Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta und Dr.Egermann als Richter in der Pflegschaftssache des am 7.Juni 1981 geborenen mj. Erwin R***, Lehmgstetten 2, Wang, infolge Revisionsrekurses der ehelichen Mutter Anna R***, Hausfrau, Türnitz, Schildbachrotte 1, vertreten durch Dr.Max Urbanek, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes St.Pölten als Rekursgerichtes vom 16.April 1986, GZ R 146/86-123, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Scheibbs vom 5.Februar 1986, GZ P 127/81-119, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der am 7. Juni 1981 geborene mj. Erwin R*** entstammt der Ehe zwischen Anna R*** und Erwin R***. Diese Ehe wurde mit Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 13.April 1983 rechtskräftig geschieden. Mit Beschluß vom 21.Oktober 1982 hat das Bezirksgericht Scheibbs die elterlichen Rechte und Pflichten der Mutter zuerkannt. Rechtsmittel des Vaters blieben erfolglos. Allerdings scheiterte eine Übergabe des Kindes durch den Vater an die Mutter am Verhalten des Vaters. Ein weiterer Antrag des Vaters vom 9.März 1984, den faktischen Zustand durch Übertragung der elterlichen Rechte des § 144 ABGB an ihn zu legalisieren, wurde neuerlich rechtskräftig abgewiesen. In der Folge fanden unter gerichtlicher Aufsicht Versuche einer Kontaktaufnahme zwischen der Mutter und dem Kind statt, die jedoch im wesentlichen daran scheiterten, daß es der Mutter nicht gelang, entsprechende Beziehungen zum Kind aufzubauen. In der Folge kam es zu solchen Kontakten nicht mehr, weil die Mutter eine Zureise zur Bezirkshauptmannschaft Scheibbs unterließ. Auf Grund eines neuerlichen Antrages des Vaters, ihm die elterlichen Rechte zu übertragen, kam das Erstgericht nach einer gründlichen Untersuchung der Verhältnisse bei den Eltern sowie der allfälligen Folgen einer Übergabe des Kindes an die Mutter für das Kind zu dem Ergebnis, daß die Transferierung zur Mutter, die nur unter Zwang erfolgen könnte, das Kind in eine ihm völlig unbekannte und bereits sehr mit Angst und negativen Erwartungshaltungen besetzte Situation verpflanzen und alle bestehenden Beziehungen abrupt abbrechen würde. Dies würde eine Verstärkung der bestehenden Symptomatik und weitere nachhaltige Beeinträchtigungen der Entwicklung des Kindes zur Folge haben. Bei einem Weiterverbelib des Kindes beim Vater, der nun wieder verheiratet ist und nunmehr mit seiner Gattin das Kind erziehen möchte, scheint den grundsätzlichen Bedürfnissen des Kindes Rechnung getragen und eine noch massivere psychische Beeinträchtigung vermieden zu werden. Aus psychologischer Sicht erscheint eine Übernahme der elterlichen Rechte durch den Kindesvater angeraten. (Im übrigen kann auf die erstrichterlichen Feststellungen S 295 - 399 d.A. verwiesen werden.)
Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes haben die Vorinstanzen übereinstimmend die sich aus § 144 ABGB ergebenden elterlichen Rechte dem Vater zugewiesen und die Anträge der Mutter auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, die unverzügliche Übergabe des Kindes an sie unter Anwendung von Zwangsmitteln zu veranlassen und den Vater zu einer Unterhaltsleistung von monatlich 2.200 S zu verhalten, abgewiesen. Sie vertraten die Rechtsansicht, grundsätzlich sei bei einer Entscheidung über eine Änderung der Zuteilung der aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten im Sinne des § 176 ABGB ein strenger Maßstab anzulegen, doch sei hiebei stets das Wohl des Kindes von ausschlaggebender Bedeutung. Es komme nicht auf ein allfälliges Verschulden eines Elternteiles am Nichtzustandekommen des Kontaktes des Kindes mit dem anderen Elternteil an. Vor allem sei auf die Kontinuität eines tatsächlich bestehenden Erziehungsverhältnisses Bedacht zu nehmen, insbesondere dann, wenn das Kind schon - wie im vorliegenden Fall - gewisse Schädigungen aufweise. Werde durch die Durchsetzung einer rechtskräftigen Zuteilung der elterlichen Rechte das Wohl des Kindes auf das schwerste gefährdet, entspreche andererseits eine Aufrechterhaltung des tatsächlichen Zustandes dem Wohl des Kindes, so müsse, ungeachtet der Rechtswidrigkeit des Verhaltens eines Elternteiles gegenüber dem anderen Elternteil, eine Änderung der Zuteilung vorgenommen werden. Hiebei sei im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, daß sich das rechtswidrige Verhalten des Vaters nicht gegen den Minderjährigen gerichtet und diesen auch nicht belastet habe.
