Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Kropfitsch und Dr.Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Sami H***, Rechtsanwaltsanwärter, Wien 4., Paulanergasse 4, vertreten durch Dr.Farid Rifaat, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W*** A*** V*** AG,
Wien 5., Margaretengürtel 142, vertreten durch Dr.Wolfgang Jaennee, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 28.221,60 s.A., infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 8.Jänner 1986, GZ 42 R 787/85-19, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 4. September 1985, GZ 25 C 1704/83-13, aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Rekurs der Beklagten wird zurückgewiesen.
Der Antrag des Klägers auf Zuspruch von Kosten der Rekursbeantwortung wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Am 27.4.1984 ereignete sich in der Paulanergasse in Wien vor dem Haus Nr.7 ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit seinem PKW Triumph Spitfire und Paloma Diaz M*** mit ihrem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW VW Golf beteiligt waren. Der Kläger begehrte von der Beklagten die Bezahlung von S 28.221,60 s.A. Paloma Diaz M*** habe den Unfall allein verschuldet, weil sie nach Verzicht auf ihren Vorrang mit dem aus einer Parklücke kommenden Fahrzeug des Klägers zusammenstieß. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Ein Vorrangverzicht habe nicht stattgefunden: vielmehr habe der "benachrangte" Kläger den Unfall allein verschuldet. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf, verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück und sprach einen Rechtskraftvorbehalt aus, weil dieser Rechtsfall "einer eindeutigen Erklärung bedürfe".
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, in der Sache selbst durch Abweisung des Klagebegehrens zu entscheiden.
In der Gegenschrift zum Rekurs beantragt der Kläger, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist unzulässig.
Die Vorinstanzen gingen bei ihren Entscheidungen von folgendem Sachverhalt aus:
Das Fahrzeug des Klägers kam vom rechten Fahrbahnrand; der bei der Beklagten versicherte PKW fuhr im anschließenden ersten Fahrstreifen nach einem Ampelhalt los. Dabei kam es zur Kollision. Es hatte sich eine Kolonne von Fahrzeugen gebildet, welche zum Stehen gekommen war. Diese Kolonne setzte sich in Bewegung, das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug "jedoch nicht zunächst", sodaß ein entsprechender Zwischenraum entstand. Der Kläger schloß daraus, daß die Lenkerin ihm den Vorrang überlasse, bzw. ihn ausparken lasse und setzte sein Fahrzeug in Bewegung; ein direkter Blickkontakt oder ein Setzen von Handzeichen oder ähnlichen Gesten fand nicht statt. Es setzte auch die Lenkerin ihr Fahrzeug in Bewegung, sodaß es zur beschriebenen Kollision kam. Es kann nicht mit Genauigkeit festgestellt werden, welches der beiden Fahrzeuge früher losgefahren war.
Während das Erstgericht davon ausging, daß von einem wirksamen Vorrangverzicht der Lenkerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges nicht gesprochen werden könne, verwies das Berufungsgericht darauf, daß dann, wenn sich zwei Fahrzeuglenker, von denen einer gegenüber dem anderen im Vorrang wäre, im Stillstand befänden, davon auszugehen sei, daß keinem von beiden der Vorrang zukomme; sie hätten vielmehr miteinander Kontakt aufzunehmen, tun sie das nicht, und komme es deshalb zum Unfall, so treffe beide ein (im Zweifel gleichgewichtiges) Verschulden, auch wenn einer davon etwas früher losgefahren sei. Dies müsse auch gelten, wenn der durch das Anhalten ausgedrückte Verzicht gegenüber einem Fahrzeuglenker erfolgt, der ausfahrbereit in einer Parklücke steht und seine Absicht auszufahren durch die Betätigung des Blinkers rechtzeitig bekanntgibt.
Demgegenüber stellt sich die Beklagte auf den Standpunkt des Erstgerichtes.
Das Berufungsgericht zitierte bei der Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes die ständige Judikatur des Obersten Gerichtshofes, wonach dann, wenn beide Fahrzeuge anhielten, eine Anwendung der für fahrende Fahrzeuge gedachten Vorrangregel nicht in Betracht kommt (ZVR 1978/234; ZVR 1982/88; ZVR 1983/302; ZVR 1983/52; ZVR 1983/249 ua.). Ausdrücklich hat der Oberste Gerichtshof bereits zum Ausdruck gebracht, daß dieser Grundsatz auch dann gilt, wenn ein Vorrangverzicht des im fließenden Verkehr befindlichen Fahrzeuglenkers zu dem Zweck erfolgt, dem anderen Verkehrsteilnehmer das Einordnen in den fließenden Verkehr zu ermöglichen. Wenn die Lenkerin des bei der Beklagten versicherten PKWs durch Zum-Stillstand-Bringen ihres Fahrzeuges auf ihren Vorrang verzichtete und daher den Kläger von seiner Wartepflicht ihr gegenüber enthob, mußte sie ihr weiteres Fahrverhalten darauf einstellen (ZVR 1980/134; ZVR 1983/302 ua.). Selbstverständliche Voraussetzung ist dafür, daß der Kläger überhaupt seine Absicht, sich in den fließenden Verkehr einzuordnen, durch Blinkerbetätigung zum Ausdruck brachte. All dies hat das Berufungsgericht richtig erkannt und sich in seinen wesentlichen Aussagen auf die diesbezüglich bereits ständige Judikatur des Obersten Gerichtshofes berufen.
Da somit die Aufnahme eines Rechtskraftvorbehaltes in den Aufhebungsbeschluß der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 519 Abs 2 ZPO und des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO entbehrte, war der Rekurs der Beklagten zurückzuweisen (Fasching, Zivilprozeßrecht Rdz 1822).
Ein Kostenzuspruch an den Kläger findet nicht statt, weil dieser auf die Unzulässigkeit des Rekurses in seiner Rekursbeantwortung nicht hingewiesen hat.
Anmerkung
E08809European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00036.86.0828.000Dokumentnummer
JJT_19860828_OGH0002_0080OB00036_8600000_000