TE OGH 1986/10/28 10Os149/86

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Veröffentlicht am 28.10.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Oktober 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Friedrich, Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch sowie Dr.Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Hinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Tibor K*** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 erster Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht St. Pölten vom 21. August 1986, GZ 24 Vr 992/85-45, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen zur Hauptfrage I sowie das hierauf beruhende Urteil - die beide im übrigen unberührt bleiben - im Schuldspruch zu Pkt 1) (wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 erster Deliktsfall StGB) und demzufolge auch im Strafausspruch einschließlich der Entscheidung über die Vorhaftanrechnung aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfange der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte darauf verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden Urteil wurde Tibor K*** zu 1) des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 erster Deliktsfall StGB (Pkt. 1) sowie einer weiteren strafbaren Handlung schuldig erkannt, das von diesem nur im Pkt. 1) mit Nichtigkeitsbeschwerde aus der Z 5 des § 345 Abs. 1 StPO bekämpft wird.

Darnach wird ihm zur Last gelegt, in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1981 in Wolkersdorf in Gesellschaft des deswegen bereits rechtskräftig verurteilten Gerhard H*** als Beteiligten dadurch, daß sie Theresia J*** fesselten, schlugen und eine Handtasche mit 6.000 S Bargeld an sich nahmen, der Genannten mit Gewalt gegen ihre Person fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. In der Hauptverhandlung am 21. August 1986 hatte der Angeklagte die Einholung eines graphologischen Sachverständigengutachtens zum Beweise dafür beantragt, daß das am 29.April 1983 beim Kreisgericht St. Pölten eingelangte Schreiben und die darauf ersichtliche Unterschrift nicht von ihm stamme, sondern eine Fälschung darstelle. Offensichtlich sollte er dadurch von dritter Seite (zu Unrecht) schwer belastet werden.

Mit diesem Antrag bezog sich der Angeklagte auf eine unter ON 11 erliegende, am 26.April 1983 in Bratislava rekommandiert an das Kreisgericht St. Pölten zur Post gegebene, mit dem Absender "Tibor K***, Komarno" versehene Postsendung, die ein Schreiben in tschechischer (oder slowakischer) Sprache - mit einer Unterschrift - sowie zwei weitere (anonyme) Schreiben in deutscher Sprache enthält.

Der Schwurgerichtshof hat diesen Beweisantrag mit nachstehender Begründung abgewiesen: "weil nach den bisherigen Beweisergebnissen davon ausgegangen werden muß, daß die Schreiben ON 11 nicht vom Angeklagten stammen, da nachweislich die Briefe in Bratislawa zur Post gegeben wurden und der Angeklagte auch glaubhaft erklärt, überhaupt nicht tschechisch schreiben zu können. Die Einholung eines graphologischen Gutachtens, daß das Schreiben und die Unterschrift nicht vom Angeklagten stammt, erübrigt sich, weil dieser Brief nicht als Schuldbeweis vom Geschwornengericht herangezogen werden kann" (S 411).

Rechtliche Beurteilung

Der Verfahrensrüge kommt Berechtigung zu, weil vorliegend keine Rede davon sein kann, daß die Abweisung dieses Beweisantrages nicht geeignet gewesen sein konnte, auf die Entscheidung der Geschwornen keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß (§ 345 Abs. 3 StPO) zu üben. Der gegenständliche Brief war nämlich Gegenstand eingehender und wiederholter Erörterung in der Hauptverhandlung; er wurde sowohl dem Angeklagten (S 400-401) als auch den Zeugen Wilma F*** (S 404) und Gerhard H*** (S 407) vorgehalten.

Durch die Abweisung des auf diese Schreiben bezogenen Beweisantrages wurden Verteidigungsrechte des Angeklagten verletzt, denn die Begründung des Zwischenerkenntnisses erweist sich als nicht zulässiger Vorgriff auf die Beweiswürdigung der Geschwornen, die ausschließlich diesen allein (und nicht etwa auch den Berufungsrichtern) zukommt; die Frage, ob der erwähnte, in einer fremden Sprache geschriebene und mit einer Unterschrift versehene Brief (ON 11) von der Hand des Angeklagten stammt, hatte demnach nicht der Schwurgerichtshof, sondern nur die Geschwornenbank zu lösen.

Die Vorgangsweise des Schwurgerichtshofes war aber auch geeignet, die Erwägungen der Geschwornen bei der Würdigung des Wahrheitsgehaltes der Verantwortung des Angeklagten zu beeinflussen. Ein Hinweis in dieser Richtung ist - eindeutig und unmißverständlich - der Niederschrift der Geschwornen zu entnehmen, welche die Bejahung der Hauptfrage I unter anderem auf den ungünstigen Eindruck, den der Angeklagte "in seiner Verantwortung hinterlassen" hatte und auf eine daraus abgeleitete Unglaubwürdigkeit seiner Verantwortung stützten und zudem auch in keiner Weise darauf hinwiesen, daß die Frage, ob der in der Verfahrensrüge erwähnte, wie angeführt in der Hauptverhandlung breit erörterte Brief nun vom Angeklagten geschrieben (oder unterschrieben) wurde oder nicht, ihre Entscheidung bei der Beantwortung dieser Hauptfrage etwa nicht beeinflußt hat. Da somit nach dem Vorgesagten durch die Ablehnung des gegenständlichen Beweisantrages die Verteidigungsrechte des Angeklagten beeinträchtigt wurden und der aufgezeigte Verfahrensmangel demnach eine Erneuerung des erstinstanzlichen Verfahrens unumgänglich macht, war seiner Nichtigkeitsbeschwerde - nach (zustimmender) Anhörung der Generalprokuratur - schon bei einer nichtöffentlichen Beratung gemäß §§ 344, 285 e StPO sofort Folge zu geben und spruchgemäß zu erkennen. Im erneuerten Verfahrensgang wird das Erstgericht daher das beantragte Sachverständigengutachten einzuholen und erneut über die von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklage zu entscheiden haben.

Anmerkung

E09260

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0100OS00149.86.1028.000

Dokumentnummer

JJT_19861028_OGH0002_0100OS00149_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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