TE OGH 1986/9/25 12Os115/86

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.09.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.September 1986 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger, Dr. Felzmann und Dr. Kuch als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Steinhauer als Schriftführer in der Strafsache des Betroffenen Alfred N*** wegen Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 (§§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1) StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 20. Februar 1986, GZ 8 a Vr 4111/85-29, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Strasser, und des Verteidigers Dr. Heiserer, jedoch in Abwesenheit des Betroffenen, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Alfred N*** wird nach § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er am 8.März 1985 in Wien unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen Abartigkeit von höherem Grad beruht, eine Tat begangen hat, die als Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, indem er Julius P*** vorsätzlich durch Schläge am Körper an sich schwer verletzte (fast vollständiger Abriß der rechten Ohrmuschel mit Freilegung des äußeren Gehörganges, Spaltbruch in der Schläfen-Scheitelregion, Quetschungsherd und Blutung in der rechten Schläfenregion, Rißquetschwunden am rechten Scheitelbereich und am Kinn).

Text

Gründe:

Alfred N*** wurde mit dem (rechtskräftigen) Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 26. August 1981, GZ 20 n Vr 6225/80-33, gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er am 15.Juni 1980 unter dem Einfluß eines seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes, der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhte, eine Tat begangen hatte, die ihm außer diesem Zustand als das Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB zuzurechnen gewesen wäre, nämlich (weil er) versucht hatte, Karl K*** durch Messerstiche zu töten. Während des Vollzuges dieser vorbeugenden Maßnahme fügte Alfred N*** am 8.März 1985 dem gleich ihm im Pavillon 23 des Psychiatrischen Krankenhauses der Stadt Wien untergebrachten Julius (im Ersturteil irrig Josef) P*** durch Faustschläge gegen den Kopf schwere, mit einer Gesundheitsschädigung von mehr als 24 Tage verbundene Verletzungen, nämlich einen fast vollständigen Abriß der rechten Ohrmuschel mit Freilegung des äußeren Gehörganges, einen Spaltbruch in der rechten Schläfen-Scheitelregion mit Quetschung und Blutung im Schläfenbereich sowie eine Gehirnerschütterung und Rißquetschwunden an Scheitel und Kinn, zu.

Wegen dieser neuerlichen, von Alfred N*** im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangenen (Anlaß-)Tat, die nach Ansicht der Anklagebehörde das (mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte) Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB begründet, stellte die Staatsanwaltschaft am 16.Juli 1985 den Antrag auf Anordnung der Unterbringung des Genannten gemäß § 21 Abs. 1 StGB in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (ON 17).

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht diesen Antrag ab. Es nahm in den Entscheidungsgründen als erwiesen an, daß Alfred N*** die ihm angelastete (Anlaß-)Tat begangen hat. Weiters stellte es - im Sinne der materiellen Einweisungsvoraussetzungen des § 21 Abs. 1 StGB - fest, daß der Genannte zufolge seiner seit Jahren bestehenden Grenzdebilität, seiner postencephalitischen Charakterabartigkeit und akustischer Halluzinationen mit imperativem Inhalt, verbunden mit Aggressionen und Aggressionsstau, (auch) im Zeitpunkt der Verübung dieser Tat diskretions- und dispositionsunfähig, mithin zurechnungsunfähig (§ 11 StGB) war; überdies sprach es aus, daß nach der Person und dem Zustand des Betroffenen sowie nach der Art auch der neuen Tat weiterhin zu befürchten ist, daß er unter dem Einfluß seiner höhergradigen geistigen Abartigkeit mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben mit schweren Folgen begehen werde.

