Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 2.September 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Hon.Prof. Dr. Brustbauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Riedel als Schriftführer in der Strafsache gegen Leopold L*** wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach den §§ 15, 142 Abs 1, 143 (zweiter Fall) StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Klagenfurt vom 25.Februar 1986, GZ 7 Vr 2.968/85-26, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Strasser, und des Verteidigers Dr. Bitschnau, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Gemäß dem § 290 Abs 1 StPO wird das angefochtene Urteil im Ausspruch über die Anrechnung der Vorhaft dahin ergänzt, daß dem Angeklagten auch die Untersuchungshaft vom 25.Februar 1986, 8.00 Uhr bis 11.15 Uhr (desselben Tages), auf die Strafe angerechnet wird. Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde auf Grund des Wahrspruches der Geschwornen der am 12.Oktober 1965 geborene Leopold L*** des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach den §§ 15, 142 Abs 1, 143 (zweiter Fall) StGB schuldig erkannt, weil er am 16. September 1985 in Villach dem Taxilenker Robert F***, indem er ihm ein Messer an den Hals setzte und drohte: "Geld her oder ich steche dich ab", durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben und unter Verwendung einer Waffe Bargeld mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung abzunötigen versucht hatte. Das Geschwornengericht verhängte deshalb über den Angeklagte nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und ordnete gemäß dem § 21 Abs 2 StGB seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an.
Der Angeklagte ficht dieses Urteil im Ausspruch nach dem § 21 Abs 2 StGB mit einer auf den § 345 Abs 1 Z 13 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an. Er bringt vor, daß es an der Grundvoraussetzung der Begehung der Anlaßtat unter dem Einfluß einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades fehle. Überdies wendet er sich gegen die Anstaltsunterbringung und den Ausspruch einer fünfjährigen Freiheitsstrafe mit Berufung.
Rechtliche Beurteilung
Die Nichtigkeitsbeschwerde versagt.
Nach den in tatsachenmäßiger Beziehung unbekämpfbaren Feststellungen des Geschwornengerichtes (§§ 303, 338, 435 StPO) handelt es sich beim Angeklagten um einen mittel- bis hochgradig schwachsinnigen, aggressiven und gemütsarmen Psychopathen, der bereits siebenmal in stationärer psychiatrischer Behandlung und auch mehrere Jahre in einem Heim für geistig Schwerbehinderte untergebracht war. Das Erstgericht nahm ferner als gegeben an, daß der Angeklagte die Anlaßtat unter dem (kausalen) Einfluß dieser geistigen "oder" (gemeint: und) seelischen Abartigkeit höheren Grades beging (vgl. zur Unanfechtbarkeit dieser Annahme in rechtlicher Hinsicht: 13 Os 30/85 = Jus Extra 1985, 5, S 16). Soweit die Beschwerde zunächst den ursächlichen Zusammenhang zwischen der geistig-seelischen Abnormität des Angeklagten und der Tat negiert, wird der materielle Nichtigkeitsgrund, der stets ein Festhalten an dem durch die Urteilsfeststellungen vorgegebenen Tatsachensubstrat voraussetzt, nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung gebracht. Das Beschwerdevorbringen, aus dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen könne der Schluß gezogen werden, daß beim Angeklagten eine krankheitsbedingte Willensbeeinflussung nicht vorgelegen wäre, geht daher ins Leere. Im übrigen bezieht sich die in der Beschwerde zitierte, inzwischen mit dem Beschluß vom 11.Juni 1986 (ON 34 dA) berichtigte Passage des Hauptverhandlungsprotokolls auf die Dispositionsfähigkeit des Angeklagten als Voraussetzung seiner (bejahten) Zurechnungsfähigkeit (§ 11 StGB). Die Beschwerde verkennt im gegebenen Zusammenhang, daß die höhergradige geistige oder seelische Abartigkeit der nach dem § 21 Abs 2 StGB einzuweisenden zurechnungsfähigen Täter zwar so ausgeprägt sein muß, daß sie die Willensbildung wesentlich beeinflussen kann, diese Beeinträchtigung der Willenskraft aber nicht zu einer Unterschreitung des für die Schuldfähigkeit erforderlichen Mindestmaßes der Fähigkeit zur Selbstbestimmung geführt haben darf. Insofern sind die Einweisungsvoraussetzungen schuldfähiger und nicht schuldfähiger Täter nach dem Abs 2 bzw. Abs 1 des § 21 StGB verschieden (vgl. auch Pallin im WK zu § 21 StGB, RZ 16, S 6).
