TE OGH 1986/10/23 6Ob668/86

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Veröffentlicht am 23.10.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Schlosser und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertrude O***, im Haushalt, Klagenfurt, Wiegelestraße 7/15, vertreten durch Dr. Gerhard Fink, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Ing. Kurt O***, Angestellter, Klagenfurt, Ferdinand Seelandstraße 6, vertreten durch Dr. Dieter Huainigg, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 300.000 S samt Nebenforderungen infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 25. November 1985, GZ. 2 R 185, 186/85-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 6. August 1985, GZ. 20 Cg 367/84-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird stattgegeben. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Die Streitteile waren miteinander verheiratet. Im Ehescheidungsverfahren schlossen sie am 29. August 1984 einen im Verhandlungsprotokoll beurkundeten Vergleich. Die ersten vier Punkte dieses Vergleiches lauten:

"1) Der Beklagte ... verpflichtet sich, der Klägerin ... zur

Abfindung aller wie immer gearteten Ansprüche aus dem Titel der

Aufteilung ehelicher Ersparnisse und des ehelichen

Gebrauchsvermögens einen Barbetrag von S 300.000,-- bis längstens

zum Auszug der Klägerin aus der von ihr benützten ehelichen Wohnung

in ... zu bezahlen.

Die Klägerin ... verpflichtet sich, die ... Wohnung ... bis

längstens 31. Dezember 1985 von ihren Fahrnissen zu räumen und dem

Beklagten ... geräumt zu übergeben.

3) Falls die Klägerin einen Teil des Betrages von S 300.000,-- zur Anzahlung einer Wohnung benötigt, ist der Beklagte bereit und verpflichtet sich, den beanspruchten Betrag gegen Nachweis der Höhe des beanspruchten Betrages diesen Teilbetrag innerhalb von 14 Tagen ab Bekanntgabe zu bezahlen.

4) Der Betrag von S 300.000,-- wird ... wertgesichert. ... Jener

Betrag, der für den Fall der früheren Inanspruchnahme vom Beklagten

... der Klägerin ... bezahlt wird, ist von der Wertsicherung

ausdrücklich ausgenommen."

Mit der am 27. November 1984 angebrachten Klage begehrte die Klägerin zunächst 110.000 S, mit der sieben Tage später nachgereichten Klage einen weiteren Betrag von 152.277 S und nach der in Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 4. Juli 1985 vorgenommenen Klagsausdehnung letztlich den vollen Vergleichsbetrag von 300.000 S. Die Fälligkeit stützte sie jeweils auf die Regelung im dritten Punkt des oben zitierten Vergleiches.

Der Beklagte wendete vor allem ein, die Klägerin beabsichtige gar nicht, die Genossenschaftswohnung zu erwerben und zu beziehen, um die sie sich beworben und für die sie die geforderten Beträge zu zahlen habe. Der Beklagte bestritt damit, daß nach dem Sinn des Vergleiches die von der Klägerin geforderten Beträge bereits fällig geworden seien. Im übrigen wendete er eine Schadenersatzforderung von 100.000 S aufrechnungsweise ein.

Der Prozeßrichter erster Instanz war auch Verhandlungsleiter im vorangegangenen Ehescheidungsverfahren, in dessen Verlauf der nun auszulegende Vergleich geschlossen und protokolliert worden war. Er konnte in dieser Eigenschaft Wahrnehmungen über Meinungsäußerungen der Streitteile zum Gegenstand dieses Vergleiches machen. Solche Wahrnehmungen verwertete er unmittelbar bei seiner Entscheidung im anhängigen Rechtsstreit.

Das Erstgericht wies das gesamte Begehren der Klägerin ab. Die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteiles sind in mehrere Abschnitte gegliedert, die mit den Überschriften "Feststellungen", "Beweiswürdigung" und "Rechtliche Beurteilung" versehen sind. In dem mit dem Wort "Feststellungen" überschriebenen Abschnitt unterblieb jede über den Vergleichswortlaut hinausgehende Ausführung zu Meinungskundgebungen und Absichtserklärungen der Parteien zum Vergleichsgegenstand. In dem mit dem Wort "Beweiswürdigung" überschriebenen Abschnitt, in den im übrigen auch Ausführungen aufgenommen wurden, die eindeutig als rechtliche Beurteilung zu werten sind, findet sich folgende Wendung:

"Dem gefertigten Richter ist aus der Ehescheidungsverhandlung bekannt, daß der Beklagte sich nur unter der stillschweigenden Bedingung zur Zahlung eines Teilbetrages verpflichtete, wenn die Klägerin diesen Teilbetrag auch tatsächlich verwenden will, denn sonst hätte die Formulierung des Vergleiches anders erfolgen können."

