TE OGH 1986/10/14 4Ob344/85

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Veröffentlicht am 14.10.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurzinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl, Dr. Resch, Dr. Kuderna und Dr. Gamerith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*** Gesellschaft m.b.H., Wien 1., Eßlinggasse 9, vertreten durch Dr. Friedrich Mosing, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Erwin H. A***, Kaufmann in Wien 19., Hutweidengasse 57, 2.) Erwin A*** Gesellschaft m.b.H., Wien 19., Heiligenstädterstraße 187, beide vertreten durch Dr. Alfred van de Voorde, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert S 575.000,--) infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 14. Februar 1985, GZ. 3 R 266/84-21, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 21. September 1984, GZ. 19 Cg 3/84-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit S 16.060,28 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.460,03 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Alleinimporteur der von der G*** S.A. in Paris hergestellten und unter der Marke "G***" vertriebenen Parfüms und sonstigen Kosmetikartikel. Sie beliefert damit in Österreich ausschließlich qualifizierte Detailhändler im Rahmen sogenannter "Depositär-Verträge" (Beilage A). In diesen Verträgen übernehmen die Depositäre (ua.) die Verpflichtung, ihre Geschäfte nach bestimmten Kriterien, insbesondere nicht in Form der Selbstbedienung, zu führen und G***-Produkte nur an Letztverbraucher in den Originalpackungen - also ohne Abfüllen, Umfüllen oder sonstige Änderungen - zu verkaufen oder abzugeben. Hingegen erklärt G*** (ua.), seine Erzeugnisse nur an Firmen des als solcher anerkannten Fachhandels zu verkaufen, mit denen ein Depositär-Vertrag abgeschlossen wurde. In der Kosmetikbranche ist es üblich, daß Erzeuger oder Händler, die gehobene Waren verkaufen, mit ihren Wiederverkäufern Verträge solchen Inhalts abschließen. Der Erstbeklagte ist der einzige Geschäftsführer der zweitbeklagten GmbH. Diese betreibt den Großhandel mit Parfümerie- und Kosmetikartikeln; sie hat aber keinen Depositär-Vertrag mit der Klägerin abgeschlossen. Seit Mitte Dezember 1983 veräußerte Henriette A*** - die Ehegattin des Erstbeklagten - in ihren Einzelhandelsgeschäften auch G***-Erzeugnisse, welche sie von der Zweitbeklagten erworben hatte; auch eine Selbstbedienungs-Großhandelskette war von der Zweitbeklagten mit solchen Produkten beliefert worden. Die Zweitbeklagte hatte diese Waren von der Parfümeriewaren-Einzelhändlerin Gabriele S*** erhalten, mit welcher sie schon seit einiger Zeit in Geschäftsverbindung gestanden war. Über den Verkauf von G***-Produkten an die Zweitbeklagte hatte der Erstbeklagte mit dem Ehegatten Gabriele S*** verhandelt; dabei war es ihm gelungen, dessen - unter Hinweis auf den Depositär-Vertrag seiner Gattin mit G***

geäußerte - Bedenken zu zerstreuen und ihn davon zu überzeugen, daß die Klauseln dieses Vertrages nur "Behauptungen der Lieferfirmen" seien, die in Wirklichkeit "nicht den Tatsachen entsprächen"; der Vertrag sei nur ein "Wisch", welcher nicht eingehalten zu werden brauche. Gabriele S*** verkaufte hierauf die von der Klägerin bezogenen Produkte an die Zweitbeklagte weiter, welche damit die Einzelhandelsgeschäfte der Gattin des Erstbeklagten und die schon erwähnte Selbstbedienungs-Großhandelskette belieferte. Die Klägerin beantragt die Verurteilung der Beklagten, das Anbieten und den Vertrieb von G***-Produkten ab sofort zu unterlassen, sowie die Ermächtigung zur Veröffentlichung des Urteilsspruches in zwei namentlich genannten Fachzeitschriften. Der Erstbeklagte habe - als alleiniger Geschäftsführer der Zweitbeklagten - Gabriele S*** zum Bruch ihrer vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Klägerin verleitet; die Zweitbeklagte habe die solcherart erworbenen Produkte weiterverkauft. Dieses Verhalten, durch welches das ausschließliche und lückenlose, einen hohen Qualitätsstandard gewährleistende Vertriebssystem der Klägerin durchbrochen worden sei, verstoße gegen § 1 UWG.