Die - nach beiden Gesetzesbestimmungen erforderliche, unter Anlegung eines strengen Maßstabes zu prüfende (Pallin aaO, S 5) - Höhergradigkeit der für die Anlaßtat kausalen geistigen und seelischen Abartigkeit bejahte das Erstgericht auf Grund seiner erwähnten Feststellungen, denen zufolge es sich beim Angeklagten um einen zumindest mittelgradig schwachsinnigen, aggressiven und gemütsarmen Psychopathen handelt, rechtsrichtig. Denn abgesehen davon, daß Schwachsinn an sich schon eine Abartigkeit höheren Grades bedeutet (Pallin aaO RZ 3, S 2 oben), war der Geistes- und Gemütszustand des Angeklagten, der im Verfahren verschiedentlich eingestand, daß er sogar die Tötung des Taxilenkers erwogen hatte (S 22, 69, 71, 125, 128 dA) und ein gleiches Vorhaben auch in Beziehung auf seinen Stiefvater äußerte (S 69, 128 dA), ersichtlich mit einer erheblichen Minderung der Hemmfähigkeit (Pallin aaO RZ 4) verbunden. Solcherart die Willensbildung wesentlich beeinflussend, liegt also die Abartigkeit des Angeklagten bereits deutlich außerhalb der Variationsbreite des noch Normalen (Leukauf-Steininger2, RN 20 zu § 21 StGB; Pallin aaO RZ 16). Mit dem Einwand, für die Einweisung nach § 21 (Abs 2) StGB kämen "insbesondere nur hirngeschädigte Psychopathen, schwere Neurotiker und Personen mit schweren sexuellen Perversionen" in Betracht, widerspricht sich die Beschwerde selbst. Diesen, aus einer bloß beispielsweisen Aufzählung in der Regierungsvorlage zum StGB (105 = Dok. 76) - zum Teil ungenau - zitierten schweren geistigen und seelischen Anomalien kommt aber die beim Angeklagten festgestellte Abartigkeit gleich (ähnlich Mayerhofer-Rieder 2 , ENr. 7 zu § 21 StGB).
Demnach erweist sich die Rechtsrüge in bezug auf die in Rede stehende Grundvoraussetzung der sichernden Maßnahme nach dem § 21 Abs 2 StGB als nicht begründet, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen war.
Bei der Vorhaftanrechnung unterlief dem Erstgericht ein ungerügter Fehler in der Bedeutung des Nichtigkeitsgrundes nach dem § 345 Abs 1 Z 13 StGB: Seit 25.Februar 1986, 8.00 Uhr, befand sich der Angeklagte wieder in Untersuchungshaft (ON 22 und 23 dA), die ihm bis zum Ende der Hauptverhandlung am 25.Februar 1986, 11.15 Uhr (S 132 dA), anzurechnen gewesen wäre. Dieser Fehler, der dem Angeklagten zum Nachteil gereichen kann, war vom Obersten Gerichtshof gemäß dem § 290 Abs 1 StPO von Amts wegen zu beheben (vgl. 12 Os 174/85; 9 Os 196/85, 9 Os 30/86 uam).
Das Geschwornengericht wertete bei der Strafbemessung als erschwerend die einschlägige Vorstrafe und den Umstand, daß das Opfer an der Hand leicht verletzt wurde, als mildernd das Geständnis des Angeklagten, sein Alter unter 21 Jahren sowie den Umstand, daß es beim Versuch blieb.
Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Strafermäßigung und die Aufhebung des Ausspruches nach dem § 21 Abs 2 StGB an. Auch der Berufung kommt keine Berechtigung zu.
Die Strafzumessungsgründe wurden in erster Instanz richtig und vollständig erfaßt. Zu Recht wurde insbesondere auch die Vorstrafe als erschwerend berücksichtigt. Für die - von der Berufung ins Treffen geführte - Annahme einer freiwilligen Enthaltung von der Zufügung eines größeren Schadens besteht angesichts der Tatsache, daß es dem Opfer nur durch Anwendung einer List gelang, sich weiterem gewalttätigen Zugriff des Angeklagten zu entziehen, kein Anlaß. Ebensowenig kann der "unabwendbare Drang", die "in Spittal wohnende Freundin zu besuchen", einer Notlage (§ 34 Z 10 StGB) gleichgehalten werden.
Dem Erstgericht ist aber auch darin zu folgen, daß es - abgesehen vom Fehlen der Voraussetzung eines beträchtlichen Überwiegens der Milderungsumstände - im Hinblick auf die unbedenkliche Darstellung der Täterpersönlichkeit durch den medizinischen Sachverständigen auch an dem Erfordernis begründeter Aussicht mangelt, der Angeklagte werde selbst bei Verhängung einer das gesetzliche Mindestmaß unterschreitenden Freiheitsstrafe keine weiteren strafbaren Handlungen begehen. Damit fehlt es jedoch an der gesetzlichen Möglichkeit, die Strafe - wie begehrt - zu mildern. Dem Berufungsvorbringen kann schließlich auch, soweit es sich auf die Gefährlichkeitsprognose bezieht, nicht gefolgt werden:
Der ärztliche Sachverständige bezeichnete die Zukunftsprognose für den Angeklagten als äußerst ungünstig (S 129 dA). Er führte weiters aus, es handle sich beim Angeklagten um einen schwachsinnigen, aggressiven und gemütsarmen Psychopathen, der sich im Lauf der letzten Jahre zu einem ausgeprägt asozial parasitär kriminellen Burschen entwickelte (S 75 und 77 in Verbindung mit S 128 f dA). Dem Geschwornengericht unterlief daher auch in der Beurteilung kein Fehler, es sei zu befürchten, daß der Angeklagte ohne Anstaltsunterbringung abermals unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine Straftat mit schweren Folgen begehen werde.
Mithin konnte auch der Berufung kein Erfolg beschieden sein. Die Kostenentscheidung beruht auf der zitierten Gesetzesstelle.
Anmerkung
E08823European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0110OS00066.86.0902.000Dokumentnummer
JJT_19860902_OGH0002_0110OS00066_8600000_000