Dennoch wies es den Unterbringungsantrag ab, weil es im Hinblick auf den bereits wegen einer früheren Anlaßtat angeordneten und im Gange befindlichen Vollzug der Maßnahme gemäß § 21 Abs. 1 StGB die (abermalige) Anordnung einer solchen Maßnahme wegen einer (während des Maßnahmevollzugs verübten) neuerlichen Anlaßtat für unzulässig hielt. Das Gericht ging dabei davon aus, daß ein gleichsam "doppelter Vollzug von (freiheitsentziehenden) vorbeugenden Maßnahmen" ohne jegliche Auswirkung bliebe und der in einer abermaligen Anlaßtat verstärkt zum Ausdruck kommenden Gefährlichkeit des Untergebrachten (ohnedies) bei der gemäß § 25 Abs. 3 StGB (alljährlich) vorzunehmenden Prüfung der Notwendigkeit weiterer Anhaltung Rechnung zu tragen wäre, daß der Gesetzgeber einer zweifachen Anordnung des Vollzugs einer gleichartigen vorbeugenden Maßnahme keine Sinnhaftigkeit zuerkannt habe, folge auch aus der Bestimmung des § 54 Abs. 1 zweiter Satz StGB, wonach im Falle der neuerlichen Einweisung eines aus einer vorbeugenden Maßnahme bedingt Entlassenen wegen einer während der Probezeit begangenen Tat die frühere Anordnung dieser Maßnahme gegenstandslos werde.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft die Staatsanwaltschaft mit ihrer der Sache nach die Z 11 des § 281 Abs. 1 StPO relevierenden Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung zukommt:

Die Rechtsprechung hat schon vor dem Inkrafttreten des

Strafgesetzbuchs die wiederholte Anordnung (freiheitsentziehender)

