TE OGH 1986/7/14 1Ob623/86

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Veröffentlicht am 14.07.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*** Ö***, vertreten durch die F***, Wien 1.,

Singerstraße 17-19, wider die beklagte Partei Helmut L***, derzeit ohne Beschäftigung, Schloßgasse 17, 2013 Göllersdorf, vertreten durch Dr. Josef Weixelbaum, Rechtsanwalt in Linz, wegen Feststellung (Streitwert: S 61.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 16. Dezember 1985, GZ. 2 R 318/85-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 1. Oktober 1985, GZ. 1 Cg 117/85-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Die klagende R*** Ö*** begehrt die Feststellung, daß ihr dem Beklagten gegenüber das Recht auf Ersatz aller Aufwendungen zustehe, die sie aus Anlaß des vom Beklagten am 14. Mai 1982 an Wilma A*** verübten Mordes nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 9. Juli 1972, BGBl. Nr. 288, über die Gewährung von Hilfeleistungen an Opfer von Verbrechen (im folgenden kurz VOG) an Simone A***, geboren am 29. Dezember 1979, erbringen werde, soweit diese Aufwendungen in den Ersatzansprüchen der Simone A*** ohne Berücksichtigung des im § 12 des genannten Gesetzes vorgesehenen Forderungsüberganges Deckung fänden. Mit Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 4. Mai 1983 sei die Unterbringung des Beklagten, der am 14. Mai 1982 seine Lebensgefährtin Wilma A*** durch mehrere Messerstiche getötet habe, gemäß § 21 StGB in einer Anstalt für abnorme Rechtsbrecher angeordnet worden. Wilma A*** sei für ihre am 29. Dezember 1979 geborene Tochter Simone unterhaltspflichtig gewesen und habe ihr den Unterhalt auch tatsächlich gereicht. Derzeit komme der zum Vormund bestellte Onkel der Minderjährigen, Helmut O***, für deren Unterhalt auf. Es könne jedoch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß die klagende Partei an die Minderjährige nach dem erwähnten Gesetz regreßfähige Leistungen zu erbringen haben werde; in diesem Falle gingen die Ansprüche der Minderjährigen gegen den Beklagten gemäß § 12 VOG auf die klagende Partei über.

Der Beklagte wendete vor allem ein, Wilma A*** habe zur Tatzeit ihre Tochter nicht alimentiert. Um Hilfeleistungen nach dem genannten Gesetz sei bisher nicht angesucht worden, so daß das Feststellungsinteresse zu verneinen sei. Ein Schadenersatzanspruch der Minderjährigen gegen den Beklagten setze dessen Verschulden voraus; ein solches sei aber angesichts der Anwendung des § 21 StGB zu verneinen.

In der Tagsatzung vom 30. September 1985 brachte die klagende Partei vor, sie behaupte in Anbetracht der Ergebnisse des Strafverfahrens nicht, daß der Beklagte zur Tatzeit zurechnungs- und deliktsfähig gewesen sei. Sie stütze ihr Begehren auf sämtliche in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen.

Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren ohne weitere Erörterung des Sachverhaltes und ohne Beweisaufnahmen ab. Aus dem Strafakt ergebe sich, daß der Beklagte Wilma A*** im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit getötet habe. Tatsachen, die die Haftung des Beklagten nach § 1310 ABGB nach sich zögen, habe die klagende Partei nicht behauptet. Mangels eines erwiesenen Ersatzanspruches der Simone A*** gegen den Beklagten sei auch ein entsprechender Rückgriffsanspruch der klagenden Partei gegen ihn zu verneinen. In ihrer Berufung wies die klagende Partei insbesondere darauf hin, daß schon nach dem unstrittigen Sachverhalt der erste und der zweite Fall des § 1310 ABGB nicht zum Tragen kommen könnten, so daß für eine Haftung des Beklagten nur der dritte Fall des § 1310 ABGB herangezogen werden könne. Mangels entsprechender Durchführung eines Beweisverfahrens sei die Sache noch nicht spruchreif und das Verfahren vor dem Erstgericht mangelhaft geblieben. Die klagende Partei stellte daher den Berufungsantrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und (die Rechtssache) zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurückzuverweisen. Einen Abänderungsantrag enthält die Berufung nicht.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung nicht Folge, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes zwar S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteige, und ließ die Revision nicht zu. Es verneinte die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, weil das Erstgericht den einzigen von der klagenden Partei angebotenen Beweis, die Verlesung und Erörterung des Strafaktes, ohnehin aufgenommen habe. Soweit die klagende Partei Feststellungsmängel rüge, führe sie damit den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung aus. Auf die Rechtsrüge einzugehen sei dem Gericht zweiter Instanz mangels eines auf Abänderung des Ersturteils gerichteten Anfechtungsantrages verwehrt. Gemäß § 496 Abs. 3 ZPO habe es die in erster Instanz gepflogene Verhandlung, soweit erforderlich, zu ergänzen und durch Urteil in der Sache selbst zu erkennen, wenn nicht anzunehmen sei, daß dadurch im Vergleich zur Zurückweisung die Erledigung verzögert oder ein erheblicher Mehraufwand an Kosten verursacht würde. Bei Ausführung einer Rechtsrüge sei primär ein Abänderungsantrag zu stellen. Seit Inkrafttreten der Zivilverfahrens-Novelle 1983 könne ein Feststellungsmangel nur mehr unter den im § 496 Abs. 3 ZPO genannten Voraussetzungen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht führen. Daß eine Ergänzung der Verhandlung durch das Berufungsgericht im Vergleich zur Zurückverweisung eine Verfahrensverzögerung oder einen Kostenmehraufwand zur Folge hätte, habe die klagende Partei nicht behauptet. Zwar schließe ein Abänderungsantrag den Aufhebungsantrag als minus ein, dagegen begreife letzterer nicht auch ein Abänderungsbegehren in sich, weil dieses die begehrte Sachentscheidung eindeutig bestimmt bezeichnen müsse. Gemäß den §§ 474 Abs. 2, 471 Z. 3 ZPO sei nur bei völligem Fehlen oder bei Unbestimmtheit des Berufungsantrages das Verbesserungsverfahren einzuleiten. Die klagende Partei habe jedoch einen eindeutig auf Aufhebung gerichteten Rechtsmittelantrag gestellt. Inhaltliche Mängel eines Schriftsatzes im Sinne sachlich unrichtiger oder unschlüssiger Ausführungen seien auch nach neuem Recht nicht verbesserungsfähig. Daher könne auf die Rechtsrüge in der Berufung nicht eingegangen werden.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei ist zulässig, weil die Frage, in welcher Weise das Berufungsgericht mit einer Rechtsrüge zu verfahren habe, wenn nur ein Aufhebungsantrag gestellt ist, Rechtsprechung fehlt; die Revision ist auch berechtigt. In der Fassung vor der Zivilverfahrens-Novelle 1983 bestimmte § 496 Abs. 3 ZPO, das Berufungsgericht könne statt der Zurückweisung der Rechtssache an die erste Instanz, erforderlichenfalls nach Ergänzung der in erster Instanz gepflogenen Verhandlung, durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn entweder beide Parteien darauf übereinstimmend antragen oder dies nach Ermessen des Gerichtes geeignet erscheint, die Erledigung zu beschleunigen oder einen erheblichen Kostenaufwand zu vermeiden. Fasching (Komm IV 214f) verstand diese Bestimmung richtig dahin, daß sie die Durchführung des zu erneuernden oder zu ergänzenden Verfahrens vor dem Berufungsgericht ermöglichte. Die Lehre und die Rechtsprechung verstanden die Bestimmung des § 496 Abs. 3 ZPO übereinstimmend dahin, daß die Neuverhandlung bzw. Verhandlungsergänzung in allen drei Fällen des § 496 Abs. 1 ZPO möglich sei, also auch dann, wenn nach Inhalt der Prozeßkosten dem Berufungsgericht erheblich scheinende Tatsachen in erster Instanz gar nicht erörtert wurden (§ 496 Abs. 1 Z. 3 ZPO). In allen Fällen, in denen die Sache unter Aufhebung des Urteils zwecks Fortsetzung des Verfahrens und Urteilsfällung an das Gericht erster Instanz zurücklange, trete sie in den prozessualen Stand des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung zurück; die durch diesen Zeitpunkt gegeben gewesene Präklusion weiteren Vorbringens entfalle und beide Teile könnten ungehindert neues Vorbringen erstatten. Ordne das Berufungsgericht Selbstverhandlung an, so müsse hiefür gleiches gelten. Die Parteien könnten nun, ohne durch das Neuerungsverbot des § 482 ZPO betroffen zu sein, im Rahmen des Aufhebungsbeschlusses neue Tatbestände und Beweismittel vorbringen. Nach Petscheck-Stagel (Zivilprozeß 387) hat das Berufungsgericht, wenn es sich zur Verhandlung entschließt, vorweg einen Aufhebungsbeschluß zu fassen und gleichzeitig die sonst gebotene Zurückverweisung der Rechtssache durch die Anordnung einer Verhandlung vor dem Berufungsgericht zu ersetzen, die sich sogleich anschließen könne. Diese Verhandlung sei eine Verhandlung erster Instanz. Gleicher Ansicht sind Wolff (Zivilprozeßrecht 361) und Fasching (aaO 215). Neumann (Komm 4 1339) fordert einen ausdrücklichen Ausspruch der Verfahrensergänzung, wenn neues, also in erster Instanz noch nicht vorgebrachtes oder beantragtes Tatsachen- oder Beweisvorbringen zur Durchführung der Ergänzung erforderlich sei, weil das Berufungsgericht dann nicht mehr innerhalb der Grenzen seiner Verhandlungsbefugnis bleibe. Auch ältere Rechtsprechung (GlUNF 2501; Rsp 1924, 32 m. Anm. Wahle; JBl 1932, 477; GH 1932, 98) forderte im Fall der Ergänzung der erstinstanzlichen Verhandlung durch das Berufungsgericht einen Aufhebungsbeschluß (so insbesondere Rsp 1924, 32); für die Ergänzung der Verhandlung gälten die Vorschriften über das Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz; es dürften deshalb im Rahmen, in dem die Ergänzung vorgenommen wird, auch neue Tatumstände und Beweise vorgebracht werden. Insbesondere die Bestimmung des § 482 Abs. 2 ZPO finde dann nicht Anwendung, sondern es könnten gemäß § 179 ZPO bis zum Schluß der Verhandlung neue Behauptungen und Beweismittel angebracht werden, sofern nicht offenbare Verschleppungsabsicht anzunehmen sei.

