Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl, Dr.Schobel, Dr.Klinger und Dr.Schlosser als Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Sabine S***, geboren am 8.Februar 1982, und Eva-Maria S***, geboren am 23.Juni 1983, beide im Haushalt ihrer Mutter Gabriele S***, im Haushalt, Wien 11., Muhrhofenweg 7-11/1/1/7, beide Kinder vertreten durch das Bezirksjugendamt für den 11. Bezirk als den besonderen Sachwalter gemäß § 22 JWG, wegen Festsetzung der vom Vater Friedrich S***, kaufmännischer Angestellter, Wien 11., Hasenleitengasse 14/2/8, gesetzlich geschuldeten Unterhaltes, infolge Rekurses des Vaters, vertreten durch Dr.Manfred Roland, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 8.Januar 1986, GZ 44 R 3620/85-23, womit der Rekurs des Vaters gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 28.Oktober 1985, GZ 6 P 277/85-13, zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird stattgegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Rekursgericht die Entscheidung über den vom Vater gegen den erstinstanzlichen Beschluß vom 28.Oktober 1985, ON 13, erhobenen Rekurs, ON 14, unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Text
Begründung:
Die beiden pflegebefohlenen Mädchen sind eheliche Kinder. Die Ehe ihrer Eltern wurde mit Beschluß vom 23.Oktober 1985 geschieden; dieser Beschluß ist seit 13.November 1985 rechtskräftig. In der nach § 55 a Abs 2 EheG getroffenen Vereinbarung verpflichtete sich der Vater, zum Unterhalt jeder seiner beiden Töchter ab 1.November 1985 einen monatlichen Betrag von 1.610 S zu zahlen. Das Pflegschaftsgericht genehmigte diese vergleichsweise Unterhaltsregelung ebenso wie die Vereinbarung der Eltern, daß die Ausübung der Elternrechte der Mutter allein zustehen solle.
Bereits am 23. Mai 1985 war der am 20.Mai 1985 beim Jugendamt zu Protokoll genommene Antrag der Mutter beim Pflegschaftsgericht eingelangt, das Jugendamt als besonderen Sachwalter gemäß § 22 JWG zu bestellen und "den Unterhalt der beiden Kinder festzusetzen" ("die Unterhaltsverpflichtung des Vaters festzusetzen"). Das Pflegschaftsgericht bestellte das Jugendamt mit dessen Zustimmung antragsgemäß zum Sachwalter der Kinder. Mit der am 19.Juni 1985 beim Pflegschaftsgericht eingelangten Eingabe bezifferte das Jugendamt das monatliche Unterhaltsbegehren jedes der beiden Kinder mit 1.250 S und stellte den Antrag auf Zuspruch dieser Beträge ab 20.Mai 1985. Der Vater leistete einer gerichtlichen Vorladung zwecks Stellungnahme zu diesem Unterhaltsfestsetzungsantrag am 18.Juli 1985 Folge. Er erklärte zu gerichtlichem Protokoll, daß er nicht bereit sei, den geforderten Geldunterhalt zu leisten. Er machte im wesentlichen geltend, beiden Töchtern im Rahmen des aufrechten gemeinsamen Haushaltes mit der Mutter vollen Naturalunterhalt zu gewähren und für die Zeit nach der Scheidung der Ehe bereits eine Unterhaltsvereinbarung getroffen zu haben, jedem Kind monatlich 1.620 S zu zahlen.
Mit der am 28. August 1985 beim Erstgericht eingelangten Eingabe erklärte das Jugendamt, das im Juni 1985 gestellte Unterhaltsbegehren auf 1.350 S monatlich je Kind auszudehnen. Das Pflegschaftsgericht nahm in die Scheidungsakten Einsicht, in denen bis dahin noch keine Vereinbarung der Eltern über den Unterhalt der Kinder protokolliert war.
