TE OGH 1986/10/23 8Ob617/86

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.10.1986
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Adele R***, Steuerberater, 2700 Wiener Neustadt, Zehnergürtel 3/1/4, vertreten durch Dr. Wolfgang Broesigke, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Josef W***, Privater, 1160 Wien,

Haberlgasse 21/9, vertreten durch Dr. Georg Kahlig, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 363.934,-- s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 23. Mai 1986, GZ 13 R 31/86-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 4. Dezember 1985, GZ 52 Cg 279/84-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit S 13.429,05 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 960,-- und die Umsatzsteuer von S 1.133,55) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte erwarb mit dem Notariatsakt vom 6.2.1981 von Franziska, Monika und Herbert B*** alle Geschäftsanteile an der B*** & Co. Gesellschaft mbH. Als Abtretungspreis wurde ein Betrag von einem Schilling vereinbart. Der Beklagte übernahm die offenen Lieferantenverbindlichkeiten, die im Vertrag mit rund S 250.000,-- angegeben wurden, sowie die Kreditschuld bei der Raiffeisenbank Klosterneuburg in der Höhe von S 350.000,--. Er verpflichtet sich, hinsichtlich dieser Verbindlichkeit entweder die Entlassung der Gesellschafter, des Alfred B*** und der Klägerin aus der persönlichen Haftung zu veranlassen oder den diesbezüglichen Kredit aus eigenem in Halbjahresraten zu je S 35.000,-- abzustatten. Die Klägerin begehrte vom Beklagten S 363.934,-- s.A., weil dieser keine Zahlungen an die Raiffeisenbank Klosterneuburg geleistet habe, sodaß sie als Bürge in Anspruch genommen wurde. Der Rücktritt des Beklagten vom Abtretungsvertrag sei unwirksam, weil er nicht binnen 3 Jahren gerichtlich erklärt wurde.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß er zum Abschluß des Abtretungsvertrages durch falsche Angaben über den Wert der vorhandenen Waren sowie die Höhe der Lieferantenverbindlichkeiten veranlaßt worden sei. Er habe daher mit Schreiben seines Vertreters vom 27.4.1981 gegenüber den abtretenden Gesellschaftern den Rücktritt vom Abtretungsvertrag wegen List, in eventu wegen Irrtums, erklärt und am 30.4.1981 beim Handelsgericht Wien den Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Gesellschaft gestellt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Klägerin war Bürge für eine Kreditschuld der B*** & Co. Gesellschaft mbH bei der Raiffeisenbank Klosterneuburg in der Höhe von S 350.000,--. Verhandlungspartner des Beklagten beim Kauf der Geschäftsanteile war Alfred B***, zu dem der Beklagte Vertrauen hatte und der auf eine schnelle Abwicklung drängte. Der Beklagte nahm in die Geschäftsunterlagen keine Einsicht und gab sich damit zufrieden, daß sie zum Notar gebracht werden sollten. Alfred B*** zeigte ihm vor Vertragsabschluß die Geschäftsräumlichkeiten und das Warenlager, welches er auf einen Wert von S 500.000,-- schätzte. Die zu übernehmenden Lieferantenverbindlichkeiten gab er dem Beklagten mit S 250.000,-- bekannt. Am 6.2.1981 wurde der Abtretungsvertrag unterfertigt. Im Kaufvertrag vom 10.2.1981 wurde der Kaufpreis mit S 600.000,-- angegeben. Als Kaufgegenstand wurden das Haus der Geschenke in 3400 Klosterneuburg, Niedermarkt 17, und das gesamte Warenlager im Wert von S 500.000,-- angegeben. Der Beklagte übernahm zur Bezahlung des Kaufpreises die offenen Lieferantenschulden von rund S 250.000,-- sowie die Rückzahlungsverpflichtung für den Kredit von S 350.000,--. Zur Sicherung dieser Verpflichtung unterfertigte er einen Wechsel über S 350.000,-- als Annehmer.

Bei der Inventur nach Vertragsabschluß stellte der Beklagte fest, daß die im Warenlager befindlichen Kartons teilweise leer waren und das Warenlager einen Wert von höchstens S 150.000,-- hatte. Die Lieferantenverbindlichkeiten betrugen laut Aufstellung in der Bilanz 1980 S 511.755,40.

