Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die Beisitzer Dr. Rupert Dollinger und Dr. Willibald Aistleitner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann A***, Autobuslenker, Frohnleiten, Leobnertor 5, vertreten durch Dr. Bernd Fritsch, Dr. Hans-Peter Benischke und Dr. Klaus Kollmann, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei W*** V***
G*** mbH & Co KG in St. Marein bei Graz Nr. 106, vertreten durch Dr. Otto Kern und Dr. Wulf Kern, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 23.708,59 brutto sA (Revisionsstreitwert S 21.769,91 sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 25. Februar 1986, GZ 2 Cg 10/86-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Graz vom 3. Oktober 1985, GZ 1 Cr 151/85-8, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird in seinem das erstgerichtliche Urteil abändernden Teil dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.526,72 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin sind S 411,52 Umsatzsteuer enthalten) sowie die mit S 4.219,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 1.500 Barauslagen und S 247,20 Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrt von der beklagten Partei, seiner ehemaligen Arbeitgeberin, die Zahlung eines Betrages von S 23.708,79 brutto sA an Kündigungsentschädigung, anteiligen Sonderzahlungen und Urlaubsentschädigung mit der Behauptung, am 15. März 1985 ungerechtfertigt entlassen worden zu sein. Er habe von einer von der beklagten Partei infolge Erkrankung eines Arbeitskollegen vorgenommenen Änderung der Diensteinteilung für den 14. März 1985 keine Kenntnis erlangt und daher den Kollegen an diesem Tag, an dem er dienstfrei gehabt habe, nicht vertreten können. Im übrigen sei zwischen dem Dienstende am 13. März 1985 (19,30 Uhr) und dem von der beklagten Partei verlangten Dienstbeginn am 14. März 1985 (5 Uhr) nicht die im Kollektivvertrag vorgeschriebene Mindestruhezeit von 10 Stunden gelegen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger sei am 13. März 1985 vom Betriebsleiter als Ersatz für den erkrankten Kollegen eingeteilt und über Auftrag des Betriebsleiters von zwei Arbeitskollegen davon in Kenntnis gesetzt worden. Der Kläger habe sich darüber abfällig geäußert und sei am 14. März 1985 nicht zum Dienst erschienen. Die zehnstündige Ruhezeit sei gewährleistet gewesen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Entlassung sei ungerechtfertigt, weil der Dienstplan nicht abgeändert worden sei und die Mitteilung durch einen Arbeitskollegen geeignet gewesen sei, im Kläger Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Anordnung entstehen zu lassen; der Kläger habe ohnehin Einsicht in den (nicht geänderten) Dienstplan genommen und habe versucht, den Betriebsleiter telefonisch zu erreichen, um Erkundigungen einzuholen. Der Kläger habe daher nicht mit dem für den Entlassungstatbestand des § 82 lit f GewO erforderlichen Vorsatz, sondern nur fahrlässig gehandelt. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung im Umfang des Zuspruchs eines die Urlaubsabfindung betreffenden Betrages von S 1.938,68 brutto sA und änderte sie im übrigen dahin ab, daß es das Mehrbegehren von S 21.769,91 sA abwies. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und traf folgende wesentliche Feststellungen:
Der Kläger war einer von sechs Autobuslenkern der beklagten Partei, die in deren Betrieb in Messendorf beschäftigt waren. Am Abend des 12. März 1985 wurde der Betriebsleiter Johann R*** vom Fahrer N. G*** verständigt, daß dieser erkrankt sei. Der Betriebsleiter teilte hierauf den Fahrer Josef Z*** als Vertreter G*** für den 13. März 1985 ein und beauftragte ihn, den Kläger davon zu verständigen, daß dieser am 14. März 1985, an dessen dienstfreien Tag, den Linienkurs G*** befahren müsse. Z*** traf am Vormittag des 13. März den Kläger in der Garage der beklagten Partei in Messendorf an und teilte ihm in Gegenwart eines weiteren Arbeitskollegen mit, er müsse ihn im Auftrag des Betriebsleiters darüber informieren, daß der Kläger am nächsten Tag den Kurs 2 des erkrankten G*** übernehmen müsse. Der Kläger erwiderte, daß er (gemeint war der Betriebsleiter) ihn ...(Götzzitat). Z*** faßte diese Worte als eine Unmutsäußerung auf und nahm an, der Kläger werde die Vertretung übernehmen. Der Kläger wußte, daß Z*** am 13. März 1985 seinen freien Tag gehabt hätte. Der Kläger sah am 13. März 1985 nach Dienstschluß am Dienstplan nach, fand dort aber keine ihn betreffende Einteilung für den nächsten Tag. Er versuchte hierauf erfolglos, den Betriebsleiter in dessen Wohnung telefonisch zu erreichen. Dienstplanänderungen werden im Betrieb der beklagten Partei üblicherweise im vorhinein im Dienstplan eingetragen. Dort wird auch darauf hingewiesen, daß jeder Fahrer verpflichtet ist, nach Dienstschluß in diesen Plan Einsicht zu nehmen.
