Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Warta und Dr. Schlosser als Richter in den verbundenen Rechtsstreiten der klagenden Partei Franz L***, Elektrounternehmer, Peuerbach, Hauptstraße 3, vertreten durch Dr. Otto Tuma, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S*** G*** G*** MBH,
Peuerbach, Höhenstein 9, vertreten durch Dr. Werner Waitz, Rechtsanwalt in Peuerbach, wegen a) S 549.703,88 (7 Cg 272/85),
b)
S 989.675,81 (7 Cg 273/85), c) S 641.155,02 (7 Cg 274/85) und
d)
S 115.624,10 (7 Cg 275/85) jeweils samt Nebenforderungen (Summe der Revisionsgegenstände: S 1,496.158,72), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 16. April 1986, GZ 2 R 96-99/86-37, womit das Anerkenntnisurteil des Kreisgerichtes Wels vom 27. Dezember 1985, GZ 7 Cg 272/85-30 und das diesem vorangegangene Verfahren ab dem Fortsetzungsantrag vom 2. September 1985 als nichtig aufgehoben wurden, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht stattgegeben.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 18.339,75 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer S 1.667,25) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrte von der Beklagten Werklohn für eine größere Anzahl von Elektroreparaturen. Er stellte sein Zahlungsbegehren in vier getrennten Klagen, die das Erstgericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung über sämtliche verbundenen Klagen vom 11. Juli 1985 erklärte die Beklagte nach dem Inhalt der Verhandlungsniederschrift zunächst eine Anerkennung der Klagsforderungen. Im Anschluß an diese Erklärung wurde ein Vergleich folgenden Inhaltes protokolliert:
"1.) Die beklagte Partei sowie ... (deren nicht mitbelangter
geschäftsführender Gesellschafter) ... verpflichten sich zur
ungeteilten Hand, der klagenden Partei zu Handen des
Klagevertreters ... den Betrag von S 800.000,- wie folgt zu bezahlen:
a)
S 400.000,- bis 26.7.1985
b)
weitere S 400.000,- in monatlichen Raten zu je S 100.000,-, fällig am 26.8.1985, 26.9.1985, 26.10.1985, 26.11.1985. Sämtliche Termine stellen das Datum des Überweisungsauftrages dar.
2.) Sowohl bei Widerruf als auch bei Einhaltung dieses Vergleiches verzichtet die klagende Partei ausdrücklich auf Antragstellung auf Anerkenntnis und es ist das erklärte Anerkenntnis gegenstandslos.
3.) Mit Erfüllung dieses Vergleiches sind alle klagsgegenständlichen Forderungen verglichen.
4.)
Die Vergleichsgebühr ...
5.)
Dieser Vergleich wird rechtswirksam, wenn er nicht von der klagenden Partei mittels Schriftsatzes bis 19.7.1985 bei Gericht einlangend widerrufen wird."
Der Kläger hat den Vergleich nicht widerrufen.
Die Beklagte hat (erst) am 24. September 1985 den Auftrag zur Überweisung des Betrages von S 500.000,- und am 26. September 1985 den Auftrag zur Überweisung eines weiteren Teilbetrages von S 100.000,- erteilt.
Bereits am 2. September 1985 war bei Gericht ein mit 28. August 1985 datierter Antrag des Klägers auf Fortsetzung des Verfahrens in Ansehung der um den Vergleichsbetrag von S 800.000,-
verminderten Gesamtsumme der Begehren aller vier Klagen wegen Verzuges der Beklagten mit der ersten Verlgeichszahlung eingelangt. Die Beklagte machte geltend, daß mangels Antrages auf Fällung eines Anerkenntnisurteiles in der Tagsatzung vom 11. Juli 1985 Ruhen des Verfahrens eingetreten wäre. Im Hinblick darauf stellte der Kläger mit dem am 14. Oktober 1985 beim Prozeßgericht eingelangten Schriftsatz einen Evenutalantrag auf Fortsetzung des ruhenden Verfahrens. Die Beklagte stellte ihrerseits einen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens und kündigte gleichzeitig den Widerruf ihres Anerkenntnisses an. Im Sinne dieser Ankündigung gab sie auch in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 24. Oktober 1985 eine entsprechende Prozeßerklärung ab. Das Prozeßgericht schloß in dieser Tagsatzung seine Verhandlung und behielt seine Entscheidung der schriftlichen Ausfertigung vor. Mit dieser fällte es ein Anerkenntnisurteil.
Das Berufungsgericht hob anläßlich der Berufung das Urteil samt dem vorangegangenen Verfahren ab dem vom Kläger am 2. September 1985 überreichten Fortsetzungsantrag als nichtig auf und wies gleichzeitig den erwähnten Fortsetzungsantrag ebenso wie den des Beklagten zurück. Das Berufungsgericht nahm eine prozeßbeendende Wirkung des gerichtlichen Vergleiches an und wertete die ungeachtet dieser prozeßbeendenden Wirkung gesetzten Prozeßhandlungen als nichtig.