Mit dem Schreiben seines Rechtsanwaltes Dr. K*** vom 27.4.1981 erklärte er den abtretenden Gesellschaftern gegenüber, daß er sich an den mit ihnen geschlossenen Kauf- bzw. Abtretungsvertrag nicht gebunden erachtete. Er meldete am 30.4.1981 den Konkurs der Gesellschaft an und bezahlte keine Kreditraten an die Raiffeisenbank Klosterneuburg. Die Klägerin wurde von dieser in Anspruch genommen und bezahlte an sie insgesamt S 363.934,--.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß das Versprechen, die Entlassung der Klägerin aus ihrer persönlichen Haftung zu veranlassen, im Interesse des Beklagten und seiner Vertragspartner gelegen sei. Es handle sich daher um einen "unechten" Vertrag zugunsten Dritter, aus dem nur die Vertragspartner des Beklagten, nicht jedoch die Klägerin die Leistung fordern könnten. Ihr fehle daher die aktive KlagslegitimatiON Auch im Falle eines echten Vertrages zugunsten Dritter stünden dem Beklagten gemäß § 882 Abs2 ABGB alle Einwendungen aus dem Vertrag zu. Er könne daher auch der Klägerin gegenüber Arglist einwenden. Da er von Alfred B*** bewußt über die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft getäuscht worden sei, sei er an den Vertrag nicht gebunden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, sondern bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung. Es verwies darauf, daß die Ausführungen des Erstgerichtes, wonach Alfred B*** den Beklagten bewußt über die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft getäuscht habe, als Feststellung unbedenklich seien. Die dem Beklagten gegebenen Auskünfte über die Höhe der Aktiva und Passiva der Gesellschaft seien von der Wirklichkeit in einem so eklatanten Ausmaße abgewichen, daß diese Abweichungen zwanglos nur mit Täuschungsvorsatz erklärbar sind. Die Klägerin sei zwar aktiv klagslegitimiert, weil es sich bei der bezogenen vertraglichen Bestimmung um einen echten Vertrag zugunsten Dritter gehandelt habe; gemäß § 882 Abs2 ABGB habe jedoch in einem solchen Fall der Schuldner dem begünstigten Dritten gegenüber alle Einwendungen aus dem Vertrag. Der Beklagte habe daher der aus dem Vertrag begünstigten Klägerin gegenüber einwenden können, daß er durch List zu dem Vertrag veranlaßt wurde. Unter List verstehe man die bewußte Täuschung. Sie liege vor, wenn der Vertragspartner durch vorsätzliche Vorspiegelung falscher Tatsachen in Irrtum geführt und dadurch zum Vertragsabschluß bestimmt wird. Der durch List zustandegekommene Vertrag sei relativ nichtig. Der Getäuschte habe, wenn er den Vertrag anfechten will, die Anfechtung gerichtlich, sei es im Wege der Klage, sei es durch Einrede, zu erklären. Im vorliegenden Fall habe der Beklagte gegenüber dem aus dem Abtretungsvertrag Beilage ./1 abgeleiteten Klagsanspruch List eingewendet und damit die Anfechtung gerichtlich erklärt. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2, 3 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß der Klage stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin macht zunächst Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des berufungsgerichlichen Verfahrens geltend und behauptet Aktenwidrigkeiten, die dem Gericht zweiter Instanz unterlaufen seien. Dies ist jedoch nicht richtig, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs3 ZPO).

In der Rechtsrüge stellt sich die Klägerin zunächst auf den Standpunkt, daß die Grundsätze eines sogenannten echten Vertrages zugunsten Dritter hier nicht Anwendung fänden. Sie übersieht jedoch, daß der als Abtretungsvertrag bezeichnete Notariatsakt in seinem Punkt 3 ausdrücklich die von den Vorinstanzen festgestellte Bestimmung enthält, wonach die (nicht zu den Vertragspartnern dieses Vertrages zählende) Klägerin aus der persönlichen Haftung für die bei der Raiffeisenbank Klosterneuburg bestehende Kreditschuld entlassen werden sollte. Beim Vertrag zugunsten Dritter verspricht der Schuldner dem Versprechensempfänger die Erbringung einer Leistung an einen Dritten. Dabei kann vereinbart sein, daß nur der Versprechensempfänger das Recht hat, die Leistung an den Dritten zu fordern (unechter Vertrag zugunsten Dritter; Vertrag auf Leistung an Dritte im engeren Sinn); das Forderungsrecht kann aber auch oder allein dem Dritten zustehen (echter Vertrag zugunsten Dritter, Vertrag zugunsten Dritter im eigentlichen Sinn): Koziol-Welser 6 I 241; Gschnitzer in Klang 2 IV/1, 225. Ob (auch) der Dritte unmittelbar das Recht erwirbt, vom Schuldner (Versprechenden) die Erfüllung zu fordern, ist nach § 881 Abs2 Satz 1 ABGB aus der Vereinbarung und der Natur und dem Zweck des Vertrages zu beurteilen; nach dem zweiten Satz des § 881 Abs2 ABGB erwirbt der Dritte dieses Recht im Zweifel dann, wenn die Leistung hauptsächlich ihm zum Vorteil gereichen soll. Diese Beurteilung ist eine nach den Umständen des Einzelfalles zu lösende Rechtsfrage (Rummel in Rummel, ABGB, RN 2 zu § 881; JBl 1955, 576; EvBl 1984/21 ua). Diese läuft im vorliegenden Fall eindeutig dahin hinaus, daß die Klägerin durch die zu ihren Gunsten vereinbarte Befreiung von der Kreditschuld bei der Raiffeisenbank Klosterneuburg einen durchaus relevanten Vorteil erwarb, dessen sie sich durch die Geltendmachung ihres Anspruches im vorliegenden Verfahren auch zu bedienen suchte.

