TE OGH 1986/11/4 14Ob162/86

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Veröffentlicht am 04.11.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HONProf.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die Beisitzer Dr. Viktor Schlägelbauer und Dr. Walter Geppert als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz M***, Pensionist, Großweikersdorf, Groß Wiesendorf 20, vertreten durch Dr. Peter Fiegl und Dr. Frank Riel, Rechtsanwälte in Krems, wider die beklagte Partei Wilhelm K***, Staplerfahrer, Krummnußbaum, Eduard Fenzlgasse 9, vertreten durch Dr. Axel Friedberg, Rechtsanwalt in Wien, wegen restl. S 86.015 sA und Feststellung (Gesamtstreitwert S 116.015,-), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Kreisgerichtes St. Pölten als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 18. März 1986, GZ 7 Cg 5/85-29, womit das Urteil des Arbeitsgerichtes St. Pölten vom 3. April 1985, GZ Cr 120/84-12, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen. Die Kosten der von der klagenden Partei erstatteten Rekursbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Beklagte ist als Staplerfahrer bei der Firma S*** O*** in Pöchlarn beschäftigt; der Kläger war als Kraftfahrer Arbeitnehmer dieses Unternehmens. Am 31.1.1983 stieß ein vom Beklagten gelenkter Gabelstapler den Kläger auf dem Betriebsgelände der Glasfabrik nieder. Dieser erlitt hiebei einen offenen Trümmerbruch des linken Unterschenkels.

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger vom Beklagten die Zahlung eines Schmerzengeldes von S 160.000,-, den Ersatz diverser Fahrtauslagen in der Höhe von S 2.652,-, S 5.440,-, S 1.632,- und S 306,- sowie den Ersatz eines Kleiderschadens in der Höhe von S 2.000,-, sohin insgesamt S 172.030 sA. Der Kläger begehrte ferner die Feststellung, daß der Beklagte ihm für alle in Hinkunft aus diesem Unfall entstehenden Schäden hafte. (Im Berufungsverfahren schränkte der Kläger dieses Begehren unter Anerkennung eines Mitverschuldens von 50 % auf den Betrag von insgesamt S 86.015,- sA und auf die diesem Mitverschulden entsprechende Feststellung ein.)

Zur Begründung führte der Kläger im wesentlichen aus, er sei vom Gabelstapler, als der Beklagte damit rasch nach rückwärts gefahren sei, niedergestoßen worden.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er bestritt das Vorliegen eines Feststellungsinteresses sowie Grund und Höhe des Leistungsbegehrens mit Ausnahme der Höhe der Fahrtauslagen von S 306,-. Den Kläger treffe an dem Unfall das Alleinverschulden, weil er sich während des Beladevorganges in den Gefahrenbereich des Staplers begeben habe und vom Beklagten, der nach links einen toten Blickwinkel gehabt habe, nicht habe wahrgenommen werden können. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende für das Revisionsverfahren noch wesentliche Feststellungen:

Die Unfallsstelle liegt auf dem asphaltierten Lagerplatz im Betriebsgelände der S*** O*** AG in Pöchlarn. Der Beklagte hatte beim Wirtschaftsförderungsinstitut der Handelskammer Niederösterreich einen Kurs für Staplerfahrer besucht, am 21.10.1978 eine Prüfung abgelegt und einen Fahrerausweis erhalten, in dem unter anderem folgende, von ihm zu beachtende Vorsichtsmaßregeln abgedruckt sind:

"1. Soweit nichts anderes angeordnet, gelten auch im Betriebsbereich die Straßenverkehrsvorschriften....

13. Der Lenker muß die einschlägigen Bestimmungen der Allgemeinen Dienstnehmerschutzverordnung, der Straßenverkehrsordnung und der Betriebsanleitung kennen und beachten."

