Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des CS in V, vertreten durch Mag. Alexander Jelly, Rechtsanwalt in 9500 Villach, Postgasse 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Dezember 2004, Zl. 253.942/0-VI/18/04, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, nach seinen Angaben ein aus Tschetschenien stammender russischer Staatsangehöriger, gelangte am 8. Februar 2004 in das Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Asylantrag.
Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 31. August 2004 gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.); gleichzeitig wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Russland festgestellt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. dessen Ausweisung aus dem Bundesgebiet verfügt (Spruchpunkt III.).
Die dem Beschwerdeführer "eigenhändig" zuzustellende Rsa-Sendung wurde laut dem im Akt erliegenden Rückschein - nach einem erfolglosen ersten Zustellversuch am 17. September 2004 - am 20. September 2004 (mit Beginn der Abholfrist am 21. September 2004) beim zuständigen Postamt hinterlegt, wobei die Ankündigung des zweiten Zustellversuches und die Verständigung über die Hinterlegung "in den Briefkasten eingelegt" worden seien. Am 12. Oktober 2004 wurde die Sendung als "nicht behoben" an die Behörde zurückgestellt.
Am 18. Oktober 2004 langte beim Bundesasylamt eine mit 14. Oktober 2004 datierte Berufung des Beschwerdeführers ein. Zur Rechtzeitigkeit wurde darin nur behauptet, die Berufung werde "innerhalb offener Frist" erhoben.
Aufgrund der - ausgehend vom Hinterlegungsdatum - offenbar verspäteten Erhebung der Berufung machte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 2. November 2004 einen entsprechenden Vorhalt und forderte ihn auf, hiezu binnen zehn Tagen Stellung zu nehmen und einen Nachweis über den Zeitpunkt der Postaufgabe seines Rechtsmittels vorzulegen.
Dieser Verspätungsvorhalt wurde am 10. November 2004 durch Hinterlegung zugestellt, wobei der Zusteller neuerlich - ebenso wie auf dem Rückschein über die Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides - beurkundete, dass er die nach einem ersten erfolglosen Zustellversuch vorgenommene Ankündigung des zweiten Zustellversuches und die Verständigung über die Hinterlegung "in den Briefkasten eingelegt" habe.
Der Beschwerdeführer reagierte auf den Verspätungsvorhalt mit einem am 18. November 2004 zur Post gegebenen Schreiben vom 11. November 2004, in dem er angab, er habe von der Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides erst am 14. Oktober 2004 erfahren. Die Hinterlegungsanzeige sei wohl in seinem "großen GVS-Quartier in Villach", in dem es "eine Vielzahl an Wohnungen" gebe, verschwunden. Es gebe dort "keine Briefkästen für jede einzelne Wohneinheit oder eine zentrale Postabgabestelle".
Hinterlegungsanzeigen würden entweder an die Türe geklebt oder, "wenn an einem Tag mehrere Briefsendungen und Reklamematerial sind, dann vor die Türe auf den Boden gelegt". Er habe das "Hinterlegungsschreiben des Briefträgers nie erhalten".
In der Folge fragte die belangte Behörde beim Zustellpostamt an, wann die Sendung mit dem erstinstanzlichen Bescheid tatsächlich behoben worden sei. Diese Anfrage beantwortete das Postamt dahin, dass die Sendung nicht behoben, sondern an das Bundesasylamt zurückgesandt worden sei. Erhebungen darüber, in welcher Form die Ankündigung des zweiten Zustellversuches und die Hinterlegungsanzeige an der Abgabestelle zurückgelassen wurden, führte die belangte Behörde nicht durch.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers vom 14. Oktober 2004 gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück. Sie stellte fest, dass der Beschwerdeführer mit seiner Familie an der Adresse O-Zeile 29 in Villach in einer Betreuungseinrichtung untergebracht sei, "den erstinstanzlichen Bescheid zu keinem Zeitpunkt behoben" und "offensichtlich auf anderen Wegen von der Existenz eines negativen Bescheides erfahren" habe, weshalb er "ohne inhaltliche Kenntnis des erstinstanzlichen Asylbescheides eine Berufung verfasst haben dürfte". Die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides sei am 21. September 2004 durch Hinterlegung erfolgt, sodass die Berufungsfrist am 5. Oktober 2004 geendet habe. Der Beschwerdeführer habe die Berufung erst am 14. Oktober 2004 eingebracht und in seiner Stellungnahme weder behauptet, dass er im Zeitpunkt des Zustellvorganges ortsabwesend gewesen sei, noch dass "das Zustellorgan im Betreuungsheim eine rechtswidrige und rechtsunwirksame Zustellung des erstinstanzlichen Asylbescheides vorgenommen hätte". Die Richtigkeit der vom Zustellorgan beurkundeten Zustellversuche und der darauf erfolgten Hinterlegung unter Zurücklassung einer Verständigung werde "somit erkennbar nicht in Zweifel gezogen". Die eingebrachte Berufung sei daher als verspätet anzusehen gewesen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
1. Gemäß § 13 Abs. 1 Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 idF BGBl. I Nr. 10/2004 (ZustG), ist eine Sendung dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Dem Empfänger zu eigenen Handen zuzustellende Sendungen dürfen gemäß § 21 Abs. 1 leg. cit. nicht an einen Ersatzempfänger zugestellt werden.
