Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl, Dr. Schobel, Dr. Klinger und Dr. Schlosser als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ernst B***, Pensionist, Forststraße 35, 6890 Lustenau, vertreten durch Dr. Gerold Hirn und Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in Feldkirch, wider die beklagte Partei Ernst B***, Schlosser, Büngenstraße 41, 6890 Lustenau, vertreten durch Dr. Ernst Hagen und Dr. Günther Hagen, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen Feststellung (Streitwert S 20.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 22.April 1986, GZ 1 b R 32/86- 18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 6.November 1985, GZ C 5008/84-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 11.446,80 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 1.018,80 Umsatzsteuer und S 240,- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Alleineigentümer des Grundstückes 6204/3 (EZ 4263) KG Lustenau. Der Beklagte ist Alleineigentümer des Grundstückes 6211/3 (EZ 6554) KG Lustenau und hat darauf in den letzten Jahren das Haus in der Büngenstraße 41, errichtet. Das Grundstück des Beklagten grenzt an seiner Westseite an die Büngenstraße, an seiner Ostseite an das Grundstück des Klägers, das keine direkte Verbindung zur Büngenstraße hat.
Der Kläger erbaute sein Haus in der Forststraße 35 in der Zeit vom 1.11.1951 bis zum Jahreswechsel 1953/54 auf dem Grundstück 6204/3. Er bezog das Haus mit seiner Familie zu Weihnachten 1953. In Anbetracht dieser Bauführung hatte ihm der Vater des Beklagten als dessen Rechtsvorgänger gestattet, von der Büngenstraße her mit Baugeräten und Baumaterialien über sein Grundstück 6211/3 zur Baustelle zu- und von dieser abzufahren. Die Zu- und Abfahrt erfolgte auf einer schon vorhandenen Trasse entlang der Nordost- bzw. Nordgrenze dieses Grundstückes, an der bis dahin ein landwirtschaftliches Bringungsrecht bestanden hatte. Über die Benützung dieser Trasse zum Gehen und Radfahren ohne Zusammenhang mit der Bauführung des Klägers und überhaupt für die Zeit danach hatten dieser und der Rechtsvorgänger des Beklagten keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen; der Kläger ging aber davon aus, daß kein Einwand bestehe. Es wurde der Weg auch in der Folge laufend und unangefochten vom Kläger, den Bewohnern des Hauses Forststraße 35 und deren Besuchern zu Fuß und mit Fahrrädern in beiden Richtungen benützt. Erst im Oktober oder im November 1983 unterband der Beklagte, der zu diesem Zeitpunkt sein Haus in der Büngenstraße 41 bezogen hatte, die Benützung durch Anbringung von zwei Lagen Stacheldraht.
Der Vater des Beklagten hat dem Kläger das Grundstück 6211/3 im Zeitraum von 1975 bis 1981 unentgeltlich derart zur Nutzung überlassen, daß dieser dort seine Kühe weiden lassen und überhaupt den Grasnutzen ziehen durfte. Der Kläger zäunte daraufhin das Grundstück ein (AS 149). Die Trasse entlang des Nordostrandes benützte der Kläger nicht auch für landwirtschaftliche Fuhren (AS 149 f).
Der Kläger begehrte die Feststellung, daß ihm als Eigentümer des Grundstückes 6204/3 das Recht zustehe, über das Grundstück 6211/3 entlang dessen Nordostrandes zu gehen und mit Fahrrädern zu fahren. Er brachte hiezu vor, er habe das Recht durch die tatsächliche Ausübung desselben durch mehr als 30 Jahre ersessen. Der Beklagte wendete vor allem ein, sein Vater habe dem Kläger das Grundstück 6211/3 ab 1975 bis etwa 1981 als Hutweide verpachtet; der Kläger habe das Grundstück durch einen elektrisch geladenen Zaun abgeschlossen, es jedoch im Rahmen des Pachtvertrages auch als Zugang zur Büngenstraße mitbenützen können.
Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren ab. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht dahin, an sich wären die Voraussetzungen für die behauptete Ersitzung gegeben, doch könne sich der Kläger während der Dauer des Pachtverhältnisses nicht auf Ersitzung berufen, so daß die erforderliche 30-jährige Ersitzungszeit noch nicht abgelaufen sei. Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes zwar S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteige, und ließ die Revision zu. Es führte aus, das Erstgericht habe festgestellt, daß der Kläger schon seit 1951
unangefochten über das Grundstück 6211/3 gegangen und mit Fahrrädern gefahren sei. Diese Tatsache sei davon, daß ihm der Rechtsvorgänger des Beklagten für die Zeit von 1951 bis 1953 die Zufahrt mit Baugeräten und Baumaterialien über die schon erwähnte Trasse gestattet habe, streng zu trennen. Daraus folge, daß die Ersitzungszeit in Bezug auf das Geh- und Fahrtrecht bereits 1983 abgelaufen sei. Das Erstgericht habe das Begehren nur deshalb abgewiesen, weil es der Ansicht gewesen sei, während der Dauer des Pachtverhältnisses habe der Kläger die behauptete Dienstbarkeit nicht ersitzen können. Nun sei im Berufungsverfahren von den Parteien außer Streit gestellt worden, daß der Rechtsvorgänger des Beklagten dem Kläger das Grundstück zu der zu den erwähnten Zwecken eingeschränkten Nutzung, nicht aber auch, um darüber zu gehen oder mit Fahrrädern zu fahren, unentgeltlich überlassen habe. § 1462 ABGB ordne an, daß verpfändete, geliehene, in Verwahrung oder zur Fruchtnießung gegebene Sachen vom Pfandgläubiger, Entlehner, Verwahrer oder Fruchtnießer nicht ersessen werden könnten. Die Rechtsprechung habe daraus geschlossen, daß in solchen Fällen auch Teilrechte - wie das Fahrtrecht - nicht ersessen werden könnten. Werde aber die Sache zu einem ganz bestimmten und umgrenzten Nutzen überlassen, so könne der Nutzungsberechtigte zwar innerhalb dieses Nutzungsbereiches keine Rechte ersitzen. Daß er aber auch von der Ersitzung von Rechten außerhalb dieses Bereiches ausgeschlossen sei, könne der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hingegen nicht entnommen werden. Nach dem in der vom Erstgericht zitierten Entscheidung RZ 1958, 122 wiedergegebenen Sachverhalt hätte der dort Beklagte nach dem Pachtvertrag die Befugnis gehabt, mit Schotterfuhren über das Grundstück des Klägers zu fahren. Eben diese Dienstbarkeit habe sich der Beklagte danach angemaßt. Dort habe die mit der Pachtung des Grundstückes verbundene bloße Innehabung vom Pächter nicht in den zur Ersitzung erforderlichen Besitz einseitig umgewandelt werden können. Im vorliegenden Fall lägen die Dinge anders. Der Kläger sei angesichts der Unentgeltlichkeit des Gebrauchsrechtes nicht Pächter gewesen. Er habe sich während der Dauer dieses Rechtes nicht bloß mit der eingeschränkten Nutzung begnügt, sondern das Geh- und Fahrtrecht über die nordöstliche Ecke des Grundstückes weiterhin, und zwar losgelöst von der landwirtschaftlichen Nutzung in Anspruch genommen. Daher könne der Kläger auch die Dauer des Nutzungsrechtes als Ersitzungszeit für sich ins Treffen führen. Im übrigen wäre dem Rechtserwerb durch die Familienangehörigen des Klägers, die gleichfalls während der gesamten Zeit über das Grundstück des Beklagten gegangen und gefahren seien, als seine Stellvertreter kein Hindernis im Sinne des § 1462 ABGB entgegengestanden.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Beklagten ist berechtigt.
Da das der behaupteten Dienstbarkeit entsprechende Verhalten des Klägers schon am 1.11.1951 eingesetzt hatte und bis Oktober/November 1983 fortdauerte, war die Ersitzungszeit von 30 Jahren (§§ 1468, 1470, 1477 ABGB) bereits abgelaufen, als der Beklagte die weitere Ausübung des in Anspruch genommenen Rechtes unterband. Somit gewinnt die von den Vorinstanzen - mit unterschiedlichem Ergebnis - aufgeworfene Frage streitentscheidende Bedeutung, ob dem Kläger auch die Dauer der vertraglichen Nutzung des Grundstückes in der Zeit von 1975 bis 1981 zugute kommt. Da der Rechtsvorgänger des Beklagten das Grundstück dem Kläger unentgeltlich zur landwirtschaftlichen Nutzung überlassen hat, ist das damit begründete Vertragsverhältnis nicht als Pacht sondern als Leihe zu beurteilen (EvBl 1957/398; Schubert und Würth in Rummel, ABGB, Rdz 2
zu § 971, Rdz 1 zu § 972 und Rdz 9 zu § 1090), zumal die "Absicht des Gebrauches" (§ 972 ABGB) - hier die Versorgung des vom Kläger gehaltenen Viehs mit Futter - auf eine bestimmte zeitliche Bindung schließen läßt.
