Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Friedrich, Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch und Dr.Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Täuber als Schriftführer in der Strafsache gegen Otto H*** wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 StGB, AZ 12 b Vr 3781/81 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über den Antrag des Beschuldigten auf Ablehnung "der ganzen Gerichtshöfe erster und zweiter Instanz und aller Gerichtshöfe Österreichs" nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Antrag wird, soweit davon der Oberste Gerichtshof und die Oberlandesgerichte Graz, Linz und Innsbruck sowie die diesen Gerichtshöfen II. Instanz untergeordneten Gerichtshöfe I. Instanz betroffen sind, als unzulässig zurückgewiesen.
In bezug auf das Oberlandesgericht Wien wird dem Antrag nicht Folge gegeben.
Zur Entscheidung über den Antrag, insoweit davon die dem Oberlandesgericht Wien untergeordneten Gerichtshöfe I. Instanz, insbesondere das Landesgericht für Strafsachen Wien, betroffen sind, werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Text
Begründung:
Gegen den seit 12.Februar 1985 in Untersuchungshaft und zuvor (seit 25.Oktober 1984) im Ausland in Auslieferungshaft angehaltenen Otto H*** ist zum AZ 12 b Vr 3781/81 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ein Strafverfahren wegen Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 StGB anhängig, in welchem ihm laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien vom 21. Juli 1986 zur Last liegt, im Sommer 1979 und am 24.Oktober 1979 in Wien als Geschäftsführer der L***-Holz Handelsgesellschaft mbH im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit seiner (flüchtigen und daher nunmehr abgesondert verfolgten) Ehefrau Brigitta H*** das libysche Staatshandelsunternehmen National Organization for Trade and Vehicles, Tripoli, im Zusammenhang mit einem Holzexportgeschäft um mehr als 27 Millionen Schilling betrügerisch geschädigt zu haben. Die Vorladung zu der für den 26. und 27. November 1986 anberaumten Hauptverhandlung wurde dem Beschuldigten am 13.Oktober 1986 zugestellt.
Am 14. Oktober 1986, somit rechtzeitig (§ 73 StPO), brachte er ein "Gesuch auf Ablehnung der ganzen Gerichtshöfe erster und zweiter Instanz und aller Gerichtshöfe Österreichs wegen Befangenheit gemäß § 72 Abs. 1 StPO" ein.
Zu Punkt 1. dieses Antrages lehnt er "alle Gerichtshöfe der Republik Österreich" wegen "politischer Gegnerschaft" ab und begründet dies damit, daß die Republik Österreich von Libyen wirtschaftlich abhängig sei und sich deren Gerichtshöfe daher in dieser Strafsache ihm gegenüber "aus politischen, wirtschaftlichen u. a. Interessen Österreichs nicht unparteilich verhalten können". Zu Punkt 2. des Antrages lehnt er "die ganzen Gerichtshöfe erster und zweiter Instanz" wegen "bewußter und unbewußter Feindschaft" ab, weil er seit sechs Jahren von der österreichischen Justiz mit allen Mitteln verfolgt und seit fast zwei Jahren in Untersuchungshaft angehalten werde, seine Haftbeschwerden und ein Anklageeinspruch erfolglos geblieben seien, er vom Bewachungspersonal wie ein Schuldiger behandelt und zur Hauptverhandlung gefesselt vorzuführen sein werde, sodaß die Gerichtshöfe "moralisch gezwungen" seien, seine Verfolgung in der Öffentlichkeit durch einen Schuldspruch zu rechtfertigen. Schließlich lehnt der Beschuldigte zu Punkt 3. seines Antrages "den ganzen Gerichtshof erster Instanz und seinen Vorsteher" (also das Landesgericht für Strafsachen Wien im besonderen und dessen Präsidenten) wegen "bewußter Feindschaft" ab und führt zur Begründung dafür angebliche Äußerungen von drei Richtern (darunter ein Vizepräsident) dieses Gerichtshofes an, die diese mit Bezug auf sein Auftreten als Eingabenverfasser für Mithälftlinge gemacht haben sollen, woraus er ableitet, daß er sich die "Feindschaft des Gerichtshofes zugezogen" habe. Über die Zulässigkeit der Ablehnung der (aller) Gerichtshöfe zweiter Instanz in ihrer Gesamtheit hatte der Oberste Gerichtshof zu entscheiden (§ 74 Abs. 2 letzter Halbsatz StPO). Gleiches gilt für die Ablehnung des gesamten Obersten Gerichtshofes selbst (als eines vom Ablehnungsgesuch mitbetroffenen Gerichtshofes der Republik Österreich), da für diesen - weder in der Bundesverfassung noch in der Strafprozeßordnung vorgesehenen - Fall nur der Oberste Gerichtshof selbst als Entscheidungsgremium in Betracht kommt (Mayerhofer-Rieder, StPO 2 , E 24 zu § 72). Zugleich hatte der Oberste Gerichtshof über die Zulässigkeit der Ablehnung der den Oberlandesgerichten Graz, Linz und Innsbruck untergeordneten Gerichtshöfen I. Instanz zu entscheiden, da mangels jeglicher örtlicher Kompetenz der genannten Gerichtshöfe II. Instanz in dieser Strafsache auch ihre Entscheidungsbefugnis im Sinn des § 74 Abs. 2 zweiter Halbsatz StPO nicht begründet ist.