In jüngerer Zeit sind - soweit überblickbar - zur Frage, wie das Berufungsgericht bei Ergänzung der Verhandlung nach § 496 Abs. 3 ZPO vorzugehen habe, keine Entscheidungen ergangen. Die herrschende, auf die Entscheidung SZ 22/105 zurückgehende Rechtsprechung befaßt sich, soweit erkennbar, nur mit dem Umfang und den Voraussetzungen der Beweiswiederholung bzw -ergänzung im Sinne des § 488 Abs. 1 und 2 ZPO; sie vertritt insoweit die Auffassung, daß die Berufung des österreichischen Rechtes eine volle neuerliche Überprüfung des Sachverhaltes im Berufungsverfahren nicht zulasse. Die Aufgabe des Berufungsverfahrens sei im Sinne des § 462 ZPO auf die Prüfung beschränkt, ob der Erstrichter aufgrund des ihm vorgelegten Sachverhaltes richtig entschieden habe. Das Berufungsgericht könne daher wohl die Beweise wiederholen und ergänzen und dann selbst würdigen, auch abweichend von der ersten Instanz, aber nur die Beweise, die im erstgerichtlichen Verfahren bereits beantragt worden seien, und aufgrund der Erkenntnisquellen, die dem Erstrichter zu Gebote standen. Ein neues Tatsachen- und Beweisvorbringen sei deshalb auch dann unzulässig, wenn das Berufungsgericht die vom Erstrichter aufgenommenen Beweise wiederhole. Diese Aussage wird durch die Entscheidung SZ 19/278 und einige jüngere Entscheidungen (4 Ob 335/73; 6 Ob 299/66; 7 Ob 348/56) nur dahin eingeschränkt, daß auch bei Beweiswiederholung bzw -ergänzung im Sinne des § 488 ZPO den Parteien die Möglichkeit eröffnet sei, neue Umstände vorzubringen und neue Beweise zu beantragen, jedoch nur insoweit, als neues Vorbringen und neue Beweise sich aus dem Ergebnis der Beweiswiederholung bzw -ergänzung ergeben.