Hierauf lud das Pflegschaftsgericht den Vater zur Stellungnahme zum ausgedehnten Unterhaltsantrag für 10.Oktober 1985 vor, und zwar ebenfalls mit einer Aufforderung und einem Hinweis gemäß § 185 Abs 3 AußStrG. Der Vater erstattete weder eine schriftliche Stellungnahme noch erschien er zum festgesetzten Termin bei Gericht. Das Erstgericht verpflichtete den Vater mit dem Beschluß vom 28. Oktober 1985, zum Unterhalt jedes der beiden Kinder ab 20.Mai 1985 monatlich 1.350 S zu Handen des besonderen Sachwalters zu zahlen. Es erwähnte dabei zwar die Stellungnahme des Vaters vom 18. Juli 1985, stützte sich aber im Hinblick auf die unterbliebene Stellungnahme des Vaters zum ausgedehnten Unterhaltsbegehren auf die Fiktion nach § 185 Abs 3 AußStrG.
Der Vater erklärte am 8.November 1985 einen Rekurs gegen diesen Unterhaltsfestsetzungsbeschluß beim Erstgericht zu Protokoll. Er beantragte die Abänderung des Beschlusses in dem Sinne, daß er "ab dem 23.10.1985" zu der im Zuge der Scheidung vereinbarten monatlichen Leistung von 1.620 S je Kind verpflichtet werde. Er führte aus, daß die beiden Kinder bis zur Scheidung von ihm gelebt hätten.
Das Gericht zweiter Instanz wies diesen Rekurs mit der Begründung zurück, dem Vater gebreche es am Rechtsschutzinteresse. Das Rekursgericht ging dabei einerseits davon aus, daß der Vater der von ihm angefochtenen Entscheidung selbst zugestimmt habe, weil er die Fiktion des § 185 Abs 3 AußStrG gegen sich gelten lassen müsse. Andererseits strebe er für die Zeit ab 23.Oktober 1985 im Sinne der vergleichsweisen Unterhaltsregelung eine höhere als die mit dem angefochtenen Unterhaltsfestsetzungsbeschluß auferlegte Belastung an. Im übrigen sei durch den (mit Beschluß vom 10.Dezember 1985 pflegschaftsgerichtlich genehmigten) Vergleich (vom 23.Oktober 1985) die mit dem angefochtenen Beschluß (vom 28.Oktober 1985) festgesetzte Unterhaltsverpflichtung ohnedies in der vom Rechtsmittelwerber gewünschten Richtung geändert worden. Der Vater erhebt gegen den rekursgerichtlichen Zurückweisungsbeschluß Rekurs. Er führt aus, daß er (am 18.Juli 1985) der beantragten Unterhaltsfestsetzung unter Hinweis seiner Unterhaltsgewährung in Sachwerten (dem Grunde nach) widersprochen habe. Die Rekurszurückweisung sei ihm nicht verständlich. Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluß vom 3.April 1986 (6 Ob 555/86; ON 33) diesen Rekurs als verspätet zurückgewiesen, bereits aus Anlaß dieser Entscheidung aber die verfahrensrechtliche Beurteilung ausgesprochen, daß die Eingabe (mit Ausnahme des verbesserungsfähigen Formmangels der fehlenden Unterschrift) die Rekursvoraussetzungen erfülle und der Anfechtung der Rechtsmittelausschluß nach dem zweiten Fall des § 14 Abs 2 AußStrG nicht entgegenstehe.
Das Pflegschaftsgericht hat dem Rechtsmittelwerber in der Folge die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rekursfrist unter Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses ON 33 bewilligt.
Der Rechtsmittelwerber hat gleichzeitig mit dem anwaltlich verfaßten Wiedereinsetzungsantrag seinen als verspätet zurückgewiesenen Rekurs neu ausgeführt. Diese Ausführungen gehen aber inhaltlich über eine juristisch klarere Formulierung der bereits in dem vom Rekurswerber selbst verfaßten Schriftsatz, ON 27, geltend gemachten und ausgeführten Anfechtungsgründe nicht hinaus.
Der dem Schriftsatz ON 27 angehaftete Formmangel der fehlenden Unterschrift wurde durch die Unterfertigung des Schriftsatzes ON 35 durch den mit Vollmachtsurkunde ausgewiesenen Rechtsanwalt behoben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs gegen den zweitinstanzlichen Zurückweisungsbeschluß ist gerechtfertigt.
