Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DER A***, A***
V***-A***, Wien 1., Hoher Markt 10-11,
vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wider die
beklagte Partei E*** A*** V***-A***,
Wien 1., Brandstätte 7-9, vertreten durch Dr. Karl Stockreiter, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 41.019,- s.A., infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 22. Jänner 1986, GZ. 16 R 329/85-50, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 17. September 1985, GZ. 22 Cg 704/83-43, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 41.019,- samt 4 % Zinsen seit 1.4.1981 zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 38.286,75 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 7.176,- Barauslagen und S 2.828,25 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Bei einem von Jurij P*** am 30.10.1980 verschuldeten Verkehrsunfall wurde unter anderem auch der PKW VW Golf des Günter K*** beschädigt. Die klagende Partei als Kaskoversicherer dieses Fahrzeuges ersetzte ihrem Versicherungsnehmer die mit S 106.336,-
geschätzten Reparaturkosten abzüglich eines Selbstbehaltes von S 5.317,-, sohin S 101.019,-. S 60.000,- dieser Ersatzleistung wurden entsprechend dem Teilungsabkommen zwischen den für einen Versicherungsschutz in Betracht kommenden Versicherungsanstalten aufgeteilt. Den Restbetrag begehrt die klagende Partei von der beklagten Partei als Haftpflichtversicherer des schuldtragenden Lenkers.
Die beklagte Partei behauptet, daß die Reparaturkosten richtig nur mit S 63.107,58 zu veranschlagen gewesen wären und der Geschädigte für die Reparatur auch tatsächlich nur S 64.537,74 aufgewendet habe. Letzteres wurde außer Streit gestellt (AS 151). Unstrittig ist auch, daß die beklagte Partei dem Geschädigten S 5.564,- direkt bezahlte.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen ließ Günter K*** seinen PKW zwecks Weiterverkaufs "in Form einer Billigreparatur" instandsetzen. Diese "Kulanzreparatur" wurde derart durchgeführt, daß sämtliche Unfallsschäden behoben, jedoch zum Teil anstelle von Neuteilen teils Altteile verwendet und teils Ausrichtearbeiten gemacht wurden. Nach der Auffassung des Erstgrichtes sei zwar der Geschädigte verpflichtet, den Schaden möglichst gering zu halten, wenn es ihm aber gelungen sei, im Kulanzwege, aufgrund freundschaftlicher Beziehungen oder aus welchem Grund immer eine billigere Reparatur zu erlangen und er sich mit einer solchen Reparatur zufrieden gebe, könne der sich daraus entstehende Vorteil nicht dem Schädiger zugute kommen.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es führte aus, daß zwar nach ständiger Rechtsprechung fiktive Reparaturkosten zugesprochen würden, ein solcher Zuspruch nach neuerer Rechtsprechung jedoch dann abzulehnen sei, wenn die Raparatur tatsächlich mit einem geringeren Aufwand durchgeführt worden sei. Dieser Rechtsansicht sei mit der Einschränkung zu folgen, daß der Ersatz fiktiver Reparaturkosten im Falle niedrigerer tatsächlicher Reparaturkosten nur dann abgelehnt werden könne, wenn durch die billigere Reparatur eine entsprechende Ersatzlage hergestellt werde. Werde hingegen durch die Reparatur der Zeitwert des unbeschädigten Fahrzeuges zum Unfallszeitpunkt nicht erreicht, seien die fiktiven Reparaturkosten zu ersetzen, wenn die Differenz zwischen dem Wert des reparierten Fahrzeuges und dem Zeitwert des unbeschädigten Fahrzeuges nicht geringer sei; in diesem Falle sei nur jene geringere Differenz die Vermögensminderung, auf die es letztlich ankomme. Schließlich könne es bei Veräußerung des Fahrzeuges zur Ermittlung des Schadens auch auf den vom Geschädigten erzielten Kaufpreis ankommen. Den Parteien müsse Gelegenheit geboten werden, zu dieser Rechtsansicht des Berufungsgerichtes Stellung zu nehmen und allenfalls ergänzendes neues Vorbringen zu erstatten. Gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, dem Berufungsgericht eine Sachentscheidung aufzutragen.
Die klagende Partei hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der beklagten Partei ist berechtigt.
Nach bisher ständiger Rechtsprechung hat der Geschädigte Anspruch auf Ersatz der angemessenen (fiktiven) Reparaturkosten (ZVR 1983/36, 1981/95, 1979/132, 1971/100 uva). Zutreffend hat das Berufungsgericht aber hervorgehoben, daß - wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat - der Zuspruch fiktiver Reparaturkosten dann nicht in Betracht kommt, wenn der Geschädigte die Reparatur tatsächlich durchführen ließ. In diesem Falle sind nicht mehr die angemessenen Reparaturkosten fiktiv zu berechnen, sondern die tatsächlichen, wenn auch geringeren Reparaturkosten zu ersetzen (SZ 51/7; ZVR 1984/344, 1982/194; 2 Ob 153/83; 8 Ob 220/83). Im vorliegenden Fall bestand Streit zwischen den Parteien zunächst nur über die Höhe der angemessenen Reparaturkosten, die von den Sachverständigen der Parteien jeweils unterschiedlich errechnet wurden; gegen den weiteren Einwand der beklagten Partei, daß die tatsächlichen Reparaturkosten nur S 64.537,74 betragen hätten, berief sich die klagende Partei nur darauf, daß ihr Versicherungsnehmer auch dann Anspruch auf den von ihrem Sachverständigen "errechneten Schaden" habe, wenn er die Reparatur billiger durchführen habe lassen. Ein weiteres Sachvorbringen wurde nicht erstattet und insbesondere nicht behauptet, daß etwa durch den tatsächlichen Reparaturaufwand die Minderung des gesamten gemeinen Wertes des Fahrzeuges nicht ausgeglichen worden sei (vgl. hiezu Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 12 zu § 1323).
Dem Berufungsgericht ist zwar einzuräumen, daß bei gesetzmäßiger Ausführung der Rechtsrüge auch neue, nicht ausgeführte rechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind; dies gilt jedoch nur insoweit, als in erster Instanz ein entsprechendes, wenn auch unvollständiges Sachvorbringen erstattet wurde (7 Ob 30/85). Beweisergebnisse können fehlendes Parteivorbringen nicht ersetzen und überschießende Feststellungen sind nur im Rahmen des geltend gemachten Klagegrundes oder der erhobenen Einwendungen zu berücksichtigen (7 Ob 46/82). Es ist daher unzulässig, Verfahrensergänzungen aufzutragen, die durch Behauptungen der Parteien in erster Instanz nicht gedeckt sind (RZ 1979/16, JBl. 1976, 591; 6 Ob 662/84; 6 Ob 640/84; 7 Ob 46/82). Auch ist deshalb die Rechtsfrage nicht zu erörtern, ob und unter welchen Umständen dem Geschädigten allenfalls ein über die tatsächlichen Reparaturkosten hinausgehender Ersatzanspruch zustünde. Die Streitsache ist vielmehr nach den oben dargelegten Grundsätzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens zur Entscheidung reif. Demgemäß ist dem Rekurs Folge zu geben und in der Sache selbst zu erkennen (§ 519 Abs. 3 letzter Satz ZPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E09147European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00035.86.0909.000Dokumentnummer
JJT_19860909_OGH0002_0020OB00035_8600000_000