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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des AB in W, vertreten durch Dr. Meinhard Novak, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Neuer Markt 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. Februar 2005, Zl. 253.838/0-X/47/04, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, beantragte erstmals im April 2001 in Österreich Asyl und gab dazu vor dem Bundesasylamt an, die Taliban hätten ihn gezwungen, an vorderster Front Panzer zu reparieren.
Mit Spruchpunkt I. des Bescheides vom 16. April 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab. Mit Spruchpunkt II. erklärte es die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan für zulässig. Das Bundesasylamt stützte diese Entscheidung - hinsichtlich der Abweisung des Asylantrages - auf Feststellungen über die "große Wende im Machtgefüge Afghanistans" infolge von "Militärschlägen" der USA. Ob die Behauptungen des Beschwerdeführers über seine Ausreisegründe der Wahrheit entsprächen, müsse nicht mehr geprüft werden, weil "die Herrschaft der Taleban beendet" sei "und diese daher als Verfolger ausscheiden". Das Vorbringen des Beschwerdeführers enthalte keine Hinweise darauf, dass ihm von "ehemaligen Angehörigen der Taleban" weiterhin Verfolgung drohe. Aus dem "ho. Amtswissen" ergebe sich auch kein Grund zu der Annahme, dass der Beschwerdeführer "von den derzeitigen Machthabern" Verfolgung zu befürchten habe. Angesichts der multiethnischen Zusammensetzung der Übergangsregierung gelte dies insbesondere auch für eine allfällige Verfolgung wegen der behaupteten Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Volksgruppe der Tadschiken. Den zweiten Spruchpunkt der Entscheidung stützte das Bundesasylamt u.a. darauf, dass der Beschwerdeführer "ausdrücklich betont" habe, "aus einer wohlhabenden Familie zu stammen".
Diese Entscheidung wurde am 23. April 2002 durch Hinterlegung bei der Behörde zugestellt und blieb unangefochten.
Am 29. Juli 2002 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Asylantrag. Bei seiner Vernehmung dazu gab er an, an seinen Fluchtgründen habe sich nichts geändert.
Mit Bescheid vom 17. Februar 2003 wies das Bundesasylamt den Zweitantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück.
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 24. Februar 2003 durch Hinterlegung zugestellt und blieb unangefochten.
Am 2. Juni 2003 stellte der Beschwerdeführer einen dritten Asylantrag. Diesen Antrag begründete er damit, die "Anhänger von Karzai" hätten eine Woche nach dessen Machtübernahme - ein konkretes Datum könne der Beschwerdeführer dazu nicht angeben - in der früheren Werkstätte des Beschwerdeführers in Kabul "zwei Autos der Taliban" gefunden. Das Leben des Beschwerdeführers sei in Afghanistan jetzt aus diesem Grund in Gefahr.
Mit Bescheid vom 23. Jänner 2004 wies das Bundesasylamt auch diesen Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Begründend wurde dazu ausgeführt, die nunmehrigen Angaben des Beschwerdeführers über eine drohende Verfolgung durch Anhänger Karzais seien spekulativ, vage und abstrakt und es handle sich um einen Sachverhalt, der dem Beschwerdeführer schon bei der Einvernahme zum Zweitantrag hätte bekannt sein müssen.
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 28. Jänner 2004 durch Hinterlegung zugestellt und blieb unangefochten.
Mit Schriftsatz vom 7. September 2004 stellte der Beschwerdeführer den beschwerdegegenständlichen vierten Asylantrag, zu dem er sich am 20. September 2004 im Sinne des § 24 Abs. 2 dritter Satz AsylG (in der am 1. Mai 2004 in Kraft getretenen Fassung der AsylG-Novelle 2003) persönlich in der Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes einfand.
Bei der ersten Einvernahme zu diesem Antrag am 23. September 2004 verwies der Beschwerdeführer auf die schon dem ersten Antrag zugrunde gelegten Angaben ("Meine Fluchtgründe sind noch immer die gleichen, ich möchte nur eine Kleinigkeit hinzufügen"). Darüber hinaus wiederholte er - mit Ergänzungen im Detail - das zum dritten Antrag erstattete Vorbringen, das er nun aber durch die Vorlage von Urkunden unter Beweis stellte. Dem Beschwerdeführer wurde mitgeteilt, dass die Zurückweisung des Antrages wegen entschiedener Sache beabsichtigt sei und er Gelegenheit haben werde, dazu nach Rechtsberatung in einer weiteren Einvernahme Stellung zu nehmen.
Noch am selben Tag stellte der Beschwerdeführer mit der Behauptung, die Urkunden seien ihm gerade erst zugekommen, den - nicht beschwerdegegenständlichen - Antrag auf Wiederaufnahme der drei rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren.
Bei der zweiten Einvernahme zum vierten Asylantrag am 27. September 2004 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen nur an, er könne nicht nach Afghanistan zurück und werde "jedes Mal, wenn mein Antrag abgewiesen oder zurückgewiesen wird, einen neuerlichen Antrag stellen".