Als rein verfahrensrechtliche Rechtsmittelvoraussetzung ist die Beschwer des Rechtsmittelwerbers durch Vergleich seines verfahrensrechtlich wirksam gestellten Begehrens mit der bekämpften Erledigung einerseits und durch Vergleich zwischen der angefochtenen Erledigung und dem Rechtsmittelantrag andererseits zu beurteilen. Der Rechtsmittelwerber hat dem gegen ihn erhobenen Unterhaltsbegehren in erster Instanz den zu gerichtlichen Protokoll genommenen Standpunkt entgegengesetzt, er erfülle seine Unterhaltsverpflichtungen voll durch unmittelbare Befriedigung der Bedürfnisse der in seinem Haushalt lebenden Kleinkinder und habe auch für die Zeit nach der vorauszusehenden Ehescheidung (und der damit offenkundig vorausgesetzten Aufhebung dieses gemeinsamen Haushaltes) bereits (mit der Mutter) eine (die Interessen der Kinder ausreichend berücksichtigende) Unterhaltsvereinbarung getroffen. Der Vater hat damit der Sache nach das Rechtsschutzinteresse an der von den Kindern begehrten Unterhaltsfestsetzung für die Zeit nach der erwarteten Scheidung wegen der behaupteten Unterhaltsvereinbarung und für die Zeit bis zur Scheidung wegen Mangels an einer Unterhaltsverletzung für die Zeiträume vor seiner Stellungnahme vom 18. Juli 1985 überdies auch die mangelnde Berechtigung des Geldleistungsbegehrens infolge restloser Erfüllung der Unterhaltspflichten durch Sachleistungen geltend gemacht. Damit hat der Vater Einwendungen gegen die geltend gemachten Unterhaltsbegehren dem Grunde nach erhoben.
Es liegt im Wesen einer Einwendung gegen den Grund eines Anspruches, daß sie jeden denkbaren Teil des Anspruches in gleicher Weise erfaßt, im Falle des in diesem Verfahren gestellten Geldleistungsbegehrens dieses also nicht bloß in dem zur Zeit der Stellungnahme vom 18.Juli 1985 (mit 1.250 S monatlich) bezifferten, sondern auch mit dem in der Folge (um 100 S monatlich je Kind) ausgedehnten Betrag.
Der zu einem Geldleistungsbegehren mit Einwendungen dem Grunde nach verfahrensrechtlich wirksam erhobene Gegenantrag verliert seine Beachtlichkeit nicht dadurch, daß in der Folge das bestrittene Begehren - bei unveränderten Behauptungen zum Grund des Anspruches - ausgedehnt, der Antragsgegner zum ausgedehnten Begehren im Sinne des § 185 Abs 3 AußStrG zur Äußerung aufgefordert wird, diese aber unterläßt.
Es durfte daher im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, daß der Vater deshalb, weil er eine Äußerung zum ausgedehnten Unterhaltsbegehren unterlassen hat, dem Erhöhungsantrag, gegen den er sich bereits wirksam dem Grunde nach ausgesprochen hatte, keine Einwendungen entgegensetze.