Rechtliche Beurteilung
Der Antrag auf Ablehnung des Obersten Gerichtshofes ist unstatthaft und war daher als unzulässig zurückzuweisen (Mayerhofer-Rieder a.a.O.).
Der Antrag auf Ablehnung der Oberlandesgerichte Graz, Linz und Innsbruck sowie der diesen untergeordneten Gerichtshöfen I. Instanz ist unzulässig, weil in Ansehung dieser Gerichtshöfe eine konkret aktuelle Kompetenz zu einer Entscheidung in dieser Strafsache derzeit überhaupt nicht besteht. Logische Voraussetzung für eine Ablehnung oder Ausschließung ist aber die Wirksamkeit des (der) betreffenden Organwalter(s) als Richter in dieser Sache (§ 68 StPO). In Ansehung des Oberlandesgerichtes Wien, dessen Zuständigkeit zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Ablehnung der ihm untergeordneten Gerichtshöfe I. Instanz, insbesondere des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, derzeit aktuell ist (§ 74 Abs. 2 zweiter Halbsatz StPO), hätte eine erfolgreiche Ablehnung zur Voraussetzung, daß der Beschuldigte außer den in den §§ 67 bis 69 StPO bezeichneten Fällen (der Ausschließung) andere Gründe anzugeben und darzutun vermag, die geeignet sind, die volle Unbefangenheit sämtlicher Mitglieder dieses Gerichtshofes in Zweifel zu setzen (§ 72 Abs. 1 StPO). Die Ablehnung eines Richters ist nur dann gerechtfertigt, wenn Umstände vorliegen, die - objektiv - die volle Unvoreingenommenheit des Betreffenden in Zweifel ziehen und zur Befürchtung Anlaß geben, der Abgelehnte könnte sich bei der Entscheidung von anderen als sachlichen Gründen leiten lassen (EvBl. 1973/326 u.v.a.).
Eine solche Eignung kommt den vom Beschuldigten vorgebrachten Gründen nicht zu, weil es sich hiebei um unsubstatiierte Pauschalverdächtigungen gegen die Richterschaft des Oberlandesgerichtes Wien handelt, die jeder realen Grundlage entbehren. Deshalb ist auch die Einholung von Äußerungen der Richter des Oberlandesgerichtes Wien (§ 183 Abs. 3 GeO) seitens des Präsidenten dieses Gerichtshofes mit Recht unterblieben, weil schon nach dem Parteienvorbringen von solchen Stellungnahmen keine sachdienlichen Aufklärungen zu erwarten waren.
Dem Ablehnungsantrag war daher insoweit nicht Folge zu geben. Über den die dem Oberlandesgericht Wien untergeordneten Gerichtshöfe I. Instanz (insbesondere des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) betreffenden Ablehnungsantrag wird der genannte Gerichtshof II. Instanz zu entscheiden haben (§ 74 Abs. 2 zweiter Halbsatz StPO).
Anmerkung
E09458European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1986:0100NS00022.86.1117.000Dokumentnummer
JJT_19861117_OGH0002_0100NS00022_8600000_000