Der Kläger ficht den berufungsgerichtlichen Beschluß auf Nichtigerklärung des dem Vergleich nachgefolgten Verfahrens und die Zurückweisung seines Fortsetzungsantrages mit dem Antrag auf (ersatzlose) Aufhebung dieser Entscheidung an.
Der Beklagte erstattete eine Rekursbeantwortung.
Zur Zulässigkeit und Zweiseitigkeit des Rechtsmittels ist vorweg
zu erwägen:
Die Verneinung des Fortbestehens eines ehemals unzweifelhaft rechtmäßig begründeten Prozeßrechtsverhältnisses (wegen wirksamer Klagsrücknahme oder streitbeendender Wirkung eines gerichtlichen Vergleiches, aber auch wegen Gesamtrechtsnachfolge einer Prozeßpartei in die Rechtsstellung des Prozeßgegners und ähnlichen) führt zwar nicht zu einer Zurückweisung der Klage, aber ebenso wie eine solche Zurückweisung zur Ablehnung einer (weiteren) Behandlung des verfahrensrechtlich gestellten Rechtsschutzbegehrens. Eine derartige "Einstellung des Verfahrens" (vgl. § 239 Abs 3 ZPO) ist in ihrer verfahrensrechtlichen Bedeutung der Ablehnung einer Verfahrenseinleitung durchaus vergleichbar. Aus dieser Erwägung ist auch in Analogie zu § 519 Abs 1 Z 2 ZPO die Rekurszulässigkeit anzunehmen. Folgerichtig ist dann aber auch wegen Rechtsähnlichkeit die Voraussetzung nach § 521 a Abs 1 Z 3 ZPO zu bejahen, so daß das Rechtsmittelverfahren zweiseitig gestaltet ist.
Rekurs und Rekursbeantwortung sind daher zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Die Parteien haben die Rechtswirksamkeit ihres Vergleiches davon
abhängig gemacht, daß der Kläger eine frist- und formgebundene
Widerrufserklärung unterlasse. Eine derartige aufschiebende
Bedingung wird von Lehre und Rechtsprechung ungeachtet des
Grundsatzes, daß Prozeßerklärungen im allgemeinen
bedingungsfeindlich sind, auch verfahrensrechtlich als zulässig
angesehen (SZ 54/14 u.v.a.). Der am 11. Juli 1985 protokollierte
gerichtliche Vergleich wurde daher mit Ablauf der Widerrufsfrist
verfahrensrechtlich wirksam. Umfänglich erfaßt er als
Prozeßerklärung die Gesamtheit aller Klagebegehren. Weder der
Vergleichsbetrag als Ganzes noch seine Teilbeträge wurden einzelnen
der vier Klagebegehren, geschweige denn bestimmten Klagsposten
zugeordnet. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß bei
objektiver Auslegung des Vergleiches in seiner Eigenschaft als
Prozeßerklärung die im Punkt 2 enthaltene Regelung, die klagende Partei verzichte auch bei Einhaltung des Vergleiches auf "Antragstellung auf Anerkenntnis", nur als materiellrechtlicher Verzicht auf die Geltendmachung von Rechtsfolgen (aus der zu Protokoll erklärten Forderungsanerkennung im materiellen Sinn bis zum Eintritt der Bereinigungswirkung nach Punkt 3 des Vergleiches, solange nur die im ersten Punkt bezeichneten Fälligkeiten eingehalten würden) außerhalb des mit dem Vergleich beendeten Rechtsstreites verstanden werden dürfe.
Streitigkeiten darüber, ob der Vergleich (nach seinem richtigen materiellrechtlichen Verständnis) eingehalten wurde, sind nicht in einem verfahrensrechtlichen Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Verfahrensfortsetzung (mit Beschlußentscheidung und entsprechend eingeschränkter Anfechtungsmöglichkeit), sondern (als Streit über eine materiellrechtliche Hauptfrage) mit Urteil (und daher in einem neuen, selbständigen Rechtsstreit) zu entscheiden. Diese Folgerung spricht auch vom Ergebnis her für die dieser Entscheidung der Sache nach unterstellte Lehre vom sogenannten Doppeltatbestand (zuletzt 7 Ob 611/86) und nicht den Thesen von der Doppelnatur des gerichtlichen Vergleiches (siehe dazu Sprung in seiner Anmerkung zu der in JBl 1977, 428 f veröffentlichten Entscheidung und Fasching, Zivilprozeßrecht, Rdz 1335 ff).
Das Berufungsgericht hat das unter Mißachtung der prozeßbeendenden Wirkung eines gerichtlichen Vergleiches fortgeführte Verfahren zutreffend als mit einem im § 477 ZPO nicht genannten Nichtigkeitsgrund behaftet angesehen (JBl 1980, 378 u.a.). Dem Rekurs war aus diesen Erwägungen ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E09388European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0060OB00641.86.1009.000Dokumentnummer
JJT_19861009_OGH0002_0060OB00641_8600000_000