TE OGH 1986/10/2 7Ob28/86

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Veröffentlicht am 02.10.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HONProf.Dr.Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta und Dr.Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elke M***, kaufmännische Angestellte, Graz, Ulmgasse 14 b/7/53, vertreten durch Dr.Fritz König, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei E*** A*** V***-AG, Wien 1., Brandstätte 7-9, vertreten

durch Dr.Erwin Gstirner, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung (Streitwert S 61.00,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 13. März 1986, GZ6 R 22/86-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Handelsgerichtes vom 9.Dezember 1985, GZ15 Cg 437/84-24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.597,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 308,85 an Umsatzsteuer und S 1.200,-- an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat auf Grund ihres Antrages vom 15.10.1982 mit der Beklagten einen Versicherungsvertrag über Privatpatientenvorsorge abgeschlossen. Die Beklagte hat unter Hinweis auf die Bestimmungen des § 9 Abs 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankenversicherung (AVBKV) den Rücktritt vom Vertrag mit 1.2.1984 erklärt.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, das Versicherungsverhältnis sei weiterhin aufrecht. Der Rücktritt der Beklagten sei nicht berechtigt. Die Klägerin habe vor Abschluß des Versicherungsvertrages zeitweise Magenbeschwerden gehabt, die vom Arzt als Säuremangel diagnostiziert und dementsprechend behandelt worden seien. Außerdem habe sie auch an Migräneanfällen gelitten, die ebenfalls mit Tabletten behandelt worden seien. Darüber hinaus aber seien der Klägerin bei Abschluß des Versicherungsvertrages keinerlei Krankheiten bekannt gewesen.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage und wendet ein, sie habe anläßlich von Krankenhausaufenthalten der Klägerin im Jahre 1983 festgestellt, daß die Klägerin schon vor Vertragsbeginn an Erkrankungen, und zwar an Pankreopathie, peripheren Kreislaufstörungen, hypochromer Anämie, Hypochaliämie, Migräneanfällen und Hypothyreose, gelitten habe. Dennoch habe die Klägerin im Antragsformular die Frage nach jemals durchgemachten Erkrankungen - wobei ausdrückliche Angaben auch über solche Krankheiten verlangt worden seien, die vom Antragsteller für unwesentlich gehalten werden - mit "keine" beantwortet. Bei Kenntnis der Vorerkrankungen der Klägerin wäre der Versicherungsvertrag nicht oder nur unter Berücksichtigung eines Prämienzuschlages von zumindest 50 % abgeschlossen worden.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es "legte" seinen Feststellungen den Antrag der Klägerin vom 15.10.1982, Beilage 1, sowie den Inhalt der Polizze vom 22.10.1982, Beilage A, zugrunde und nahm folgenden weiteren Sachverhalt als erwiesen an:

Dr.Emil W*** ist seit 11.8.1981 der behandelnde Arzt der Klägerin. Am 24.10.1983 hat er erstmalig vom Verdacht einer Nierenerkrankung Kenntnis erhalten, und zwar auf Grund eines Befundes des Krankenhauses der B*** B***. Vorher hat es keine Anhaltspunkte für diese Erkrankung gegeben. Vom 11.8.1981 bis zum 15.10.1982 war die Klägerin etwa zwanzigmal bei Dr.Emil W*** in der OrdinatiON Sie war damit durchschnittlich einmal im Monat in ärztlicher Behandlung. Seit 11.8.1981 waren ihre Beschwerden:

Verdauungsstörungen, leichte Blutarmut, periphere Kreislaufstörungen, Migräneanfälle sowie eine Unterfunktion der Schilddrüse. Dazu kamen vorübergehende Fieberinfekte. Diese Krankheiten wurden von Dr.W*** mit Medikamenten behandelt. Darüber hinaus hatte die Klägerin noch im Blut einen verminderten Kaliumanteil. Vor dem 10.10.1983 wurde die Klägerin von Dr.W*** auf eine eventuelle Nierenerkrankung deshalb nicht untersucht, weil kein diesbezüglicher Verdacht vorlag. Die Untersuchungen der Kläger im Krankenhaus der B*** B*** wurden von der Frauenärztin der Klägerin auf Grund von gynäkologischen Beschwerden veranlaßt. Die Klägerin war am 6.6.1983 das erste Mal wegen starker Blutungen bei der Fachärztin Dr.S***-N***; es wurde ihr eine Kürettage empfohlen. Sie war am 23.6.1983 neuerlich in ihrer Ordination; es zeigte sich ein schlechtes Blutbild. Am 3.8.1983 hat Dr.S***-N*** die Einweisung der Klägerin in das Krankehaus der B*** B*** veranlaßt. Als die Klägerin zum ersten Mal zu Dr.S***-N*** kam, gab sie, über die Vorgeschichte befragt, folgende Krankheiten an: Schilddrüsenunterfunktion, die mit Tabletten behandelt wird, sowie eine BlinddarmoperatiON