Die Klägerin rügte in ihrer gegen das klagsabweisende Urteil erhobenen Berufung ausdrücklich und mit eingehender Begründung die in den Entscheidungsgründen dargelegte Verwertung richterlichen Wissens aus einem vorangegangenen Verfahren.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil erster Instanz unter Verneinung des Rechtsbestandes der eingewendeten Gegenforderung in einem dreigliedrig gefaßten Urteilsspruch dahin ab, daß der Beklagte den gesamten Vergleichsbetrag samt Zinsen, zwar nicht zu Handen der Klägerin zu zahlen, aber bei Gericht zu hinterlegen habe. Dazu sprach das Berufungsgericht aus, daß die Revision gemäß § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht wertete den oben wörtlich wiedergegebenen Absatz aus den erstinstanzlichen Entscheidungsgründen nicht als Tatsachenfeststellung. Für den Fall gegenteiliger Ansicht fügte es hinzu, daß Tatsachen des erwähnten Inhaltes wegen rechtlicher Unerheblichkeit vernachlässigt werden könnten und schied sie ausdrücklich aus dem seiner Entscheidung zugrundegelegten Sachverhalt aus. Das Berufungsgericht ergänzte dagegen die erstrichterlichen Feststellungen über eine von einem dritten Gläubiger gegen die Klägerin auf ihre Forderung gegen den Beklagten aus dem im Scheidungsverfahren geschlossenen Vergleich geführte Zwangsvollstreckung, in der dem Beklagten als dem Drittschuldner das Zahlungsverbot am 11. April 1985 zugestellt wurde.

Das Berufungsgericht legte den Vergleich nach seinem Wortlaut und seinem Anlaß der nachehelichen Vermögensauseinandersetzung sowie der Gliederung des Textes und der wechselseitigen Abhängigkeit einzelner Vertragspflichten aus. Auf dieser Grundlage folgerte das Berufungsgericht, es könne keinesfalls der Schluß gezogen werden, der Parteiwille bei Abschluß des Vergleiches wäre dahin gegangen, Voraussetzung für die frühere Fälligkeit im Sinne des dritten Vergleichspunktes sei es, daß die Klägerin die von ihr angezahlte Wohnung auch tatsächlich zu benützen beabsichtige, und daß sie nicht berechtigt wäre, allenfalls von einem solchen Vertrag wieder zurückzutreten und eine andere Wohnversorgung anzustreben; der für die Wohnung bestimmte "Teil" des Vergleichsbetrages könnte auch dessen Gesamthöhe erreichen.

Das Berufungsgericht verneinte den Rechtsbestand der eingewendeten Gegenforderung. Es gelangte daher zum Ergebnis, daß der Beklagte entgegen seinen Einwendungen zur vorzeitigen Fälligkeit den vollen Vergleichsbetrag zu leisten habe; es sei lediglich die Pfändung und Überweisung der Klagsforderung zu beachten und daher statt auf Zahlung an die Klägerin auf gerichtlichen Erlag zu erkennen.

Der Beklagte erhob eine außerordentliche Revision. Er rügte im Sinne des § 503 Abs. 2 ZPO eine nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO qualifizierte unrichtige Lösung der verfahrensrechtlichen Frage des Abgehens von erstrichterlichen Tatsachenfeststellungen ohne entsprechende Beweiswiederholung durch das Berufungsgericht sowie der materiellrechtlichen Frage der Vertragsauslegungsmethode. Der Revisionswerber stellte einen auf Wiederherstellung des klagsabweisenden Urteiles erster Instanz zielenden Abänderungsantrag, hilfsweise einen Aufhebungsantrag. Die Klägerin erachtete die außerordentliche Revision mangels Vorliegens der für sie normierten Voraussetzungen als unzulässig. Im übrigen strebte sie eine Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Die Entscheidung des Rechtsstreites hängt wesentlich von der

Feststellung ab, auf welche Weise und mit welchem Inhalt die

nunmehrigen Streitteile einander ihre Vorstellungen und Absichten zu

den Gegenständen ihres im Scheidungsverfahren geschlossenen

Vergleiches erkennbar offengelegt haben und wie sie jeweils auf

solche Bekundungen des anderen selbst reagierten. Auf der Grundlage

solcher Feststellungen ist im Bereich der im anhängigen Rechtsstreit

zutage getretenen Auffassungsunterschiede in wertender Beurteilung

zu bestimmen, wie der jeweilige Erklärungsgegner die

Vertragserklärungen nach den konkreten Umständen verstehen durfte

und mußte, und im Falle von Regelungslücken, wie solche nach den

Grundsätzen ergänzender Vertragsauslegung zu schließen seien.