Gemäß § 882 Abs2 ABGB stehen jedoch dem Versprechenden die Einwendungen aus dem Vertrag auch gegen den durch den Vertrag begünstigten Dritten zu. Soweit daher die Klägerin in weiterer Ausführung ihrer Rechtsrüge zu Fragen Stellung bezieht, die mit der Einwendung der List bei Vertragsabschluß zusammenhängen, ist weiters klarzustellen:

Ein unter arglistiger Täuschung zustande gekommener Vertrag ist nicht ohne weiteres nichtig, sondern nur anfechtbar, denn das Gesetz mißbilligt zwar ein solches Verhalten eines Vertragspartners, berücksichtigt jedoch die dadurch beeinträchtigte Freiheit der Willensbestimmung des anderen Vertragspartners dadurch, daß es diesem die Entscheidung frei gibt, ob er - nach Entdeckung seiner Täuschung - das Geschäft weiterhin gelten lassen will oder nicht (Larenz, AT des Bürgerlichen Rechts 4 349; Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts I 4 112; SZ 52/22). Das auf eine solche Art zustande gekommene Rechtsgeschäft ist also zunächst giltig (Larenz aaO 112; JBl 1957, 240) und seine Anfechtung muß gerichtlich geltend gemacht werden (Koziol-Welser aaO 112). Gleichviel, ob die gerichtliche Anfechtung im Wege der Klage oder der Einrede erfolgt, in beiden Fällen ist nicht eine ausdrückliche und förmliche Anfechtungserklärung erforderlich, sondern es genügt, daß die von der getäuschten Vertragspartei im Prozeß vorgebrachten Tatsachen und ihr darauf gegründetes Urteilsbegehren ihren Entschluß offenlegen, das unter dem Einfluß arglistiger Täuschung zustande gekommene Rechtsgeschäft nicht mehr gelten lassen zu wollen (SZ 52/22 ua). Im Gegensatz zur Ansicht der Klägerin hat das Berufungsgericht aber zutreffend das Vorbringen des Beklagten in diese Richtung aufgefaßt, daß er die Gesellschaft nur unter der Voraussetzung der Richtigkeit der Angaben seines Verhandlungspartners über Warenlager und Verbindlichkeiten übernahm, in dieser seiner Erwartung aber durch ihn getäuscht wurde. Dieses Vorbringen wird durch die Feststellung untermauert, daß Alfred B*** den Beklagten bewußt über die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft getäuscht hat und daß der Beklagte im Vertrauen auf die Richtigkeit von dessen Angaben den bezogenen Abtretungsvertrag schloß. Dies kann aber nur dahin verstanden werden, daß der Beklagte sonst den Vertrag nicht geschlossen hätte.

Soweit die Klägerin schließlich vermeint, Alfred B*** sei als "Dritter" im Sinne des § 875 ABGB anzusehen, weshalb dessen arglistige Vorgangsweise nicht ihr zurechenbar sei, ist ihr abschließend zu erwidern:

Eine allgemeine Formulierung des Begriffes "Dritter" ist, wie auch der deutsche Bundesgerichtshof (Lindenmaier-Möhring Nr.30 zu § 123 BGB) bereits überzeugend bei im wesentlich gleicher Rechtslage wie in Österreich dargelegt hat, nicht möglich. Grundsätzlich kann jedoch nach der Auslegungsregel des § 6 ABGB nur ein unbeteiligter Dritter die Bezeichnung "Dritter" iS des § 875 ABGB verdienen. Wer also auf Seite des Erklärungsgegners steht und maßgeblich an dem Zustandekommen des Geschäftes mitgewirkt hat, kann nicht als "Dritter" gelten; die von ihm vorgenommene arglistige Täuschung ist daher dem Erklärungsgegner als eigene zuzurechnen. Dieser Grundsatz muß insbesondere zum Tragen kommen, wenn sich der Erklärungsgegner den ihm aus dem Geschäft erwachsenden Vorteil zuwenden will (1 Ob 68/71; EvBl 1961/3; SZ 44/59 ua).

Ihrer Revision war somit der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E09420

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00617.86.1023.000

Dokumentnummer

JJT_19861023_OGH0002_0080OB00617_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten