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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §32 Abs1 idF 1999/I/004;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des NN in W, vertreten durch Dr. Hermann Rieger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Krugerstraße 17, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. März 2005, Zl. 258.405/0-VII/20/05, betreffend §§ 6 und 8 Abs. 1 und 2 AsylG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste am
11. oder 12. März 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 17. März 2004 Asyl. In dem dafür vorgesehenen Feld des Formulars "Asylantrag/pre screening" gab er zu den Gründen für seinen Antrag an, sein Vater sei ein "leader of Ijaws youths" gewesen und deshalb ermordet worden. In weiterer Folge sei auch die Mutter des Beschwerdeführers ermordet worden, und schließlich habe er gehört, dass die gesamten Familien der "leaders" eliminiert werden sollten. Um sein Leben zu retten, sei er weggerannt.
Bei der Einvernahme am 10. Februar 2005 nahm der Beschwerdeführer dieses Vorbringen zurück. Er gab an, er sei von einem in Österreich lebenden Cousin bzw. von Leuten, die mit diesem verkehrten, zu solchen Angaben angeleitet worden, sie hätten aber nicht der Wahrheit entsprochen.
Der Beschwerdeführer brachte nun vor, Nigeria verlassen zu haben, weil es in seinem Heimatort (Umueri) einen Kampf bzw. eine Krise gegeben habe. Dabei sei das Haus der Familie sowohl 1995 als auch 1999 niedergebrannt worden. Leute aus Aguleri hätten den Besitz der Familie zerstört. Der Beschwerdeführer, so sein nunmehriges weiteres Vorbringen, sei daraufhin zu einem Onkel nach Abuja gezogen, der ihm eine Ausbildung ermöglicht habe. Im März 2004 habe der Beschwerdeführer Nigeria verlassen, weil die wirtschaftliche Lage dort schlecht sei und sein Onkel für sechs weitere Personen zu sorgen habe. Der Beschwerdeführer habe zuletzt als Händler in Abuja gearbeitet. Wenn er zurückkehre, würde ihm "nichts geschehen".
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 15. Februar 2005 gemäß § 6 Z 1 AsylG i.d.F. BGBl. I Nr. 126/2002 als offensichtlich unbegründet ab (Spruchpunkt I), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus.
Zum Vorbringen des Beschwerdeführers führte das Bundesasylamt (auf Seite 7 des Bescheides) u.a. aus:
"Dazu ist festzuhalten, dass es alleinige Aufgabe des Asylrechtes ist, Personen zu schützen, gegen die mit staatlichen Maßnahmen von erheblicher Intensität in Verfolgungsabsicht vorgegangen wird ..."
Der Beschwerdeführer habe keine Umstände behauptet, die auf eine "individuelle Verfolgung durch staatliche Institutionen" aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe hindeuten würden (Seite 10 des Bescheides).
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung verwies der Beschwerdeführer auf seine erstinstanzlichen Angaben über das Niederbrennen des Hauses und die Zerstörung des Besitzes durch Leute aus Aguleri.
Darüber hinaus brachte er nun vor, im Zuge des erwähnten Konfliktes sei seine Familie mehrmals Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen, da sein Vater Mitglied des Kabinetts des örtlichen Regierungschefs gewesen sei. Der Besitz der Familie sei niedergebrannt worden und die Familie in weiterer Folge verarmt. Der Vater des Beschwerdeführers sei nach Asaba verzogen, aber immer noch Nachstellungen seiner politischen Gegner ausgesetzt gewesen. Da der Beschwerdeführer der älteste Sohn sei, und somit Erbe und Nachfolger des Vaters wäre, müsse er selbst fürchten, Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein, selbst wenn er sich in Abuja oder an einem anderen Ort innerhalb Nigerias befinde.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab.
In der Begründung verwies sie zunächst darauf, dass das Bundesasylamt richtige Sachverhaltsfeststellungen getroffen und den festgestellten Sachverhalt richtig rechtlich beurteilt habe. Die belangte Behörde schließe sich "der erstinstanzlichen Begründung" an und erhebe diese zu ihrer eigenen. Im Besonderen habe das Bundesasylamt "auf Seite 7 und 8 ff ausführlich dargelegt, dass das vom Asylwerber Vorgebrachte nicht den Flüchtlingsbegriff der GFK erfüllt".
Zum neuen, den Angaben vor dem Bundesasylamt widersprechenden bzw. darüber hinaus gehenden Vorbringen in der Berufung vertrat die belangte Behörde die Auffassung, es erweise sich "gemäß § 32 Abs. 1 AsylG als unzulässig". Weder sei nach der Entscheidung des Bundesasylamtes eine entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung eingetreten, noch sei das erstinstanzliche Verfahren mangelhaft gewesen, noch handle es sich "um nova reperta iSd § 32 Abs. 1 Z 3 AsylG".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat sich die Rechtsausführungen des Bundesasylamtes zu Eigen gemacht und den Beschwerdeführer damit - in Bezug auf sein vor dem Bundesasylamt erstattetes Vorbringen - auf einen Text verwiesen, der in der Beschränkung asylrelevanter Verfolgung auf "staatliche Maßnahmen" bzw. Maßnahmen "staatlicher Institutionen" dem Gesetz widerspricht. Im Ergebnis ist der Subsumtion des erstinstanzlichen Vorbringens des Beschwerdeführers unter § 6 Z 1 AsylG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der AsylG-Novelle 2003) mit Rücksicht darauf, dass er die Frage nach einer ihm im Fall der Rückkehr drohenden Verfolgung ausdrücklich verneint hatte, aber nicht entgegenzutreten.
Dem Standpunkt der belangten Behörde, das neue Vorbringen des Beschwerdeführers in der Berufung erweise sich "gemäß § 32 Abs. 1 AsylG als unzulässig", kann hingegen nicht gefolgt werden. § 32 Abs. 1 AsylG in der hier anzuwendenden Fassung vor der AsylG-Novelle 2003 enthält keine Beschränkungen für das Vorbringen neuer Tatsachen in der Berufung. § 32 Abs. 1 AsylG in der Fassung der genannten Novelle (und der Kundmachung BGBl. I Nr. 129/2004) enthält zwar die von der belangten Behörde gemeinten Regelungen, gehört aber nicht zu den Vorschriften, die gemäß § 44 Abs. 3 AsylG auch in Verfahren anzuwenden sind, in denen der Asylantrag - wie im vorliegenden Fall - vor dem 1. Mai 2004 gestellt wurde.
Da die belangte Behörde dies verkannt und über die vom Beschwerdeführer in der Berufung neu vorgebrachten Tatsachen daher keine Feststellungen getroffen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Der Vollständigkeit halber ist hinzuzufügen, dass auch die nicht zielstaatsbezogene Formulierung der Ausweisung des Beschwerdeführers in Spruchpunkt III des von der belangten Behörde bestätigten Bescheides nicht dem Gesetz entspricht (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2005, Zl. 2005/20/0108).
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 26. Juli 2005
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005200278.X00Im RIS seit
30.08.2005