - was der Antragsteller verkennt - der Generalprokuratur zugänglich, was insbesondere auch für Erledigungsentwürfe gilt (wie sich aus der zu SSt. 50/58 angebrachten Anmerkung in der Amtlichen Entscheidungssammlung und der dort zitierten hg. Präsidialverordnung eindeutig ergibt). Von einem Informationsvorsprung der Generalprokuratur kann somit keine Rede sein.
Wenn der Antragsteller schließlich vorbringt, die Generalprokuratur habe seit der Überreichung ihrer Stellungnahme zu den Nichtigkeitsbeschwerden Gelegenheit gehabt, auf die Willensbildung des Obersten Gerichtshofes einzuwirken, während dem Angeklagten keine gleichwertige Gelegenheit zur Verfügung gestanden sei, so genügt es, dem Angeklagten zu erwidern, daß seine Rechtsmittelausführungen dem Senat seit dem Einlangen der Strafakten beim Obersten Gerichtshof bekannt sind, sodaß seine Argumente weit länger auf den Senat "einwirken" konnten als jene der Generalprokuratur.
Die vom Antragsteller vorgebrachten Gründe rechtfertigen es mithin nicht, ihm noch vor dem Gerichtstag Einsicht in jene Aktenstücke des Os-Aktes zu gewähren, welche nicht die Willensbildung des erkennenden Senates betreffen, weshalb auch diesem Begehren nicht stattzugeben war.
Über die Anträge des Angeklagten war somit spruchgemäß zu erkennen.
Anmerkung
E09253European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0090OS00076.85.0625.000Dokumentnummer
JJT_19860625_OGH0002_0090OS00076_8500000_000