Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 20.August 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann (Berichterstatter), Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Riedel als Schriftführers in der Strafsache gegen Slobodan V*** wegen des Verbrechens des versuchten Mords nach §§ 15, 75 StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 6.Mai 1986, GZ. 20 u Vr 11.561/85-47, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Strasser, und des Verteidigers Dr. Philipp, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am 23.Oktober 1949 geborene jugoslawische Staatsangehörige Slobodan V*** wurde des Verbrechens des versuchten Mords nach §§ 15, 75 StGB. schuldig erkannt. Darnach hat er am 5.Oktober 1985 (auf offener Straße) in Wien (seine Ehefrau) Milica V*** durch einen Herzstich und zahlreiche Stiche in den Brustkorb mit einem Küchenmesser vorsätzlich zu töten versucht.
Die Geschwornen bejahten die anklagekonform gestellte Hauptfrage im Stimmenverhältnis 6 : 2 und ließen demgemäß die in Richtung des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB., des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB. und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 und 2 Z. 1 StGB. gestellten Eventualfragen 2, 3 und 4 unbeantwortet.
Diesen Schuldspruch ficht der Angeklagte mit einer nur auf § 345 Abs. 1 Z. 5 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Inhalts an, durch die abgelehnte Vernehmung des Tatopfers in der Hauptverhandlung habe er nicht unter Beweis stellen können, in einer Notwehrsituation gehandelt zu haben.
Der Angeklagte verantwortete sich nach seiner Festnahme bei der Polizei im wesentlichen damit, seine Frau, die sich von ihm scheiden lassen wolle, habe ihm angedroht, ihn von ihrem neuen Freund umbringen zu lassen, und habe ihn unmittelbar vor der Tat mit einer Schere bedroht, weshalb er aus Angst mit dem mitgeführten Küchenmesser auf sie eingestochen habe (S. 19). Beim Untersuchungsrichter gab Slobodan V*** an, seine Frau habe ihm einen Tag vor der Tat erklärt, sie habe einen anderen Mann gefunden, der ihn verprügeln werde. Die Bedrohung mit der Schere hielt er aufrecht (ON. 4). Bei der psychiatrischen Exploration sprach er auch davon, unmittelbar vor der Tat von Milica V*** beleidigt und erniedrigt worden zu sein, weshalb er aus Wut zugestochen habe, während er die Bedrohung durch die Schere nicht ernstgenommen habe (S. 81, 83). Nach der Tat äußerte er nur, daß die Frau möglicherweise mit einer Schere auf ihn losgegangen wäre (S. 15). Dieser Verantwortung widersprach nicht nur das Tatopfer selbst (S. 55, ON. 24), sondern es konnten auch die unbeteiligten Zeugen Elisabeth M*** (S. 21, ON. 14), Johann S*** (S. 25, 26, ON. 12) und Ernest S*** (S. 29, ON. 13) auf Grund ihrer Beobachtungen aus nächster Nähe unter Betonung des Umstands, daß die Frau in beiden Händen eine Einkaufstasche trug, eine der Tathandlung unmittelbar vorausgehende Bedrohung des Täters mit einer Schere ausschließen. Diese Aussagen bekräftigten die genannten Tatzeugen auch in der Hauptverhandlung (S. 200 bis 205). Milica V*** konnte infolge eines Krankenhausaufenthalts zur Hauptverhandlung nicht erscheinen (S. 196). Der Verteidiger beantragte allerdings am Schluß der Verhandlung im Hinblick auf die widersprüchlichen Angaben der Milica V*** am 11.Oktober 1985 (bei der Polizei) und am 27. November 1985 (beim Untersuchungsrichter) deren Einvernahme zum Beweis dafür, "daß sie unmittelbar vor der Tat den Angeklagten mit Worten bzw. mit der Schere bedroht" habe. Diesen Beweisantrag wies der Schwurgerichtshof sofort "im Hinblick auf die ausreichende Klärung des Sachverhalts" ab (S. 210), ohne der zufolge Verweisung im § 302 StPO. auch im Geschwornenverfahren bestehenden Verpflichtung, die für die Abweisung des Zwischenantrags bestimmenden Gründe im Protokoll festzuhalten (§ 238 StPO.), nachzukommen. In dem gemäß § 342 StPO. auszufertigenden Urteil ist die Begründung des Zwischenerkenntnisses, wie es in diesem Fall geschah (S. 222), jedenfalls fehl am Platz (EvBl. 1971/48).
