Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Hule, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Pflegschaftssache des am 17. Mai 1983 ehelich geborenen minderjährigen Kindes Andreas P***, infolge Revisionsrekurses der Eltern Emil P***, Arbeiter, und Regina P***, Verkäuferin, beide Flotowgasse 17/13/2/9, 1190 Wien, gegen den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgerichtes vom 17. Juli 1986, GZ 15 b R 34/86-30, womit der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 22. Mai 1986, GZ 26 P 201/85-27, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Das Bezirksjugendamt beantragte am 26. August 1985 beim Jugendgerichtshof Wien, die am 20. August 1985 durch die Abnahme des am 17. Mai 1983 geborenen Kindes aus der Pflege der Eltern und die Übernahme in Gemeindepflege wegen Gefahr im Verzug getroffene Maßnahme der gerichtlichen Erziehungshilfe nach § 26 Abs 2 JWG zu genehmigen.
Nachdem der Beschluß vom 24. Oktober 1985, womit die gerichtliche Erziehungshilfe durch Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie seit dem 20. August 1985 angeordnet wurde, infolge Rekurses der Eltern vom Rekursgericht aufgehoben und der Pflegschaftsabteilung die Verfahrensergänzung und die neue Entscheidung aufgetragen worden war, entschied der Jugendgerichtshof Wien nach eingehender Sachverhaltsermittlung neuerlich dahin, daß die gerichtliche Erziehungshilfe durch Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie angeordnet wird.
Den Rekursen der Eltern, die der Maßnahme stets entgegengetreten waren, wurde nicht Folge gegeben.
Die Vorinstanzen legten ihrer Entscheidung die folgenden wesentlichen Tatsachenfeststellungen zugrunde:
Der Minderjährige wurde als eheliches Kind von Regina P*** geboren. Ihr erstes, am 17. April 1978 geborenes Kind lebt bei Adoptiveltern. Die Mutter ist körperlich schwach, leicht erregbar und psychisch nicht belastbar. Sie war in den Jahren 1983 bis 1985 fünfmal stationär in psychiatrischen Krankenhäusern aufgenommen, neigt zu Tätlichkeiten, mißhandelte ihren Ehemann und ihre Zwillingsschwester und schrie das Kind an, mißhandelte es und sperrte es zur Strafe in sein Zimmer. Sie ist schon mit der Führung eines kinderlosen Haushalts überfordert und nicht in der Lage, ein Kleinkind ordentlich zu pflegen und zu erziehen. Auch der Vater war wiederholt in psychiatrischen Krankenhäusern stationär behandelt worden, war vor Jahren wegen Geistesschwäche voll entmündigt und ist auch gemeinsam mit der Mutter des Kindes außerstande, für eine ordnungsgemäße Haushaltsführung und Kindererziehung zu sorgen. Beide Elternteile sind nun bei einer Behinderteninstitution beschäftigt, die psychisch und geistig Behinderte betreut. Das Kind war am 19. August 1985 so ungepflegt und verschmutzt, daß schon deshalb zur Abnahme aus der Betreuung der Eltern geschritten werden mußte. Das Kind ist auf einem Pflegeplatz untergebracht und hat sich dort gut eingelebt. Seine Entwicklung hat seither bedeutende Fortschritte genommen.
Auch das Rekursgericht, das sich mit den Einwänden der Eltern in ihrem Rechtsmittel im einzelnen auseinandersetzte, kam zu dem Ergebnis, daß die gerichtliche Erziehungshilfe anzuordnen sei, weil es dem Kind an der nötigen Erziehung durch die Eltern fehlte und daß die wegen Gefahr im Verzug am 20. August 1985 von der Bezirksverwaltungsbehörde getroffene Maßnahme gerechtfertigt war und aufrecht bleiben müsse, weil sonst das Wohl des Kindes in Gefahr sei. In ihrem rechtzeitig zu Protokoll gegebenen Revisionsrekurs gegen den bestätigenden Beschluß der zweiten Instanz tragen die Eltern im wesentlichen vor, der Mutter des Kindes gehe es besser, weil sie nun die ihr verordneten Medikamente einnehme. Den Gedanken, sich scheiden zu lassen, habe der Vater aufgegeben. Sie wollten das Kind zurück und gemeinsam für ihr Kind sorgen. Im übrigen bekämpfen die Rechtsmittelwerber einzelne Feststellungen; es stimme nicht, daß der Vater Alkoholmißbrauch treibe, daß die Mutter das Kind eingesperrt habe und daß das Kind vernachlässigt war.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs gegen den bestätigenden Beschluß der zweiten Instanz ist nach § 16 Abs 1 AußStrG (§ 34 Abs 5 JWG) nur im Falle einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder bei Vorliegen einer Nichtigkeit zugelassen.
Im Gesetz ist nicht näher bestimmt, welche tatsächlichen Umstände im konkreten Einzelfall die Anordnung einer Maßnahme nach § 26 JWG rechtfertigen. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit kann daher nur vorliegen, wenn die Anordnung in Mißbrauch des Grundprinzips des Kindeswohls oder in Überschreitung des dem Gericht vom Gesetz eingeräumten Ermessensrahmens erfolgt wäre (Efslg 47.208, 47.238, 47.239 uva.). Daß die Entscheidung mit einer klaren Gesetzesbestimmung in Widerspruch stünde, behaupten die Rechtsmittelwerber nicht und es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die Vorinstanzen das Wohl des Kindes außer Acht gelassen hätten. Sie haben gerade diesem Umstand die herausragende Bedeutung beigemessen und sind auf Grund einer umfassenden Stoffsammlung zu dem Ergebnis gelangt, daß die Erziehungshilfe (§ 9 JWG) hier gegen den Willen der Erziehungsberechtigten anzuordnen ist, weil diese die mit ihrer Erziehungsgewalt verbundenen Pflichten nicht erfüllt haben und nicht erfüllen können. Für das Vorliegen einer Nichtigkeit ergibt sich aus den Akten auch kein Hinweis. Ein gesetzmäßiger Anfechtungsgrund liegt daher nicht vor. Der nicht auf einen solchen Rechtsmittelgrund gestützte Revisionsrekurs ist unzulässig und zurückzuweisen.
Den mit dem Rechtsmittel verbundenen Antrag auf Aufhebung der gerichtlichen Erziehungshilfe (Übergabe des Kindes in die Pflege und Erziehung der Eltern) wird das Erstgericht zu behandeln haben.
Anmerkung
E08992European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0030OB00601.86.0917.000Dokumentnummer
JJT_19860917_OGH0002_0030OB00601_8600000_000