Mit Bescheid vom 29. September 2004 wies das Bundesasylamt den vierten Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 68 Abs. 1 AVG "in Verbindung mit § 32 Abs. 8 Asylgesetz 1997 ... idgF" wegen entschiedener Sache zurück. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe "gegenüber dem früheren Asylantrag" keinen "wesentlichen geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt" behauptet.
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung rügte der Beschwerdeführer u.a. das Unterbleiben einer Auseinandersetzung mit den von ihm vorgelegten Urkunden. Außerdem hätten sich in der langen Zeit, die seit seinem ersten Asylantrag verstrichen sei, die allgemeinen Verhältnisse in Afghanistan zu seinen Ungunsten verändert. In dieser Hinsicht habe das Bundesasylamt auch das Amtswissen unberücksichtigt gelassen.
Die Berufung enthielt u.a. die ausdrücklichen Anträge, ihr "aufschiebende Wirkung zu erteilen" und "eine mündliche Berufungsverhandlung abzuhalten".
Mit dem angefochtenen, ohne Verhandlung erlassenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung mit der Maßgabe, dass die Bezugnahme auf § 32 Abs. 8 AsylG im Spruch zu entfallen habe, ab. Im Anschluss an eine Darstellung des Verfahrensganges und längere allgemein gehaltene Rechtsausführungen zu § 68 AVG legte die belangte Behörde begründend dar, das Bundesasylamt habe nicht angegeben, wie es zur Verneinung einer wesentlichen Sachverhaltsänderung komme und welchen Bescheid es als Vergleichsbescheid heranziehe. Im Ergebnis sei die erstinstanzliche Entscheidung aber richtig, weil das dem vierten Antrag zugrunde gelegte Vorbringen keine wesentliche Änderung gegenüber dem Sachverhalt enthalten habe, "über welchen der dritte Bescheid rechtskräftig abgesprochen hatte". Einer "inhaltlichen Erledigung" des vierten Antrages stehe die "Rechtskraft des Bescheides des Bundesasylamtes vom 2.12.2003" (gemeint offenbar: vom 23. Jänner 2004) entgegen. Es sei daher auch richtig gewesen, nicht auf die zuletzt vorgelegten Dokumente einzugehen. Diese könnten nur allenfalls eine - vom Beschwerdeführer auch beantragte - Wiederaufnahme rechtfertigen.
Zum Entfall der Bezugnahme auf § 32 Abs. 8 AsylG führte die belangte Behörde aus, "Rechtsgrundlage eines Bescheides, mit dem ein Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird", könne "nicht eine Vorschrift sein, welche die Folgen einer Berufung gegen diesen Bescheid regelt".
Die Abstandnahme von einem mündlichen Verhandlung begründete die belangte Behörde u.a. damit, dass eine solche nicht beantragt worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der auf die missglückte Bezeichnung des Beschwerdepunktes und andere juristische Unzulänglichkeiten der vom Verfahrenshelfer erstatteten Beschwerde hingewiesen wird. Tatsächlich spricht die Beschwerde nicht nur davon, dass einer der Asylanträge wegen entschiedener Sache "abgewiesen" worden sei, die belangte Behörde "Verpflichtungen gemäß § 68 VwGG" nicht nachgekommen sei u.dgl.m. Die Beschwerde unternimmt auch keinerlei Versuch, sich mit den im angefochtenen Bescheid aufgeworfenen und breit dargestellten Rechtsfragen auseinander zu setzen. Ins Treffen geführt wird stattdessen das zur Bekämpfung des angefochtenen Bescheides nicht geeignete Argument, der Beschwerdeführer habe "die neuen Asylgründe" schon in einem der früheren Verfahren vorgebracht.
2. Einer Ablehnung oder Abweisung der Beschwerde steht jedoch entgegen, dass die belangte Behörde von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, wonach als Vergleichsbescheid derjenige Bescheid heranzuziehen ist, mit dem zuletzt in der Sache entschieden - und nicht etwa nur ein Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen - wurde (vgl. in diesem Sinn aus der neueren Judikatur in Asylsachen die von der belangten Behörde erwähnten Erkenntnisse vom 15. November 2000, Zl. 2000/01/0184, und vom 16. Juli 2003, Zl. 2000/01/0440, sowie den Hinweis auf Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 104 und 182 zu § 68 AVG, in dem zuletzt genannten Erkenntnis).
Die belangte Behörde meint in Bezug auf diese Judikatur, es gebe "auch Zurückweisungsbescheide, in denen sich die Behörde inhaltlich mit dem Vorbringen des Asylwerbers auseinander setzt". Dies sei der Fall, wenn ein Folgeantrag zurückgewiesen werde, weil den Behauptungen über eine wesentliche Sachverhaltsänderung ein "glaubhafter Kern" fehle, aber auch dann, wenn die Zurückweisung erfolge, weil sich der Folgeantrag "auf Tatsachen stütze, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben".