Die Ausführungen zu dem zu Protokoll erklärten Rekurs des Vaters gegen den erstinstanzlichen Unterhaltsbemessungsbeschluß wurden vom selben Rechtspfleger formuliert, der den angefochtenen Beschluß gefaßt hatte. Die Wendung "Meine Frau und meine Kinder haben während der ersten und zweiten Scheidung von mir gelebt, da meine geschiedene Gattin kein Einkommen hatte. Sonst kann ich nichts vorbringen" darf dem Rechtsmittelwerber nicht wegen fehlender Schärfe der Formulierung zum Nachteil ausgelegt werden. Der Rechtsmittelwerber wiederholte in seinem Protokollarrekurs sein protokollarisches Vorbringen vom 18. Juli 1985 und erweiterte dieses nur in zeitlicher Hinsicht, daß die Naturalunterhaltsleistung bis zum zweiten Termin im Scheidungsverfahren fortgedauert habe. Damit machte er geltend, daß diese Einwendung sachlich und nicht mit dem Hinweis auf die Fiktion des § 185 Abs 3 AußStrG zu behandeln gewesen wäre. In diesem Sinne hat der Rechtsmittelwerber die Anwendung der Fiktion des § 185 Abs 3 AußStrG auch zum Gegenstand seiner Anfechtung der erstinstanzlichen Entscheidung gemacht und das Rekursgericht durfte bei der Beurteilung der Rechtsmittelvoraussetzung der Beschwer nicht davon ausgehen, daß die vom Rechtsmittelwerber als tragende Begründung der angefochtenen Entscheidung bekämpfte Folgerung aus § 185 Abs 3 AußStrG vom Erstgericht zutreffend gezogen worden sei; darin lag nämlich bereits eine vorweggenommene inhaltliche Erledigung des Rekurses, den das Gericht zweiter Instanz mangels Rechtsmittelvoraussetzung der Beschwer gar nicht in sachliche Behandlung zu nehmen erklärte. Der Rechtsmittelwerber hat zum Unterhaltsfeststellungsbegehren am 18. Juli 1985 eine Erklärung zu Protokoll gegeben, die ihrem sachlichen Inhalt nach eine Bestreitung dem Grunde nach darstellt. Das Erstgericht hat den Vater dennoch im Sinne des Antrages der Kinder zur Unterhaltsleistung verpflichtet. Daher war der Rechtsmittelwerber durch die erstinstanzliche Entscheidung formell beschwert. Er hat sich in seinem Protokollarrekurs der Sache nach dagegen verwahrt, so behandelt zu werden, als hätte er dem Antrag keine Einwendungen entgegengesetzt. Er hat die Abänderung des angefochtenen Beschlusses in dem Sinne begehrt, daß er "ab dem 23.10.1985", das bedeutet aber im Zusammenhang mit den Rekursausführungen unmißverständlich e r s t ab 23. Oktober 1985 und nicht schon für einen davorliegenden Zeitraum zu einer Unterhaltsleistung an seine Kinder verpflichtet werde. Mit dem Protokollarrekurs machte der Rechtsmittelwerber daher objektiv unzweifelhaft geltend, daß er zumindest die Unterhaltsfestsetzung für die Zeiten zwischen 20. Mai und 23. Oktober 1985 als ungerechtfertigt erachte.
Der Vergleich vom 23. Oktober 1985 enthält keine Regelung über die etwa bis dahin bereits fällig gewordenen (und im Pflegschaftsverfahren bereits geltend gemachten) Unterhaltsforderungen. Es ist schlechtweg aktenwidrig, daß der Vergleich (für die vor seinem Abschluß gelegenen Zeiträume) ohnedies die Unterhaltsverpflichtung in der vom Vater gewünschten Richtung geändert habe.
Die Unterhaltsverpflichtung des Vaters gegenüber seinen beiden Töchtern wurde für die Zeit ab 1. November 1985 vergleichsweise geregelt. Dabei ist zu beachten, daß die Vereinbarung der Eltern vom 23. Oktober 1985 der beschlußmäßigen Unterhaltsfestsetzung vom 28. Oktober 1985 zeitlich voranging, daß der besondere Sachwalter an dieser Regelung nicht mitgewirkt hat, die Regelung allerdings noch vor der Rekursentscheidung pflegschaftsgerichtlich genehmigt wurde. Für den Fall der Wirksamkeit der vergleichsweisen Regelung (infolge nachträglicher Genehmigung des Vergleiches durch den besonderen Sachwalter) wäre daher in erster Linie nicht ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Rechtsmittelwerbers, sondern vielmehr der Fortfall eines Rechtsschutzinteresses der Kinder an einer beschlußmäßigen Unterhaltsfestsetzung zu prüfen.
Das Rekursgericht hat nach den dargelegten Erwägungen die verfahrensrechtliche Beschwer des Rechtsmittelwerbers als Rekursvoraussetzung zu Unrecht verneint. Es wird unter Bindung an die in diesem Beschluß ausgesprochenen Rechtsansichten eine neue Entscheidung über den Protokollarrekurs des Vaters gegen den erstintanzlichen Unterhaltsfestsetzungsbeschluß zu fällen haben.
Anmerkung
E08581European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0060OB00613.86.0710.000Dokumentnummer
JJT_19860710_OGH0002_0060OB00613_8600000_000