vorbeugender Maßnahmen nach § 1 ArbHG 1951 für zulässig erachtet,

sofern dadurch die gesetzlich zulässige Höchstdauer ununterbrochener

Anhaltung im Arbeitshaus nicht überschritten wurde (SSt. 31/50). In

der Folge hat das Höchstgericht, teils mit Beziehung auf diese

frühere Judikatur, den doppelten Ausspruch einer Anstaltseinweisung

gemäß § 23 StGB in zwei zueinander im Verhältnis des § 31 StGB

stehenden Urteilen, von denen jedes für sich den Voraussetzungen des

§ 23 StGB genügt, für unbedenklich erachtet (RZ 1978/21). Nach dem

eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ist die Anordnung einer

freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahme nach den §§ 21 bis

23 StGB bei Zutreffen der materiellen Voraussetzungen - im

gegenständlichen Fall des § 21 Abs. 1 StGB der Verübung einer mit

einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Anlaßtat,

wegen welcher der Täter nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil

er sie unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit

ausschließenden Zustands begangen hat, der auf einer geistigen oder

seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht - sowie der

entsprechenden (negativen) Gefährlichkeitsprognose zwingend

vorgeschrieben (arg. aus §§ 21 bis 23 StGB: "... so hat ... das

Gericht ...", "... ist ... vom Gericht ..."; arg. aus §§ 429, 437,

441 StPO: "... so hat der Ankläger ..."), sofern nicht im Gesetz

ausdrücklich etwas anderes angeordnet ist (§§ 22 Abs. 2, 23 Abs. 2 StGB). Daraus folgt aber, daß in allen Fällen, in welchen die gesetzlich normierten Einweisungsvoraussetzungen erfüllt sind und ein Absehen von der Einweisung im Gesetz nicht vorgesehen ist, die in concreto in Betracht kommende vorbeugende Maßnahme nach den §§ 21 bis 23 StGB angeordnet werden muß, ohne daß es darauf ankäme, ob eine gleichartige Maßnahme am Betroffenen bereits vollzogen wird oder nicht, ebensowenig wie es eine Rolle spielen kann, ob die Anlaßtat während des Maßnahmevollzuges oder außerhalb dieses begangen wurde. Daß daher Alfred N*** wegen einer anderen Anlaßtat bereits im Maßnahmevollzug gemäß § 21 Abs. 1 StGB angehalten wird, steht der (neuerlichen) Anordnung dieser vorbeugenden Maßnahme wegen einer (abermaligen) Anlaßtat nicht entgegen. Ebenso wie beispielsweise die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe auf der wiederholten Verurteilung eines Rechtsbrechers wegen verschiedener Taten zu dieser Strafe beruhen kann (vgl. § 145 Abs. 2 StVG; siehe hiezu Kunst StVG Anm. 3 S 237) wird - entgegen der Auffassung des Erstgerichtes - ein vorweg ebenso zeitlich unbefristeter Maßnahmevollzug nach § 21 Abs. 1 StGB nicht deshalb wirkungs- oder inhaltslos, weil er auf einer zusätzlich urteilsmäßigen Anordnung beruht. Daß - bei Zutreffen der übrigen Einweisungsvoraussetzungen - jede Anlaßtat im Sinn der §§ 21 bis 23 StGB, sofern nicht kraft Gesetzes von der Einweisung abzusehen ist, die Anordnung der entsprechenden vorbeugenden Maßnahme ohne Rücksicht darauf nach sich ziehen muß, ob eine solche bereits angeordnet worden ist, geht - wie die Anklagebehörde in ihrem Rechtsmittel zutreffend ausführt - gerade aus der vom Erstgericht zur Stützung seiner Argumentation zitierten Bestimmung des § 54 Abs. 1 letzter Satz StGB hervor. Stellt diese doch ausdrücklich auf den (zulässigen) Fall einer abermaligen Anordnung einer vorbeugenden Maßnahme ab; die Bedeutung der bezüglichen gesetzlichen Regelung, wonach im Falle der bedingten Entlassung eines Rechtsbrechers aus einer freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahme diese gegenstandslos wird, wenn auf Grund einer während der Probezeit begangenen Straftat die Maßnahme neuerlich (rechtskräftig; vgl. 13 Os 203/84) angeordnet worden ist, liegt lediglich darin, daß ein Widerruf der bedingten Entlassung vermieden wird (vgl. auch Dokumentation zum StGB, 106). Aus dieser Regelung kann aber nicht geschlossen werden, daß es unzulässig wäre, eine freiheitsentziehende vorbeugende Maßnahme (abermals) anzuordnen, wenn dieselbe Maßnahme bereits (wegen einer anderen Anlaßtat) angeordnet worden ist und eben vollzogen wird.

Der vom Erstgericht eingenommene, nach dem Gesagten mithin rechtlich verfehlte Standpunkt hätte im übrigen zur Folge, daß hinsichtlich der (abermaligen) Anlaßtat eine urteilsmäßige Feststellung durch das hiefür sachlich zuständige Gericht nicht erfolgen könnte, womit aber dem Betroffenen die Möglichkeit genommen wird, sich gegebenenfalls gegen die (unterstellte) Annahme seiner Täterschaft oder die rechtliche Beurteilung dieser Tat prozeßordnungsgemäß zu wehren, womit es aber auch nicht angeht, bei der gemäß § 25 Abs. 3 StGB gebotenen periodischen Überprüfung der Notwendigkeit weiterer Anstaltsanhaltung hierauf (zu Lasten des Betroffenen) Bedacht zu nehmen.

Aus all dem folgt, daß die Rechtsauffassung des Erstgerichtes über die Unzulässigkeit von konkurrierenden Unterbringungsanordnungen nach § 21 Abs. 1 StGB im Gesetz keine Deckung findet, das Ersturteil demnach insofern mit Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs. 1 Z 11 (§ 433 Abs. 1) StPO behaftet ist. Da das Erstgericht (in den Gründen des angefochtenen Erkenntnisses) das Vorliegen aller Einweisungsvoraussetzungen (entsprechende Anlaßtat, für welche der Täter nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er sie unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen hat, der auf einer geistigen Abartigkeit von höherem Grad beruht; negative Gefährlichkeitsprognose) festgestellt hat, war (übereinstimmend mit der Stellungnahme der Generalprokuratur) der Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und sogleich gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst im Sinn des Unterbringungsantrages des öffentlichen Anklägers zu erkennen.

Anmerkung

E09485

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0120OS00115.86.0925.000

Dokumentnummer

JJT_19860925_OGH0002_0120OS00115_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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