Die Beklagten beantragen die Abweisung des Klagebegehrens. Von einer Verleitung zum Vertragsbruch könne schon deshalb nicht gesprochen werden, weil ihnen die vertragliche Bindung Gabriele S*** gegenüber der Klägerin nicht bekannt gewesen sei. Verträge dieser Art widersprächen ihrer Ansicht nach den guten Sitten.

Soweit das Verfahren ursprünglich auch gegen Gabriele S*** eingeleitet worden war, wurde es am 13. April 1984 durch gerichtlichen Vergleich beendet, in welchem sich Gabriele S*** verpflichtete, das Anbieten und den Vertrieb von G***-Produkten ab sofort zu unterlassen (ON 12 S 45). Das Erstgericht erkannte die Beklagten schuldig, in Österreich das Anbieten und den Vertrieb von G***-Produkten, die sie sich in sittenwidriger Weise verschafft haben, zu unterlassen, und gab auch dem Veröffentlichungsbegehren der Klägerin statt; das Mehrbegehren, ein solches Verbot ganz allgemein, also ohne Einschränkung auf sittenwidrig erworbene G***-Produkte, zu erlassen, wurde abgewiesen. Die Beklagten hätten Gabriele S*** und damit einen vetragsgebundenen Depositär der Klägerin zum Vertragsbruch verleitet und G***-Produkte von ihr eingekauft; sie hätten damit gegen § 1 UWG verstoßen und seien daher zur Unterlassung des Vertriebes solcher Waren verpflichtet, soweit sie diese sittenwidrig erworben hätten.

Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos; das Berufungsgericht bestätigte das Urteil der ersten Instanz und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteigt. Die vertragliche Bindung eines Einzelhändlers, nur an Letztverbraucher zu verkaufen, bedeute keine sittenwidrige Einengung seiner wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit, weil sie ihn nur zur Unterlassung solcher Geschäfte verpflichte, die zwar im Einzelhandel gelegentlich vorkämen, aber keineswegs als üblich zu bezeichnen seien. Der Depositär-Vertrag Beilage A enthalte auch keine Kartellvereinbarung i.S. des § 1 KartellG, weil eine einzige wettbewerbsbeschränkende Abrede in einem umfangreichen, primär anderen Zwecken dienenden Vertrag nach ständiger Rechtsprechung kein Kartell begründe. Wer einen vertraglich gebundenen Händler in Kenntnis dieses Vertrages zu einer durch die Vertriebsbindung ausgeschlossenen Maßnahme verleite, handle ohne Rücksicht darauf, ob der Adressat schon zum Vertragsbruch entschlossen war, sittenwidrig. Da auch die Lückenlosigkeit des Vertriebsbindungssystems der Klägerin bescheinigt sei, habe das Erstgericht zu Recht einen Verstoß der Beklagten gegen § 1 UWG angenommen.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird seinem ganzen Inhalt nach von den Beklagten mit Revision aus den Gründen des § 503 Abs. 1 Z 2 und 4 ZPO bekämpft. Die Beklagten beantragen, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, diesem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs. 3 Satz 2 ZPO).

