TE OGH 1986/9/9 2Ob40/86

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Veröffentlicht am 09.09.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Franz F***, Tischler, Pirkachberg 2, 9842 Mörtschach, 2) VVS, V*** FÜR V*** UND H*** IN S***, Hütteldorferstraße 79, 1150 Wien, beide vertreten durch Dr. Paul Meyer, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagte Partei V*** Versicherungs-AG., Schottengasse 10, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Werner Walch, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung und S 775.218,90 s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 16. April 1986, GZ 18 R 50/86-28, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Teilurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 30.November 1985, GZ 9 Cg 762/84-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte hat den klagenden Parteien die mit S 17.679,92 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.607,27 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 13.11.1982 gegen 23,45 Uhr wurde ein PKW Marke Opel Commodore, in welchem der Erstkläger mitfuhr, im Ortsgebiet von Feffernitz im Drautal fahrunfähig. Der Erstkläger und ein anderer Insasse schoben das Fahrzeug, in welchem sich der Lenker befand, an der rechten Seite der 8,5 m breiten Fahrbahn in Richtung einer Tankstelle, wo sie es abzustellen beabsichtigten. Die Straßenbeleuchtung war eingeschaltet, die Sicht war durch starken Regen und leichten Nebel herabgemindert. Herbert G*** fuhr mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW von hinten auf das geschobene Fahrzeug auf. Dabei wurde der Erstkläger verletzt. Herbert G*** wurde mit rechtskräftiger Strafverfügung wegen des Vergehens der fahrlässigen schweren Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB verurteilt, weil er den Verkehrsunfall "durch Unaufmerksamkeit im Straßenverkehr und Einhalten einer dafür und die Sicht, Straßen- und Verkehrsverhältnisse überhöhten Geschwindigkeit fahrlässig verschuldete". Der Kläger erlitt bei dem Unfall einen offenen Bruch des linken Unterschenkels, eine Prellung und Schürfung am linken Fuß und Schürfungen an der Unterschenkelstreckseite rechts. Es handelt sich dabei um schwere Verletzungen; die folgenden Behandlungen waren durch massive Eiterungen am linken Unterschenkel kompliziert und beträchtlich verlängert. Außer einer Operation am 13.11.1982 waren weitere Operationen am 8.2., 20.4., 29.4. und 29.8.1983 sowie am 2.8.1984 mit Krankenhausaufenthalten notwendig, der Marknagel wurde am 29.4.1983 entfernt. Der Kläger hatte bis 31.12.1985 42 Tage anhaltend starke Schmerzen, 60 Tage mittlere und 240 leichte Schmerzen zu ertragen. Die Entfernung einer Platte vom linken Unterschenkel steht noch bevor, das Ausmaß der auf Grund dieses operativen Eingriffes zu erwartenden Schmerzzustände ist noch nicht genau abzusehen. Als Folgen nach den Verletzungen bestehen eine Verkürzung von 1,5 cm und Verschmächtigung des linken Beines mit Bewegungseinschränkung im linken oberen und unteren Sprunggelenk, mehrfache, durchwegs geschlossene und reizlose ausgedehnte Narben am linken Unterschenkel, an der Kniestreckseite, am linken Fuß sowie am linken Darmbeinkamm und eine mit der Muskulatur gering verwachsene, aber reizlose Narbe an der Unterschenkelbeugeseite links. Der Erstkläger begehrt die Feststellung der mit der Versicherungssumme beschränkten Haftung der Beklagten für die künftigen Unfallsfolgen, die Zweitklägerin fordert auf Grund einer Zession die Bezahlung eines Betrages von S 775.218,90 samt 8 % Zinsen seit 23.4.1983. In diesem Betrag sind S 500.000,-- Schmerzengeld enthalten.

Die Beklagte wendete ein, Herbert G*** habe den PKW nicht rechtzeitig sehen können, weil die Beleuchtung durch den Kläger und eine andere Person verdeckt gewesen sei. Das Verschulden liege beim Kläger. Das Mitverschulden des Versicherungsnehmers der Beklagten sei zu vernachlässigen, das begehrte Schmerzengeld sei überhöht. Das Erstgericht entschied mit Teilurteil über das Feststellungsbegehren sowie über die Schmerzengeldforderung. Es gab dem Feststellungsbegehren statt und erkannte die Beklagte schuldig, der Zweitklägerin einen Betrag von S 270.000,-- samt 4 % Zinsen seit 23.4.1983 zu bezahlen.

Das Erstgericht nahm zum Beweis für den Unfallshergang Einsicht in den Strafakt. Abgesehen von dem oben wiedergegebenen unbestrittenen Sachverhalt führte es im Rahmen seiner Feststellungen aus, es könne nicht festgestellt werden, daß die gesamte Beleuchtung des vom Erstkläger und einem anderen Mann geschobenen Fahrzeuges durch deren Körper für Herbert G*** vollkommen verdeckt war.

Zu diesen Feststellungen erwog das Erstgericht bei der Beweiswürdigung, aus der Überlegung, daß es sich bei einem Opel Commodore um ein relativ breites Fahrzeug handle, das nicht nur rechts und links, sondern auch in der Mitte durch die Kennzeichenbeleuchtung beleuchtet sei, ergebe sich, daß eine vollständige Verdeckung durch die schiebenden Personen nicht feststellbar sei. Selbst wenn man annehme, daß beide schiebenden Personen während der Annäherung des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges durch ihre Körper das rechte und das linke Positionslicht des Fahrzeuges völlig verdeckten, sei die Sichtbarkeit des geschobenen Fahrzeuges immer noch durch die Kennzeichenbeleuchtung und dadurch gewährleistet gewesen, daß die nach den Feststellungen eingeschaltete Warnblinkanlage nach allen Seiten des Fahrzeuges ausgestrahlt habe. Im Verein mit der Straßenbeleuchtung sei daher das geschobene Fahrzeug für den Lenker des nachfolgenden Kraftfahrzeuges keinesfalls unsichtbar gewesen. Daraus folge in rechtlicher Hinsicht, daß ein von der Beklagten behauptetes Mitverschulden des Erstklägers, das nach Ansicht der Beklagten wohl in der Tatsache des Schiebens des fahrunfähigen Autos erblickt werden solle, nicht vorliege. Das Gericht sei nicht nur an das festgestellte verurteilende Erkenntnis des Strafgerichtes gebunden, es könne darüberhinaus im Verhalten des Erstklägers, der geholfen habe, im Ortsgebiet bei eingeschalteter Straßenbeleuchtung ein ordnungsgemäß beleuchtetes Kraftfahrzeug wegen Fahrunfähigkeit von der Verkehrsfläche zu schaffen, kein Verschulden erblicken. Daraus folge die Haftung der Beklagten für die festgestellten Verletzungen des Klägers. Ein Schmerzengeld von S 350.000,-- sei angemessen, sodaß nach Abzug der Teilzahlung von S 80.000,-- ein Betrag von S 270.000,-- zustehe.

Die Beklagte bekämpfte das Ersturteil mit Berufung. Zum Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens wurde geltend gemacht, das Erstgericht habe den Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt, weil es die Feststellungen auf Grund des Strafaktes getroffen, die beantragten Zeugen aber nicht vernommen habe. Das Berufungsgericht gab dieser Berufung nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es bezüglich des Erstklägers entschieden habe, S 300.000,-- übersteige und daß die Revision auch bezüglich der Zweitklägerin zulässig sei. Das Gericht zweiter Instanz erwiderte auf die Mängelrüge, es sei unbestritten, daß zum Unfallszeitpunkt am PKW Opel Commodore die gesamte Licht- und Alarmblinkanlage eingeschaltet gewesen sei. Da zwei Personen den PKW am linken und rechten Heck schoben, könne zumindest die Kennzeichenbeleuchtung nicht dauernd verdeckt gewesen sein. Dies habe die Beklagte auch nicht konkret vorgebracht. Dem Klagebegehren sei daher auf Grund des unbestrittenen Sachverhaltes und des Vorbringens der Beklagten ohne Durchführung eines Beweisverfahrens stattzugeben, weshalb es dahingestellt bleiben könne, ob in der Verwertung der Beweisergebnisse des Strafaktes eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes liege. Die Feststellungen des Erstgerichtes würden nicht übernommen. Das Verschulden des Versicherungsnehmers der Beklagten stehe auf Grund der strafrechtlichen Verurteilung bindend fest. Ein Mitverschulden des Erstklägers hätte die Beklagte beweisen müssen. Der Erstkläger sei beim Schieben des PKWs als Betriebsgehilfe des Lenkers tätig gewesen, die Bestimmungen über Fußgänger seien auf ihn nicht anwendbar. Es sei wohl unvermeidbar, daß beim Schieben eines PKWs die hintere Lichtanlage teilweise oder vorübergehend verdeckt werde. Selbst wenn darin ein Mitverschulden des Klägers läge, wäre es so gering, daß es vernachlässigt werden könnte. Das begehrte Schmerzengeld sei nicht überhöht.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie macht die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die Kläger beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Zur Mängelrüge führt die Revisionswerberin aus, das Berufungsgericht habe die vom Erstgericht aus dem Strafakt getroffenen Feststellungen nicht übernommen, habe dann aber doch Feststellungen des Strafaktes verwertet. Auch das Berufungsverfahren sei daher mangelhaft. Die Beklagte habe eindeutig bestritten, daß die Lichtanlage des PKW Opel Commodore erkennbar gewesen sei. Daraus könne geschlossen werden, daß die Kennzeichentafel nicht beleuchtet gewesen sei. Wären die beantragten Zeugen vernommen worden, dann hätte sich ergeben, daß das Fahrzeug nicht erkennbar gewesen sei.