Rechtliche Beurteilung
Gleichwohl ist bei der Prüfung der Ergebnisse der Hauptverhandlung unzweifelhaft zu ersehen, daß die aufgezeigte Formverletzung keinen den Angeklagten benachteiligenden Einfluß üben konnte (§ 345 Abs. 3 StPO.). Daß die behauptete Bedrohung mit der Schere unmittelbar vor der Tat jedenfalls nicht stattfand, haben alle Zeugen bestätigt und die Behauptung des Angeklagten, die Polizei habe die Schere bei seiner Frau gefunden, widerspricht den in der Hauptverhandlung verlesenen (S. 211) Polizeiberichten (S. 16, 27). Aus welchen Gründen das Tatopfer bei einer neuerlichen Vernehmung nunmehr abweichend von seiner bisherigen Darstellung die Bedrohung mit einer Schere bestätigen sollte und daß die bisher eindeutige Beweislage dadurch entscheidend verändert werden könnte, wird im Beweisantrag gar nicht dargelegt. Die dort angezogenen und in der Beschwerde breit ausgeführten Widersprüche in den Angaben des Opfers im Vorverfahren beziehen sich ausschließlich auf eine allfällige wörtliche Auseinandersetzung unmittelbar vor der Tat, deren Inhalt - wie aufgezeigt - der Angeklagte selbst in den einzelnen Verfahrensstadien nicht gleichlautend schilderte. Jedenfalls könnte damit nur bestätigt werden, daß dem Beschwerdeführer zwar nicht unmittelbar bevorstehende, in der Zukunft aber mögliche Racheakte durch den neuen Freund der Frau in Aussicht gestellt wurden. Solche Äußerungen der Frau könnten aber keinesfalls als gegenwärtiger oder unmittelbar drohender Angriff auf Leben, Gesundheit oder körperliche Unversehrheit gewertet werden (§ 3 Abs. 1 StGB.) und somit entgegen der Beschwerdebehauptung eine Notwehrsituation selbst dann nicht begründen, wenn sie tatsächlich im Streit gefallen sein sollten.
Der Schwurgerichtshof konnte daher, ohne in die Verteidigungsrechte des Angeklagten einzugreifen, von der beantragten Beweiserhebung absehen, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen war.
Das Geschwornengericht verhängte über Slobodan V*** nach § 75 StGB. eine zwölfjährige Freiheitsstrafe. Es wertete die einschlägige Vorstrafe als erschwerend und das (formal abgelegte, durch die Art der Verantwortung und Urteilsbekämpfung aber weitgehend entwertete) Geständnis als mildernd.
Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte die weitgehende Herabsetzung der Freiheitsstrafe unter Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung an, ist mit diesem Begehren aber nicht im Recht.
Bei der Beurteilung dieser Bluttat darf trotz des - vom Gericht nicht ausdrücklich aufgezählten - Milderungsumstands, daß es beim Versuch geblieben ist (§ 34 Z. 13 StGB.) nicht außer Betracht bleiben, daß für die Frau akute Lebensgefahr bestand (vorübergehender Herzstillstand) und ihr Leben lang an der schwer gestörten Herzfunktion zu leiden haben wird (ON. 22, S. 208, 209). Wenn der Berufungswerber nunmehr eine erst in der Hauptverhandlung behauptete, ansonsten aber nicht objektivierte und vom Geschwornengericht auch nicht angenommene Alkoholisierung als mildernd gewertet haben will, ist ihm lediglich im Sinn des § 35 StGB. zu erwidern, daß ihm eine bereits am Vormittag (Tatzeit 10,53 Uhr) bestehende, auf seinen steten Müßiggang zurückzuführende Alkoholisierung jedenfalls vorwerfbar wäre.
Im Hinblick auf die auch kriminologisch gleich geartete (Angriff auf eine mit ihm befreundete Frau) Vorstraftat kann von einem auffallenden Widerspruch der Tat zum früheren Verhalten (§ 34 Z. 2 StGB.) nicht gesprochen werden. Hätte sich der Angeklagte zu dieser Tat in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung hinreißen lassen, hätten die Geschwornen (zufolge der mit dem Milderungsgrund des § 34 Z. 8 StGB. identen Voraussetzungen) die Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags bejahen müssen. Selbst wenn man als Motiv Eifersucht unterstellen wollte, wäre dies allein noch kein Grund, die vom Geschwornengericht ohnehin nahe der Untergrenze des Strafrahmens ausgemessene Unrechtsfolge noch weiter zu mildern. Mit Rücksicht auf die die strafrechtliche Verantwortlichkeit weitgehend negierende und die tatauslösende Verhaltenskomponente dem Opfer zuweisende Einlassung des Angeklagten fehlen überdies die Voraussetzungen des § 41 StGB.
Anmerkung
E08848European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0130OS00101.86.0820.000Dokumentnummer
JJT_19860820_OGH0002_0130OS00101_8600000_000