Rechtliche Beurteilung
Der von der Mutter gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes wegen Nichtigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und offenbarer Gesetzwidrigkeit erhobene Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Da im vorliegenden Fall eine bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes angefochten wird, wäre das erhobene Rechtsmittel nur wegen Nichtigkeit, Aktenwidrigkeit oder offenbarer Gesetzwidrigkeit zulässig. Eine Aktenwidrigkeit wird nicht behauptet. Die Nichtigkeit soll darin liegen, daß das Erstgericht den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt habe. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil der Mutter bzw. ihrem Vertreter die entsprechenden Anträge des Vaters zur Kenntnis gebracht worden sind und zu diesen Anträgen eingehende Erhebungen vorgenommen wurden, wobei der Erstrichter intensiven Kontakt zu der Mutter gepflegt hat. Außerdem ist es im außerstreitigen Verfahren nicht obligatorisch vorgeschrieben, die Beteiligten mündlich zu vernehmen. Es genügt, daß ihnen die Möglichkeit der Stellungnahme eröffnet wird (7 Ob 631/85, 7 Ob 651/84 u.a.). Im übrigen wird ein Verstoß des Erstrichters gegen die Verletzung des rechtlichen Gehörs dadurch behoben, daß dem Beschwerdeführer die Gelegenheit geboten wird, seinen Standpunkt im Rekurs darzulegen (EFSlg. 39.561, 30.388 u.a.). Eine solche Möglichkeit hatte die Mutter bereits im Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluß, wobei sie dort von dieser Möglichkeit eingehend Gebrauch gemacht hat. Welche weiteren Ergebnisse ihre mündliche Einvernahme bringen hätte sollen, ist nicht ersichtlich. Daß die Nichtbeachtung des Wohles des Kindes im Pflegschaftsverfahren zumindest eine offenbare Gesetzwidrigkeit begründen könnte, ist richtig, doch haben sich die Vorinstanzen sehr eingehend mit dem Wohl des Kindes auseinandergesetzt. Darüber hinaus liegt eine offenbare Gesetzwidrigkeit nur vor, wenn ein Fall im Gesetz ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird. Es bildet daher nicht jede unrichtige rechtliche Beurteilung eine offenbare Gesetzwidrigkeit (JBl. 1975, 547, JBl. 1975, 661 u.a.). Hat daher das Pflegschaftsgericht grundsätzlich bei seiner Entscheidung das Wohl des Kindes ausreichend in Betracht gezogen, so handelt es sich bei der Beurteilung, ob unter den konkreten Umständen diese oder jene Maßnahme dem Wohl des Kindes entspricht, um eine Ermessensentscheidung, die eine offenbare Gesetzwidrigkeit nicht begründen kann.
Richtig ist, daß eine Entziehung der einem Elternteil zugesprochenen Rechte und Pflichten nach § 144 ABGB eine Gefährdung des Wohles des Kindes voraussetzt, doch haben dies die Vorinstanzen sowieso erkannt. Ob ein bestimmter Sachverhalt eine solche Gefährdung erkennen läßt, ist wieder eine Ermessensentscheidung, die eine offenbare Gesetzwidrigkeit nicht begründen kann. Mangels Vorliegens einer der Anfechtungsgründe des § 16 AußStrG war demnach der Revisionsrekurs zurückzuweisen.
Anmerkung
E08599European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0070OB00616.86.0710.000Dokumentnummer
JJT_19860710_OGH0002_0070OB00616_8600000_000