Obgleich die Leihe in der Aufzählung des § 1462 erster Satz ABGB ausdrücklich genannt wird, kann die Frage, ob die Dauer der leihweisen Gebrauchsüberlassung an den Kläger in die Ersitzungszeit einzurechnen ist, nicht allein aufgrund dieser Bestimmung beantwortet werden. Danach können - unter anderem - entlehnte Sachen vom Entlehner aus Mangel eines rechtmäßigen Titels nicht ersessen werden; die Verweisung auf den Ersitzungstitel beschränkt die Geltung dieser Vorschrift auf die eigentliche Ersitzung (§ 1466, 1468, 1470 ABGB), wogegen die uneigentliche Ersitzung (§ 1477 ABGB) - auf die sich der Kläger (zumindest auch) beruft - die Rechtsmäßigkeit des Besitzes gar nicht voraussetzt (vgl. Schubert a. a.O. Rdz 1 zu § 1462). Im übrigen beruht § 1462, der seinem Wortlaut nach die Eigentumsersitzung zum Gegenstand hat, auf der Erwägung, daß durch die dort aufgezählten Rechtsgeschäfte nicht der zur Ersitzung des Eigentums an diesen Sachen erforderliche Sachbesitz, sondern nur entweder mit Gewahrsame verknüpfter Rechtsbesitz oder überhaupt nur Innehabung übertragen wird (1 Ob 661/84). Dienstbarkeiten werden dagegen durch Ausübung qualifizierten Rechtsbesitzes ersessen; die eigentliche Ersitzung dieser Rechte ist nach § 1462 ABGB somit nur auf Grund solcher Rechtsgeschäfte möglich, die Titel zum Erwerb der Dienstbarkeit sein können. Als hiezu nicht geeigneter Ersitzungstitel scheidet allerdings die Leihe (ebenso wie der Bestandvertrag) aus. Fraglich bleibt aber, ob die (unentgeltliche) vertragliche Gebrauchsüberlassung auch die uneigentliche Ersitzung einer Grunddienstbarkeit ausschließt, wenn die bisher titellose Rechtsausübung nunmehr Ausfluß der vertraglich eingeräumten Rechtsstellung ist, wie das bei der dem Kläger als Entlehner auf Vertragsdauer übertragenen Nutzung der Fall ist: Da er das Grundstück sogar umzäunen durfte, mußte ihm der Rechtsvorgänger des Beklagten uneingeschränkte Gewahrsame überlassen haben, so daß er es nicht bloß jederzeit betreten, sondern - da mit dem Vertragszweck nicht unvereinbar - auch mit Fahrrädern überqueren durfte. Daß etwas anderes vereinbart worden sei oder dieser Gebrauch nach dem Vertragszweck für den Beklagten unzumutbar gewesen wäre, hat der Kläger nicht behauptet. Solange der Kläger das jetzt behauptete Recht damals auf Grund der Leihe ausüben durfte, ist diese Rechtsausübung auch in ihren sonstigen Auswirkungen ausschließlich nach dem Vertrag zu beurteilen (so RZ 1958, 122; vgl. auch SZ 44/41) und konnte deshalb nicht zur Ersitzung einer inhaltsgleichen Dienstbarkeit führen. Dieser Schluß folgt schon aus der Erwägung, daß der Ersitzungsgegner den Ersitzungsbesitz vor dem Zeitablauf jederzeit unterbinden kann (andernfalls bedürfte es zum Rechtserwerb keiner Ersitzung!), wogegen dem Vertragspartner bei vertraglich gedeckter Rechtsausübung eine solche Möglichkeit verwehrt ist und er die Ersitzung, wollte man der gegenteiligen Ansicht sein, unter Umständen gar nicht verhindern könnte. Konnte dem Kläger das Begehen und Befahren des Grundstückes nicht verboten werden, solange das Leiheverhältnis Bestand hatte, so übte er damit während dieses Zeitraumes bloß ein zur Ersitzung einer inhaltsgleichen Dienstbarkeit nicht geeignetes vertragliches und damit schuldrechtliches Gebrauchsrecht aus, so daß die Ersitzung vom Beginn des Leiheverhältnisses an unterbrochen war.
Kann sich der Kläger damit auf die vollendete Ersitzung nicht mit Erfolg berufen, hat das Erstgericht das Feststellungsbegehren - zumindest im Ergebnis - zu Recht abgewiesen, so daß sein Urteil wieder herzustellen war. Nur der Vollständig halber sei darauf verwiesen, daß sich an dem Ergebnis durch den Gebrauch seitens der Familienangehörigen nichts ändern könnte, weil auch deren Verhalten in Bezug auf das Grundstück durch das Vertragsverhältnis gedeckt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E08582European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0060OB00604.86.0710.000Dokumentnummer
JJT_19860710_OGH0002_0060OB00604_8600000_000