Auch die Rechtsrüge der Beklagten ist nicht begründet. Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 27. Februar 1985, 4 Ob 387/84 - G***-Vertriebsbindung - ÖBl. 1985, 68 mit ausführlicher Begründung dargelegt hat, ist zwar ein Anspruch auf Respektierung einer Vertriebsbindung durch vertraglich nicht gebundene Außenseiter vom Standpunkt der Wettbewerbsfreiheit abzulehnen. Dem Dritten, dem es gelingt, die Ware unter Umgehung einer solchen Vertriebsbindung zu beziehen, kann jedoch ihr Vertrieb jedenfalls dann untersagt werden, wenn er sich die Ware auf einem Weg beschafft hat, der - wie etwa das Verleiten eines gebundenen Händlers zum Vertragsbruch oder das Erschleichen der Belieferung durch Täuschung eines solchen Händlers - als Verstoß gegen die guten Sitten im Geschäftsverkehr angesehen werden muß. Ein solcher Fall - und nicht nur ein Ausnützen fremden Vertragsbruches - liegt hier vor: Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hatte Franz S*** den als Organ der Zweitbeklagten auftretenden

Erstbeklagten ausdrücklich auf den von seiner Gattin mit G*** abgeschlossenen Depositär-Vertrag und die darin enthaltene Vertriebsbindung hingewiesen; dem Erstbeklagten war es aber gelungen, diese Bedenken zu zerstreuen und Franz S*** davon zu überzeugen, daß eine solche vertragliche Bindung nicht eingehalten werden müsse, weil dieser "Wisch" nur "Behauptungen der Lieferanten" enthalte, die "nicht den Tatsachen entsprächen". Objektive Umstände, auf Grund deren eine solche Annahme gerechtfertigt gewesen wäre und sich die von Gabriele S*** übernommene Vertriebsbindung für den Erstbeklagten tatsächlich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als ungültig dargestellt hätte (ÖBl. 1984, 120 mwN), sind aber im Bescheinigungsverfahren nicht hervorgekommen. Daß es sich bei der von G*** mit ihren Depositären aufgebauten selektiven Vertriebsbindung um ein nicht eingetragenes und deshalb rechtsunwirksames (§ 7 Abs. 1 KartellG) Vertragskartell i.S. des § 1 Abs. 1 Z 1 KartellG handle, haben die Beklagten in erster Instanz auch nicht sinngemäß behauptet; auf die in diese Richtung zielenden Ausführungen der Revision ist daher nicht weiter einzugehen. Als sittenwidrig i.S. des § 879 Abs. 1 ABGB könnten aber die den Depositären von G*** vertraglich auferlegten Bindungen nur beurteilt werden, wenn sie mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Vertragspartner als übermäßig anzusehen wären oder zu den durch sie zu schützenden Interessen von G*** in auffallendem Mißverhältnis stünden (SZ 37/156 = ÖBl. 1965, 40; ÖBl. 1973, 51). Eine solche unzulässige Einengung der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit durch die in Punkt 4. des Depositär-Vertrages von den Einzelhändlern übernommene Verpflichtung, alle von G*** vertriebenen Produkte nur an Letztverbraucher abzugeben, hat jedoch das Berufungsgericht mit Recht verneint.

Daß das von G*** aufgebaute

Vertriebsbindungssystem - tatsächlich oder gedanklich - lückenhaft

und deshalb seine Einhaltung den gebundenen Händlern nicht zumutbar

gewesen wäre (ÖBl. 1985, 68 unter Hinweis auf Baumbach-Hefermehl,

Wettbewerbsrecht 14 , 879 f. § 1 dUWG RN 670), ist eine von den

Beklagten erstmals in dritter Instanz vorgebrachte und daher

unbeachtliche Neuerung. Davon abgesehen, fehlt es auch in diesem

Punkt an einem konkreten Tatsachenvorbringen der Beklagten; der

bloße Hinweis darauf, daß sie selbst "Zugang zu den Waren der

Klägerin" gehabt hätten, ist nicht geeignet, die vom

Berufungsgericht aus den Feststellungen des Ersturteils über die

Branchenüblichkeit solcher Verträge erschlossene Lückenlosigkeit der

G***-Vertriebsbindung zu widerlegen (vgl. auch EvBl. 1973/232 =

JBl. 1974, 43 = ÖBl. 1973, 52; Baumbach-Hefermehl aaO 845 f. RN 599).

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Urteils.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E09191

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0040OB00344.85.1014.000

Dokumentnummer

JJT_19861014_OGH0002_0040OB00344_8500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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