Der Fahrer sitzt auf dem - beim Unfall

verwendeten - Gabelstapler etwas hinter und links der Fahrzeugmitte. Auf der linken Seite ist die Fahrerkabine offen; rechts und hinten ist sie durch Planen, in denen Fenster aus durchsichtiger Plastikfolie eingebaut sind, verschlossen. Vorne befindet sich eine gläserne Windschutzscheibe. Am oberen Rand der Windschutzscheibe ist ein Rückspiegel montiert. Da der Fahrer links von der Fahrzeugmitte sitzt, ist beim Rückwärtsfahren sein Blick über die rechte Schulter nach rückwärts leichter als über die linke. Tatsächlich schaut der Beklagte beim Rückwärtsfahren, gleichgültig, ob er eine Rechts- oder Linkskurve fährt, immer über die rechte Schulter zurück. Am 31.1.1983 hatte der Kläger vor dem Unfall seinen LKW-Zug am nördlichen Rand der Ladestraße abgestellt. Der Beklagte belud den LKW-Zug mit Hilfe seines Gabelstaplers mit Flaschenpaletten. Nachdem er eine Palette auf dem LKW-Zug abgeladen hatte, lenkte er den Gabelstapler in engem Bogen nach links rückwärts, um anschließend in Vorwärtsfahrt eine Flaschenpalette aus einem südlich der Ladestraße gelegenen Stapel holen zu können. Obwohl der Beklagte ungehindert nach links und nach links rückwärts hätte blicken können, schaute er beim Rückwärtsfahren gewohnheitsmäßig über die rechte Schulter. Er sah daher den Kläger, der links hinter den Gabelstapler getreten war, nicht. Der Gabelstapler stieß den Kläger nieder und überrollte dessen linkes Bein. Der Beklagte benötigte vom Wegfahren bis zur Anstoßposition 6 bis 7 Sekunden. Er wurde erst durch das Schreien des Klägers auf diesen aufmerksam. Der Beklagte setzte daraufhin den Gabelstapler nicht mehr absichtlich in Bewegung; es ist aber möglich, daß er beim Umschalten vom Rückwärtsgang in den Leerlauf in der Aufregung kurz den Vorwärtsgang einlegte, sodaß der Stapler einen kurzen Ruck nach vorne machte und dabei das linke Bein des Klägers nochmals überrollte.

Im Werk Pöchlarn besteht keine ausdrückliche Anweisung, daß während der Tätigkeit eines Gabelstaplers niemand in dessen Arbeitsbereich treten darf.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß den Beklagten an dem Unfall kein Verschulden treffe. Er habe sich auf seine Arbeit konzentriert und nicht damit rechnen müssen, daß sich andere Personen dem Arbeitsbereich des Gabelstaplers nähern werden, ohne mit dem Beklagten in Kontakt zu treten.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zurück. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und traf die gleichen Feststellungen wie das Erstgericht. Zusätzlich stellte es fest, daß infolge der im Unfallszeitpunkt zurückgeklappten Plane die Sichtmöglichkeit nach links und nach rückwärts erschwert gewesen sei. Der Unfall habe sich gegen 7,30 Uhr ereignet; um diese Zeit sei es zwar nicht mehr finster gewesen, aber noch nicht taghell. Der Beklagte habe den Kläger vor dem Unfall zuletzt beim Platzmeister gesehen. Er habe mit dem Beladen begonnen, ohne die Anwesenheit des Klägers abzuwarten, und den Kläger, der sich von links hinten (aus der Sichtposition des Beklagten gesehen) dem nach rückwärts fahrenden Gabelstapler genähert habe, nicht gesehen. Der Kläger sei aus der Richtung der Zugmaschine auf den Gabelstapler zugegangen und habe bis zum Unfall 10 bis 15 Schritte zurückgelegt. Er sei der Meinung gewesen, der Beklagte werde den Gabelstapler ein oder zwei Meter vor ihm anhalten oder an ihm vorbeifahren. Beiden Parteien sei die Situation auf dem Ladeplatz und bei den Verladevorgängen vertraut gewesen.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, den Beklagten treffe ein Mitverschulden im Ausmaß von 1/4, weil er es unterlassen habe, auch nach links rückwärts, also in den toten Winkel, zu blicken. Diese Verpflichtung ergebe sich nicht nur aus dem § 14 StVO, sondern schon aus dem allgemeinen Gefährdungsverbot. Das überwiegende Verschulden treffe jedoch den Kläger, weil er sich in den Gefahrenbereich des Gabelstaplers begeben habe, ohne vorher mit dem Beklagten Kontakt aufzunehmen, und obwohl ihm die Unfallssituation bekannt gewesen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die Fällung einer neuen Entscheidung im Sinne der Bestätigung des erstgerichtlichen Urteils aufzutragen. Hilfsweise wird beantragt, in der Sache selbst zu erkennen und das erstgerichtliche Urteil zu bestätigen.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben, oder mit Zwischenurteil dahin zu erkennen, daß dem Grunde nach die Ansprüche des Klägers mit 25 % zu Recht bestehen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Der vom Beklagten gegen das Berufungsgericht erhobene Vorwurf, es hätte anstelle eines Aufhebungsbeschlusses ein Zwischenurteil fällen müssen, ist schon deshalb nicht berechtigt, weil das Gericht gemäß dem § 393 Abs 1 ZPO unter den dort genannten Voraussetzungen ein Zwischenurteil fällen kann. Die Prozeßparteien haben daher keinen Anspruch auf Fällung eines Zwischenurteils. Die Ermessensentscheidung des Gerichts, ob es ein Zwischenurteil fällen will, ist unanfechtbar (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 1433). Im übrigen hat das Berufungsgericht eingehend dargelegt, aus welchen Gründen es von der Fällung eines Teil- und Zwischenurteils Abstand genommen hat.