Bei der rechtlichen Beurteilung sei zu berücksichtigen, daß der PKW Opel Commodore ein Verkehrshindernis im Sinne des § 89 Abs 1 StVO gewesen sei und daher mit einer Warneinrichtung zu versehen gewesen wäre. Der Kläger habe mitgewirkt, daß das betriebsunfähige Fahrzeug nicht ordnungsgemäß abgestellt und mit einer Warneinrichtung versehen worden sei. Darüberhinaus habe er die Heckbeleuchtung verdeckt. Es treffe ihn daher ein überwiegendes Verschulden, ein allfälliges Mitverschulden des Versicherungsnehmers der Beklagten sei zu vernachlässigen. An Schmerzengeld sei nur ein Betrag von S 200.000,-- angemessen.

Dem ist folgendes entgegenzuhalten:

Das Verschulden des Versicherungsnehmers der Beklagten, das darin besteht, daß er die nötige Aufmerksamkeit außeracht ließ und für die damaligen Verhältnisse eine zu hohe Geschwindigkeit einhielt, steht auf Grund der Strafverfügung bindend fest. Bei Prüfung der Frage, ob den Kläger ein Mitverschulden trifft, ist davon auszugehen, daß der PKW Opel Commodore betriebsunfähig geworden war. Er bildete insbesondere wegen der Dunkelheit und der ungünstigen Witterungsverhältnisse ein gefährliches Hindernis, für dessen Entfernung der Lenker gemäß § 89 a Abs 1 StVO ehestens zu sorgen hatte. Da es sich um einen fahrunfähigen PKW handelte, war eine sofortige Entfernung nur durch Wegschieben möglich. Durch das Schieben des Fahrzeuges in den Bereich einer in der Nähe befindlichen Tankstelle wurde dem Gebot des § 89 a Abs 1 StVO entsprochen. Bei dem durch Schieben in Bewegung befindlichen PKW handelte es sich um kein stehendes Verkehrshindernis, das nach § 89 StVO zu kennzeichnen gewesen wäre. Dafür, daß ein Entfernen des PKWs von der Fahrbahn auf eine andere Art, als durch Schieben zu einer in der Nähe befindlichen Tankstelle, rascher möglich gewesen wäre, bestehen keine Anhaltspunkte, die Beklagte hat derartiges auch nie behauptet. Die Handlungsweise des Lenkers des PKW Opel Commodore und der beiden Personen, die dieses Fahrzeug schoben, entsprach daher den Vorschriften der StVO; die Regelung des § 76 StVO hat keine Anwendung zu finden, weil Personen, die ein Fahrzeug schieben, nicht als Fußgänger anzusehen sind (ZVR 1981/92). Daß es beim Schieben eines Fahrzeuges zu einer Beeinträchtigung der Erkennbarkeit der Heckbeleuchtung kommt, wird im allgemeinen schwer zu vermeiden sein. Ein Verschulden des Klägers kann daraus aber nicht abgeleitet werden, zumal weil sich der Vorfall im Ortsgebiet ereignete und die Straßenbeleuchtung eingeschaltet war.

Feststellungen, ob man die Heckbeleuchtung am PKW sehen konnte, waren daher nicht notwendig. Bei ihrer Behauptung, der PKW sei nicht rechtzeitig erkennbar gewesen, läßt die Beklagte überdies unberücksichtigt, daß der Lenker des bei ihr versicherten Fahrzeuges nach dem bindenden Straferkenntnis unaufmerksam fuhr. Aus diesen Gründen gingen die Vorinstanzen zutreffend vom Alleinverschulden des Versicherungsnehmers der Beklagten aus.

Auch in der Bemessung des Schmerzengeldes mit S 350.000,-- kann kein Rechtsirrtum erblickt werden. Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Bemessung des Schmerzengeldes die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art, Intensität und Dauer der Schmerzen sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Verletzten überhaupt und die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen (Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld 4 , 157). Auch auf Dauerfolgen ist Bedacht zu nehmen. Im vorliegenden Fall bestand die Verletzung im wesentlichen in einem offenen Unterschenkelbruch. Auf Grund dieser Verletzung traten durch lange Zeit hindurch Schmerzen auf, der Heilungsverlauf dauerte ungewöhnlich lang und war sehr kompliziert. Am 13.11.1982 wurde eine Operation vorgenommen, im Lauf des Jahres 1983 erfolgten vier weitere Operationen und am 2.8.1984 war neuerlich ein operativer Eingriff erforderlich. Als Folgen des Unfalles bestehen eine Verkürzung und Verschmächtigung des linken Beines mit Bewegungseinschränkungen im Sprunggelenk. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist das zuerkannte Schmerzengeld nicht überhöht. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41,50 ZPO.

Anmerkung

E08739

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00040.86.0909.000

Dokumentnummer

JJT_19860909_OGH0002_0020OB00040_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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