Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith, sowie die Beisitzer Dr. Stefan Seper und Dr. Willibald Aistleitner als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und wiederbeklagten Partei Leopold M***, Dreher, Tribuswinkel, Badnerstraße 39, vertreten durch Dr. Johannes Szemelliker, Rechtsanwalt in Baden, wider die beklagte und widerklagende Partei Günter H*** Gesellschaft mbH & Co KG, Tribuswinkel, Triesterstraße 121, vertreten durch Dr. Lothar Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wegen restlicher S 7.000,-- und S 69.588,50 samt Anhang, infolge Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 14. März 1986, GZ. 4 Cg 6/85-32, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeitsgerichtes Wiener Neustadt vom 4. Juni 1984, GZ. Cr 117/83-21, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Revisionswerberin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger (und Widerbeklagte, im folgenden nur mehr: Kläger) war seit September 1982 im beklagten Transportunternehmen als Kraftfahrer beschäftigt. Am 16. November 1982 trat an dem von ihm gelenkten LKW ein technisches Gebrechen auf. Beim anschließenden Abschleppen des LKW's entstand ein schwerer Getriebeschaden. Der Kläger begehrte Zahlung von S 10.902,20 sA an Arbeitslohn und Barauslagen. In der Folge wurde sein Anspruch der Höhe nach mit S 7.000,-- außer Streit gestellt.
Die beklagte und widerklagende Partei (im folgenden nur mehr: beklagte Partei) beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, der Kläger habe der Anordnung des Geschäftsführers der klagenden Partei, vor dem Abschleppen des LKW's die Kardanwelle abzuflanschen, nicht Folge geleistet, so daß am Getriebe des LKW's ein Totalschaden eingetreten sei. Der hiebei aufgetretene Schaden von S 100.000,-- werde aufrechnungsweise eingewendet. Aus demselben Rechtsgrund erhob die beklagte Partei Widerklage mit der Behauptung, die Reparatur des Getriebes habe S 100.694,-- erfordert, doch mache sie als Vorsteuerabzugsberechtigte nur den um die Umsatzsteuer und das dem Beklagten noch zustehende Entgelt von S 4.654,-- verminderten Betrag, nämlich S 80.679,90 sA geltend. Der Kläger erwiderte, der Schaden beruhe auf einer entschuldbaren Fehlleistung, so daß er nicht hafte. Zudem wären auch auf einem minderen Grad des Versehens beruhende Schadenersatzansprüche erloschen, da die beklagte Partei ihre Forderung weder einredeweise noch durch Klage innerhalb von 6 Monaten geltend gemacht habe.
Das Erstgericht stellte die Klagsforderung mit S 7.000,-- und die Gegenforderung der beklagten Partei mit S 69.588,50 als zu Recht bestehend fest, verpflichtete einerseits die beklagte Partei, dem Kläger S 7.000,--sA und andererseits den Kläger, der beklagten Partei S 69.588,50 sA zu bezahen, und wies das Mehrbegehren der Widerklage in Höhe von S 11.091,40 sA ab.
Das Erstgericht stellte fest, der Geschäftsführer der beklagten Partei, Günter H***, habe den Kläger telefonisch
aufgefordert, das Fahrzeug abschleppbereit zu machen und die Kardanwelle abzuflanschen; der Kläger habe, nachdem Günter H*** an Ort und Stelle erschienen war, diesem erklärt, daß der Wagen abschleppbereit sei. Der Kläger hafte für den Getriebeschaden in Höhe von S 69.588,50, weil er der klaren und eindeutigen Anweisung des Geschäftsführers, die Kardanwelle abzuflanschen, nicht Folge geleistet habe. Der Kläger habe den Getriebeschaden damit grob fahrlässig verschuldet.
Das Berufungsgericht verhandelte die Rechtssache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem und gab - auf der Grundlage geänderter Feststellungen - der Berufung der beklagten Partei nicht, wohl aber der Berufung des Klägers Folge. Es sprach aus, daß die Klagsforderung mit S 7.000,-- sA zu Recht und die eingewendete Gegenforderung nicht zu Recht besteht, und verpflichtete die beklagte Partei daher, dem Kläger S 7.000,-- sA zu bezahlen. Das Begehren der Widerklage, den Kläger zur Zahlung von S 80.679,90 sA zu verpflichten, wies es hingegen ab.