Die Rekursausführungen über das Fehlen einer dem Kläger zustattenkommenden konkreten Schutznorm, insbesondere über das Fehlen der Voraussetzungen für die Anwendung der Straßenverkehrsordnung und der Arbeitnehmerschutzverordnung, sind nicht berechtigt. Unabhängig von der Anwendbarkeit derartiger Bestimmungen hat der Kläger, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, gegen das allgemeine Gefährdungsverbot und insbesondere gegen den für jegliches Fahren mit Fahrzeugen geltenden Grundsatz des Fahrens auf Sicht verstoßen. Die Auffassung, die Sitz- und Blickhaltung des Klägers sei technisch vorgegeben gewesen, entfernt sich, soweit damit zum Ausdruck gebracht werden soll, dem Beklagten sei ein anderes Verhalten, insbesondere eine Sicht nach links rückwärts, nicht möglich gewesen, von den Feststellungen. Danach war dem Beklagten ein Blick nach links (über seine linke Schulter) rückwärts ungeachtet seiner Sitzposition durchaus möglich. Er hat aber allgemein, nicht nur im konkreten Fall, immer nur über die rechte Schulter nach rückwärts geblickt, weil dies infolge seiner Sitzposition leichter möglich war als ein Blick über die linke Schulter. Der Beklagte hat den beim Fahren nach links rückwärts toten Winkel infolge dieses ungenügenden einseitigen Zurückschauens nicht beachtet und ist so in einen von ihm nicht eingesehenen Bereich gefahren. Jeder Lenker eines Kraftfahrzeuges muß aber beim Rückwärtsfahren erhöhte Aufmerksamkeit und besondere Vorsicht anwenden und sich in ausreichender Weise davon überzeugen, daß die hinter ihm liegende Fahrstrecke frei ist und niemand durch das Rückwärtsfahren in seiner persönlichen Sicherheit gefährdet wird. Dies gilt nicht nur auf öffentlichen Verkehrsflächen, sondern auch innerhalb eines Betriebsgeländes (ZVR 1971/29, 1979/119, 1982/376 ua) und für die dort verwendeten fahrbaren Arbeitsmaschinen. Daß Betriebsangehörigen die für einen Staplerfahrer geltenden besonderen Arbeitsbedingungen sowie die Gefahrenquellen bekannt sind, ändert nichts daran, daß eine Fahrt nach rückwärts nur auf Sicht erfolgen darf, zumal nicht ausgeschlossen werden kann, daß sich jemand in dem durch die mangelhafte Beobachtung nach links hinten entstandenen toten Winkel aufhält.

Der Beklagte hätte daher nicht nur nach rechts, sondern auch nach links rückwärts blicken müssen, um sich davon zu überzeugen, daß er gefahrlos nach rückwärts fahren könne. In diesem Fall hätte er bemerken können, daß sich der Kläger dem Gabelstapler nähert. Die schuldhafte Unterlassung dieser selbstverständlichen Verpflichtung hat der Beklagte, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, zu vertreten, wobei allerdings das überwiegende Eigenverschulden des Klägers zu berücksichtigen ist. Das vom Berufungsgericht angenommene Mitverschulden des Beklagten im Ausmaß von 1/4 ist unbedenklich. Die Kostenentscheidung ist in den §§ 40 und 52 ZPO begründet.

Anmerkung

E09366

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0140OB00162.86.1104.000

Dokumentnummer

JJT_19861104_OGH0002_0140OB00162_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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