Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 3.Juli 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Krenn als Schriftführer in der Strafsache gegen Dieter T*** und andere wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 1, 129 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung der Josefa H*** als gesetzliche Vertreterin des Angeklagten Kurt H*** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 19.Dezember 1985, GZ 4 Vr 3785/85-46, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek und des Verteidigers Dr. Stanek-Noverka, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Kurt H*** und dessen gesetzliche Vertreterin Josefa H***, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des Angeklagten Kurt H*** wegen Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 StGB (Punkt II des Urteilssatzes) sowie demgemäß auch in dem diesen Angeklagten betreffenden Ausspruch über die Erteilung einer Ermahnung (§ 12 Abs. 2 JGG) aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Kurt H*** wird von der Anklage, er habe in Graz in Gesellschaft des Dietmar T***, Wolfgang H***, Gerhard und Wolfgang T*** in der Zeit zwischen Ende 1984 und Juli 1985 in wechselnder Besetzung und in mehreren Angriffen bislang unbekannten Verfügungsberechtigten, indem sie mittels des in einem Versteck vorgefundenen, sohin widerrechtlich erlangten Schlüssels in die Bauhütte bei der Baustelle Lindengasse eindrangen, Leergut an Bierflaschen und Bierkisten im unbekannten Wert und volle Bierflaschen in unbekanntem Wert weggenommen, er habe hiedurch das Verbrechen des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1 und 2 Z 1, 129 Z 1 StGB begangen,
gemäß § 259 Z 4 StPO freigesprochen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch Schuldsprüche anderer Angeklagten enthaltenden Urteil wurde der am 7.Juni 1970 geborene Lehrling Kurt H*** des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB schuldig erkannt.
Nach den wesentlichen Urteilsannahmen stand der unbescholtene Kurt H*** im März oder April 1985 in Graz mit Diebstahlsvorsatz "als Aufpasser in entsprechend relevanter Entfernung vom Tatort", während die Jugendlichen Dietmar T***, Gerald T*** und Wolfgang H*** aus einer Bauhütte Kisten mit leeren Bierflaschen wegnahmen. Der vom Angeklagten H*** mit "etwa 75 S" und vom Angeklagten T*** mit "etwa 70 S" angegebene Wert der Diebsbeute (S 43 und 47) wurde nicht genau festgestellt, wird im Rahmen von Strafbemessungserwägungen jedoch als relativ gering bezeichnet (S 234).
Der gesetzliche Vertreter des Angeklagten Kurt H*** bekämpft dessen Schuldspruch mit einer auf die Z 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in welcher zutreffend das Vorliegen des Strafausschließungsgrundes nach § 42 Abs. 1 StGB reklamiert wird.
Rechtliche Beurteilung
Mangelnde Strafwürdigkeit einer (mit nicht mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe oder mit einer solchen Freiheitsstrafe und Geldstrafe bedrohten) Tat liegt vor, wenn die Schuld des Täters gering ist, die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.
Diese Voraussetzungen sind im gegenständlichen Fall erfüllt:
In Würdigung der Umstände, daß der Angeklagte bei Begehung der Tat erst im 15. Lebensjahr stand, seine überwiegend passive Beteiligung in untergeordneter Weise erfolgte und von der kriminellen Aktivität der auch in anderer Hinsicht straffällig gewordenen weiteren Täter beeinflußt war, ist der Schuldgehalt, die Sozialschädlichkeit und der Störwert der Tat sowohl absolut als auch im Vergleich mit den typischen Fällen des Delikts gering und kann demgemäß eine geringe Täterschuld angenommen werden (Leukauf-Steininger, Komm. 2 § 42 RN 9; Pallin WK, § 42, RN 1 und 9).
Ferner zog die Tat nur unbedeutende Folgen nach sich, welche auf die Herbeiführung eines geringen Vermögensschadens (S 70 bis S 75) zum Nachteil unbekannt gebliebener Bauarbeiter beschränkt waren. Schließlich erweist sich auch bei Berücksichtigung der präventiven Belange eine Bestrafung oder ein an ihre Stelle tretender Ausspruch (§ 46 Abs. 1 JGG) als nicht erforderlich. Die Entbehrlichkeit der Einwirkung auf die Persönlichkeit des Angeklagten im Wege einer solchen gerichtlichen Reaktion ergibt sich nicht nur aus dem hier im Vordergrund stehenden geringen Grad der Schuld, sondern zudem auch aus den in der Hauptverhandlung verlesenen behördlichen Berichten (ON 34 und 43), wonach der bisher nicht nachteilig in Erscheinung getretene Kurt H*** in geordneten Verhältnissen lebt und die auf Verleitung durch andere Personen zurückzuführende Tat zutiefst bedauert. Bei der gebotenen fallbezogenen Betrachtung unter Bedachtnahme auf die erfolgte Bestrafung von Hauptbeteiligten kann auch ausgeschlossen werden, daß die Straflosigkeit dieser in der Rolle eines Mitläufers gesetzten Verfehlung des im ersten Jahr der Strafunmündigkeit gestandenen Jugendlichen negative Auswirkungen auf die allgemeine Normtreue und die abhaltende Kraft der Strafdrohung gegen Diebstahl haben wird. Im Hinblick auf das kumulative Vorliegen der Bedingungen des § 42 Abs. 1 StGB war der Nichtigkeitsbeschwerde des gesetzlichen Vertreters des Angeklagten Kurt H*** Folge zu geben und das angefochtene Urteil im Schuldspruch des Angeklagten Kurt H*** sowie demgemäß auch in dem diesen Angeklagten betreffenden Ausspruch über die Erteilung einer Ermahnung (§ 12 Abs. 2 JGG) aufzuheben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO durch Fällung eines Freispruches nach § 259 Z 4 StPO in der Sache selbst zu erkennen. Nicht näher einzugehen war auf die Frage, ob nach den Feststellungen des Erstgerichts tatsächlich ein Einverständnis des Angeklagten mit den anderen Diebsgenossen über die Verübung des Diebstahls anzunehmen ist; jedenfalls besteht in dieser Richtung eine begründete Verdachtslage in tatsächlicher und in rechtlicher Beziehung (SSt. 49/20).
Anmerkung
E09730European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0120OS00085.86.0703.000Dokumentnummer
JJT_19860703_OGH0002_0120OS00085_8600000_000