TE OGH 1986/9/11 7Ob38/86

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Veröffentlicht am 11.09.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedl, Dr. Wurz und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Othmar F***, Spengler, Wien 11., Thürnlhofstraße 23/19/21, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth und Dr. Wolfgang Wagner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei N*** B***

Versicherungs-AG., Wien 9., Rossauer Lände 47-49, vertreten durch Dr. Johann Angermann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 83.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 23. Mai 1986, GZ. 3 R 72/86-104, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 30. Dezember 1985, GZ. 31 Cg 414/82-99, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 4.243,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 385,80 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 18. Februar 1982 geriet der PKW des Klägers Mercedes 280 SE in Jugoslawien in Brand und wurde völlig zerstört. Für diesen PKW hatte der Kläger bei der Beklagten im Jahre 1981 eine Teilkaskoversicherung und zusätzlich unter anderem für den Monat Februar 1982 eine Urlaubsvollkaskoversicherung abgeschlossen. Der Versicherung lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassen-Unfallversicherung von Kraftfahrzeugen und Anhängern (AKIB) zugrunde, deren Art. 6 Abs. 2 Z 2 als Obliegenheit, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 Vers die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt, bestimmt, daß der Versicherungsnehmer nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen hat. Das Fahrzeug wurde erstmals am 1. März 1978 in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen. Bei einem Unfall im August 1980 wurde es derart beschädigt, daß der Reparaturaufwand

15.326 DM betragen hätte. Der Schaden wurde in der Bundesrepublik Deutschland auf Totalschadensbasis liquidiert. Über einen deutschen Händler erwarb der ehemalige Arbeitgeber des Klägers, der unter anderem auch den Handel mit havarierten Fahrzeugen betreibt, das Fahrzeug um 7.200 DM und verkaufte es in unrepariertem Zustand an den Kläger, der gelernter Karosseriespengler ist, weiter. Über dieses Geschäft wurde eine Rechnung über einen Kaufpreis von 84.500 S ausgestellt. Der Kläger reparierte das Fahrzeug selbst. Aus Anlaß des Abschlusses des Teilkaskoversicherungsvertrages gab er dem Vertreter der Beklagten bekannt, daß er das Fahrzeug im beschädigtem Zustand erworben habe. Über den Umfang der Schäden machte der Kläger keine Angaben, doch war der Beklagten bekannt, daß es sich um ein von Deutschland nach Österreich transportiertes havariertes Fahrzeug handelte.