Der Kläger trat am 14. März 1985 seinen Dienst nicht an. Dadurch fielen die Kurse 5,35 Uhr von Autal nach Graz, 6,00 Uhr von Graz nach Laßnitzhöhe, 6,32 Uhr von dort nach Graz und 7,15 Uhr ab Hirschenwirt zur Bundeserziehungsanstalt Liebenau aus. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, für den Entlassungstatbestand des unbefugten Verlassens der Arbeit (§ 82 lit f GewO) reiche ein fahrlässiges Handeln aus. Da der Kläger sich trotz der Mitteilung seines Arbeitskollegen nicht vergewissert habe, ob er am nächsten Tag benötigt werde, habe er zumindest fahrlässig, wenn nicht sogar mit dolus eventualis, gehandelt. Dieses Verhalten sei so schwerwiegend, daß der beklagten Partei eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zugemutet werden könne. Die zehnstündige Ruhezeit sei (gerade noch) eingehalten worden. Gegen den abändernden Teil dieser Entscheidung - der Teilzuspruch blieb unbekämpft - richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem auf die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils abzielenden Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Gemäß dem § 82 lit f GewO 1859 - diese Gesetzesstelle wurde durch den § 376 Z 47 Abs 1 GewO 1973 vorläufig aufrechterhalten - kann ein Arbeiter ua dann sofort entlassen werden, wenn er die Arbeit unbefugt verlassen hat. Diese Bestimmung ist im Sinne der analogen Vorschrift des § 27 Z 4 AngG auszulegen.
Das Dienstversäumnis muß, um tatbestandsmäßig zu sein, erheblich, pflichtwidrig und schuldhaft sein und überdies eines rechtmäßigen Hinderungsgrundes entbehren (Arb. 9991 mwH). Mit diesem Tatbestn wird nicht nur das Verlassen der Arbeit, sondern jedes mit der Verpflichtung zur Einhaltung der pflichtgemäßen Arbeitszeit unvereinbare Verhalten eines Arbeitnehmers erfaßt (Arb. 6002, 9046, 9106, 10.097; Kuderna, Das Entlassungsrecht, 66; aM Bernhard Schwarz, DRDdA 1974, 28 f, mit nicht überzeugender Begründung). Der Arbeitnehmer muß, um die Voraussetzung eines schuldhaften Verhaltens zu erfüllen, das Arbeitszeitversäumnis vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Im Falle eines vorsätzlichen Verhaltens muß er im Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit gehandelt haben; dem fahrlässig Handelnden muß die Pflichtwidrigkeit seines Handelns bei Beobachtung der pflichtgemäßen Sorgfalt erkennbar sein (Kuderna aaO, 47 ff, 66 ff mwH).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht zur Gänze vor. Die Unterlassung der Arbeit am 14. März 1985 erfolgte mit Rücksicht auf die zu erwartenden und danach tatsächlich eingetretenen Folgen (Ausfall eines Linienkurses) wohl während einer den Umständen nach erheblichen Zeit. Auch die Pflichtwidrigkeit ist zu bejahen, weil der Kläger - unvorgreiflich der zur Schuldfrage gehörenden ordnungsgemäßen Verständigung von der Änderung der Diensteinteilung - verpflichtet gewesen wäre, den Dienst am 14. März 1985 in Vertretung des erkrankten Fahrers G***
anzutreten. Dem Kläger kann aber weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, sodaß ihn ein Verschulden nicht trifft. Da er nur von einem Arbeitskollegen verständigt wurde und die ihm von diesem mitgeteilte Änderung der Diensteinteilung im Dienstplan nicht eingetragen war, obwohl derartige Änderungen ansonsten eingetragen werden, und da auch sein Versuch, den Betriebsleiter telefonisch zu erreichen, fehlschlug, kann von einer vorsätzlichen Unterlassung des Dienstantrittes am 14. März 1985 (auch in der Form eines dolus eventualis) nicht die Rede sein. Der Kläger durfte im Hinblick auf die ansonsten üblichen Gepflogenheiten darauf vertrauen, daß eine allfällige Änderung der Diensteinteilung im Dienstplan ersichtlich gemacht werde, zumal die Fahrer verpflichtet waren, täglich nach Dienstschluß in den Dienstplan Einsicht zu nehmen. Da der Kläger diese Weisung befolgte, eine Änderung der Diensteinteilung im Dienstplan aber nicht vorgenommen worden war, und ein Anruf beim Betriebsleiter erfolglos blieb, kann im Nichterscheinen zum Dienst am 14. März 1985, seinem dienstfreien Tag, eine vorsätzliche der auch nur gewollt in Kauf genommene Arbeitsversäumnis nicht angenommen werden.
Der Kläger hat aber auch nicht fahrlässig gehandelt, weil eine Verletzung seiner Sorgfaltspflicht im oben erwähnten Sinne angesichts der Einsichtnahme des Klägers in den Dienstplan nicht gegeben ist. Der Kläger durfte, wie bereits erwähnt, darauf vertrauen, daß eine Änderung der Diensteinteilung, falls sie wirklich vorgenommen worden sein sollte, so wie bisher im Dienstplan ersichtlich gemacht werde. Die beklagte Partei hätte für eine sichere und unmißverständliche Verständigung des Klägers von der Änderung der Diensteinteilung, insbesondere durch Vornahme dieser Änderung im Dienstplan, wie dies sonst geschehen ist, Sorge tragen müssen. Das in ihrem Organisationsbereich liegende Fehlverhalten steht daher auch der für eine gerechtfertigte Entlassung notwendigen Annahe der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Klägers entgegen; zumal dieser ohnehin auch noch beim Betriebsleiter rückzufragen versuchte. Aus besonderer Vorsicht hätte der Kläger trotzdem zum Dienst erscheinen können. Dazu war er aber nicht verpflichtet.
Da die Entlassung schon aus diesen Gründen ungerechtfertigt ist, stehen dem Kläger die aus diesem Rechtsgrund erhobenen, der Höhe nach nicht bestrittenen Ersatzansprüche im Sinne des § 1162 ABGB zu. Auf die weitere Frage der Einhaltung der zehnstündigen Mindestruhepause ist daher nicht mehr einzugehen.
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.
Anmerkung
E08759European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0140OB00129.86.0715.000Dokumentnummer
JJT_19860715_OGH0002_0140OB00129_8600000_000