Fasching (Komm IV 215) lehrt auch, das Verfahren nach § 496 Abs. 3 ZPO sei keine mündliche Berufungsverhandlung im Sinne und mit den Aufgaben der §§ 488 ff ZPO, weshalb hier die dort vorgeschriebene Beschränkung des Verhandlungsstoffes nicht in Betracht komme. Seinen Standpunkt verdeutlicht Fasching zur Rechtslage nach der Zivilverfahrens-Novelle 1983, durch die § 496 Abs. 3 ZPO neu gefaßt wurde. Nun ist dem Berufungsgericht aufgetragen, die in erster Instanz gepflogene Verhandlung, soweit erforderlich, zu ergänzen und durch Urteil in der Sache selbst zu erkennen, wenn nicht anzunehmen ist, daß dadurch im Vergleich zur Zurückweisung die Erledigung verzögert oder ein erheblicher Mehraufwand an Kosten verursacht würde. Fasching (Zivilprozeßrecht Rz 1820) wiederholt dazu seine Auffassung, das Berufungsgericht habe das Verfahren auch bei Feststellungsmängeln, die eine weitere Erörterung des Sachverhaltes erfordern, nach Fassung eines Aufhebungsbeschlusses primär selbst zu ergänzen und in der Sache selbst zu verhandeln und zu entscheiden; da das Verfahren infolge des Aufhebungsbeschlusses in das Stadium vor Schluß der Verhandlung zurücktrete, hätten die Parteien im Ergänzungsverfahren alle Befugnisse, die ihnen im erstinstanzlichen Verfahren bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zustehen. Sie dürften nicht nur neues - auch widersprechendes - Vorbringen und Beweisanbringen tätigen, sondern auch neue Sachanträge stellen, die Klage ändern oder zurücknehmen, Zwischenanträge auf Feststellung stellen und Gegenforderungen einwenden. Demgemäß müßten seit der Neufassung des § 496 Abs. 3 ZPO im Berufungsverfahren stets auch Anträge auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung gestellt werden (Rz 1766, 1776). Habe der Rechtsmittelwerber nur Aufhebung beantragt, sei aber nach Lage des Falles nur eine sofortige Abänderung möglich, dürfe jedoch das Eingehen in den Berufungsgrund nicht verweigert werden, ehe der Partei die Verbesserung des Rechtsmittelantrages ermöglicht worden sei (§ 474 Abs. 2 zweiter Satz ZPO; Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1776).

In der jüngeren Rechtsprechung findet sich kein Hinweis, daß die Berufungsgerichte von der im Schrifttum und der älteren Rechtsprechung anerkannten Möglichkeit, in Fällen, in denen es noch einer Erörterung des Sachverhaltes mit den Parteien und neuen Vorbringens bedarf, wie ein Erstgericht selbst zu verhandeln, noch Gebrauch gemacht hätten oder daß der Oberste Gerichtshof dies verlangt hätte. In der Entscheidung 1 Ob 115/74 ist zwar die Wendung zu finden, bei Ergänzung des erstgerichtlichen Verfahrens gälten die Vorschriften über das Verfahren in erster Instanz, tatsächlich ging es aber nur um die Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes. In der Entscheidung 3 Ob 645/82 wird betont, § 496 Abs. 3 ZPO enthalte den Gesetzesauftrag, daß das Berufungsgericht statt der Zurückweisung einer Sache an das Erstgericht im Interesse einer Beschleunigung des Verfahrens unter Vermeidung eines erheblichen Kostenaufwandes eine noch offene Frage tunlichst selbst klären solle; es ging aber nur um die Höhe der Bankrate, die der Oberste Gerichtshof als offenkundig und damit gemäß § 269 ZPO nicht beweisbedürftig ansah. Auch mit der Entscheidung EvBl. 1985/129 wurde dem Berufungsgericht nur die Vernehmung einer Partei aufgetragen, auch wenn von einer möglichen Verfahrensergänzung durch das Berufungsgericht in allen Fällen des § 496 Abs. 1 ZPO die Rede war.

Auch in den Materialien (RV 669 BlgNR 15.GP 57) findet sich kein Anhaltspunkt dafür, die Novelle habe durch die Änderung des § 496 Abs. 3 ZPO gerade erreichen wollen, daß das Berufungsgericht auch in den Fällen des § 496 Abs. 1 Z. 3 ZPO die Sache selbst zu Ende führe; in Verbindung mit dem neuen § 281a ZPO sollte vielmehr vor allem ermöglicht werden, den sehr oft vorkommenden Mangel an Feststellungen ohne Beweiswiederholung zu beheben. Sonst war gewiß vor allem an ergänzende Befragung bereits vernommener oder an die Vernehmung bereits beantragter Zeugen oder der Parteien, also an die tatsächliche Durchführung schon nach § 488 Abs. 1 ZPO zulässiger Maßnahmen, gedacht. Gerade die von Fasching aufgezeigte mögliche Uferlosigkeit von Verfahren, in welchen der Sachverhalt erst ergänzend erörtert werden muß, spricht dagegen, in solchen Fällen nur in zweiter Instanz zu verhandeln. Daß der Novellengesetzgeber des Jahres 1983 aber dazu neigte, den Parteien nicht eine Tatsacheninstanz zu nehmen, ergibt sich aus der ersatzlosen Aufhebung des Absatzes 4 des § 478 ZPO, der das Berufungsgericht im Falle der Aufhebung des erstrichterlichen Urteils wegen Nichtigkeit zur Durchführung der Verhandlung und zur Entscheidung in der Sache selbst verpflichtete, wenn dies die Parteien binnen acht Tagen nach der Zustellung der berufungsgerichtlichen Entscheidung beantragen; den Materialien (RV 669 BlgNR 15.GP 56) ist zu entnehmen, daß diese Bestimmung ohnehin praktisch nicht angewendet wurde und nur die Fortführung des Verfahrens in erster Instanz verzögerte; den Parteien könne kein nennenswertes Interesse zugebilligt werden, nicht mehr in erster Instanz zu verhandeln. Auch für das Rechtsmittelverfahren nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz hat der Gesetzgeber den bisher im § 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGG vorgesehenen Neuverhandlungsgrundsatz aufgegeben, weil sich gezeigt habe, daß damit der Schwerpunkt in systemwidriger und für den Rechtsschutz der Parteien nachteiliger Weise von der ersten in die zweite Instanz verlagert werde (RV 7 BlgNR 16.GP 52). Die Bestimmung des § 496 Abs. 3 ZPO kann dann nicht dahin verstanden werden, sie wolle im Gegensatz zu diesen klaren Tendenzen nur im Interesse der Vermeidung von Verzögerungen auch in Fällen, in welchen das Erstgericht sein Verfahren so mangelhaft geführt hat, daß es noch einer Erörterung des Sachverhaltes bedarf, eine Tatsacheninstanz nehmen. Vor allem in Fällen wie dem vorliegenden, in dem vor dem Erstgericht nur eine ganz kurze Verhandlung stattfand, sollte keineswegs das gesamte übrige, möglicherweise lange Verfahren in die zweite Instanz verlagert werden. Eine solche Verlagerung kann auch nicht mehr als bloße Ergänzung der in erster Instanz gepflogenen Verhandlung, die allein § 496 Abs. 3 ZPO im Auge hat, angesehen werden. Sind der Umfang der Prozeßstoffsammlung und die Weiterungen des Verfahrens gar nicht abzusehen (vgl. Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1820), kann auch nicht angenommen werden, daß mit der Ergänzung der Verhandlung durch das Berufungsgericht kein erheblicher Kostenmehraufwand verbunden wäre. Wenn sich die klagende Partei in der Berufung auf den Standpunkt stellte, der Sachverhalt müsse noch erörtert werden, so war es für sie also nur folgerichtig, daß sie nur einen Aufhebungsantrag stellte.

Gewiß schließt auch die derzeitige Fassung des § 496 Abs. 3 ZPO eine Neuverhandlung vor dem Berufungsgericht im Fall des Vorliegens der Voraussetzungen des § 496 Abs. 1 Z. 3 ZPO nicht aus. Aber auch eine Absicht, allenfalls so vorzugehen, berechtigte das Berufungsgericht nicht, von der Erledigung der Rechtsrüge abzusehen; Lehre und (älterer) Rechtsprechung ist darin beizupflichten, daß das Berufungsgericht, entschließt es sich zur Verhandlungsergänzung nach § 496 Abs. 3 ZPO, zunächst einen Aufhebungsbeschluß zu fassen hat, durch den das Verfahren in das Stadium vor Schluß der mündlichen Verhandlung zurücktritt; es werden dann wieder die in erster Instanz gestellten Sachanträge - allen voran die Urteilsanträge der Parteien - bestimmend. Es genügte dann ebenfalls, einen auf einen Aufhebungsbeschluß zielenden Rechtsmittelantrag zu stellen. Im übrigen teilt der Oberste Gerichtshof auch die Auffassung des Berufungsgerichtes, es wäre kein Verbesserungsverfahren einzuleiten, wenn ein Aufhebungsantrag gestellt wurde, aber ein Abänderungsbegehren zu stellen gewesen wäre, nicht. Der Oberste Gerichtshof hat zwar bereits ausgesprochen, daß Unschlüssigkeiten nicht verbesserungsfähig sind (EvBl. 1985/153). Wie aber den vorstehenden Ausführungen zu entnehmen ist, war der von der klagenden Partei gestellte Aufhebungsantrag nicht unschlüssig, weil die Berufung Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens aufzeigen wollte, die bei Berechtigung in aller Regel ein erneuertes Verfahren zur Folge haben müssen. Wenn das Berufungsgericht dennoch meinte, es hätte eines Abänderungsantrages bedurft, damit es in die Prüfung der Rechtsrüge eingehen kann, hätte es aber das von Fasching geforderte Verbesserungsverfahren einleiten müssen. Mit der Neufassung des § 84 ZPO war unter anderem beabsichtigt, den Mangel vorgeschriebenen Anbringens in der Berufung (Anfechtungserklärung, Anfechtungsgründe, Anfechtungsantrag) verbesserungsfähig zu machen (RV 669 BlgNR 15.GP 49). Die Bestimmung des § 474 Abs. 2 zweiter Satz ZPO ordnet demgemäß in den Fällen des § 471 Z. 3 ZPO das Verbesserungsverfahren an. Gewiß erwähnt letztere Bestimmung, soweit es um den Berufungsantrag geht, nur das Fehlen eines Berufungsantrages oder eines bestimmten Antrages, nicht aber das Stellen eines bestimmten, aber verfehlten Antrages. Da es - selbst nach der Ansicht des Berufungsgerichtes - nur eines hilfsweise gestellten Abänderungsantrages bedurft hätte, ist die Verfahrenslage nicht anders zu beurteilen, als wenn der Berufungsantrag gefehlt hätte. Es führt aber auch ein einfacher Größenschluß zu dem Ergebnis, daß dann, wenn sogar ein fehlender Antrag verbesserungsfähig ist, auch ein fehlender Eventualantrag wie überhaupt ein verfehlter Anfechtungsantrag nicht anders behandelt werden darf. Das hat jedenfalls zu gelten, wenn nur ein voller Aufhebungs-, nicht aber ein Abänderungsantrag gestellt wurde und auch letzterer aus dem Inhalt der Berufung zwanglos ableitbar ist. Die Art der Antragstellung durch die klagende Partei hätte also nicht dazu führen dürfen, die Prüfung des geltend gemachten Berufungsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu verweigern.

Das Berufungsgericht hat demnach die Berufung mangelhaft erledigt, so daß sein Urteil aufzuheben und ihm eine neue Entscheidung aufzutragen ist, mit der - allenfalls nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens - über den gesamten Inhalt der Berufung abzusprechen sein wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E08960

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0010OB00623.86.0714.000

Dokumentnummer

JJT_19860714_OGH0002_0010OB00623_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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