In der Schadensmeldung nach dem Brand vom 18. Februar 1982 gab der Kläger keine Vorschäden an. Erst über ausdrückliches Befragen durch den Schadenreferenten der Beklagten gab er an, daß das Fahrzeug anläßlich zweier kleiner Unfälle jeweils leicht beschädigt worden sei. Darüber, daß er das Fahrzeug selbst mit starken Schäden erworben hatte, gab er keine Auskunft. Eine Erfassung des Wertes des Fahrzeuges vor und nach der Durchführung der ersten Reparatur durch den Kläger ist wegen des totalen Ausbrennens nicht mehr möglich. Dem Begehren des Klägers auf Deckung des Schadensfalles aus der Kaskoversicherung sowie dem Eventualbegehren auf Zahlung von 83.000 S sA setzte die Beklagte die Einwendung einer Verletzung der Obliegenheit nach Art. 6 Abs. 2 Z 2 AKIB entgegen (weitere Einwendungen spielen im Revisionsverfahren keine Rolle mehr). Die Vorinstanzen haben in dem geschilderten Sachverhalt eine Verletzung der vorgenannten Obliegenheit durch den Kläger erblickt und daher das Klagebegehren mit der Begründung abgewiesen, dem Kläger sei sowohl der Zustand des Fahrzeuges als auch das Ausmaß der Schäden bekannt gewesen. Er als Fachmann habe diese Umstände hinreichend abschätzen können. Ihm habe auch bewußt sein müssen, daß für die Liquidierung des vorliegenden Schadensfalles die Kenntnis des Vorschadens von ausschlaggebender Bedeutung sei. Zumindest sei ihm der Beweis mißlungen, daß er diese Umstände der Klägerin nicht vorsätzlich verschwiegen habe. Bei vorsätzlicher Verschweigung der für die Höhe der Versicherungsleistung wesentlicher Umstände in der Kaskoversicherung sei der Versicherer gemäß § 6 Abs. 3 VersVG von seiner Leistung zur Gänze befreit, und zwar auch dann, wenn die Obliegenheitsverletzung auf den Umfang der Leistung keinen Einfluß gehabt habe.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes 60.000 S, nicht jedoch 300.000 S übersteigt, und die Revision für zulässig erklärt. Als revisionswürdig erachtete es die Frage, ob sich die Aufklärungspflicht nach Art. 6 Abs. 2 Z 2 AKIB auch auf Umstände bezieht, die vor Vertragsabschluß liegen. Die vom Kläger gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Weder das Versicherungsvertragsgesetz (§ 6 Abs. 3) noch die AKIB (Art. 6) sehen vor, daß eine Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung nur dann eintreten könne, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer auf die Möglichkeit des Eintrittes der Leistungsfreiheit hingewiesen hat. Vielmehr tritt Leistungsfreiheit des Versicherers bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung der Aufklärungspflicht in der Kaskoversicherung ohne Rücksicht darauf, ob der Versicherungsnehmer darauf hingewiesen hat auch dann ein, wenn die Obliegenheitsverletzung keinen Einfluß auf die Feststellung oder den Umfang der vom Versicherer zu erbringenden Leistungen gehabt hat (SZ 50/37, ZVR 1985/34 ua.). Zur vorsätzlichen Verletzung dieser Obliegenheit reicht dolus eventualis aus (ZVR 1982/52, ZVR 1981/174 ua.).

Nach den getroffenen Feststellungen war dem Kläger die Art und das Ausmaß des Vorschadens bekannt. Selbst auf Befragen durch einen Vertreter der Beklagten hat er zuerst diesen Vorschaden überhaupt nicht erwähnt und auf eingehenderes Befragen nur unzureichende und sehr zögernde Angaben gemacht, die der Beklagten keineswegs eine entsprechende Berücksichtigung bei der Beurteilung der von ihr zu erbringenden Leistungen ermöglicht hätten. Geht man also von einer Verpflichtung des Klägers, auch vor Vertragsabschluß liegende Umstände nach Eintritt eines Versicherungsfalles bekanntzugeben, aus, so hat der Kläger die ihm zur Last gelegte Obliegenheitsverletzung begangen. Abgesehen davon, daß seine Behauptung, selbst wenn die Beklagte den Vorschaden gekannt hätte, hätte dies keinerlei Einfluß auf die Versicherungsleistung gehabt, in den Feststellungen keine Deckung findet (das Erstgericht verweist diesbezüglich nur auf die Aussagen des Klägers, ohne diese als geeignete Feststellungsgrundlage zu bezeichnen), würde dieser Umstand im Hinblick darauf, daß der Kläger vorsätzlich die erforderlichen Angaben nicht gemacht hat, für die Beurteilung der Leistungsfreiheit der Beklagten keine Rolle spielen. Es bleibt demnach nur zu klären, ob der Kläger tatsächlich verpflichtet war, der Beklagten nach Eintritt des Versicherungsfalles auch die ihm bekannten Umstände über den Vorschaden mitzuteilen oder nicht.