Für ihre - dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende - Ansicht, maßgeblich sei in Bezug auf den Viertantrag des Beschwerdeführers die rechtskräftige Zurückweisung seines Drittantrages, erachtet es die belangte Behörde daher auch nicht als schädlich, dass im Bescheid des Bundesasylamtes über die Zurückweisung des Drittantrages - wie die belangte Behörde ausführt - nicht deutlich werde, ob der Drittantrag wegen Fehlens eines "glaubhaften Kerns" der Behauptungen über die nunmehr drohende Verfolgung oder aber deshalb zurückgewiesen worden sei, weil sich der zugrundeliegende Sachverhalt vor der Beendigung des zweiten Verfahrens verwirklicht habe.
Ob die Bezugnahme auf die Beendigung des zweiten (und nicht des ersten) Verfahrens in dem von der belangten Behörde imaginierten System gedanklich schlüssig ist und welche Fälle einer nicht als Vergleichsbescheid für weitere Folgeanträge heranzuziehenden Zurückweisung eines Folgeantrages bei konsequenter Anwendung eines solchen Systems letztlich übrig bleiben würden, bedarf keiner näheren Überprüfung. Dem Gedankengang der belangten Behörde ist schon im Ansatz nicht zu folgen, weil auch die Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit eines neuen Vorbringens im Zuge der Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrages (vgl. dazu Punkt 3.2. der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 4. November 2004, Zl. 2002/20/0391) nicht dazu führt, dass aus der Zurückweisung eines Folgeantrages dessen inhaltliche Erledigung wird. Für den von der belangten Behörde noch ausdrücklich einbezogenen Fall der bloßen Prüfung der zeitlichen Lagerung des behaupteten Sachverhaltes kann dies umso weniger gelten. Der Standpunkt der belangten Behörde ist mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes daher nicht vereinbar.
3. In Bezug auf das Verhältnis der vom Beschwerdeführer dem dritten und dem vierten Asylantrag zugrunde gelegten Behauptungen zueinander hat die belangte Behörde unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 20. März 2003, Zl. 99/20/0480, ausgeführt, mit den ergänzenden Behauptungen zum vierten Antrag werde "nur jener Sachverhalt bekräftigt, über den mit dem dritten Bescheid abgesprochen worden war, bzw. es wird das Fortbestehen und Weiterwirken dieses Sachverhaltes behauptet".
Dem ist zur Klarstellung entgegenzuhalten, dass die Bezugnahme auf ein "Fortbestehen und Weiterwirken" von Fluchtgründen in dem von der belangten Behörde zitierten Erkenntnis vom 20. März 2003 in einem spezifischen, Judikatur zur "Verfolgungssicherheit" nach dem Asylgesetz 1991 betreffenden Zusammenhang stand (vgl. allgemeiner und unter Hinweis auf die erforderlichen Differenzierungen Punkt 2.4. und 2.5. der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 4. November 2004, Zl. 2002/20/0391; zuletzt das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2005/20/0343). Näher braucht darauf hier - da es auf das Verhältnis zum dritten Asylantrag des Beschwerdeführers nicht ankommt - nicht eingegangen zu werden.
4. Es bedarf auch keiner Auseinandersetzung mit den von der belangten Behörde in der Gegenschrift erörterten Fragen des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Berufung durch § 32 Abs. 8 AsylG im Verhältnis zu Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofes, mit denen einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird (vgl. diesbezüglich etwa den hg. Beschluss vom 11. Oktober 1983, Slg. Nr. 11.178/A; Hoehl, Vorläufiger Rechtsschutz vor dem VwGH (1999) 124 bei und in FN 679 m.w.N.). Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang in der Gegenschrift ausführt, sie halte § 32 Abs. 8 AsylG für verfassungswidrig und habe nur deshalb keinen Antrag auf Aufhebung an den Verfassungsgerichtshof gestellt, weil der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren nicht "ausdrücklich die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (der Berufung) beantragt" habe, so ist dem aber entgegenzuhalten, dass die Ansicht, der Beschwerdeführer habe dies unterlassen, mit dem aktenkundigen Inhalt der Berufung ebenso wenig im Einklang steht wie die im angefochtenen Bescheid erhobene Behauptung, er habe keine Berufungsverhandlung beantragt.
5. Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung nicht - eventualiter - darauf gestützt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers über seine nunmehrige Bedrohung sich auf Sachverhaltselemente stütze, die bereits vor Abschluss des ersten, meritorisch erledigten Verfahrens vorgelegen seien. Sie ist auch nicht davon ausgegangen, dass diese Behauptungen nicht asylrelevant sein könnten oder bei Einbeziehung der vom Beschwerdeführer zuletzt vorgelegten Beweismittel keinen glaubhaften Kern hätten. Für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung darüber, ob der beschwerdegegenständliche Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen ist, findet sich im angefochtenen Bescheid somit auch keine tragfähige Alternativbegründung.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 26. Juli 2005
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhaltsänderung Zurückweisung wegen entschiedener SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005200226.X00Im RIS seit
30.08.2005