Die oben aus den erstinstanzlichen Entscheidungsgründen zitierte

Wendung ist entgegen der berufungsgerichtlichen Auffassung als

Feststellung einer von den Streitteilen übereinstimmend bekundeten,

wenn auch nicht durch entsprechend eindeutige Formulierungen in den

Vergleichswortlaut aufgenommenen Vorstellung und Absicht zu werten,

sicher nicht, wie das Berufungsgericht ausführte, als Beschreibung

eines beim Beklagten bestandenen geheimen Vorbehaltes.

Eine nach der Rechtsgeschäftslehre erhebliche Bekundung eines

Geschäftswillens mit dem in der umstrittenen Urteilsstelle

umschriebenen Inhalt wäre für die im anhängigen Rechtsstreit zu

beurteilende Frage der vorzeitigen Fälligkeit unmittelbar bestimmend und keinesfalls, wie das Berufungsgericht annahm, unerheblich. Das Berufungsgericht durfte deshalb ohne diesbezügliche Beweiswiederholung die vom Erstgericht als erwiesen angenommene Bekundung eines inhaltlich bestimmten Geschäftswillens nicht aus der der rechtlichen Würdigung zu unterziehenden Sachverhaltsgrundlage ausscheiden. Dieser Vorgang widerspricht einer gefestigten Rechtsprechung in Verfahrensfragen. Der Verstoß wurde in der außerordentlichen Revision als solcher gerügt, er ist zur Wahrung der Rechtssicherheit aufzugreifen.

Das Berufungsgericht wird sich daher mit der in der Berufung ausgeführten Verfahrensrüge zur Verwertung richterlichen Amtswissens auseinanderzusetzen haben. Für den Fall, daß es die unmittelbare Verwertung des erstrichterlichen Wissens über nicht protokollierte Vorgänge in einem vorangegangenen Rechtsstreit als prozeßordnungswidrig befinden sollte, muß es der pflichtgemäßen Anwendung seines Ermessens überlassen bleiben, eine Beweiswiederholung durchzuführen und in deren Rahmen den Verhandlungsrichter als Zeugen zu vernehmen.

Für den Fall, daß zur Vergleichsauslegung über den im Verhandlungsprotokoll festgehaltenen Wortlaut keine zusätzliche, verwertbare Feststellung getroffen werden könnte, bedürfte es jedenfalls einer näheren Ausfüllung des im ersten Halbsatz des dritten Vergleichspunktes gebrauchten Ausdruckes "benötigt". Dazu müßte im Hinblick auf den offenkundigen Sachzusammenhang mit den voranstehenden beiden Vertragspunkten erwogen werden, ob für einen verständigen und redlichen Vertragspartner nach Treu und Glauben nicht die Vorstellung nahegelegen wäre, daß nur der Geldbedarf für eine solche Wohnung fälligkeitsbegründend sein sollte, in der die Ehefrau ihren bislang in der Ehewohnung gedeckten Wohnbedarf auch tatsächlich zu befriedigen trachtete, wobei der Beweis, daß dem nicht so wäre, dem Beklagten obläge, der aber gerade diesen Beweis - und nach Ansicht des Erstgerichtes erfolgreich - angetreten hat. Bei der inhaltlichen Bestimmung des im dritten Vertragspunkt verwendeten Ausdruckes "Teil" oder "Teilbetrag" dürfte der im ersten Vertragspunkt ausdrücklich genannte Geschäftszweck einer umfassenden Einigung im Sinne des § 85 EheG nicht außer Acht bleiben, woraus eine mittelbare Bezugnahme auf den gesetzlichen Aufteilungsgrundsatz der Billigkeit als vereinbart angesehen werden könnte. Aus den dargelegten Gründen war in Stattgebung der außerordentlichen Revision das angefochtene Berufungsurteil aufzuheben und dem Gericht zweiter Instanz eine neuerliche, gegebenenfalls nach Ergänzung des Berufungsverfahrens zu fällende Entscheidung aufzutragen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E09205

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0060OB00668.86.1023.000

Dokumentnummer

JJT_19861023_OGH0002_0060OB00668_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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