Die zweite Instanz traf folgende wesentliche Feststellungen:
Der Kläger erlernte den Beruf eines Drehers. Er erwarb den Führerschein der Kategorie "C" nach Besuch der Fahrschule Karl H*** im Juni 1981. In dieser Fahrschule wurde damals nicht gelehrt, daß das Abflanschen der Kardanwelle beim Abschleppen von LKW's notwendig sein könnte. Bald danach nahm der Kläger eine Stellung als Kraftfahrer der Fa. W*** in Wien an, wo er Kastenwagen der Marke Mercedes zu lenken hatte. Bei Kraftfahrzeugen dieser Marke war es nicht erforderlich, bei einem Abschleppvorgang die Kardanwelle abzuflanschen. Anläßlich der Aufnahme bei der beklagten Partei erteilte deren Geschäftsführer Günter H*** dem Kläger zwar verschiedene technische Anweisungen, machte ihm aber keine Mitteilung davon, daß es vor dem Abschleppen des LKW's notwendig sei, die Kardanwelle abzuflanschen, um insbesondere Getriebeschäden zu verhindern. Bei dem dem Kläger zugewiesenen LKW Marke Scania, Type LB 111 S 50 war es zur Vermeidung von Schäden des Getriebes beim Abschleppen erforderlich, entweder die Kardanwelle abzuflanschen oder von Zeit zu Zeit einen Gang einzulegen und wegen des stehenden Motors die Kupplung zu betätigen. Bei Absehen von diesen Maßnahmen kann es zu einem Verreiben der Lager und zu Schäden an der Hauptwelle kommen.
Dem Kläger war wohl bekannt, daß die Kardanwelle abgeflanscht werden kann, er wußte aber nicht, daß dies auch beim Abschleppen des Fahrzeuges notwendig ist, um einen Getriebeschaden zu verhindern. Als der Kläger den LKW übernahm, befand sich in diesem keine Betriebsanleitung für einen LKW der Type LB 111, sondern für einen solchen der Type LB 110. Daß diese Fahrzeuge mit Ausnahme der höheren Motorenleistung des späteren Typs gleich sind, ist nur dem Fachmann bekannt. Der Kläger nahm in die Betriebsanleitung, die im Jahre 1984 unter dem Bett der Schlafkoje liegend aufgefunden wurde, keine Einsicht. In dieser Anleitung ist von einem Abflanschen beim Abschleppen nicht die Rede, sondern lediglich davon, daß zeitweise bei ausgerückter Kupplung ein Getriebegang einzuschalten ist. Dem Kläger war nicht bekannt, daß der von ihm gefahrene LKW nur bei Einhalten eines der beiden Vorgänge kraftfahrtechnisch richtig abgeschleppt werden kann.
Als es dem Kläger am 16. November 1982 nicht gelang, das Fahrzeug wieder fahrbereit zu machen, setzte er sich mit dem Geschäftsführer der beklagten Partei, Günter H*** in Verbindung, der dem Kläger sagte, daß er jemanden schicken werde. Günter H*** sagte bei diesem Gespräch zum Kläger nicht, daß dieser das Fahrzeug abschleppbereit machen und insbesondere die Kardanwelle abflanschen solle. Der Kläger kippte nach dem Telefonat mit dem Geschäftsführer das Führerhaus, da er annahm, die von der beklagten Partei entsendete Person werde versuchen, das Fahrzeug zu reparieren. Nach einiger Zeit kam Günter H*** selbst, brachte eine Abschleppstange mit, und begann, den LKW abzuschleppen. Er erwähnte vorher nicht, daß die Kardanwelle abgeflanscht werden müsse, und fragte auch den Kläger nicht, ob er das bereits vorgenommen habe. Während des Abschleppens des LKW's kam es, da weder die Kardanwelle abgeflanscht war, noch der Kläger während der Fahrt zeitweilig einen Gang einlegte, zu einem Getriebeschaden, der Reparaturkosten in Höhe von S 69.588,50 incl. Ust. verursachte. Unmittelbar nach diesem Vorfall erklärte Günter H*** zum Kläger, daß "wir blöd gewesen" seien, weil "wir vergessen" hätten, abzuflanschen.
Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß den Kläger, wenn überhaupt, nur ein minderer Grad des Versehens am Schadenseintritt treffe. Vom Dienstgeber sei ihm nicht mitgeteilt worden, daß bei dieser Fahrzeugtype vor einem Abschleppvorgang die Kardanwelle abgeflanscht werden müsse. Auf Grund seiner Ausbildung als Kraftfahrer habe der Beklagte dies nicht wissen müssen. Den Kläger treffe auch kein höherer Grad des Verschuldens, weil er die Betriebsanleitung des LKW's nicht studiert habe. Es sei nicht erwiesen, daß es dem Kläger möglich gewesen wäre, diese zu studieren, weil sie unter dem Bett im Führerhaus lag; auch sei keine Betriebsanleitung für die konkrete Type, sondern für das Vorgängermodell vorhanden gewesen. In der Betriebsanleitung sei lediglich die Anweisung enthalten gewesen, im Falle des Abschleppens des LKW's zeitweilig einen Gang einzulegen.
Treffe aber den Kläger - wenn überhaupt - nur ein minderer Grad des Versehens am Schadenseintritt, so sei der Ersatzanspruch der beklagten Partei verfristet, weil das Schadensereignis am 16. November 1982 gewesen sei, die beklagte Partei aber den Schaden einredeweise erst mit Schriftsatz vom 22. Juli 1983 geltend gemacht habe.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt. Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 23 ArbGG).
Auch die Rechtsrüge der beklagten Partei versagt. Der Kläger mußte auf Grund seiner Ausbildung als Kraftfahrer und auf Grund seiner geringen Vorpraxis nicht wissen, daß vor dem Abschleppen von LKW's mancher Typen zur Vermeidung von Getriebeschäden ein Abflanschen der Kardanwelle notwendig ist. Dieses Wissen hätte er auch der Betriebsanleitung nicht entnehmen können. Abgesehen davon steht nicht einmal fest, ob er die im Jahre 1984 unter dem Bett der Schlafkoje vorgefundene Betriebsanleitung eines Vorgängertyps des LKW's überhaupt entdeckt hatte. Damit versagt auch der weitere Vorwurf, der Kläger hätte mangels hinreichender Erfahrung vor dem Abschleppvorgang die Betriebsanleitung studieren müssen und dadurch von der Vorschrift, zeitweise bei eingelegter Kupplung einen Getriebegang einzulegen, rechtzeitig Kenntnis erlangen können. Als die Panne eintrat, verständigte der Kläger den Geschäftsführer der beklagten Partei, um Weisungen einzuholen. Dieser erschien nach einiger Zeit an Ort und Stelle, brachte eine Abschleppstange mit und begann, den LKW abzuschleppen. Da der Geschäftsführer dem Kläger vorher keinerlei Weisungen erteilte, wie der Abschleppvorgang (im abgeschleppten Fahrzeug) durchzuführen sei, durfte sich der Kläger darauf verlassen, daß keine weiteren Vorkehrungen notwendig seien.
Von der in der Revision behaupteten groben Fahrlässigkeit des Klägers kann daher keine Rede sein. Daß aber Schadenersatzansprüche wegen leichter Fahrlässigkeit - wenn der Kläger mehr als eine bloße entschuldbare Fehlleistung zu vertreten hätte - bereits gemäß § 6 DHG erloschen sind, läßt die Revisionswerberin unbekämpft. Es genügt deshalb der Hinweis, daß solche Ansprüche nach der kürzlich ergangenen und eingehend begründeten Entscheidung 14 Ob 126/86 nach Ablauf der Verfallsfrist auch nicht mehr unter Berufung auf eine frühere Aufrechnungslage geltend gemacht werden können. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 40 und 50 ZPO.
Anmerkung
E09186European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0140OB00157.86.0930.000Dokumentnummer
JJT_19860930_OGH0002_0140OB00157_8600000_000