Die Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Schriftstückes ist gemäß § 17 Abs. 2 ZustG "in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen". Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist gemäß § 17 Abs. 4 ZustG auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 oder die im § 21 Abs. 2 ZustG (betreffend eigenhändig zuzustellende Schriftstücke) genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde.
Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt gemäß § 7 Abs. 1 ZustG die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.
2. Im vorliegenden Fall wurde die Sendung mit dem an den Beschwerdeführer zuzustellenden erstinstanzlichen Bescheid vom 31. August 2004 beim Postamt hinterlegt und in der Folge als "nicht behoben" an die Behörde zurückgestellt. Die Rechtsmittelfrist hätte mit dem 21. September 2004 (Beginn der Abholfrist) zu laufen begonnen, wenn bei der Hinterlegung entsprechend den Vorschriften des Zustellgesetzes vorgegangen wurde.
Die vom Beschwerdeführer in seiner im Berufungsverfahren abgegebenen Stellungnahme aufgestellten Behauptungen stehen im Widerspruch zu den vom Zusteller auf den Rückscheinen sowohl der Sendung mit dem erstinstanzlichen Bescheid als auch des Verspätungsvorhaltes vorgenommenen Beurkundungen. Während der Zusteller jeweils beurkundete, er habe die Ankündigung des zweiten Zustellversuches und die Verständigung über die Hinterlegung "in den Briefkasten eingelegt", brachte der Beschwerdeführer vor, an der Abgabestelle (einem "großen GVS-Quartier in Villach" mit einer "Vielzahl an Wohnungen") gebe es "keine Briefkästen für jede einzelne Wohneinheit oder eine zentrale Postabgabestelle"; Hinterlegungsanzeigen würden entweder an die Türe geklebt oder zusammen mit anderen Postsendungen "vor die Türe auf den Boden gelegt". Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid angenommen hat, die Richtigkeit der vom Zustellorgan vorgenommenen Beurkundung sei vom Beschwerdeführer "nicht in Zweifel gezogen worden".
Das Vorbringen des Beschwerdeführers war auch geeignet, zumindest berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zustellvorganges aufkommen zu lassen, weshalb die belangte Behörde Feststellungen darüber zu treffen gehabt hätte.
Da nach dem Gesagten noch nicht davon ausgegangen werden konnte, dass der Bescheid des Bundesasylamtes dem Beschwerdeführer am 21. September 2004 rechtswirksam zugestellt wurde, war der angefochtene Bescheid, mit dem die Berufung vom 14. Oktober 2004 als verspätet zurückgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
3. Auf das Beschwerdevorbringen, wonach die Stellungnahme des Beschwerdeführers zum Vorhalt der verspäteten Einbringung der Berufung (Schreiben vom 11. November 2004) als Wiedereinsetzungsantrag hätte aufgefasst werden müssen, muss daher nicht eingegangen werden, zumal gemäß § 71 Abs. 4 AVG die belangte Behörde zur Entscheidung über die Wiedereinsetzung in die Versäumung der Berufungsfrist nicht zuständig wäre (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 326 f zu § 71 AVG zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes), sondern einen solchen Antrag gegebenenfalls gemäß § 6 AVG an das Bundesasylamt hätte weiterleiten müssen. Schließlich wäre die belangte Behörde auch nicht gehalten gewesen, mit der Zurückweisung einer verspäteten Berufung zuzuwarten, solange die Entscheidung über einen allfälligen Wiedereinsetzungsantrag noch ausstünde, es sei denn, einem Wiedereinsetzungsantrag wäre durch die zur Entscheidung über diesen berufene Behörde gemäß § 71 Abs. 6 AVG aufschiebende Wirkung zuerkannt worden (vgl. die bei Walter/Thienel aaO E 335 zu § 71 AVG zitierte hg. Judikatur).
4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 26. Juli 2005
Schlagworte
Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)Verhältnis zu anderen Materien und Normen Wiedereinsetzung in den vorigen StandEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005200103.X00Im RIS seit
08.11.2005Zuletzt aktualisiert am
30.08.2011