Die Aufklärungspflicht des Art. 6 Abs. 2 Z 2 AKIB zielt darauf ab, den Versicherer vor betrügerischen Machenschaften des Versicherten zu schützen (VersR 1975, 554, ZVR 1985/34 ua.). Dem Versicherer müssen alle Unterlagen und alle Umstände bekannt gegeben werden, die für die Beurteilung seiner Leistungspflicht auch der Höhe nach von Bedeutung sein könnten. Es bedarf nun keiner weiteren Begründung dafür, daß insbesondere bei einer Totalschadensabrechnung der Umstand, ob und welchen Vorschaden ein Fahrzeug gehabt hat, von wesentlicher Bedeutung für die Leistungspflicht des Versicherers sein kann. Gerade die seinerzeitige Abrechnung eines Vorschadens auf Totalschadensbasis könnte die Höhe der nunmehr begehrten Versicherungsleistung entscheidend beeinflussen. Dies muß jedermann, der je mit Kraftfahrzeugen zu tun hatte, insbesondere aber jemandem, zu dessen Beruf der Umgang mit Kraftfahrzeugen gehört, bewußt sein. Demnach gehört es zu seiner Aufklärungspflicht im Schadensfall auch, dem Versicherer ihm bekannte Vorschäden, soweit seine Kenntnis reicht, mitzuteilen. Beispielsweise verletzt der Versicherungsnehmer seine Aufklärungspflicht durch die wahrheitswidrige Angabe, der Wagen sei neu gekauft worden, oder durch falsche Angaben über den Anschaffungspreis (Prölss-Martin, VVG 23 , 1043). Das bewußte Verschweigen von für die Höhe der Leistungspflicht des Versicherers maßgebenden Umständen steht aber bezüglich der Frage der Aufklärungspflicht wahrheitswidrigen Angaben gleich. Daß das Verschweigen eines erheblichen Vorschadens für die Leistungspflicht dieselbe Bedeutung haben kann, wie die falsche Angabe über den Anschaffungspreis oder wahrheitswidrige Angaben darüber, daß der Wagen neu gekauft worden sei, liegt auf der Hand. Für die Höhe der Leistungspflicht des Versicherers spielt es aber keine Rolle, ob die den Wert des Fahrzeuges allenfalls bestimmenden Ereignisse sich vor oder nach Abschluß des Versicherungsvertrages abgespielt haben. Aus diesem Grunde ist es für die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers ohne Bedeutung, zu welchem Zeitpunkt ein Vorschaden eingetreten ist. Anders wäre dies nur dann, wenn dem Versicherer die dem Versicherungsnehmer bekannten Umstände bereits bei Abschluß des Versicherungsvertrages mitgeteilt worden wären. Diesfalls könnte von einer Verletzung der Aufklärungspflicht keine Rede sein, wenn der Versicherungsnehmer die dem Versicherer bereits bekanntgegebenen Umstände nach Eintritt des Versicherungsfalles nicht neuerlich mitgeteilt hätte.

Im vorliegenden Fall hat jedoch der Kläger der Beklagten bei Abschluß des Versicherungsfalles nicht Mitteilung über alle ihm bekannten, den Vorschaden betreffenden Umstände gemacht. Der bloße lakonische Hinweis auf den Umstand, daß es sich um ein Havariefahrzeug handelt, versetzte die Beklagte nicht in die Lage, den Einfluß allfälliger Vorschäden auf ihre Leistungspflicht entsprechend zu berücksichtigen. Vielmehr muß das gesamte Verhalten des Klägers, sowohl bei Abschluß des Versicherungsvertrages als auch im Zuge seiner Besprechungen nach Eintritt des Versicherungsfalles, als eine Bagatellisierung des Vorschadens gewertet werden, die geeignet war, bei der Beklagten falsche Vorstellungen über den Einfluß dieses Vorschadens auf ihre Leistungspflicht zu erwecken. Dies muß aber dem Kläger, wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, als Verletzung seiner Aufklärungspflicht zur Last gelegt werden. Da, wie bereits ausgeführt wurde, dem Kläger der Beweis für das Fehlen seines Vorsatzes bei der Verletzung der Aufklärungspflicht nicht gelungen ist, trat gemäß § 6 Abs. 3 VersVG Leistungsfreiheit der Beklagten ein, wobei eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Obliegenheitsverletzung des Klägers auf die Schadensermittlung entscheidenden Einfluß gehabt hätte, keine Rolle spielte. Daß die Nichtkenntnis der Umstände betreffend den Vorschaden für die Höhe der Leistungspflicht der Beklagten ohne jede Bedeutung gewesen wäre, kann im übrigen nach den getroffenen Feststellungen keineswegs gesagt werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E09060

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0070OB00038.86.0911.000

Dokumentnummer

JJT_19860911_OGH0002_0070OB00038_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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