Die Klägerin, die am 6.4.1981 von Deutschland nach Österreich übersiedelte, hatte in Deutschland nicht regelmäßig einen Arzt konsultiert, sondern nur fallweise, wenn Beschwerden, wie etwa Verkühlungen und dergleichen, auftraten. Die Unterfunktion der Schilddrüse bei der Klägerin wurde schon in Deutschland festgestellt. Die Klägerin hat regelmäßig Tabletten gegen die Unterfunktion der Schilddrüse genommen. Zeitweise wurden ihr Tabletten gegen Magenbeschwerden und Migräneanfälle verordnet. Die Klägerin hatte meistens vor der Regel Migräneanfälle. Die leichte Unterfunktion der Schilddrüse wirkte sich bei der Klägerin in der Weise aus, daß sie ein Druckgefühl im Hals hatte sowie Platzangst im Aufzug und im Flugzeug. Durch die Einnahme der Tabletten wurden die Beschwerden der Unterfunktion der Schilddrüse herabgemindert. Die Klägerin hat auch durch autogenes Training gelernt, die Beschwerden "wegzubekommen".

Von ihrer Nierenerkrankung hat die Klägerin erstmals im Oktober 1983 im Krankenhaus der B*** B*** Kenntnis erlangt. Aus den Angaben der Klägerin und ihrer behandelnden Ärzte ergibt sich, daß sie keine chronische Erkrankung oder schwere Erkrankung hatte, sondern lediglich Störungen des Allgemeinbefindens, wie Verdauungsstörungen, Kreislaufstörungen, regelmäßige Migräneanfälle vor der Regelblutung sowie Beklemmungsgefühle, die sich als leichte Unterfunktion der Schilddrüse herausstellten. Wegen dieser Beschwerden nahm die Klägerin in unregelmäßigen Abständen Tabletten gegen die Verdauungsstörungen und zur Bekämpfung der Migräneanfälle ein, sowie eine Zeitlang regelmäßig ein Präparat zur Besserung der Unterfunktion der Schilddrüse. Die von der Klägerin geschilderten Beschwerden können als solche bezeichnet werden, unter denen ein Großteil der Bevölkerung heute leidet. Verdauungsstörungen, Migräneanfälle sowie die beschriebenen Beklemmungsgefühle können nicht als eigentliche Krankheiten bezeichnet werden. Die Beschwerden, unter denen die Klägerin vor dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gelitten hat, sind aus medizinischer Sicht als unwesentliche Krankheiten zu bezeichnen. Die Beschwerden sind nicht derart, daß sie bei einem Laien eine Krankheit vermuten lassen können.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Auffassung, die Beschwerden der Klägerin vor Abschluß des Versicherungsvertrages seien für einen medizinischen Laien nicht als "eigentliche Krankheiten aus medizinischer Sicht" zu bezeichnen. Im Antrag aber werde nur die Angabe von - auch unwesentlichen - Krankheiten gefordert. Die Forderung nach Angabe von - auch unwesentlichen - Krankheiten dürfe nicht überspitzt werden. Der Rücktritt der Beklagten sei deshalb zu Unrecht erfolgt. Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 60.000,-- (gemeint wohl: S 15.000,--; § 500 Abs2 Z 1 ZPO), nicht aber S 300.000,-- übersteigt, und daß die Revision nach § 502 Abs4 Z 1 ZPO zulässig sei. Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes führte das Berufungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung aus, die Klägerin habe einige Erkrankungen, nach denen im Antragsformular ausdrücklich und schriftlich gefragt worden sei, verneint, obwohl sie zur Zeit bzw. vor der Antragstellung daran gelitten habe, nämlich Kreislaufstörungen, Unterfunktion der Schilddrüse und Blutarmut (Anämie). Die Klägerin sei auch für ihr damaliges Lebensalter (38 bis 39 Jahre) ungewöhnlich oft in ärztlicher Behandlung gewesen, sodaß sie entsprechende, einer ärztlichen Behandlung bedürftige Beschwerden gehabt haben müsse. Die Krankheiten seien ihr also nicht verborgen geblieben. Die Klägerin habe daher die vorerwähnte Frage objektiv und subjektiv unrichtig beantwortet. Den Beweis, daß die Beklagte den Vertrag trotz Kenntnis des wahren Sachverhalts abgeschlossen hätte, habe die Klägerin nicht angetreten. Ob die festgestellten Erkrankungen der Klägerin "nicht als eigentliche Krankheiten aus medizinischer Sicht zu bezeichnen" seien, wie das Erstgericht ausführe, sei nicht entscheidend, weil nach § 16 VersVG "erhebliche Gefahrumstände" für das Rücktrittsrecht des Versicherers maßgebend seien, wobei ein Umstand, nach dem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich frage, im Zweifel als erheblich gelte. Der Rücktritt der Beklagten sei daher berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der für die Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukomme.

Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben. Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin beharrt auf ihrer Ansicht, nach den Feststellungen des Erstgerichtes seien die bei ihr aufgetretenen Erscheinungen nicht als Krankheit aus medizinischer Sicht zu bezeichnen, auch nicht als unwesentliche Krankheit. Es handle sich lediglich um Beschwerden, die sowohl vom Mediziner als auch vom Laien nicht als eigentliche Krankheit bezeichnet würden. Die Beschwerden seien auch nicht derart gewesen, daß sie bei einem Laien eine Krankheit hätten vermuten lassen können. Die Klägerin habe daher bei der Verneinung der im Versicherungsantrag gestellten Fragen gutgläubig gehandelt. Der Oberste Gerichtshof schließt sich dieser Ansicht nicht an. Nach § 16 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer beim Abschluß des Vertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind jene Gefahrumstände, die geeignet sind, auf den Entschluß des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bestimmungen abzuschließen, einen Einfluß auszuüben. Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich. Nach § 16 Abs2 VersVG kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, wenn der vorgenannten Vorschrift zuwider die Anzeige eines erheblichen Umstandes unterblieben ist. Nach § 16 Abs3 VersVG ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn der Versicherer den nicht angezeigten Umstand kannte oder wenn die Anzeige ohne Verschulden des Versicherungsnehmers unterblieben ist.

§ 9 Abs 1 der AVBKV entspricht inhaltlich dem § 16 VersVG. In einem wesentlichen Teil des Antrages auf Gesundheitsvorsorge, Beilage 1, werden "Angaben über die zu versichernden Personen zur Risikobeurteilung" gewünscht, und zwar "Angaben auch über solche Krankheiten, die für unwesentlich gehalten werden". Es wird danach gefragt, welche Krankheiten der Antragsteller jemals durchgemacht hat, wobei unter anderem insbesondere gefragt wird nach Erkrankungen des Kreislaufs, Magen- und Darmkrankheiten, Erkrankungen der inneren Drüsen (z.B.Schilddrüsen) und des Blutes (z.B.Anämie). Die Klägerin, die diese Frage mit "keine" beantwortet hat, hat nach ihren eigenen Angaben und nach den getroffenen Feststellungen vor der Antragstellung zeitweise an Magenbeschwerden, an Verdauungsstörungen, an leichter Blutarmut, peripheren Kreislaufstörungen, Migräneanfällen und an einer Unterfunktion der Schilddrüse gelitten und wurde auch dagegen behandelt. An die vom Antragsteller bei Erfüllung seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht anzuwendende Sorgfalt sind grundsätzlich ganz erhebliche Anforderungen zu stellen (JBl1977,375, VersR 1981,568). Gewiß dürfen trotz der Zweifelsregel des § 16 Abs 1, Satz 3, VersVG jene Vorerkrankungen als offensichtlich nicht gefahrerheblich außer Acht gelassen werden, die, wie etwa ein abgeheilter und länger zurückliegender grippaler Infekt, von jedermann vernachlässigt zu werden pflegen (SZ 54/22). Die Klägerin aber hat Umstände nicht angegeben, nach denen der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, sodaß sie sie schon deshalb nicht für unerheblich halten durfte. Auch wenn die Klägerin selbst ihre Beschwerden bagatellisert haben sollte, wäre sie zur Angabe dieser Beschwerden nach dem Wortlaut der Fragestellung im Antragformular "Angaben auch über solche Krankheiten, die für unwesentlich gehalten werden" in einer für sie erkennbaren Weise verpflichtet gewesen. Es trifft nicht zu, daß das Erstgericht, wie die Klägerin in ihrer Revision ausführt, festgestellt hat, die bei der Klägerin aufgetretenen Erscheinungen seien "auch nicht als unwesentliche" Krankheit zu bezeichnen. Das Erstgericht ist im Gegenteil davon ausgegangen, daß die Beschwerden der Klägerin als unwesentliche Krankheiten zu bezeichnen sind, wenn auch nicht als "eigentliche" Krankheiten. Hat aber die Klägerin zur Zeit und vor der Antragstellung an den geschilderten Beschwerden gelitten und war sie deshalb überdies in regelmäßiger ärztlicher Behandlung, kann ihr nicht zugute gehalten werden, daß die Anzeige der dargestellten Umstände ohne ihr Verschulden unterblieben ist, zumal für eine schuldhafte Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht schon leichte Fahrlässigkeit genügt (SZ 54/22).

Die Beklagte war nach dem festgestellten Sachverhalt gemäß § 16 Abs2 VersVG, § 9 Abs 1 AVBKV zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt.

Mit Recht hat deshalb das Berufungsgericht das Klagebegehren abgewiesen, sodaß der Revision ein Erfolg versagt bleiben mußte. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E09412

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0070OB00028.86.1002.000

Dokumentnummer

JJT_19861002_OGH0002_0070OB00028_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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